Stalinistische Methoden der WASG

Bundesvorstand setzt Landesvorstände ab und zieht Wahlbeteiligungen zurück

Am vergangenen Wochenende hat der Bundesvorstand der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) die Landesvorstände der Partei in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern für abgesetzt erklärt und durch Beauftragte des Vorstands - genannt "kommissarische Landeskoordinatoren" - ersetzt. Die erste Maßnahme der Vorstands-Kommissare bestand darin, in beiden Bundesländern die Wahlbeteiligung für die Landtagswahlen im kommenden Herbst zurückzuziehen.

In Berlin sagte Vorstandskommissar Hüseyin Aydin auch gleich noch einen ordentlich einberufenen Sonderparteitag ab, und als dieser am Dienstag trotzdem stattfand, erklärte er alle Beschlüsse und Entscheidungen der Delegierten für "null und nichtig".

Seit den Tagen der stalinistischen Willkürherrschaft der SED hat es ein derart aggressives, diktatorisches Vorgehen einer Parteiführung nicht mehr gegeben. Selbst konservative bürgerliche Parteien setzen sich nicht in solch krasser Form über demokratische Normen hinweg. Dazu kommt noch, dass als Schlussfolgerung aus der nationalsozialistischen Diktatur demokratische Parteistrukturen und weitreichende Mitgliederrechte durch das Parteiengesetz vorgegeben sind.

Die Frage stellt sich: Wie wird eine Partei, die so mit ihren eigenen Mitgliedern umspringt und demokratische Rechte mit Füssen tritt, sich gegenüber Arbeitern und der großen Mehrheit der Bevölkerung verhalten, sollte sie an die Macht kommt? Das diktatorische Vorgehen des WASG-Vorstands lässt keinen Zweifel daran, dass diese Partei nicht zögern wird, Unterdrückungsmaßnahmen anzuwenden, um jeden Widerstand von unten brutal auszuschalten.

Die undemokratischen Maßnahmen des Vorstandes stehen in direktem Zusammenhang zu seiner politischen Orientierung und können davon nicht getrennt werden. Die Entscheidung, eine Kandidatur der WASG-Landesverbände in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern mit Brachialgewalt zu verhindern, bedeutet, dass sich die WASG hinter die unsoziale Politik stellt, welche die Linkspartei.PDS im Bündnis mit der SPD in der Bundeshauptstadt seit vier und in Mecklenburg-Vorpommern seit acht Jahren praktiziert.

Schon ein kurzer Blick auf die politische Bilanz der Linkspartei-SPD-Regierungen in Berlin und Schwerin zeigt, warum der WASG-Vorstand keine Debatte und kritische Auseinandersetzung über diese Politik zulässt. Alle unsozialen Maßnahmen, welche die Linkspartei in programmatischen Erklärungen vehement verurteilt, setzte sie dort, wo sie Regierungsverantwortung ausübt, seit Jahren in die Tat um.

In vielen programmatischen Dokumenten spricht sich die WASG gegen Privatisierungen im öffentlichen Dienst aus. In Mecklenburg-Vorpommern spielt Arbeits- und Sozialminister Helmut Holter (Linkspartei.PDS) dagegen eine Vorreiterrolle in Sachen Privatisierungen, mit katastrophalen Auswirkungen in Form von Niedrigstlöhnen und bundesweit höchster Arbeitslosigkeit mit offiziell 22,1 Prozent.

In Berlin übernahm der SPD-PDS-Senat als erste Amtshandlung eine Landesbürgschaft für die Bankgesellschaft Berlin (BGB) in Höhe von 21,6 Milliarden Euro und lastete das gesamte Risiko der privaten Fonds-Besitzer und Anteilseigner der Bevölkerung auf.

Gleichzeitig wurde ein drastisches Sparprogramm verabschiedet, das den Abbau von 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst verbunden mit längeren Arbeitszeiten und geringerer Bezahlung vorsah. Bei den Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wurden die Löhne und Gehälter um zehn Prozent gesenkt, bei Neueinstellungen um weitere 15 Prozent. Insgesamt spart der Senat bei den Beschäftigten des öffentlichen Diensts nach eigenen Angaben 38 Millionen Euro jährlich.

Um die Renditen für private Investoren der Berliner Wasserbetriebe zu garantieren, wurden die Wassergebühren um durchschnittlich 25 Prozent angehoben. Dazu kommen: Abschaffung der Lehrmittelfreiheit an den Berliner Schulen; massive Erhöhung der Kita-Gebühren; Erhöhung der Lehrerarbeitszeit um zwei Unterrichtsstunden pro Woche; Kürzungen von 75 Millionen Euro im Universitätsbereich; und so weiter.

Während WASG und Linkspartei.PDS eine bundesweite Kampagne organisieren, um einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro durchzusetzen, entschied der Berliner Senat seine Post künftig von der privaten Zustellungsfirma PIN AG befördern zu lassen, die ihren Beschäftigten nur knapp über 5 Euro pro Stunde bezahlt.

