Bundesregierung schröpft Klein- und Normalverdiener

Seit Jahren fordern alle Parteien den Abbau sogenannter Steuerprivilegien. Nun hat die Bundesregierung ernst gemacht. Sie hat allerdings nicht die zahlreichen Abschreibungsmöglichkeiten und Steuerschlupflöcher beseitigt, die es Großverdienern und Unternehmen erlauben, kaum oder gar keine Steuern zu zahlen. Das am Mittwoch vom Kabinett beschlossene "Steueränderungsgesetz 2007" schröpft ausschließlich die Klein- und Normalverdiener.

Kernpunkt des Gesetzes ist der Wegfall der Pendlerpauschale, mit der bisher die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz steuerlich abgesetzt werden konnten. In Zukunft dürfen nur noch Fernpendler 30 Cent als Werbungskosten für Distanzen über 21 Kilometer geltend machen.

Allein durch diese Maßnahme erwartet der Fiskus ab 2007, wenn das neue Gesetz in Kraft tritt, Mehreinnahmen von 2,5 Milliarden Euro jährlich. Bis 2010 sollen sie auf 5,4 Milliarden steigen.

Die Abschaffung der Pendlerpauschale trifft vor allem Arbeiter und Angestellte, die für einen langen Arbeitsweg nicht nur viel Zeit, sondern auch hohe Fahrkosten aufbringen müssen. Nach dem ihnen die Regierung jahrelang Flexibilität und Mobilität gepredigt hat, werden sie nun zur Kasse gebeten. Hinzu kommt die seit langem geplante Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozent, die zu einer weiteren Erhöhung der Fahrtkosten führen wird.

Als weitere Maßnahme wird der Sparerfreibetrag halbiert: für Ledige auf 750 und für Verheiratete auf 1.500 pro Jahr. Dabei handelt es sich um die Zinseinnahmen aus Sparguthaben, die nicht versteuert werden müssen. Diese Maßnahme belastet fast ausschließlich Kleinsparer, die sich eine bescheidende Summe auf die hohe Kante gelegt haben. Für Leute mit hohem Vermögen fällt der Sparerfreibetrag dagegen kaum ins Gewicht.

Kindergeld und Kinderfreibetrag werden nach dem neuen Gesetz nur noch bis zum Alter von 25 statt bisher 27 Jahren bezahlt. Das bedeutet einen Ausfall von 3.700 Euro pro Kind. Am härtesten betroffen sind auch hier wieder Normalverdiener, deren Kinder ein Studium absolvieren oder arbeitslos sind und deshalb über kein eigenes Einkommen verfügen.

Und schließlich darf das Arbeitszimmer in der eigenen Wohnung nur noch dann von der Steuer abgesetzt werden, wenn es den "Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit" bildet. Bisher war das schon möglich, wenn der Anteil der häuslichen Tätigkeit über 50 Prozent lag. Auch diese Maßnahme richtet sich gegen die schnell wachsende Zahl der Selbständigen oder Scheinselbständigen, die in unsicheren und schlecht bezahlten Verhältnissen arbeiten.

Das Steueränderungsgesetz setzt die Umverteilung der Einkommen und Vermögen von unten nach oben in beschleunigtem Tempo fort, die schon von der rot-grünen Koalition begonnen wurde. Als Feigenblatt beinhaltet es eine sogenannte "Reichensteuer", die mit viel propagandistischem Aufwand und entsprechendem Protestgeschrei von Seiten der Wirtschaftslobby und der FDP verkündet wurde. Tatsächlich handelt es sich um einen schlechten Witz.

Die Reichensteuer wird nur von Angestellten mit einem versteuerten Jahreseinkommen über 250.000 Euro (Ledige), bzw. 500.000 Euro (Verheiratete) erhoben, nicht aber von Selbständigen und Freiberuflern. Für die Betroffenen erhöht sich der Spitzensteuersatz von 42 auf 45 Prozent.

Die Zahl der Angestellten, die ein derartig hohes Einkommen versteuern, ohne die zahlreichen Abschreibungsmöglichkeiten zu nutzen, dürfte ziemlich gering sein. Die Regierung erwartet dementsprechend aus der "Reichensteuer" auch nur jährliche Einnahmen von 127 Millionen Euro, anstatt wie ursprünglich verkündet eine Milliarde. Die Steuer dient, wie ein Kommentar meinte, als "Partei-Placebo", als Beruhigungspflaster für die SPD.

