Britische Terrorwarnung:

Fluggesellschaften drohen britischer Regierung mit juristischen Schritten

Ein erbitterter Streit ist zwischen der Regierung von Premierminister Tony Blair und britischen Fluggesellschaften sowie Flughafenbetreibern ausgebrochen. Es geht um die vom Staat geförderte Hysterie wegen der angeblichen Terrorverschwörung, um Flugzeuge auf dem Weg von Großbritannien in die USA über dem Atlantik in die Luft zu sprengen.

Verluste in Millionenhöhe aufgrund tausender ausgefallener Flüge, Unannehmlichkeiten für zehntausende Passagiere und immer schärfere Sicherheitsmaßnahmen haben einige Fluggesellschaften veranlasst, die Antiterrormaßnahmen der britischen Regierung offen anzugreifen und Entschädigungsforderungen zu prüfen.

Die Spannungen haben sich verschärft, weil immer klarer wird, dass die Anordnung der Maßnahmen weniger von einer realen und unmittelbaren Terrorgefahr ausging als von den politischen Interessen der britischen und der amerikanischen Regierung.

Es gibt bislang keinerlei Beweise dafür, dass am 10. August ein schwerer Terroranschlag nur knapp abgewendet werden konnte. Es ist fraglich, ob überhaupt ein Terrorkomplott existierte, da nicht einer der angeblichen Attentäter ein Flugticket besaß und nicht eine einzige Bombe gebastelt wurde.

Dennoch wurden die britischen Flughafenbetreiber am frühen Morgen des 10. August von der Regierung angewiesen, beispiellose Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, um einen angeblichen Selbstmordanschlag zu verhindern.

Ohne Vorwarnung wurden Passagiere informiert, sie dürften nur Reisedokumente, Sonnenbrillen und wichtige Medikamente als Handgepäck mit an Bord nehmen. Alles andere Gepäck musste aufgegeben werden und alle Flüssigkeiten außer Babymilch wurden verboten, ebenso wie Zeitschriften und Bücher. Außerdem wurde jeder Passagier gründlich durchsucht.

Trotz der Behauptung, die Polizei habe die angeblichen Verschwörer seit einem Jahr überwacht, waren kein Flughafen und keine Fluggesellschaft auch nur darüber informiert worden, dass eine potentielle Bedrohung existiere. Die Anweisung für die neuen Sicherheitsmaßnahmen kam so plötzlich, dass Flughäfen und Fluggesellschaften nicht ausreichend Personal aufbieten konnten, um die neuen Maßnahmen auch tatsächlich umzusetzen.

Die Flughäfen kamen praktisch zum Stillstand, die Gepäckverladung brach zusammen und Sicherheitspersonal und -systeme waren völlig überfordert. Mehr als 217 Millionen Menschen werden in britischen Flughäfen jährlich abgefertigt, 67 Millionen allein am Flughafen Heathrow, dem Flughafen mit den meisten Passagieren und Flügen weltweit.

Selbst nachdem hunderte Mitarbeiter hinzugeordert worden waren, um die besondere Situation in den Griff zu bekommen, mussten tausende Reisende stundenlang Schlange stehen, nur um die Sicherheitskontrolle zu überwinden und dann zu erfahren, dass ihr Flug verspätet oder gestrichen war.

Da die Flughäfen vollkommen überlastet waren, strich British Airways (BA) am 10. August alle Inlandsflüge und EasyJet sagte alle Flüge von den drei Londoner Flughäfen ab. Ryanair strich etwa fünfzig Flüge.

Die Sicherheitsmaßnahmen wirkten sich sofort weltweit aus. Die Lufthansa strich 28 Flüge nach Heathrow oder leitete sie um. Air France, Iberia und Alitalia trafen ähnliche Maßnahmen. In den Niederlanden wurden alle Flüge nach Großbritannien abgesagt. Viele andere Fluggesellschaften sahen sich zu ähnlichen Schritten gezwungen.