Als der vom WASG-Bundesvorstand eingesetzte Generalbevollmächtigte Hüseyin Aydin auf dem Sonderparteitag selbstherrlich erklärte, die Linkspartei.PDS stünde "ganz klar gegen Privatisierung, gegen Sozialabbau und für eine Rückkehr zum Flächentarifvertrag", erntete er nur Hohngelächter und Buhrufe. Immerhin war Berlin unter Mitwirkung der Linkspartei.PDS als erstes Bundesland aus der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) ausgestiegen und hatte damit Tarifflucht begangen, um drastische Lohnsenkungen und Sozialabbau unter den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes durchzusetzen.

Ein Gewerkschafts-Apparatschik

Hüseyin Aydin wurde nicht zufällig vom Parteivorstand eingesetzt, um an der Stelle des abgesetzten Landesvorstands die Parteigeschäfte in Berlin zu übernehmen. Er verkörpert den Typ des Gewerkschafts-Apparatschiks, wie er in der WASG sehr verbreitet ist. Vor gut 25 Jahren begann Aydin 18-jährig als Hüttenarbeiter bei Thyssen-Stahl in Duisburg zu arbeiten, wurde schnell SPD-Mitglied und war schon vier Jahre später freigestellter Betriebsrat. Anfang der neunziger Jahre spielte er als Betriebsrat und stellvertretender Vertrauenskörperleiter der IG Metall eine Schlüsselrolle beim Abbau der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie.

1996 wurde er hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär in der Bezirksleitung der nordrhein-westfälischen IG Metall und wechselte erst Anfang vergangenen Jahres von der SPD zur WASG, für die er nun im Bundestag sitzt.

Dass er alle bürokratischen Tricks, Manöver und Intrigen beherrscht, hat Aydin schon oft unter Beweis gestellt. Zuletzt im vergangenen Jahr, als er in Zusammenarbeit mit dem Parteivorstand den ursprünglichen Landesverband der WASG in Nordrhein-Westfalen auflöste, nachdem eine Gruppe von Opelarbeitern versucht hatte, eigene Standpunkte in der WASG durchzusetzen.

Der abgesetzte Berliner Landesvorstand hat angekündigt, er werde das Vorgehen von Aydin und die Entscheidung des Bundesvorstands nicht akzeptieren und "mit allen Mitteln" dagegen vorgehen. Auf dem Sonderparteitag wurde dem abgesetzten Landesvorstand mit großer Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen und die Fortsetzung der Wahlteilnahme beschlossen.

Doch all das kann nicht darüber hinweg täuschen, dass das Vorgehen des WASG-Bundesvorstands auch der Berliner WASG den politischen Boden entzieht. Denn das zentrale Argument der Berliner WASG und der Gruppe Sozialistische Alternative SAV, die in diesem Landesverband einigen Einfluss hat, besteht gerade darin, dass der Aufbau der WASG die Antwort auf die unsoziale Politik des Berliner Senats sei. Auf Bundesebene unterstützen sie auch weiterhin den Zusammenschluss von Linkspartei.PDS und WASG.

Nun hat die WASG durch ihren Bundesvorstand für jedermann sichtbar klar gemacht, wie absurd diese Position ist. Die geplante Vereinigung von Linkspartei.PDS und WASG basiert darauf, dass jede Perspektive, die die Grundlagen der kapitalistischen Verhältnisse auch nur ansatzweise in Frage stellt, mit allen Mitteln zurückgewiesen und unterdrückt wird. Die Sozialdemokraten und Gewerkschaftsbürokraten der WASG haben deutlich gemacht, dass sie dabei den Stalinisten der Linkspartei.PDS in der Wahl der undemokratischen Mittel nicht nachstehen.

Für die Arbeiterklasse beinhaltet diese Entwicklung wichtige politische Lehren. Die Tatsache, dass sich Linkspartei.PDS und WASG bereits vor ihrer Vereinigung als reaktionäre bürokratische Apparate entlarven, hat ihre Ursache in der fortgeschrittenen Krise des kapitalistischen Systems. Tagtäglich werden die Phrasen über die "soziale Gestaltung" der Markwirtschaft durch die Vormacht einer internationalen Finanzoligarchie widerlegt und angeblich linke Parteien verwandeln sich immer schneller in letzte Stützen der bürgerlichen Ordnung.

In Italien ist Rifondazione Comunista in die Regierung von Romano Prodi eingetreten, um die Sozialkürzungen durchzusetzen, zu denen die Berlusconi-Regierung nicht mehr in der Lage war. Auch in Frankreich bieten sich Gruppierungen wie die Ligue Communiste Révolutionaire (LCR) als Stützen einer neuen bürgerlichen "Linksregierung" an. Die wichtigste Schlussfolgerung aus dieser Entwicklung besteht darin, dass kein Weg daran vorbei führt, eine neue Partei aufzubauen, die ohne Umschweife für eine sozialistische Perspektive kämpft.

Siehe auch:
Die Berliner WASG die SAV und der Trotzkismus
(3. Mai 2006)
WASG verteidigt die unsoziale Politik der Berliner Landesregierung
( 2. Mai 2006)
Landesverbände der WASG stellen sich gegen Linkspartei
( 2. März 2006)
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