Großbritannien

Offene Fragen in Hinblick auf die angebliche Terrorverschwörung

Über zwei Wochen sind vergangen, seit die britische Polizei angeblich einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag vereitelte, bei dem bis zu zwölf Transatlantikflüge gesprengt werden sollten.

In den frühen Morgenstunden des 10. August wurden vierundzwanzig Personen festgenommen, die nach dem Antiterrorgesetz bis zu 28 Tagen ohne Anklage in Haft bleiben können. Gleichzeitig wurden auf den britischen Flughäfen im Eilverfahren Sicherheitsmaßnahmen eingeführt, die zu Chaos und Verzögerungen führten. Paul Stephenson, Chef der Metropolitan Police, hatte diese als unvermeidlich bezeichnet, weil die angeblichen Terroristen beabsichtigt hätten, "Massenmorde von unvorstellbaren Ausmaß" zu verüben.

Die Folge waren Furcht und Panik und seitdem ist kein Tag vergangen, ohne dass ein Flug wegen Sicherheitsbedenken umkehren musste oder Passagiere von Bord geschickt wurden, weil andere sie für "verdächtig" hielten.

Dabei sind bis zur Stunde keine konkreten Einzelheiten vorgelegt worden, die die Existenz einer Verschwörung belegen würden. Auch nachdem gegen einige der Verhafteten Anklage erhoben wurde, häufen sich die Widersprüche und die offizielle Darstellung der Ereignisse wirft immer neue Fragen auf.

Fest steht, dass anders als ursprünglich behauptet ein Terroranschlag nicht "unmittelbar bevorstand". Es gab keine Bomben und kein einziger der angeblich Beteiligten hatte überhaupt ein Flugticket gekauft. Einige besitzen nicht einmal einen Reisepass.

Inzwischen wird allgemein davon ausgegangen, dass die auf den Flughäfen eingeführten Sicherheitsmaßnahmen nicht erforderlich waren. So heißt es zum Beispiel in der Tageszeitung The Guardian : "Wie es scheint, waren die tagelang auf britischen Flughäfen verhängten Maßnahmen unnötig."

Dies ist ein erstaunliches Eingeständnis, aber der Guardian fragt nicht nach, warum Regierung und Polizei solche "unnötigen" Maßnahmen verhängten, die doch erhebliche Störungen und hohe Kosten verursachten.

Bei der aktuellen Terrorhysterie agierten die Medien als verlängerter Arm und Propagandainstrument des Staates und wiederholten jede unbewiesene und noch so fantastische Behauptung, ohne sie zu überprüfen. Was sich als falsch herausstellte, wurde rasch unter den Teppich gekehrt. Und während die Medien in den ersten Tagen nach der Verhaftungswelle voll waren mit angeblichen Details zu der angeblichen Terrorverschwörung, den Verdächtigen und ihre möglichen Verbindungen mit Al Qaida, mit den Anschlägen in New York am 11. September 2001 oder London am 7. Juli 2005, so herrscht heute praktisch Stillschweigen.

In den letzten Tagen ist gegen acht Personen Anklage wegen Verschwörung zum Mord und der Vorbereitung von Terrorakten erhoben worden. Gegen drei weitere wird ermittelt, weil sie angeblich Informationen über einen potentiellen Terrorakt zurückgehalten haben. Einem Siebzehnjährigen wird zur Last gelegt, "im Besitz von Gegenständen gewesen zu sein, die einer Person zur Vorbereitung von Terrorakten nützlich sein könnten". Alle Angeklagten beteuern ihre Unschuld.

Am Mittwoch wurde der Polizei eine zusätzliche Woche zugestanden, acht Personen weiter zu befragen. Am gleichen Tag wurden zwei Personen ohne Anklage freigelassen, der 23jährige Asim Tariq, der am Flughafen Heathrow arbeitet, und der 22jährige Tayib Rauf.

Der Familie Rauf wurde wochenlang eine Schlüsselrolle bei der angeblichen Verschwörung zugeschrieben. Die Medien behaupteten unter Berufung auf anonyme Sicherheitsquellen, Auslöser für die plötzlichen Razzien in Großbritannien sei die Verhaftung von Tayibs Bruder Rashid in Pakistan gewesen.

