Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams verstärkt marktwirtschaftlichen Kurs

Der zehnte Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV), der im April in Hanoi stattfand, bekannte sich zu einem beschleunigten marktwirtschaftlichen Kurs. Das Programm der "Erneuerung" (Doi moi), das darauf abzielt, Vietnam in die kapitalistische Weltwirtschaft zu integrieren und Auslandsinvestitionen anzuziehen, soll verstärkt werden.

Erstmals hieß der Parteitag die Beteiligung seiner 3,1 Millionen Mitglieder an privaten Unternehmen gut. Die Entscheidung legalisiert zwar nur eine schon bestehende und weit verbreitete Praxis, sie zeigt aber, dass das Regime bereit ist, der aufstrebenden kapitalistischen Klasse im Land entgegenzukommen.

KPV-Mitglieder können sich nun an Privatunternehmen beliebiger Größe beteiligen, und die Partei öffnet sich der neuen Schicht von Unternehmern, Managern und Spekulanten, die seit 1986 durch die marktwirtschaftliche Politik herangezogen wurde. Die Investitionen aus dem Ausland tragen ebenso zum Wachstum des privaten Sektors bei, wie die Überweisungen der Auslands-Vietnamesen im Wert von 3,8 Mrd. US-Dollar.

Der Parteitag bestätigte Nong Duc Manh im einflussreichen Amt des Generalsekretärs der Partei. Manh, der auf dem 9. Parteitag 2001 in dieses Amt gewählt worden war, steht für politische Entscheidungen, die den Zufluss von Auslandskapital fördern, seit die Investitionen in der Folge der Asienkrise von 1997-98 dramatisch zurückgegangen waren.

Der Parteitag hat jedoch nicht alle wichtigen Forderungen der ausländischen Investoren erfüllt. So sind internationale Finanzkommentatoren insbesondere mit einen neuen, einheitlichen Investitionsgesetz unzufrieden, das unmittelbar vor dem Parteitag verabschiedet wurde und am 1. Juli in Kraft treten soll. Dieses Gesetz sieht zum ersten Mal gleiche Zulassungsbestimmungen für vietnamesische und ausländische Investoren vor.

Ausländische Investoren beklagen sich schon seit geraumer Zeit über das komplexe Prozedere, das nötig ist, um die Zustimmung der Regierung zu erhalten. Aber auf ihre Forderung nach "gleichberechtigten Bedingungen" wurde reagiert, indem die Anforderungen für lokale Konzerne verschärft wurden, anstatt die für ausländische Investoren zu lockern. Das neue Gesetz wird die Kontrolle der Regierung über alle privaten Konzerne verschärfen.

Die in Londoner Financial Times vom 20. April zitierte einen ausländischen Anwalt, der das neue Gesetz als "Abschreckung" für ausländisches Kapital bezeichnete. "Es gibt jetzt mehr Bürokratie und mehr Korruption, mit allen Problemen, die das mit sich bringt", sagte er.

Eine von der Zeitung zitierte schwedische Untersuchung verweist auf die Hindernisse, mit denen ausländische Investoren konfrontiert sind. "Staatsbeamte nutzen ihre Position in den staatlichen Unternehmen, Ministerien und Regierungsbehörden dazu aus, sich am Staatseigentum zu bereichern, indem sie Land und andere Werte zu billigen Preisen aufkaufen, bei Vertragsabschlüssen Schmiergelder kassieren, die lukrativsten Verträge Unternehmen in ihrem Familienbesitz zuschustern und Geld veruntreuen."

Weitere Beschwerden betreffen die Arbeitsgesetze des Landes, die es für ausländische Unternehmen kostspielig machen, Leute zu entlassen, und die den Abbau von über drei Prozent einer Belegschaft nur in besonders begründeten Ausnahmefällen erlauben. Ausländische Personalmanager beschweren sich außerdem darüber, dass die staatliche Kontrolle über Schulen und Berufsschulen zu einem Mangel an geeignetem mittlerem Führungspersonal führe.

