Tauziehen um Libanon-Truppe

Die geplante Entsendung einer UN-Truppe in den Libanon ist ins Stocken geraten. Frankreich, das ursprünglich das "Rückgrat" der Truppe bilden und deren Kommando stellen sollte, hat sich überraschend zurückgezogen. Nun will, gedrängt von Israel und den USA, Italien die Truppe führen und deren Hauptkontingent stellen.

Die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats, die seit dem 14. August die Grundlage einer labilen Waffenruhe im Libanon bildet, sieht den schnellstmöglichen Einsatz einer 15.000 Mann starken UN-Truppe vor. Der Verabschiedung der Resolution waren lange Auseinandersetzungen zwischen den USA und Frankreich vorausgegangen.

Nach den Vorstellungen Israels und der USA sollte die internationale Truppe vollenden, was der israelischen Armee trotz 34-tägiger Bombardierung des Nachbarlandes nicht gelungen war: Die Auslöschung der Hisbollah und die Verwandlung des Libanon in ein ohnmächtiges Protektorat der Großmächte. Sie wollten die Nato mit der Bildung der Truppe beauftragen und sie mit einem "robusten" Mandat versehen - mit dem Auftrag und der Vollmacht, die Hisbollah gewaltsam zu entwaffnen.

Frankreich, das eng mit der libanesischen sowie mit arabischen und europäischen Regierungen zusammenarbeitete, trat ebenfalls für die Entwaffnung der Hisbollah ein. Im Unterschied zu den USA wollte es dies aber vorrangig auf politischem Wege erreichen. Die Entwaffnung sollte freiwillig, unter der Verantwortung der libanesischen Regierung erfolgen und durch die internationale Truppe lediglich abgesichert werden.

Als deutlich wurde, dass die israelische Armee die Hisbollah militärisch nicht besiegen konnte, akzeptierten die USA schließlich einen Kompromiss in Form der UN-Resolution 1701. Sie verzichteten auf den Einsatz der Nato und stimmten der Aufstockung der bereits im Libanon stationierten United Nations Interim Force (UNIFIL) von 2.000 auf 15.000 Mann zu. Die derart gestärkte UNIFIL soll den Waffennachschub an die Hisbollah unterbinden, diese aber nicht gewaltsam entwaffnen. Sie verfügt nicht über entsprechende militärische Vollmachten nach Kapitel Sieben der UN-Charta, sondern lediglich über beschränkte Befugnisse nach Kapitel Sechs.

Die einstimmige Annahme der Resolution 1701 durch den Sicherheitsrat hat diese Gegensätze vorübergehend vertuscht, nicht aber gelöst.

Israel und die USA bestehen auch weiterhin auf der vollständigen Entwaffnung der Hisbollah. Der amerikanische UN-Botschafter John Bolton will zu diesem Zweck eine neue Resolution im UN-Sicherheitsrat einbringen, während sich Israel skrupellos über alle Beschlüsse hinwegsetzt, die diesem Ziel im Wege stehen. Es hat den Waffenstillstand nur fünf Tage nach seinem Inkrafttreten mit einer Kommandoaktion in der libanesischen Bekaa-Ebene gebrochen, bekennt sich offen zum Ziel, Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah zu ermorden, und will keine UN-Soldaten aus Ländern mit muslimischer Bevölkerung - wie Indonesien, Bangladesch, Malaysia - an seinen Grenzen akzeptieren.

Frankreich seinerseits musste feststellen, dass sich die Hisbollah auf politischem Wege nicht kaltstellen und entwaffnen lässt.

Die Hisbollah war schon vor dem jüngsten Krieg stark in der schiitischen Bevölkerung des Libanon verankert. Nachdem sie der hochgerüsteten israelischen Armee 34 Tage lang erfolgreich widerstanden hat, ist sie auch weit über die religiösen und nationalen Grenzen hinweg populär. In zahlreichen nahöstlichen Städten ist es zu Demonstrationen gekommen, auf denen Bilder von Hisbollah-Führer Nasrallah Seite an Seite mit Bildern des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser und Sultan Saladdins, des Siegers über die Kreuzfahrer in Jerusalem, gezeigt wurden.