Unter Verletzung der Unschuldsvermutung wurden Tayibs Name und Foto - wie auch die zahlreicher weiterer Verhafteter - in der Presse veröffentlicht, und die Bank von England sperrte sein Konto. (Amjad Sarwar, dessen Bruder Assad sich unter den am 10. August Verhafteten befindet, wurde ebenfalls öffentlich als einer der Verdächtigen bezeichnet, obwohl er niemals verhaftet oder auch nur verhört worden war.)

Rashid wurde als Kopf der angeblichen Verschwörung bezeichnet: Er sei ein führendes Mitglied von Al Qaida, der angeblich Spendengelder verwendet habe, um zusammen mit Tayib eine terroristische Verschwörung zu finanzieren. Zu Beginn dieser Woche wurde das Guthaben der betreffenden Hilfsorganisation eingefroren und eine Untersuchung dieser Vorwürfe eingeleitet.

Über Rashid ist wenig zu hören, seit diese Vorwürfe erstmals laut wurden. Offensichtlich ist er vom pakistanischen Sicherheitsdienst verhaftet und Berichten zufolge auch gefoltert worden. Die britische Regierung verweigert bisher die Auskunft darüber, ob sie Rashids Auslieferung beantragt hat. Berichte aus Pakistan bestreiten Verbindungen zu Al Qaida und weisen vielmehr darauf hin, es gebe trotz wochenlanger Verhöre keine Beweise dafür, dass er der führende Kopf einer Terrorgruppe sei.

Am Donnerstag kam es zu einer weiteren seltsamen Wende. Die Polizei gab bekannt, Umair Hussain (24) werde angeklagt Informationen nicht weitergeleitet zu haben, die möglicherweise zur Verhinderung eines Terroraktes beitragen hätten. Gegen seinen Bruder Mehran Hussain (23) war 24 Stunden zuvor die gleiche Anklage erhoben worden. Beide werden beschuldigt, Informationen über ihren Bruder Nabeel nicht weitergegeben zu haben. Aber Nabeel, einem der Inhaftierten, ist bisher noch gar kein Vergehen zur Last gelegt worden.

Umairs Anwalt Tim Ruskin sagte, er sei "schockiert", dass sein Klient unter Anklage gestellt wurde. "Wir werden auf jeden Fall überprüfen lassen, ob hier nicht ein Verfahrensmissbrauch vorliegt", sagte er. Er fügte hinzu, Umair "hat mich angewiesen, gegen die Leibesvisitation Beschwerde einzulegen, die auf der Polizeiwache von Belgravia erfolgte. Wir haben auch den Eindruck, dass ein Teil unserer privaten anwaltlichen Gespräche möglicherweise überwacht worden ist."

Dies sind nicht die einzigen Merkwürdigkeiten. Wichtiger ist noch, dass nichts vorgelegt wurde, was die Existenz einer Verschwörung tatsächlich belegt.

Das zeigt sich indirekt in der obskure Wortwahl, die sich in den Anklagen gegen acht Verdächtige findet. Diese haben laut Anklageschrift "ein Verhalten angenommen, um ihre Absicht zu verwirklichen, Bestandteile von improvisiertem Sprengkörpern in Flugzeuge zu schmuggeln, sie an Bord zusammenzusetzen und zur Detonation zu bringen". Ist denn nicht klar, was das ist, "ein Verhalten annehmen, um eine Absicht zu verwirklichen"? Meint diese absichtlich uneindeutige Bürokratensprache den Bombenbau, die Rede davon oder den Gedanken daran?

Die Polizei äußert sich ebenfalls vage, sogar bei der Darstellung der "Fakten" in Hinblick auf die angebliche Verschwörung. Ala auf einer Pressekonferenz die ersten Anklagen bekannt gegeben wurden, berichtete Peter Clarke, der stellvertretende Polizeipräsident der Metropolitan Police, auch über die umfassenden Ermittlungen, von denen er sagte, sie hätten "ein klareres Bild über die mutmaßlichen Verschwörung erbracht".

Dabei hatten der britische Innenminister John Reid und die Metropolitan Police gemeinsam mit dem amerikanischen Präsidenten George Bush und dem US-Heimatschutzministerium doch angeblich schon zu Anfang dieses Monats ein sehr klares Bild von der Verschwörung gewonnen.