Das Auslandskapital wünscht einen weiteren Abbau des staatlichen Sektors. So hat die Financial Times vom 24. April darauf hingewiesen, dass der staatliche Sektor privilegierten Zugang zu den knappen Investitionsmitteln habe. Tom Vallely, Akademiker an der Harvard University, erklärte, in Vietnam seien zwei Volkswirtschaften am Werk. "Die eine ist die Staatswirtschaft, die andere die modernere globalisierte Wirtschaft. Aber zwischen dem System einer zentralisierten Planung und der moderneren globalen Wirtschaft gibt es Spannungen", sagte er.

Das KPV-Regime bereitet sich offensichtlich darauf vor, den Forderungen der Investoren nachzukommen. Das offizielle Parteitagskommuniqué lobte die Einheit und die erfolgreiche Arbeit des Parteitags, erklärte 2020 zu dem Jahr, in dem Vietnam den Status eines modernen Industriestaats erreicht haben werde, und verkündete für die nächsten fünf Jahren ein Wachstumsziel des Bruttosozialprodukts von 7,5 bis acht Prozent. Außerdem verpflichtete es die Partei zu verstärkten Bemühungen zur "Erneuerung" nach kapitalistischen Richtlinien und versprach einen verschärften Kampf gegen Korruption in Partei und Staat.

Das Kommuniqué schloss mit der absurden Erklärung, das "Endziel" der Partei sei eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, die sich auf Sozialismus und Kommunismus stütze.

Die KPV hat nie ein sozialistisches Programm vertreten, sondern das nationalistische, stalinistische Programm des "Sozialismus’ in einem Land". Sie vertrat immer die reaktionäre "Zwei-Stadien-Theorie", die den Kampf für den Sozialismus in die unbestimmte Zukunft, nach einer langen kapitalistischen Periode, verbannt.

Nach dem Sieg über das Marionettenregime der USA in Südvietnam im Jahr 1975 baute die KPV keinen Sozialismus auf, sondern eine streng regulierte und isolierte Wirtschaft nach dem Modell der stalinistischen Regime in der früheren Sowjetunion und in China, über dem ein Polizeistaat thronte. In den 1980er und 1990er Jahren untergrub die Ausdehnung der globalisierten Produktion alle national geregelten Wirtschaften, auch in Vietnam, wo man zu Doi moi griff, um das Land in den Weltkapitalismus zu integrieren.

Dies hatte verheerende Folgen für Arbeiter und arme Bauern. Seit 1986 sind ungefähr 2.500 staatliche Unternehmen privatisiert worden, und mindestens 1.700 weitere sollen bis 2010 folgen, was bedeutet, dass große Teile ihrer Belegschaften in das Arbeitslosenheer gestoßen werden.

Dieses Elend wird sich zweifellos noch verschärfen. Die staatliche Bürokratie will nur über tausend Betriebe die Kontrolle behalten, aber selbst dies ist in den Augen ausländischer Investoren noch ein Hindernis.

So beschwerte sich die Financial Times : "Trotz der wachsenden Integration des Landes in die globale Wirtschaft wollen die Führer Vietnams eine Dominanz des Staatssektors und schleusen Ressourcen in die Staatsunternehmen, zum Beispiel in die Schiffswerft Vinashin, der die gesamten Erträge der (erst seit 2005 existierenden vietnamesischen) Staatsanleihen zugesagt worden sind. Die Staatsinvestitionen haben 2004 um elf Prozent zugenommen und belaufen sich auf 55 Prozent der gesamten Neuinvestitionen."

Das Beibehalten von Unternehmen in staatlichem Besitz ist Ausdruck einer doppelten Sorge: Erstens sind die Privilegien und Pfründe der herrschenden Bürokratenschicht direkt mit diesen Unternehmen verbunden. Zweitens fürchtet die Regierung, dass eine neue Umstrukturierungs- und Privatisierungswelle die bereits grassierende Arbeitslosigkeit noch erhöhen und soziale Unruhen auslösen könnte. Über dem Regime hängt jedoch ständig das Damoklesschwert eines Rückzugs der Investoren aus dem Land, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden.