Jedes Vorgehen gegen die Hisbollah würde von Millionen Arabern als Angriff auf ihre eigenen Interessen und als Parteinahme für die USA und Israel verstanden. Dies ist der Grund für den Rückzug Frankreichs.

Die ehemalige Kolonialmacht hatte den Krieg als Chance begriffen, im Libanon wieder stärker Fuß zu fassen. Die Resolution 1701 war maßgeblich auf Initiative Paris’ zustande gekommen und wurde von der französischen Presse als großer Erfolg der französischen Diplomatie gefeiert. Es galt als ausgemacht, dass Frankreich das Rückgrat der UN-Streitmacht stellen würde.

Doch auf der so genannten Truppenstellerkonferenz, die am 17. August in New York stattfand, bot Frankreich anstelle der erwarteten 3.000 Soldaten lediglich die Aufstockung seines UNIFIL-Kontingents von 200 auf 400 Soldaten an. Offiziell wurde dies damit begründet, dass die Aufgaben und Mittel der Mission nicht klar genug definiert seien. Doch der eigentliche Grund war die Furcht, zwischen die Fronten zu geraten und sich auf ein militärisches Abenteuer mit ungewissem Ausgang einzulassen.

"Das Problem ist, dass die libanesische Regierung weder über die militärischen noch über die politischen Mittel verfügt, um von der Hisbollah zu erreichen, was Washington und Paris fordern, nämlich die Waffen abzugeben" schreibt dazu die Zeitung Libération. "Die Hände Beiruts sind gebunden aufgrund der Popularität der schiitischen Partei und der Meinungsverschiedenheiten, die über diese sensible Frage in der libanesischen politischen Klasse herrschen."

Die Entwaffnung der schiitischen Miliz bleibe auch nach dem Krieg der Kern der Krise, fährt die Zeitung fort, "mit einem wesentlichen Unterschied: Welchen Grund die Waffen abzugeben sollte es für die Hisbollah geben, die sich im Glanz ihres ‚Siegs über den zionistischen Feind’ und ihrer Nähe zu einem Teil der Bevölkerung sonnt, der sie heute als erste Hilfe leistet?"

Vor allem französische Militärs warnten eindringlich vor einem unbedachten Libanon-Einsatz. Ohne klares Mandat werde es auch keine französischen Blauhelme geben, lautete ihr Argument. "Es geht nicht um die Frage, wie viele [Soldaten] und wann," sagte Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie, "sondern was sie tun und wie. Eine unklare Mission birgt das Risiko einer Katastrophe."

Die französische Armee steht nach wie vor unter dem Trauma eines früheren Libanon-Einsatzes, bei dem 1983 in der Beiruter Kaserne Drakkar 58 Fallschirmjäger einem schiitischen Selbstmordattentat zum Opfer fielen. Frankreich, das traditionell enge Beziehungen zur christlich-maronitischen Oberschicht im Libanon unterhält, könnte sich im Falle eines Wiederaufflammens des Krieges kaum als neutralen Schlichter ausgeben. Es würde unweigerlich zwischen die Fronten geraten.

Auch der UN-Einsatz in Bosnien, bei dem die Hälfte der 167 gefallenen Soldaten aus Frankreich stammte, wird als warnendes Beispiel angeführt.

Hinzu kommt, dass sich die arabischen Regimes vorsichtig von der UN-Truppe distanzieren. Die meisten von ihnen hatten keinen Finger gerührt, als Israel den Libanon zerbombte, über 1.000 Zivilisten tötete und eine Million in die Flucht trieb. Nun fürchten sie, dass die weit verbreitete antiamerikanische und antiisraelische Stimmung ihre eigene Herrschaft bedroht, wenn sie sich zu sehr mit einem Vorgehen gegen die Hisbollah identifizieren.

Besonders deutlich zeigt dies die Reaktion Syriens, zu dem Frankreich - ebenso wie die USA - ohnehin keine Beziehungen unterhält. Stattdessen wurde der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach Damaskus geschickt, um Syrien mit ins Boot zu holen. Er bekam eine empfindliche Abfuhr. Noch bevor Steinmeier das Flugzeug bestieg, hielt Präsident Baschar al-Assad eine Rede, in der er Israel scharf angriff und die Hisbollah in den höchsten Tönen pries. Steinmeier trat daraufhin seine Reise gar nicht erst an.