Die British Airport Authority (BAA), der privatisierte Betreiber von einem Großteil der britischen Flughäfen, verfügte eine zwanzigprozentige Verringerung aller Flugbewegungen, um die Überlastung zu verringern. Bis zum 16. August, d.h. fast eine Woche nach dem Erlass der neuen Bestimmungen, hatte BA mehr als 1.100 Flüge ausfallen lassen, und andere große Gesellschaften kehren erst jetzt wieder zu ihrem normalen Flugplan ohne erzwungene Ausfälle zurück. Während dieser Zeit musste eine reduzierte Zahl von Passagieren wesentlich mehr Verspätungen und Unannehmlichkeiten hinnehmen.

Obwohl Regierung und Polizei die "Köpfe" der angeblichen Terrorverschwörung gefasst haben wollen, sind die Sicherheitsmaßnahmen weiterhin in Kraft, und einige werben dafür, sie dauerhaft beizubehalten. Acht Tage nach den Verhaftungen gab das Verkehrsministerium bekannt, es werde keine schnellen Erleichterungen bei den Sicherheitskontrollen geben und ließ die Medien über eine Quelle wissen, dass "wir nie mehr so werden reisen können, wie vorher".

Die Verlusterwartungen der Fluggesellschaften fallen recht unterschiedlich aus. BA soll am 10. August dreißig Millionen Pfund (44 Mio. Euro) verloren haben und fünf Millionen (7,4 Mio. Euro) an jedem weiteren Tag. Einige Experten schätzen, dass die ganze Luftfahrtindustrie bis zu 250 Millionen Pfund (367 Mill. Euro) eingebüßt hat.

Die Billigfluglinien wurden besonders hart getroffen. Die zehn Millionen Pfund (15 Mill. Euro) Verluste von EasyJet werden ihren Profit um fünf bis zehn Prozent reduzieren, und die Profite von Ryanair werden um fünf Prozent geringer ausfallen.

Ein Sprecher des Flughafens Heathrow sagte gegenüber dem Sunday Herald : "Je länger es dauert, desto schwieriger wird es für die Menschen. Wenn die Passagiere nicht anständiger behandelt werden, dann haben wir bald keine Luftfahrtindustrie mehr."

Ursprünglich hatten sich die Fluggesellschaften gegen die BAA gewandt, die kürzlich von der spanischen Gruppe Ferrovia gekauft worden war. BA, Virgin Atlantic, EasyJet und BMI Britsh Midland unterstützten eine Entschädigungsforderung in Höhe von 250 Millionen Pfund gegen den Flughafenbetreiber. Das für Heathrow zuständige Vorstandsmitglied bei BAA, Tony Douglas, und sein Gegenüber bei BA, Willie Walsh, lieferten sich einen öffentlichen Schlagabtausch in Heathrow wegen der Drohung des Flughafenbetreibers, alle Flüge von Gesellschaften zu streichen, die sich nicht an die angeordneten Streichungen halten.

Walsh hatte sich vorher schon beschwert: "BAA hatte keinen Plan, um Heathrow vernünftig am Laufen zu halten." Er fügte hinzu: "Die Schlangen vor den Sicherheitskontrollen gingen rund um die Terminals herum, wie in einem Freizeitpark-Alptraum."

Aber in den vergangenen Tagen sind die Fluggesellschaften dazu übergegangen, die Blair-Regierung anzugreifen; an ihrer Spitze steht dabei Michael O’Leary von Ryanair.

Ryanair, eine der profitabelsten Fluggesellschaften der Welt, hat sich durch kurze Aufenthaltszeiten, billige Internetbuchungen, einheitliche Flugzeugtypen, schlecht bezahlte Crews und die Nutzung abgelegener Nebenflughäfen zu Europas größter Kurzstreckenfluggesellschaft aufgeschwungen.

O’Leary ist der Prototyp des "Erfolgsunternehmers", wie ihn die Regierung in den vergangenen Jahren nur zu gerne hofiert hat. Im Jahr 2005 geriet Ryanair in die Kritik, weil das Unternehmen Lohnerhöhungen nur mit nicht gewerkschaftlich organisiertem Personal aushandelte, was ein Sprecher der Europäischen Transportarbeitergewerkschaft als "Erpressung" der gewerkschaftlich organisierten Angestellten bezeichnete.

