Vor Beginn des Waffenstillstands im Libanon: USA und Israel stehen vor politischem Debakel

Die Vereinten Nationen (UN) haben beschlossen, dass ab Montag, 7.00 Uhr Ortszeit ein Waffenstillstand im Libanon herrschen soll. Der Sicherheitsrat stimmte der Resolution am Freitagabend zu, nachdem die Vereinigten Staaten und Israel Änderungen an einem früheren, von der Bush-Regierung vorgelegten Entwurf akzeptiert hatten. Es ist nicht abzusehen, welche unmittelbaren Konsequenzen eine Einstellung der Kampfhandlungen hat, ob der Waffenstillstand eingehalten wird und ob er überhaupt in Kraft tritt. Außer Zweifel steht jedoch, dass das politische Ergebnis sowohl für die USA als auch für Israel ein großes Debakel darstellt.

Nur wenige Stunden vor der UN-Abstimmung begannen die israelischen Streitkräfte eine umfassende Offensive. Sie versuchten, das Land südlich des Flusses Litani zu besetzen und weitere Zerstörung im ganzen Libanon herbeizuführen. Die Armee hat die Zahl der Besatzungstruppen im Süden auf 30.000 erhöht und Ziele im ganzen Land, auch in Beirut, angegriffen. Aber wie schon in den vergangenen vier Wochen stößt die israelische Armee dabei auf starken Widerstand der Hisbollah. Der Samstag war für das israelische Militär der bisher blutigste Tag. Dreißig Soldaten starben, viele weitere wurden verletzt und zum ersten Mal wurde ein Kampfhubschrauber abgeschossen.

Israels fortwährende Aggression genießt die offene Unterstützung der USA und lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass jeder Waffenstillstand für diese Kriegspartei nur eine Verschnaufpause bedeutet. Israel und den Vereinigten Staaten geht es weiter darum, die Hisbollah auszulöschen, den Libanon auf den Status eines Protektorats zu reduzieren und Bedingungen für die Ausweitung des Kriegs auf Syrien und den Iran zu schaffen.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Angriff auf den Libanon letztlich einen Rückschlag hinsichtlich der amerikanisch-israelischen Kriegsziele bedeutete und dass die beiden Länder jetzt noch stärker isoliert dastehen. Beide Regierungen stoßen im Nahen Osten und weltweit auf immer stärkere Ablehnung.

Die Vereinigten Staaten und Israel haben im vergangenen Monat ständig behauptet, ein Waffenstillstand sei erst nach einer Zerstörung der Hisbollah durch die israelische Armee möglich. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die israelische Vorstellung vom kurzen und entscheidenden Feldzug nicht verwirklicht werden konnte. Die israelische Armee hat sich als unfähig erwiesen, einen bedeutenden Teil des libanesischen Territoriums einzunehmen, obwohl sie eine einmonatige heftige Offensive führte, die über tausend zivile Opfer forderte und eine Million Menschen zu Flüchtlingen machte.

Wochenlang ist es den israelischen Streitkräften nicht gelungen, wichtige Städte und Gebiete im Grenzgebiet zwischen Libanon und Israel einzunehmen. Auch wenn die Armee jetzt behauptet, sie halte das libanesische Territorium südlich des Flusses Litani besetzt, bleiben zentrale Orte in diesem Gebiet umkämpft. Die israelische Behauptung, Städte wie Bint Dschbeil seien eingenommen, erwies sich als kurzlebig, da sich die Soldaten angesichts entschlossenen Widerstands der Hisbollah-Milizionäre wieder zurückziehen mussten. Die Hisbollah schoss weiterhin Raketen aus dem Südlibanon ab. Am Sonntag wurden mindestens 250 Raketen abgefeuert, die höchste Anzahl an Hisbollah-Raketen an einem Tag.

Die Situation hat die Bush-Regierung gezwungen, ihre bisherige Ablehnung gegenüber einem Waffenstillstand aufzugeben. So berichtete die New York Times am Samstag: "Ein führender Politiker erklärte in Crawford, Texas, wo Mr. Bush seinen Urlaub verbringt, es habe mehr und mehr den Anschein, dass Israel es nicht schaffen werde, einen militärischen Sieg zu erringen. Diese Erkenntnis veranlasst die Amerikaner dazu, einen Waffenstillstand zu akzeptieren."

Die UN-Resolution erfüllt nicht die weitreichenden Bedingungen und Forderungen, die Israel und die USA früher formuliert hatten. Eine aus 15.000 libanesischen und 15.000 multinationalen Soldaten zusammengesetzte Truppe soll nun im Südlibanon unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen als Teil der UNIFIL-Mission stationiert werden (UNIFIL - United Nations Interim Force in Lebanon). Die Olmert-Regierung hatte bisher darauf bestanden, eine multinationale Truppe müsse auf jeden Fall unter NATO-Schirmherrschaft stehen. Dahinter steht die harsche Kritik verschiedener israelischer Regierungen an der UNIFIL, die ihnen als zu nachgiebig gegenüber der Hisbollah galt.

