Schanghai-Gipfel: China und Russland stärken Block gegen USA in Asien

Der fünfte Gipfel der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) am 15. Juni brachte zum Ausdruck, wie sehr sich die internationalen Spannungen verschärft haben. Mit der zunehmend drohenden Haltung der USA konfrontiert, wollen Russland und China die SCO als Gegengewicht zu Washington und als Instrument der Förderung ihrer strategischen und ökonomischen Interessen stärken.

Vor dem SCO-Gipfel hatte der chinesische Präsident Hu Jintao im April in frostiger Atmosphäre Washington besucht. Im vergangenen Monat hatten sich US-Vizepräsident Dick Cheney und der russische Präsident Wladimir Putin dann einen öffentlichen Schlagabtausch geliefert. Cheney nutzte den Besuch ehemaliger Sowjetrepubliken, um Russland zu beschuldigen, es setze seine Energievorkommen als Mittel zur "Einschüchterung und Erpressung" ein. Putin reagierte mit einem kaum verhüllten Angriff auf den räuberischen Charakter der US-Politik und der Forderung nach einer Erhöhung der russischen Verteidigungsausgaben.

Chinesische Politiker bezeichneten den Gipfel als wichtigstes diplomatisches Ereignis des Jahres. Die Einwohner von Schanghai erhielten einen dreitägigen Sonderurlaub. In einer beispiellosen Sicherheitsoperation, an der 60.000 Polizisten beteiligt waren, wurden weite Teile des geschäftigen Bezirks Pudong in der Nähe des Konferenzzentrums abgesperrt. Bekannte Dissidenten wurden von den Behörden festgesetzt.

Chinesische und russische Führer begrüßten den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad betont freundlich, obwohl sich die Bush-Regierung um scharfe UN-Maßnahmen gegen Teheran wegen dessen angeblichem Atomwaffenprogramm bemüht. Iran, Indien, Pakistan und die Mongolei nahmen als Beobachter an der Konferenz teil. Afghanistan war als "Gast" eingeladen. Neben China und Russland sind die zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan Mitglied der SCO.

Die SCO war 2001 schon vor den Terrorangriffen vom 11. September auf die USA gegründet worden, um den "Terrorismus" zu bekämpfen. Wie die Bush-Regierung benutzen auch Russland und China den "Krieg gegen den Terrorismus" für ihre eigenen geopolitischen Ziele.

Washington hat unter dem Vorwand des "Kriegs gegen den Terrorismus" Afghanistan besetzt, US-Militärbasen in Zentralasien eingerichtet und den Irak unterjocht. Jetzt bedroht es den Iran. Moskau und Peking haben die SCO gegründet, um dem Einfluss der USA in der rohstoffreichen und strategisch empfindlichen Region Zentralasien entgegenzuwirken und die Unterdrückung der separatistischen Bewegungen in Tschetschenien und der chinesischen Provinz Xinjiang zu rechtfertigen.

Auf dem Gipfel im letzten Jahr verlangte die SCO, dass die USA einen Termin für die Schließung ihrer Militärbasen in Usbekistan und Kirgisien festlegen, weil diese für die US-Operationen in Afghanistan nicht mehr erforderlich seien. Der usbekische Präsident Karimow, der über die Unterstützung der USA für oppositionelle Kräfte in seinem Land erbost ist, forderte Washington unmittelbar danach auf, sofort zu verschwinden. Er erklärte offen, die in Zentralasien stationierten "ausländischen Kräfte" verfolgten in der Region ihre eigenen Interessen.

Der jüngste Gipfel hat deutlich gemacht, dass Russland und China ambitionierte Pläne für eine breitere regionale Einflussnahme haben. Dafür wollen sie Chinas Wirtschaftsmacht und die großen Öl- und Gasvorkommen Russlands und Zentralasiens einsetzen. Der Iran mit seinen zweitgrößten Gas- und viertgrößten Ölvorkommen würde die Energiemacht der SCO weiter vergrößern.

Am Vorabend des Treffens in Schanghai formulierte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld das Unbehagen Washingtons über diese Entwicklung. Er sagte, dass die SCO mit dem Iran nicht "eines der führenden Terrorländer der Welt" zu einem Gipfel hätte einladen sollen, bei dem es um den Kampf gegen den Terrorismus gehe. Die amerikanische Kampagne gegen den Iran hat allerdings nichts mit angeblichem "Terrorismus" zu tun, sondern mit Washingtons Ambitionen, Teheran und seine Bodenschätze unter US-Kontrolle zu bekommen.

Russland und China haben die amerikanische Forderung nach UN-Wirtschaftssanktionen gegen den Iran wiederholt zurückgewiesen und sich dagegen gewandt, dass die USA in Teheran mit militärischer Gewalt einen "Regimewechsel" herbeiführen. Beide Länder haben bedeutende Wirtschaftsinteressen im Iran. Russland verfügt über Milliarden Dollar schwere Verträge für den Bau von Atomreaktoren. China hat mit dem Iran langfristige Verträge über die Lieferung von Gas und Öl im Wert von 100 Milliarden Dollar in den kommenden Jahrzehnten geschlossen.