Leistungskürzungen bei Hartz IV

Bereits eine Woche vor dem Steueränderungsgesetz hatte die Regierung umfangreiche Einsparungen und Leistungskürzungen für Hartz-IV-Empfänger auf den Weg gebracht, die am 1. August in Kraft treten. Sie verspricht sich davon Einsparungen von mehreren Milliarden Euro: eine halbe Milliarde in diesem und 1,5 Milliarden im kommenden Jahr.

Begründet werden die neuen Regelungen mit angeblichem "Leistungsmissbrauch". In diesem Jahr werden die staatlichen Ausgaben für Hartz IV voraussichtlich drei Milliarden Euro über den eingeplanten 24,4 Milliarden liegen. Der Grund für diese Ausgabensteigerung ist aber nicht "Leistungsmissbrauch", sondern der rasante Anstieg der offenen und verdeckten Arbeitslosigkeit und von prekären Arbeitsverhältnissen.

Im April dieses Jahres betrug die Zahl der Haushalte, die Arbeitslosengeld II beziehen, erstmals über vier Millionen. Bei der Einführung im Januar 2005 hatte sie noch bei 3,33 Millionen gelegen. Zu den Beziehern gehören nicht nur Arbeitslose, sondern auch 900.000 Niedrigverdiener, deren Einkommen niedriger als die Hartz-IV-Sätze sind.

Die staatlichen Ausgaben sollen nun gesenkt werden, indem die Bezieher von Arbeitslosengeld einer systematischen Überwachung und Bespitzelung ausgesetzt werden. Durch persönliche Kontrollen und Abfragen sollen sie gezielt überprüft werden.

Der neue Gesetzentwurf enthält Dutzende Detailregeln, die aus Orwells "1984" stammen könnten. So müssen ein Mann und eine Frau oder zwei gleichgeschlechtliche Personen, die länger als ein Jahr zusammen wohnen, künftig beweisen, dass sie keine Beziehung führen. Sonst sind sie gegenseitig unterhaltspflichtig.

Wie dies geschehen soll, führt das Gesetz nicht aus. Vielleicht wird ein Mitarbeiter der Arbeitsagentur morgens überprüfen, wie viele Betten warm sind. Ein Fortschritt ist allerdings zu vermerken. Während die Union gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften nach wie vor ablehnt, setzt sie das Arbeitsministerium bereits als selbstverständlich voraus, solange die Betroffenen nicht das Gegenteil beweisen.

Mit welcher Verachtung die Regierung gegen die Arbeitslosen vorgeht, zeigt ein Ausspruch von Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD). Als die neuen Regelungen in der SPD-Fraktionssitzung auf Kritik stießen, soll Müntefering laut Zeit-online erwidert haben: "Nur wer arbeitet, soll auch essen." Und das bei fünf Millionen Arbeitslosen!

Der andere führende Sozialdemokrat im Bundeskabinett, Finanzminister Peer Steinbrück, plant inzwischen eine weitere drastische Absenkung der Unternehmenssteuern. Laut einem bericht der Süddeutschen Zeitung will er die Steuerbelastung für Kapitalgesellschaften von derzeit 39 unter 30 Prozent senken. Die Körperschaftssteuer soll von 25 auf 16 Prozent fallen, die von den Kommunen kassierte Gewerbesteuer bei etwa 14 Prozent bleiben.

2001 hatte die Regierung Schröder die Körperschaftsteuer schon einmal massiv gesenkt. Zahlreiche Großkonzerne zahlten damals gar keine Steuern mehr oder erhielten sogar Geld zurück. Nun setzt die Große Koalition diesen Kurs fort.

Die SPD übernimmt dabei die Vorreiterrolle. Laut Süddeutscher Zeitung wollte Steinbrück das Steuergeschenk an die Wirtschaft, das den Fiskus jährlich fünf bis zehn Milliarden kostet, bereits Anfang 2007 in Kraft setzen. Zu diesem Zeitpunkt wird auch die Mehrwertsteuer erhöht. Die Union habe dies aber abgelehnt und darauf beharrt, dass erst 2008 eine Unternehmenssteuerreform in Kraft tritt.

Siehe auch:
Große Koalition verschärft Hartz-Gesetze
(7. März 2006)
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