Auf einer Pressekonferenz mit dem Titel "Keep Britain flying" (Großbritannien soll weiterfliegen) posierte O’Leary neben einem Schauspieler, der als Winston Churchill verkleidet war. Er forderte, innerhalb von sieben Tagen müssten die Sicherheitsmaßnahmen auf das übliche, von der Internationalen Lufttransportvereinigung (IATA) festgelegte Maß zurückgeschraubt werden. Er beschwerte sich: "Wir machen mittlerweile Leibesvisitationen bei Fünf- und Sechsjährigen, die mit ihren Eltern nach Spanien in Urlaub fliegen. Wir vergrößern nicht die Sicherheit, wir vergrößern die öffentliche Hysterie."

O’Leary beschrieb die Sicherheitsmaßnahmen als "verrückt und ineffektiv" und machte sich über die Vorstellung lustig, Großbritannien sei durch "tödliche Kulturtaschen" bedroht. Er warf die Frage auf, warum angesichts der angeblich so ernsten Terrorgefahr ähnliche Maßnahmen nicht auch in der Londoner U-Bahn und dem Busnetz eingeführt worden seien, wo es schon Anschläge gegeben habe.

In einer späteren Stellungnahme zweifelte er an, ob es wirklich eine Verschwörung zur Sprengung von Flugzeugen gegeben habe. "Vielleicht gab es doch gar keinen Versuch, Flugzeuge vom Himmel zu holen", sagte er. "Wo sind die Beweise?"

Ryanair zieht, wie EasyJet und BA, juristische Schritte aufgrund des britischen Transportgesetzes von 2000 in Betracht. Früher war es üblich, dass Fluglinien und Flughäfen alle Kosten trugen, die mit einer Sicherheitsverschärfung einhergingen. Aber das Transportgesetz von 2000 lässt in Paragraph 93 die Möglichkeit zu, dass Betreiber für die Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen entschädigt werden. Die Fluggesellschaften hoffen, dass ein drohender Prozess die Regierung veranlasst, ihre drakonischen Einschränkungen aufzugeben oder die Fluglinien für die entstehenden Kosten zu entschädigen.

Die Beschwerden der Fluggesellschaften hat die Berichterstattung in den Medien aufgebrochen, die bisher die angebliche Terrorverschwörung und die damit einhergehenden Sicherheitsmaßnahmen widerspruchslos akzeptiert hatten.

Die weit verbreitete und wachsende Skepsis der Öffentlichkeit gegenüber den Behauptungen der Regierung zeigte sich in Äußerungen von Flughafenmitarbeiter gegenüber der Presse, die sich über die Sinnlosigkeit und den repressiven Charakter der neuen Regeln ausließen.

Ein Pilot erklärte zum Beispiel, er habe sein Brillenetui nicht mit ins Flugzeug nehmen dürfen, obwohl doch regulär eine Feueraxt an Bord sei. "Während meine Brille als potentiell tödliches Objekt erachtet wurde, nahm ich wieder einmal meinen Kapitänssitz in dem 185.000-Kilo-Flugzeug voller Menschen und Treibstoff ein und konnte mich gerade noch beherrschen, nicht zur Bruchaxt zu greifen und alles und jedes in Stücke zu schlagen, um danach kopfüber tauchend in den Kanal zu rollen", sagte er.

Andere Piloten erzählten, wie sie daran gehindert worden seien, Kontaktlinsenflüssigkeit mit ins Flugzeug zu nehmen, obwohl das Auswirkungen auf ihre Sehkraft haben konnte.

Handels- und Industrieminister Alistair Darling versuchte, die Fluggesellschaften zu beschwichtigen und weitere Kritik zum Verstummen zu bringen. Er sagte, die Einschränkungen aus Sicherheitsgründen würden in den kommenden Tagen leichter durchführbar gestaltet.

Siehe auch:
Ministertreffen der Europäischen Union: Terrorhysterie zur Rechtfertigung antidemokratischer Maßnahmen
(22. August 2006)
Widersprüche Merkwürdigkeiten und offene Fragen um die britische Terrorhysterie
( 19. August 2006)
Nach den Verhaftungen in Großbritannien: Was ist die Ursache für Terrorgefahr?
( 15. August 2006)
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