Prodis linke Krücke

Bertinotti ist italienischer Parlamentspräsident

Mit der Übernahme des Amts des Parlamentspräsidenten durch ihren Vorsitzenden Fausto Bertinotti hat sich die Partei Rifondazione Comunista vollständig und endgültig im Lager des politischen Establishments verankert.

Der 66-jährige Bertinotti wurde am vergangenen Samstag im vierten Wahlgang mit 337 Stimmen ins dritthöchste italienische Staatsamt gewählt. In den ersten drei Wahlgängen wäre noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig gewesen, im vierten genügte die einfache Mehrheit. Fast alle Abgeordneten des Bündnisses Unione, das von einem Flügel der Christdemokraten über diverse andere bürgerliche Gruppierungen bis hin zu den Linksdemokraten und Rifondazione reicht, votierten für Bertinotti.

Ursprünglich hatte auch der frühere Ministerpräsident Massimo D’Alema, ein führendes Mitglied der Linksdemokraten, Interesse an dem Amt gezeigt. Doch der zukünftige Regierungschef Romano Prodi hatte ihn überzeugt, Bertinotti den Vortritt zu lassen.

Als Präsident der Abgeordnetenkammer fällt Bertinotti eine entscheidende Rolle dabei zu, stabile Mehrheiten für eine Regierung Prodi zu organisieren. Traditionell gilt seine Aufgabe zwar als überparteilich. Er ist für den geordneten Ablauf der Parlamentsarbeit zuständig und nicht für den Inhalt der Gesetze. Doch unter den gegebenen Umständen - äußerst knappe Mehrheitsverhältnisse, eine instabile Regierungskoalition aus zehn Parteien und eine aggressive Opposition - wird er dafür sorgen müssen, dass das Parlament der Regierung nicht in den Rücken fällt.

Noch ein weiterer Grund dürfte Prodi bewogen haben, Bertinotti mit dem prestigeträchtigen Posten des Parlamentspräsidenten zu betrauen. Er sichert sich damit die Loyalität eines Mannes, der ihn 1998 um den Posten des Ministerpräsidenten gebracht hatte. Damals brachte Rifondazione die erste Regierung Prodi zu Fall, indem sie ihr nach dreijähriger Unterstützung ihre Zustimmung im Parlament entzog.

Rifondazione Comunista ist von so genannten Linken in ganz Europa über Jahre hinweg als leuchtendes Vorbild für ein Projekt gepriesen worden, das auch sie selbst verfolgen: Den Zusammenschluss ehemaliger Sozialdemokraten, Stalinisten, Radikaler und Gewerkschafter in einer neuen "Linkspartei". Bertinottis Auftritte auf diversen Europa- und Weltwirtschaftsforen wurden bejubelt, seine Partei als gelungenes Beispiel für die Verbindung von parlamentarischer Arbeit mit sozialen Bewegungen gelobt. Rifondazione galt als lebendiger Beweis für den Leitsatz der Anti-Globalisierungsbewegung: "Eine andere Politik ist möglich."

Die Organisation war 1991 als Zerfallsprodukt der Kommunistischen Partei entstanden. Bertinotti, der seine politische Laufbahn in der Sozialistischen Partei Bettino Craxis begonnen hatte, 1967 zur Kommunistischen Partei übertrat und anschließend Karriere als Gewerkschaftsführer machte, lehnte damals die Umwandlung der KPI in eine offen sozialdemokratische Partei ab und gründete Rifondazione, in der sich auch zahlreiche Altstalinisten wieder fanden.

In den folgenden Jahren sog Rifondazione zahlreiche radikale Gruppierungen auf, die ursprünglich in Opposition zur stalinistischen KPI entstanden waren. So löste sich die italienische Sektion des Vereinigten Sekretariats (seine französische Sektion ist die Ligue Communiste Révolutionnaire - LCR) in Rifondazione auf. Ihr führender Vertreter, der 2004 vertorbene Livio Maitan, wurde zu einem der engsten Berater Bertinottis.

