Drastisches Sparprogramm bei Volkswagen

Künftig sollen die gut 100.000 VW-Beschäftigten an den deutschen Standorten des Volkswagenkonzerns in Wolfsburg, Hannover, Kassel, Braunschweig, Emden und Salzgitter 35 Wochenstunden statt bisher 28,8 Stunden ohne Ausgleich bei Löhnen und Gehältern arbeiten. In Bereichen mit höherem Kapazitätsbedarf, wie der Entwicklung, soll die Wochenarbeitszeit sogar bis zu 40 Stunden betragen. Gleichzeitig soll jeder fünfte Arbeitsplatz abgebaut werden.

Das gab ein Unternehmenssprecher des größten europäischen Autobauers in Wolfsburg am 20. April im Anschluss an eine Aufsichtsratssitzung bekannt. Das Sanierungsprogramm des VW-Vorstands sei "von den Aufsichtsräten zustimmend zur Kenntnis genommen" worden, hieß es. Der Aufsichtsrat habe den Vorstand zu Verhandlungen mit dem Betriebsrat und der IG Metall beauftragt.

Schwerpunkt der Sanierung sei das Stammwerk in Wolfsburg, wo fast die Hälfte der deutschen Beschäftigten arbeitet. Dort alleine sollen in Zusammenarbeit mit Betriebsrat und IG Metall 5.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Ein Bericht des Magazins Focus, wonach das belgische VW-Werk in Brüssel mit knapp 5.000 Beschäftigten "vor der kompletten Schließung" stehe, wurde zwar von der Geschäftsleitung dementiert. Doch es halten sich hartnäckige Gerüchte, dass die Wolfsburger Betriebsräte darauf drängen, die Golf-Produktion aus Brüssel nach Wolfsburg zu holen.

Mit den angekündigten Maßnahmen setzt Vorstandsmitglied Wolfgang Bernhard seinen radikalen Sparkurs bei VW durch. Bernhard ist kein Unbekannter. Bevor er im Februar vergangenen Jahres von Mercedes zu VW wechselte und zu Beginn dieses Jahres die Leitung der Marke VW (VW, Skoda, Bentley und Bugatti) übernahm, war er für die Sanierung der US-Sparte Chrysler des Daimler-Konzerns in Detroit verantwortlich. Dort baute der erst 45-Jährige in Windeseile 26.000 Arbeitsplätze ab, verkaufte mehrere Produktionsstätten, legte andere still und diktierte den Zulieferern verschärfte Bedingungen, was zu Milliarden Einsparungen für DaimlerChrysler führte.

Als VW-Chef Bernd Pischetsrieder im vergangenen Jahr die Berufung Bernhards zum VW-Markenchef bekannt gab, klatschten die Börsianer Beifall. "Bernhard ist bekannt als jemand, der rigoros durchgreift und die Kosten drückt", sagte damals Analyst Lars Ziehn von der West-LB. Der Kurs der VW-Aktie schnellte zeitweise um sechs Prozent in die Höhe. Bezeichnenderweise hatte der damalige Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert, der kurze Zeit später aufgrund eines Korruptions- und Sex-Skandals zurücktrat, gegen die Berufung von Wolfgang Bernhard nichts einzuwenden.

Die jüngsten Ankündigungen von VW machen deutlich, dass der im vergangenen Jahr mit großem Medienaufwand aufgedeckte Skandal - über Lust- und Weltreisen von Betriebsräten, teure Prostituierte, die regelmäßig auf Firmenkosten eingeflogen wurden, verdeckte Geschäftsbeteiligungen und Mauscheleien hinter den Kulissen - Teil der Vorbereitung auf drastische Lohnsenkungen und den massiven Abbau von Arbeitsplätzen war.

Die Geschäftsleitung war über die korrupten Machenschaften einiger Betriebsräte sowie des Personalvorstands Peter Hartz und anderer Manager seit Jahren bestens informiert, denn sie hatte die Vergnügungsreisen samt Bordellbesuchen ebenso finanziert, wie die monatlichen Unterhaltszahlungen und Reisekosten für lateinamerikanische "Freundinnen". Damit hatte sie die Arbeitnehmervertreter vollständig in der Hand. Ein leiser Hinweis genügte, um sie gefügig zu machen.

Dass die Geschäftsleitung im vergangenen Jahr die Bombe dennoch platzen ließ, hing damit zusammen, dass die gegenwärtigen Angriffe weit über die bisherigen "Restrukturierungsmaßnahmen" hinausgehen. Im vergangenen Jahr hatte VW bereits mit dem so genannten Optimierungsprogramm "For Motion" die Produktionskosten um 3,5 Mrd. Euro gesenkt und damit das geplante Einsparpotential von 3,1 Mrd. Euro sogar übertroffen.

