Trotz Rekordgewinnen streicht der Allianz-Konzern 7.500 Arbeitsplätze

Am 22. Juni kündigte der Allianz-Konzern, einer der größten Versicherungskonzerne der Welt, den Abbau von 7.500 Arbeitsplätzen in Deutschland an: 5.000 im Versicherungsgeschäft und 2.500 bei der hundertprozentigen Konzerntochter Dresdner Bank. Bei der Allianzversicherung ist dies mit der Schließung von elf der 21 Standorte und Niederlassungen verbunden.

Die Ankündigung stieß bei den betroffenen Mitarbeitern und Angestellten auf Wut und Empörung. Der Versicherungskonzern hat 2005 einen Rekordgewinn von 4,4 Milliarden Euro erzielt; für das laufende Jahr wird mit einem Gewinn von über 5 Milliarden Euro gerechnet.

Konzern-Chef Michael Diekmann begründete den Stellenabbau damit, dass man auch in Zukunft profitabel und international wettbewerbsfähig sein müsse. Außerdem habe man seit 2001 etwa eine Million Kunden verloren, darunter an Bankengruppen wie die Citybank, die einen großen Teil ihres Geschäftes über das Internet und ein zentrales Callcenter abwickeln.

Ein weiterer wesentlicher Grund für den Arbeitsplatzabbau sei die Notwendigkeit, die Renditen zu steigern. Insbesondere die Dresdner Bank sei wesentlich weniger profitabel als die Deutsche Bank. Deren Vorstandschef Josef Ackermann hatte Anfang letzten Jahres Negativschlagzeilen gemacht, als er bei einer Rendite von über 20 Prozent die Streichung Tausender Arbeitsplätze ankündigte.

Durch den beschlossenen Stellenabbau verspricht sich der Allianz-Konzern eine jährliche Kostenersparnis von jeweils 600 Millionen Euro im Versicherungs- und im Bankenbereich.

Die Nachricht über den Abbau Tausender qualifizierter und gut bezahlter Arbeitsplätze im Bereich der Finanzdienstleistungen erfolgte nur wenige Tage, nach der Ankündigung des Siemens-Konzerns, er werde seine Netzwerksparte aus dem Unternehmensbereich Kommunikationstechnik (COM) in ein Gemeinschaftsunternehmen unter Führung des finnischen Nokia-Konzern abgeben, was zum Verlust von mindestens 9.000 Arbeitsplätzen führen wird. Auch bei dieser Entscheidung spielte die Steigerung der Rendite die maßgebliche Rolle. Der traditionsreiche Unternehmensbereich COM hatte im ersten Geschäftshalbjahr 2005/2006 "nur" eine Rendite von 5,1 Prozent erzielt, anstatt 8 bis 11 Prozent, die Zielvorgabe des Unternehmensvorstands für diesen Bereich bis 2007.

Mit dem angekündigten Stellenabbau verstärkt der Allianz-Konzern den Konzentrationsprozess und Arbeitsplatzabbau bei Banken und Versicherungen, der in den vergangenen vier Jahren bereits zahlreiche Arbeitsplätze gekostet hat. Bei den Banken wurden in diesem Zeitraum 58.150 von 751.200 Arbeitsplätzen abgebaut. Das entspricht 7,5 Prozent der Beschäftigten. Bei den Versicherungen wurden 14.800 von 248.100 Arbeitsplätzen gestrichen, das entspricht 6 Prozent.

Bei der Dresdner Bank, die vor fünf Jahren von der Allianz übernommen wurde, sind allein seit dieser Zeit 16.000 Stellen in Deutschland weggefallen. "Die Angst ist bei uns eigentlich seit Jahren allgegenwärtig", sagte ein Sachbearbeiter der Dresdner Bank der Nachrichtenagentur AP, nachdem er von den erneuten Stellenstreichungen gehört hatte.

Der Allianz-Konzern hat weltweit 177.000 Beschäftigte, 72.000 davon in Deutschland, von denen die Hälfte von den laufenden Umstrukturierungen betroffen sind.

Durch die Zusammenlegung der Bereiche Allianz Sachversicherungen (dazu gehören Kraftfahrzeug-Policen und Hausratversicherungen), Lebensversicherungen und Private Krankenversicherungen, die bisher als drei Tochtergesellschaften geführt wurden, sollen jeder zweite Standort und über 5.000 Stellen von fest angestellten Vertriebsmitarbeiter wegfallen. Die drei Gesellschaften werden unter dem Dach der neuen Holding Allianz Deutschland zusammengefasst, die drei Verwaltungen, die EDV-Abteilungen sowie der dazu gehörende Außendienst werden zusammen gelegt.

Am 28. Juni demonstrierten mehrere Tausend Allianz-Beschäftigte in München, Köln, Frankfurt am Main, Dortmund, Hamburg und anderen Städten gegen den geplanten Stellenabbau.

In Frankfurt beteiligten sich über 1.500 Angestellte an den Protestaktionen. Allein hier sollen 1.300 von 2.100 Arbeitsplätzen gestrichen werden. Auf einem Plakat war zu lesen: "Zu Gast bei Arbeitslosen", eine Anspielung auf das Motto der Fußball-Weltmeisterschaft: "Zu Gast bei Freunden".

In Köln demonstrierten 1.300 gegen die Schließung der Niederlassung und den Wegfall von 1.100 Stellen. Neben Köln sollen in Nordrhein-Westfalen auch die Niederlassungen in Aachen und Dortmund ganz geschlossen werden.

In München sind 900 Arbeitsplätze im Versicherungsbereich betroffen. Bis 2008 soll fast jede vierte Stelle gestrichen werden. In München bauen auch Siemens, Infineon und die HypoVereinsbank massiv Stellen ab. Laut Arbeitsagentur sind in München schon jetzt 760 Bank- und Versicherungsfachleute arbeitslos.