Rifondazione hatte zwar schon in den neunziger Jahren zwei technokratische Regierungen unter den Notenbankern Lamberto Dini und Carlo Azeglio Ciampi sowie die erste Regierung Prodi parlamentarisch unterstützt. Dennoch war sie stets bemüht, sich als Interessenvertretung außerparlamentarischer Bewegungen darzustellen. Nun stellt sie neben dem Parlamentspräsidenten voraussichtlich auch zwei Minister in der zukünftigen Regierung und übernimmt eine zentrale politische Verantwortung für die Verteidigung der bürgerlichen Ordnung. Und dies zu einem Zeitpunkt, an dem sich diese in einer tiefen Krise befindet.

Bereits die Parlamentswahl Anfang April hatte das Ausmaß der politischen Krise in Italien sichtbar werden lassen. Obwohl Prodis Wahlbündnis sowohl von allen so genannten Linken als auch von großen Teilen der italienischen und der europäischen Bourgeoisie unterstützt wurde, fiel sein Wahlsieg denkbar knapp aus. Der Grund dafür war Prodis politisches Programm, auf das die Bezeichnung "neoliberal" in jeder Hinsicht zutrifft.

Der ehemalige Christdemokrat, Industriemanager und Wirtschaftsprofessor vertrat ein Wahlprogramm, in dessen Mittelpunkt die Konsolidierung des Haushalts und die Entlastung der Unternehmen von Sozialabgaben standen. Schon in den neunziger Jahren hatte Prodi Italien durch die drastische Kürzung von Sozialausgaben für den Euro fit gemacht. Als Präsident der EU-Kommission war er anschließend unter anderem für die Lissabon-Agenda zuständig, die Europa bis 2010 zum "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum in der Welt" machen soll.

Das arbeiterfeindliche Programm Prodis versetzte Regierungschef Silvio Berlusconi in die Lage, mit Hilfe seiner Medienmacht die Ängste unterdrückter Schichten zu manipulieren sowie Unterstützung unter den Mittelschichten im relativ wohlhabenden Norden zu mobilisieren, dessen exportorientierte Industrie durch Mittel- und Kleinbetriebe geprägt ist.

Die Wahl der Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern am vergangenen Samstag galt als erster Test, ob Prodis Mehrheit überhaupt tragfähig ist. Berlusconi hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt geweigert, seine Wahlniederlage anzuerkennen und seinen Rücktritt einzureichen. Er tat dies erst am Dienstag, nachdem sich Prodis Bündnis in beiden Kammern durchgesetzt hatte.

In der Abgeordnetenkammer lief die Abstimmung relativ problemlos. Hier verfügt Prodis Bündnis aufgrund einer Sonderreglung des Wahlrechts trotz ihres hauchdünnen Vorsprungs über eine deutliche Mehrheit der Sitze. Anders ist es im Senat, wo Prodi nur über zwei Sitze Vorsprung verfügt. Hier ist er auf Gedeih und Verderb auf Rifondazione angewiesen, die 27 Senatoren stellt. Zusätzlich kompliziert wird die Lage durch sieben Senatoren auf Lebenszeit und einen Unabhängigen, die ebenfalls stimmberechtigt sind.

Das Belusconi-Lager hatte den 87-jährigen Giulio Andreotti, einen Senator auf Lebenszeit, als Kandidaten für den Senatsvorsitz aufgestellt. Der greise Politiker gilt als Inbegriff der Verschwörungen, der Korruption und der illegalen Machenschaften, die die italienische Politik jahrzehntelang geprägt haben. Der Christdemokrat gehörte 33 der insgesamt 59 italienischen Nachkriegsregierungen an, sieben davon als Ministerpräsident. Er unterhielt enge Verbindungen zum Vatikan und zur Mafia und galt als Meister der Intrige. 29 Mal wurde die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität beantragt, erst der letzte Versuch hatte Erfolg. 2002 wurde er wegen der Ermordung eines Journalisten in zweiter Instanz zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt. Schließlich rettete ihn der Oberste Gerichtshof davor, den Rest seines Lebens hinter Gittern zu verbringen. Er sprach ihn in der Revisionsverhandlung wegen Mangels an Beweisen frei.