Außerdem werden die internationalen Truppen unter französischer Führung nicht mit Vollmachten nach Kapitel Sieben der UN-Charta ausgestattet, die eine gewaltsame Entwaffnung der Hisbollah und die Durchsetzung des Waffenstillstands mit militärischen Mitteln erlauben würden. Stattdessen wurden die weniger ultimativen Bedingungen aus Kapitel Sechs gewählt. Eine weitere Änderung sieht vor, dass Israel seine Truppen "parallel" zum Einmarsch der multinationalen Kräfte abziehen muss. Bisher hatten die USA und Israel jeden Resolutionstext abgelehnt, der die Forderung nach Truppenabzug enthielt.

Die Waffenstillstandsresolution schafft jedoch in keiner Weise eine Grundlage für dauerhaften Frieden. Weder stellt sie die libanesische Souveränität wieder her, noch verurteilt sie Israels Kriegsverbrechen. Die israelischen Streitkräfte können ihre Besetzung des Südens aufrechterhalten, bis die multinationale Truppe vor Ort eingetroffen sind, was noch Wochen dauern kann.

Auf bezeichnende Weise passt sich die UN-Resolution an die israelische Aggression an. So fordert sie die Hisbollah auf, alle Angriffe einzustellen, während von Israel lediglich ein Ende der "offensiven Militäroperationen" verlangt wird. Dies gibt der israelischen Armee faktisch freie Hand, ihre Operationen fortzusetzen, die schon immer als "nationale Verteidigung" hingestellt wurden.

Die Waffenstillstandsresolution hat die Spannungen in der Olmert-Regierung und den israelischen Streitkräften noch verschärft. Die herrschenden Kreise in Israel glauben nicht, dass eine gemeinsame libanesische und multinationale Truppe bereit oder fähig ist, die Hisbollah zu entwaffnen und ihr Wiederauftreten im Südlibanon zu verhindern. Jeder ist sich darüber bewusst, dass ein israelischer Rückzug unter den jetzigen Bedingungen im Libanon und gesamten Nahen Osten als Niederlage des zionistischen Staats aufgefasst wird.

Dass in dem beinahe fünf Wochen währenden Konflikt die Hisbollah nicht zerschlagen werden konnte, hat den Mythos zerstört, die israelischen Streitkräfte seien unbesiegbar, der in der Geschichte Israels so eine wesentliche Rolle gespielt hat. Das Ende dieses Mythos ist ein schwerer Schock für die herrschende Elite. Laut Berichten in israelischen Medien bricht das Vertrauen in die Regierung und in das Oberkommando der Streitkräfte vollkommen ein.

Die Spannungen traten offen zutage, als Olmert Generalmajor Udi Adam das Kommando im Libanon entzog. Die Entlassung erfolgte nach Adams öffentlicher Kritik an der Regierung, diese habe ihm nicht erlaubt, den Krieg so zu führen, wie er seit Jahren vorbereitet worden war. Laut israelischen Berichten hatte das Militär einen überwältigenden Angriff auf den Libanon geplant, der mit einer kurzen Bombardierung aus der Luft beginnen und mit einer Invasion am Boden und vom Meer aus enden sollte. Er sollte das Land entzwei teilen und es ermöglichen, die Hisbollah-Stellungen südlich des Flusses Litani von Norden aus anzugreifen.

Der Plan war schon lange ausgearbeitet, als die Hisbollah am 12. Juli zwei israelische Soldaten gefangen nahm. Dieses Ereignis wurde dann von der Olmert-Regierung als Kriegsvorwand genutzt. In einem Artikel für die Onlineausgabe des New Yorker enthüllt der renommierte Journalist Seymour Hersh, wie weit die USA daran beteiligt waren.

"Die Bush-Regierung war eng in die Planung von Israels Vergeltungsschlägen involviert", schreibt Hersh. "Wie mir aktive und ehemalige Diplomaten bestätigt haben, waren Präsident Bush und Vizepräsident Dick Cheney überzeugt, dass ein erfolgreicher Bombenkrieg der israelischen Luftwaffe gegen die stark befestigten unterirdischen Raketenstellungen und Kommandozentren der Hisbollah im Libanon Israels Sicherheitsbedenken beruhigen würde. Er sollte das Vorspiel für einen möglichen amerikanischen Präventivangriff sein, um die Atomanlagen des Irans zu zerstören, die zum Teil ebenfalls tief unter der Erde liegen."