Für viele Allianz-Beschäftigte war es die erste Demonstration ihres Lebens. Bis vor Kurzem galt eine Stelle bei der Allianz als Anstellung auf Lebenszeit. Die Sachbearbeiterin Marita Kiymali, die seit 35 Jahren bei der Allianz in Frankfurt am Main beschäftigt ist, äußerte gegenüber der Frankfurter Rundschau: "Wir konnten uns nicht vorstellen, dass Frankfurt geschlossen wird." Was aus ihr wird, sollte sie ihren Arbeitsplatz verlieren, weiß sie nicht. Mit 53 Jahren ist es fast aussichtslos, eine neue Stelle auf dem Arbeitsmarkt zu finden; schon gar nicht zu vergleichbaren Konditionen.

Von Seiten der zuständigen Gewerkschaft Verdi kommen nur die üblichen Reaktionen. Es dürfe keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Der Umbau der Allianz dürfe nicht gegen, sondern nur mit den Mitarbeitern erfolgen. Damit ist vor allem die enge Einbindung der Gewerkschaftsfunktionäre in den geplanten Arbeitsplatzabbau gemeint. Der Betriebsrat will eigene Vorschläge für den Umbau vorlegen und dafür selbst Unternehmensberater beauftragen.

Das sind sattsam bekannte Rituale, die nur dazu dienen, den Widerstand der betroffenen Belegschaften möglichst schon im Keim zu ersticken. Dabei bauen "trotz der hohen Gewinne 2005 und ähnlich guter Aussichten fast alle Versicherer Jobs ab", wie die Frankfurter Rundschau am 28. Juni 2006 unter der Überschrift "Assekuranz wird zur Versicherungsfabrik" meldete.

"In den nächsten drei Jahren dürfte es in der Branche zu drastischer Arbeitsplatzvernichtung kommen: In der Ergo-Gruppe, nach Allianz die Nummer zwei, könnte die Angleichung von Produkten und Abläufen zwischen Hamburg-Mannheimer, Victoria, DKV und DAS mehr als 2.000 Stellen kosten. Bei Generali, dank Aachener-Münchener, Volksfürsorge und Cosmos Direkt die Nummer drei am Markt, gefährden Vorgaben aus der Triester Zentrale Arbeitsplätze in vierstelliger Höhe. Auch andere große Häuser planen die Straffung ihrer Unternehmensgruppen. In nächster Zeit könnten so bis zu 20.000 Jobs wegfallen."

Des weiteren schildert der Artikel, wie durch die Standardisierung von Versicherungen die Branche industrialisiert wird. IT-Systeme werden outgesourct und innerhalb eines Konzerns werden die produktivsten Abteilungen international zur Benchmark, an der sich alle anderen messen müssen. "Dabei ähnelt die Branche mehr und mehr der Automobilwirtschaft: Konzerne werden verschlankt, die meisten Bauteile kommen aus dem In- und Ausland." Ebenso wie in der Industrie werden Arbeitsbereiche wie IT-Dienstleistungen nach Osteuropa und Indien ausgelagert, wo die Löhne viel niedriger sind.

Fast zeitgleich mit dem Allianz-Konzern hat auch die drittgrößte deutsche Bausparkasse Wüstenrot&Württembergische (W&W) den Abbau von 1.750 von insgesamt 11.000 Arbeitsplätzen angekündigt. Durch die Fusion mit der Karlsruher Versicherung sollen dort 750 Stellen und bei Wüstenrot 1.000 Stellen wegfallen. Das sind rund 15 Prozent aller Arbeitsplätze. Konzernchef Alexander Erdland begründete den Abbau damit, dass die Rendite von derzeit 4,2 Prozent auf 9 Prozent im Jahr 2009 mehr als verdoppelt werden müsse. Nur so sei der Verlust von Marktanteilen zu stoppen.

Die von Entlassungen und Arbeitsplatzabbau betroffenen Beschäftigten müssen fürchten, dass sie nach einem Jahr zu Arbeitslosengeld-II-Empfänger werden, mit all den damit verbundenen sozialen Härten und Schikanen. Dessen ist sich auch die Allianz-Belegschaft bewusst. Einige Teilnehmer bei den Protesten vom Mittwoch trugen Plakate mit der Aufschrift: "Allianz - 7.500 Hartz IV-Empfänger aus einer Position der Stärke". Sie bezogen sich auf eine Äußerung von Konzernchef Michael Diekmann, die jetzigen Restrukturierungsmaßnahmen würden aus einer Position der Stärke durchgeführt.

Eine effektive Verteidigung der Arbeitsplätze und vernünftiger Arbeitsbedingungen bei Versicherungen und Banken ist ebenso wie in der Industrie und in anderen Bereichen nur auf der Grundlage einer internationalen sozialistischen Perspektive möglich. Das erfordert die Aufnahme von Kontakten und die Zusammenarbeit mit den Beschäftigten des Allianz-Konzerns und anderer Unternehmen im In- und Ausland. Die Bedürfnisse der Beschäftigten müssen Vorrang erhalten vor dem Profitstreben und den Renditezielen der Konzernvorstände und Aktionäre. Das Co-Management der Gewerkschaftsfunktionäre bei der Vernichtung von Arbeitsplätzen, der Senkung von Löhnen und Gehältern und der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen muss zurückgewiesen werden.

Siehe auch:
Panasonic schließt Esslinger Werk trotz Hungerstreik
(29. Juni 2006)
Deutschland: Höchste Arbeitslosigkeit seit 1933
( 3. März 2005)
Deutschland: Über 5 Millionen Arbeitslose im Januar
( 1. Februar 2005)
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