Der französische Rückzug kam für Israel und die USA höchst ungelegen. Die israelische Regierung befindet sich nach dem gescheiterten Libanon-Feldzug in einer tiefen Krise und ist auf die Unterstützung einer UN-Truppe an ihrer Grenze angewiesen. Sowohl der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert als auch US-Präsident George W. Bush haben sich mit der Bitte an den italienischen Regierungschef Romano Prodi gewandt, an Stelle Frankreichs die Führung der UN-Truppen zu übernehmen.

Prodi kam dieser Bitte umgehend nach. Am Wochenende telefonierte er intensiv mit der deutschen, der französischen und der türkischen Regierung und warb um deren Unterstützung bei der Zusammenstellung der UN-Truppe. Am Montag unterrichtete er UN-Generalsekretär Kofi Annan dann, Italien sei bereit, die Führung der Truppe zu übernehmen und bis zu 3.000 Soldaten zu stellen.

Bedingung sei "ein klares Mandat mit präzisen Vorgaben". Hisbollah müsse die jüngste UN-Resolution mit der Forderung nach Entwaffnung akzeptieren; die UN-Truppen dürften nicht für die Entwaffnung der Hisbollah zuständig sein, sondern für die Überwachung einer politischen Lösung des Konflikts.

Da Prodi ähnliche Bedingungen stellt wie Frankreich, ist es auch möglich, dass Frankreich sein Truppenkontingent nun doch aufstockt oder sich sogar selbst wieder um die Führung der UN-Truppe bemüht.

Italien unterhält traditionell gute Beziehungen zu fast allen arabischen Ländern. Erst unter Prodis Vorgänger Silvio Berlusconi war die italienische Außenpolitik ins Fahrwasser der USA eingeschwenkt. Prodi verfolgt das erklärte Ziel, dies zu korrigieren und Italien zu einem selbständigen Machtfaktor im Mittelmeerraum zu machen.

Seine Regierung hat sich regelrecht in den Libanon gedrängt. Schon Mitte Juli auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg hatte Prodi italienische Truppen für den Libanon in Aussicht gestellt. Kaum war die UN-Resolution verabschiedet, bekräftigte er dieses Versprechen und schwor Regierung und Parlament darauf ein. Damit, erklärte er am vergangenen Freitag auf einer Pressekonferenz, öffne sich "eine neue Phase der italienischen Außenpolitik, eine Phase der Glaubwürdigkeit und Verantwortlichkeit".

Gleichzeitig ließ Prodi keinen Zweifel aufkommen, auf welcher Seite er im Libanon-Konflikt steht: "Der Krieg wurde von Hisbollah begonnen, die auf israelisches Territorium vorstieß", sagte er.

Prodis Mitte-Links-Koalition hatte die Parlamentswahlen im April nicht zuletzt deshalb gewonnen, weil sie den Rückzug der italienischen Truppen aus dem Irak versprach. Nun drängt seine Regierung mit allen Kräften nach einem neuen, riskanteren Militäreinsatz im Nahen Osten, die Italiens Machtstellung am Mittelmeer stärken soll. Eine führende Rolle spielt dabei Außenminister Massimo D’Alema von den Linksdemokraten, der Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Partei. Aber auch die Vertreter von Rifondazione Comunista, die bei den Massendemonstrationen gegen den Irakkrieg eine aktive Rolle gespielt hatte, haben dem Libanon-Einsatz in der Regierung und im Parlament zugestimmt.

Siehe auch:
Ein Unrechtsstaat: Israel bricht den Waffenstillstand und droht Hisbollah-Führer zu ermorden
(22. August 2006)
Europäische Mächte drängen in den Libanon
( 16. August 2006)
Vor Beginn des Waffenstillstands im Libanon: USA und Israel stehen vor politischem Debakel
( 15. August 2006)
Italien will Soldaten in den Libanon senden
( 15. August 2006)
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