Gegenseitige Beschuldigungen haben den Konflikt in der israelischen Regierungskoalition aus Kadima und Arbeitspartei offen zutage treten lassen. Haaretz schilderte, welche Spannungen am vergangenen Mittwoch während der Kabinettssitzung herrschte: "Verstimmung zwischen Premierminister Ehud Olmert und Verteidigungsminister Amir Peretz. Verstimmung zwischen Außenministerin Zipi Livni und Stabschef Dan Halutz. Wie auch zwischen Mossad-Chef Meir Dagan und dem Chef des Militärgeheimdienstes Amos Jadlin. Und zwischen Peretz und seinem Vorgänger Schaul Mofaz, und zwischen Mofaz und Avi Dichter. Einer der Anwesenden fasste die Situation mit den Worten zusammen: ‚Jeder einzelne war in mindestens einen Streit verwickelt’."

In der Öffentlichkeit hat die Unterstützung für den Krieg stark nachgelassen, seitdem sich die militärische Situation verschlechtert hat. Laut einer Meinungsumfrage von Haaretz sind nur noch 48 Prozent mit Olmert zufrieden, der am Anfang des Kriegs noch 75 Prozent Zustimmung erreichte. Auch liberale zionistische Gruppen wie die Meretz-Partei oder Peace Now, die bisher den Krieg befürwortet haben, sind nun für eine diplomatische Lösung der Krise. Likud und die anderen rechten Parteien haben erklärt, ihre Unterstützung für die Regierung ende mit Einstellung der Kampfhandlungen. Ein Teil der israelischen Presse spekuliert auf den baldigen Zusammenbruch der regierenden Koalition.

Unterdessen hat der internationale Ruf Israels und der Vereinigten Staaten stark gelitten. Israel wird jetzt immer mehr als gesetzloses Mörderregime betrachtet, das im Libanon für wiederholte Kriegsverbrechen verantwortlich ist. Die Vereinigten Staaten erscheinen als Verbrecherregime, das im Hintergrund die Fäden zieht. Nichts kann das Bild von US-Außenministerin Rice auslöschen, die in Beirut stand und die Geburt eines "neuen Nahen Ostens" verkündete, während in den USA gebaute und von Israel abgefeuerte Bomben und Raketen den Libanon in Schutt und Asche legten.

Dieses gescheiterte Abenteuer hat gewaltige Folgen für Israel, den Nahen Osten, die Vereinigten Staaten und die Welt. Die weitreichenden Konsequenzen werden nicht alle sofort zu spüren sein. Jedoch wird die israelische Gesellschaft zwangsläufig an Stabilität verlieren und der antizionistische und antiimperialistische Widerstand zunehmen. Arabische Regimes, die mit den USA verbündet sind, wie Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien, gehen aus der Entwicklung geschwächt hervor, und die globale Militärpolitik der Bush-Regierung und der gesamten herrschenden Elite in den Vereinigten Staaten ist noch weiter diskreditiert.

Das heißt nicht, dass die Gefahr neuer und noch größerer Kriege gebannt ist. Die USA, die schon in Afghanistan und dem Irak in einer tiefen Krise stecken, sind in ihrem Streben nach globaler Vorherrschaft gefangen. Man muss davon ausgehen, dass sie weiterhin ihr Ziel verfolgen, das Regime in Syrien zu stürzen und einen Krieg gegen den Iran vorzubereiten. Auch Israel könnte mit verstärkter Gewalt reagieren, die sich besonders gegen die Palästinenser richtet.

Aber ein gewisser Wendepunkt ist erreicht, und der politische und moralische Bankrott des zionistischen Staates und des US-Imperialismus ist vor den Augen der ganzen Welt sichtbar.

Die Verantwortlichen für den grausamen Krieg im Libanon müssen muss für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Eine solche Abrechnung kann und wird nicht von einer der Großmächte, der UNO oder einer anderen Institution geleistet, die von imperialistischen Interessen beherrscht ist. Die Vereinigten Staaten, die Europäische Union, die Arabische Liga und die UNO waren alle Teil einer Verschwörung, die den israelischen Angriffskrieg rechtfertigte und einen Waffenstillstand blockierte, um Israel ausreichend Zeit für das zerstörerische Werk im Libanon zu verschaffen. Das brutale Wesen der imperialistischen Vorherrschaft im Nahen Osten hat sich unverhüllt gezeigt.

Die einzige Kraft, die in der Lage ist, die Kriegsverbrecher in Tel Aviv und Washington vor Gericht zu stellen, ist die internationale Arbeiterklasse. Und die einzige Grundlage für eine demokratische und friedliche Neuorganisation der Nahostregion besteht darin, dass sich die arbeitenden Massen im gemeinsamen Kampf für eine sozialistische Umgestaltung und gegen die Kräfte von Imperialismus und Zionismus zusammenschließen.

Siehe auch:
Der Libanonkonflikt und der Standpunkt der Arbeiterklasse
(12. August 2006)
Israelische Kriegsverbrechen sollen Südlibanon "säubern"
( 10. August 2006)
Bushs "Waffenstillstandsplan" soll den Nahostkrieg ausweiten
( 9. August 2006)
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