In den neunziger Jahren konnte Vietnam billige und gut ausgebildete Arbeitskräfte anbieten, die durch einen autoritären Staatsapparat diszipliniert wurden. So konnte es ganz erhebliche ausländische Direktinvestitionen (FDI - Foreign Direct Investment) anziehen. 1996 erreichten die FDI 8,6 Mrd. US-Dollar und damit den höchsten Anteil am BSP, den überhaupt ein Land auf der Welt erreichte. Der Großteil der Investitionen ging in die Bekleidungs- und Schuhherstellung, das Baugewerbe, den Tourismus und die Öl- und Gasproduktion.

Das hohe Niveau der FDI hat bedeutende Auswirkungen auf die Wirtschaft. Laut einer Studie ("Foreign Direct Investment in Vietnam: an Overview", N.J.Freeman, September 2002) beschäftigten Ende der neunziger Jahre die Unternehmen mit ausländischen Investitionen zwar nur ein Prozent der Arbeitskräfte, trugen aber 27 Prozent zu den Exporten bei (außer Öl), 13 Prozent zum BSP und 25 Prozent zum Steueraufkommen.

Der jährliche Zufluss an FDI ging 1999 nach der Asienkrise scharf auf 1,47 Mrd. US-Dollar zurück und fiel danach noch weiter. Der Aufstieg von Nong Duc Manh zum Generalsekretär der KPV im Jahre 2001 war von einer ganzen Reihe von Zugeständnissen an ausländische Investoren begleitet, die das Ziel verfolgten, diesen Trend zu stoppen. 2004 stiegen die ausländischen Investitionen auf zwei Mrd. US-Dollar und in den ersten neun Monaten von 2005 erreichten sie schon wieder mehr als 2,45 Mrd. US-Dollar.

Vietnam steht aber im Wettbewerb mit China, das schnell zum weltweit größten Reservoir von billigen Arbeitskräften geworden ist. Das Ende des multilateralen Textilabkommens mit seinen garantierten Exportquoten im Januar 2005 hat zu einer Verlagerung von Investitionen im Kleidungs-, Textil- und Schuhsektor nach China geführt. Vietnam mag zwar die niedrigeren Lohnkosten haben, kann aber nicht mit Chinas besser entwickelter Infrastruktur und der Größe seines Marktes mithalten.

2004 machten die nachlassenden Ölexporte und die Exporte der Bekleidungs-, Textil- und Schuhindustrie 48 Prozent aller Exporte aus. Aber Vietnam ist noch nicht Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO), was bedeutet, dass seine Exporte in diese Gebiete immer von europäischen und amerikanischen Importbeschränkungen bedroht sind.

Die vietnamesische Regierung hat darauf mit dem Versuch reagiert, Hightech-Investitionen anzuziehen. Intel hat den Bau einer 303 Millionen US-Dollar teuren Chipmontagefabrik in Ho Chi Minh Stadt angekündigt. Aber die internationale Finanzpresse und Investmentmanager betonen, dass weitere Marktreformen notwendig sind, um mehr Kapital anzuziehen.

Gleichzeitig gibt es bei den Arbeitern zunehmend Unruhe wegen schlechter Löhne und Arbeitsbedingungen. Der New America Media Webseite zufolge nahmen 60.000 Arbeiter an Protesten teil, die im Januar in ausländischen Betrieben begannen. Die vietnamesische Webseite Tieng Dan Keu (Volksstimme) listete ihre Forderungen auf, zu denen das Recht auf die Bildung von Gewerkschaften und das Streikrecht, anständige Löhne und die Kontrolle der "armen Bevölkerung" über "kapitalistische Konzerne" gehörten. Die Löhne betragen im Moment etwa zwei US-Dollar pro Tag.

Die Entscheidungen des Parteitags der KPV werden die soziale Kluft zwischen der herrschenden Clique und den kapitalistischen Eliten auf der einen und der großen Mehrheit der veramten Arbeiter und Bauern auf der anderen Seite noch vertiefen. Um ihre privilegierte Position zu verteidigen, wird die Führung der KPV nicht zögern, soziale Unruhen mit den rücksichtslosesten Mitteln zu unterdrücken.

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