Das Prodi-Lager reagierte auf Andreottis Kandidatur, wie es immer auf derartige Provokationen reagiert: Es kam den Rechten entgegen. Es schickte den 73-jährigen Franco Marini ins Rennen. Er ist wie Andreotti ehemaliger Christdemokrat und war 1991 Arbeitsminister in dessen letzter Regierung.

Obwohl die beiden Kandidaten befreundet sind und sich politisch kaum unterscheiden, artete die Abstimmung zeitweise in Tumulte aus. Der zweite Wahlgang, den Marini gewann, wurde annulliert, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sein Vorname auf zwei Stimmzetteln falsch geschrieben worden war. Erst im vierten Wahlgang gewann Marini schließlich mit drei Stimmen mehr als erforderlich.

Am 8. Mai tritt das Parlament erneut zusammen, um einen neuen Staatspräsidenten zu wählen. Die Kandidaten stehen noch nicht fest. Nachdem Berlusconi anfangs selbst Interesse am höchstens Staatsamt gezeigt hatte, schlägt er nun vor, den 85-jährigen Carlo Azeglio Ciampi für eine weitere Amtszeit zu wählen. Ciampi, ein Finanzmann und ehemaliger Notenbankpräsident, wäre wohl auch für Prodi akzeptabel.

Die heftigen Konflikte zwischen Parteien, die im Wesentlichen dasselbe, arbeiterfeindliche Programm vertreten, sind ebenso wie die Aufteilung der höchsten Staatsämter unter Männern, die sich im Renten- oder im fortgeschrittenen Greisenalter befinden, Ausdruck der Abgehobenheit der gesamten politischen Elite von der Masse der Bevölkerung. Weder das Berlusconi-Lager - ein Bündnis der raffgierigsten Teile der Bourgeoisie mit Neofaschisten und offenen Rassisten - noch das Prodi-Lager - ein Bündnis der traditionelleren, europäisch orientierten Teile der Bourgeoisie mit den Apparaten der einstigen Arbeiterorganisationen - verfügen über ein Programm, dass die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung auch nur ansatzweise erfüllen könnte.

Es besteht nicht der geringste Zweifel über den Charakter einer Regierung Prodi. Die Wirtschaftsverbände, die sie im Wahlkampf unterstützt haben, verlangen nun die zügige Durchsetzung der sozialen Kürzungen, zu denen Berlusconi nicht mehr fähig war. Rifondazione übernimmt in dieser Situation die entscheidende Rolle, die Regierung gegen den Druck der Maßen abzuschirmen. Sie bildet die Krücke, ohne die sich die Regierung Prodi nicht bewegen kann.

Die Eingliederung von Rifondazione ins bürgerliche Lager kann nicht einfach aus den persönlichen Eigenschaften ihres Führers Bertinotti erklärt werden, der für seinen gehobenen Lebensstil und seinen Umgang mit Show- und Wirtschaftsgrößen bekannt ist. Sie ist die zwangsläufige Folge einer Perspektive, die den Aufbau einer unabhängigen politischen Partei der Arbeiterklasse ablehnt und die Gesellschaft mit Hilfe der rechten, heruntergekommenen alten Apparate verändern will. Sie zeigt, wohin die Projekte der Linkspartei in Deutschland und einer Vereinigten Linken in Frankreich führen.

Siehe auch:
Interview mit Paolo Ferrero von Rifondazione Comunista
(12. April 2006)
Livio Maitan 1923-2004 - eine kritische Würdigung
( 23. März 2005)

( 15. März 2003)

( 21. Oktober 2004)
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