Außerdem willigte der Betriebsrat im vergangenen Jahr ein, die wesentlich schlechteren Konditionen von "Auto 5000" - längere Arbeitszeiten und um 20 Prozent niedrigere Löhne - auf die Produktion des neuen Geländewagen Marrakesch zu übertragen, damit er hierzulande statt im portugiesischen Werk Palmela gefertigt wird.

Nun sollen diese Arbeitsbedingungen auf alle deutschen Standorte übertragen werden. Das würde das vorzeitige Ende des VW-Haustarifvertrages einleiten, dessen Laufzeit eigentlich bis ins Jahr 2011 reicht.

Das Ende des "VW-Modells"

Der VW-Konzern galt jahrzehntelang als Inbegriff dessen, was abwechselnd als "deutsches Mitbestimmungsmodell", "Deutschland AG" oder "Co-Management" bezeichnet wird. Nirgendwo sonst war das Verhältnis zwischen Vorstand, Gewerkschaft, Betriebsrat und Politik so eng wie beim Wolfsburger Konzern.

Der Chef der IG Metall, der weltgrößten Industriegewerkschaft, amtiert traditionsgemäß als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Konzerns, assistiert vom Betriebsrat, der aufgrund der gesetzlich geregelten Mitbestimmung ebenfalls mit mehreren Mitgliedern im Aufsichtsgremium vertreten ist. Von 1990 bis 2003, solange die SPD in Hannover die Regierung stellte, wurde Volkswagen praktisch von einem Triumvirat aus Gewerkschaft, Betriebsrat und SPD beherrscht.

Ein Blick in die Unternehmensgeschichte macht deutlich, dass die enge Beziehung zwischen Geschäftsleitung, Politik und Gewerkschaft bei VW eine lange Tradition hat. Von der Werksgründung im Mai 1937 bis zum Ende der Nazizeit wurde zwar nicht der von Adolf Hitler versprochene "KdF-Wagen" (KdF = Kraft durch Freude), "den sich künftig jeder Deutsche leisten" könne, sondern nur Rüstungsgüter hergestellt. Der Siegeszug des "Volkswagens", den Hitler bei dem österreichischen Ingenieur Ferdinand Porsche in Auftrag gegeben hatte, begann erst in den fünfziger Jahren. Mit mehr als 21 Millionen Exemplaren wurde der "VW-Käfer" dann zum Symbol für das so genannte Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit.

Von 1949 bis zur Umwandlung in eine Aktiengesellschaft 1960 stand das Unternehmen unter Treuhandschaft des Bundes und des Landes Niedersachsen. Auch nach der Teilprivatisierung verfügten Bundes- und Landesregierung noch über jeweils 20 Prozent der Aktien, und das so genannte "VW-Gesetz" vom Juni 1960 sicherte der öffentlichen Hand auch dann noch weitreichende Entscheidungsrechte zu.

Seit dem Mitbestimmungsgesetz von 1972 sitzen sich im Aufsichtsrat Betriebsräte und Gewerkschaft auf der einen und Geschäftsleitung und öffentliche Hand auf der anderen Seite mit derselben Zahl von Vertretern gegenüber, wobei der Aufsichtsratsvorsitzende in Patt-Situationen über die entscheidende Stimme verfügt.

Für die Beschäftigten bedeutet diese "sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit" schon lange keinen Schutz vor den schlimmsten Auswirkungen unternehmerischer Entscheidungen mehr. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im VW-Haustarif die Löhne noch immer um fast 20 Prozent höher liegen als im Tarifvertrag für die restliche Metallindustrie.

Während die VW-Geschäftsleitung durch den Aufbau immer neuer Werke in Niedriglohnländern - drei Werke in China, eines in Indien, drei in Polen und jeweils eines in der Slowakei, in Tschechien und in Ungarn - die eigene Billiglohnkonkurrenz organisiert, übernehmen die Betriebsräte immer direkter die Aufgabe, einen Standort gegen den anderen auszuspielen und die Belegschaften wechselseitig zu erpressen.

Siehe auch:
VW kündigt ein "historisches Sparprogramm" und den Abbau von 20.000 Arbeitsplätzen an
(11. Februar 2006)
Lohnkürzungen und Personalabbau bei Daimler und VW
( 21. Oktober 2005)
Das klägliche Ende des "VW-Modells"
( 22. Juli 2005)
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