Der Energieclub

Auf dem Gipfel schlug der russische Präsident Putin die Gründung "eines SCO Energieclubs" vor. Er versucht damit, die von den USA angestrebte Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten und in Zentralasien zu durchkreuzen. Er wies darauf hin, dass die SCO-Mitglieder 20 Prozent der Weltölreserven und 50 Prozent der Weltgasreserven kontrollieren. Auf der anderen Seite hat China als momentan zweitgrößter Erdölimporteur der Welt einen ungeheuren und zunehmenden Energiebedarf.

Ahmadinedschad war offenbar sehr daran gelegen, Irans Energiereserven als Eintrittskarte zur SCO und als Gegengewicht gegen Washingtons kriegerische Kampagne einzusetzen. Iran strebt eine Vollmitgliedschaft in der SCO an, und Ahmadinedschad schlug eine regionale Energiekonferenz im Iran vor. "Die SCO-Gruppe umfasst sowohl Energie produzierende wie auch Energie verbrauchende Länder. Energie spielt eine zunehmende Rolle für die nationale Entwicklung und den nationalen Fortschritt", stellte er fest.

Der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti zufolge traf Ahmadinedschad Putin und gab zu bedenken, dass die beiden Länder mehr herausholen könnten, wenn sie beim Gasverkauf kooperierten. "Wir können unter dem Gesichtspunkt der Festsetzung des Erdgaspreises im Interesse der globalen Stabilität kooperieren", soll er gesagt haben. Russland hat den Gaspreis schon als Druckmittel gegen den Nachbarn Ukraine eingesetzt, und der Iran hat als Reaktion auf militärische Drohungen der USA vorsichtig darauf hingewiesen, dass es die Gas- und Ölverkäufe verringern könnte.

Ahmadinedschad forderte zu gegenseitiger politischer und militärischer Unterstützung auf. Er drängte die SCO, zu einer starken Institution zu werden, die "Drohungen und die ungesetzliche Einmischung verschiedener Länder abblocken" könne. Russland und China versuchen jedoch, eine offene Konfrontation mit den USA wegen dem Iran zu vermeiden. Chinesische und russische Politiker haben eine Mitgliedschaft Teherans in der SCO und generell eine Erweiterung der Mitgliederzahl für die nahe Zukunft ausdrücklich ausgeschlossen.

Am Vorabend des Gipfels erklärte der Generalsekretär der SCO, Zhang Deguang, die SCO werde nicht zu einem Militärbündnis werden. Er sagte der RIA Nowosti, die Organisation sei "kein östliches Pendant zur Nato. Sie wird niemals zu einer militärischen Gruppierung werden, weil ihre Charter einen solchen Status nicht vorsieht". Auch Putin sagte Journalisten, dass die SCO nicht mit dem sowjetisch geführten Warschauer Pakt der Kalten-Kriegs-Ära zu vergleichen sei.

Dennoch befürworten Russland und China eine engere militärische, politische und ökonomische Zusammenarbeit. Zum Gipfel hatte Putins einen Aufsatz mit dem Titel "Die SCO als neues Modell für eine erfolgreiche internationale Kooperation" veröffentlicht. Er beschwor einen "Geist von Schanghai", um "ein unnötiges doppeltes und paralleles Vorgehen zu vermeiden und ohne ‚exklusive’ Clubs und Trennungslinien für unser gemeinsames Interesse zu arbeiten".

Der chinesische Präsident schlug Verhandlungen über einen Nichtangriffspakt zwischen den SCO-Staaten vor, der Mitgliedstaaten von Aktivitäten abhalten soll, die die Sicherheit, Souveränität und territoriale Integrität anderer Mitglieder untergraben. Ein solcher Vertrag könnte Washingtons Bemühungen neutralisieren, durch die Förderung so genannter Farben-Revolutionen in Zentralasien pro-amerikanische Regimes zu installieren.

Bezeichnenderweise haben Russland und China im vergangenen Jahr ihre ersten gemeinsamen Militärmanöver mit der Bezeichnung "Friedensmission 2005" durchgeführt. Die umfangreiche Übung an der chinesischen Küste, die auch amphibische Landungen umfasste, hatte nichts mit dem "Kampf gegen den Terrorismus" zu tun, sondern war eine nur schwach verhüllte Drohung gegenüber Taiwan. Auch die nächste gemeinsame Übung wird eine politische Botschaft haben: Russland schlägt als Ort den Kaukasus in der Nachbarschaft zu Tschetschenien vor.

Die Wirtschaft als Waffe

Es sind aber die wirtschaftlichen Waffen der SCO, die Washington unmittelbar Sorgen machen. Die Bush-Regierung sucht als Teil ihres langfristigen Ziels, China einzudämmen, ein enges strategisches und ökonomisches Bündnis mit Indien zu schmieden. Die Aussicht auf garantierte Energielieferungen als Mitglied der SCO hat aber auch für Neu Delhi seinen Reiz, das jetzt schon an mehreren Gipfeln als Beobachter teilgenommen hat.

Der Führer der indischen Delegation war Öl- und Gasminister Shri Murli Deora. Indien hat entschieden, sich mit China um Öllieferverträge aus Kasachstan im Wert von zwei Milliarden Dollar zu bewerben. Das ist Teil der Strategie Neu Delhis seine Energieversorgung zu diversifizieren, um die Abhängigkeit vom unruhigen Nahen Osten zu verringern. Indien und Pakistan planen gemeinsam eine Milliarden Dollar teure Gaspipeline vom Iran über Pakistan bis nach Indien.

Pakistan betrachten die USA ebenfalls als einen wichtigen, nicht der Nato angehörigen Verbündeten. Aber auch Pakistans Präsident Musharraf nahm an dem Gipfel in Schanghai teil und beantragte die Vollmitgliedschaft für sein Land. "Pakistan ist das natürliche Bindeglied, das die SCO-Staaten des eurasischen Kernlands mit dem Arabischen Meer und Südasien verbindet." Peking hat den Bau eines Hafens im Südwesten Pakistans, nahe dem Persischen Golf finanziert und plant den Bau einer Straße, die den Hafen mit Westchina verbindet.

Selbst der afghanische Präsident Karzai, der finanziell und militärisch völlig von der Unterstützung Washingtons abhängig ist, nahm an dem Gipfel teil und suchte engere Beziehungen zur Schanghai-Gruppe. Vor seiner Abreise nach China erklärte er, dass Afghanistan "auch zu der Region gehört, in der die SCO liegt. Afghanistan hat keine anderen Verbindungswege und kann nicht außerhalb der Region stehen." Nach dem Gipfel reiste er nach Peking und schloss einen "Freundschaftsvertrag" mit China, in dem ein gemeinsamer "Kampf gegen den Terror" verabredet wurde.

Während Russland sein Öl und Gas einbringt, nutzt China seine Wirtschaftskraft, um die SCO zu stärken. Auf dem Gipfel bot China anderen Mitgliedsstaaten der SCO 900 Millionen Dollar für niedrig verzinste Kredite an. Zusätzlich versprach China, in Tadschikistan eine Straße und zwei Überlandstromleitungen zu bauen, und sagte Kasachstan Kredite für den Bau eines Wasserkraftwerks zu. Es verpflichtete sich auch, Elektrizität, Öl und Gas von anderen SCO-Mitgliedern zu kaufen.

Wie nicht anders zu erwarten, rief der SCO-Gipfel in Washington Unbehagen hervor. In einem Kommentar vom 15. Juni erklärte das Wall Street Journal, "die aggressive anti-amerikanische Haltung und der zunehmende politische Einfluss der Gruppe bieten Anlass zur Sorge". Der Artikel beschäftigte sich nicht in erster Linie mit dem militärischen Drohpotential der SCO. Er merkte an, dass eine östliche Version der Nato zwar vorstellbar sei, aber Zeit brauchen werde.

"Es ist das wachsende politische Gewicht der SCO, das uns gegenwärtig Sorgen bereitet. Die Gruppe verfolgt offensichtlich weitgesteckte Ziele. Der russische Präsident Wladimir Putin hat sie diese Woche in einem Artikel als ‚einflussreiche regionale Organisation’ bezeichnet. Die Vereinten Nationen haben 2004 ein SCO-Sekretariat eingerichtet, und Vertreter der SCO haben Kontakt zur europäischen OSCE und zum südostasiatischen Staatenbund ASEAN aufgenommen", erklärte die Zeitung.

Der Artikel stellte die Frage, warum "demokratische" Länder diesem "autoritären" Club beiträten. "Jenseits von Energieinteressen - die zugegebenermaßen ein starker Antrieb sind - ist es schwer verständlich, warum Neu Delhi oder Kabul näher an die SCO heranrücken sollten, eine Gruppierung, der z.B. auch der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko beitreten möchte." In einer warnenden Geste in Richtung Neu Delhi fügte er hinzu: "Das ist ein weiterer Punkt, den der US-Kongress bei der Beratung über das kürzlich vereinbarte amerikanisch-indische Atomabkommen bedenken sollte."

Diese erbitterte Tirade gegen die "autokratische" SCO entspringt nicht der Sorge um Demokratie und demokratische Rechte in ihren Mitgliedsstaaten. Vielmehr ist das Sprachrohr des amerikanischen Kapitals besorgt, dass die SCO Washingtons langfristige Pläne zur "zugegebenermaßen wichtigen" Energiefrage stören könnte, die es durch die Errichtung der US-Hegemonie in Zentralasien und dem Nahen Osten lösen möchte. Der drohende Ton des Kommentars macht klar, dass die amerikanische herrschende Klasse dem Erstarken eines russisch-chinesischen Blocks auf der eurasischen Landmasse nicht tatenlos zuschauen wird. Sie wird aggressiv versuchen, einen Keil hineinzutreiben.

Siehe auch:
Chinesisch-indische Annäherung aus Furcht vor US-Militarismus
(29. April 2005)
Spannungen zwischen USA und Russland nehmen zu
( 17. Mai 2006)
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