Endlos haben die Medien wiederholt, was damals gesagt wurde: Chemikalien sollten im Handgepäck geschmuggelt, später an Bord zu Sprengsätzen zusammengebaut und mit Hilfe von Elektrogeräten gezündet werden. Eine hochrangige britische "Geheimdienstquelle" wurde in den Medien mit den Worten zitiert: "Der größte Durchbruch war die Entdeckung, wie sie die Gräueltaten durchführen wollten, die den 11. September noch in den Schatten gestellt hätten."

Solch präzise Information habe zur Verfügung gestanden - wurde behauptet - weil die Verdächtigen seit Monaten überwacht worden seien. Ihre Telefon- und Internetverbindungen seien angezapft und sie von Spezialagenten beschattet worden. Von einem dieser Agenten wurde sogar gesagt, er habe "die Gruppe von innen" ausspioniert. Die Polizei war mit der angeblichen Verschwörung so vertraut, dass sie in der Lage war, alle Verdächtigen fast gleichzeitig festzunehmen.

Auch wird immer noch viel darüber spekuliert, wie es möglich sein soll, zehn Flugzeuge gleichzeitig zur Explosion zu bringen. Innenminister Reid erklärte jedoch erst vor wenigen Tagen, es sei "relativ einfach", Bomben in einem Flugzeug herzustellen, und "keine Frage", dass Terroristen dazu fähig sind.

Auf einer Pressekonferenz am Montag erklärte Clarke, die Polizei habe eine "Ausrüstung zum Bombenbau" gefunden. "Es wurden Chemikalien, unter anderem Wasserstoffperoxid, sowie elektrische Komponenten, Dokumente und andere Gegenstände entdeckt", sagte er.

Anfänglich hatte die Polizei erklärt, bei dem angeblichen Anschlag hätte Triaceton-Triperoxid (TATP) zum Einsatz kommen sollen. Es zeigte sich jedoch, dass die Verwendung von TATP in einem Szenario, wie es anfänglich beschrieben wurde, kaum wahrscheinlich ist. Ein Artikel im Register führte eine wissenschaftliche Studie der American Chemical Society aus dem Jahr 2004 an. In dem Artikel heißt es: "Es ist nicht so einfach, eine ausreichend große Menge TATP herzustellen, um ein Flugzeug zum Absturz zu bringen. Es genügt nicht, die Toilette aufzusuchen und zwei harmlose Flüssigkeiten miteinander zu mischen."

Selbst wenn man eine entsprechendes Wasserstoffperoxidkonzentrat in ausreichender Menge sowie die nötige Menge Aceton und Schwefelsäure zur Hand hat, sie zusammen mit den notwendigen Kühlaggregaten in Container packt, dazu die nötige Laborausrüstung hat, um sie zu mischen, und wenn man es schafft, all dies an Bord eines Flugzeugs zu schmuggeln, dann wäre das immer noch der leichteste Teil des Unternehmens gewesen.

Es wäre dann nötig, die Chemikalien und die Ausrüstung "diskret" in die Toilette zu bringen und vorsichtig damit zu beginnen, die verschiedenen Komponenten im exakt richtigen Verhältnis und unter der korrekten Temperatur zu mischen, heißt es im Register weiter.

"Nach ein paar Stunden - vorausgesetzt, die Dunstschwaden hätten einen wie durch ein Wunder nicht betäubt oder andere Passagiere oder die Crew alarmiert - stünde eine bestimmte Menge TATP zur Verfügung, das zur Ausführung der Mission dienen könnte. Nun müsste man es nur noch ein bis zwei Stunden trocknen lassen", erklärt der Artikel. Selbst dann jedoch wäre die Qualität nicht annähernd so gut, dass man damit "Massenmorde" verüben könnte.

Die Polizei hat die Behauptung, es sei TATP im Spiel gewesen, offensichtlich fallen gelassen. Aber Clarkes Hinweis auf die Entdeckung von Wasserstoffperoxid trägt nichts zur Aufklärung bei, denn das ist vielseitig verwendbar und wird in der einen oder anderen Form in fast jedem Haushalt zu finden sein. Da behauptet wurde, zum Auslösen der Bomben sollten MP3-Player oder Kameras zum Einsatz kommen, ist zudem fraglich, ob Clarke nicht vielleicht solche Geräte meinte, als er von sicher gestellten "elektronischen Komponenten" sprach.

Wie dem auch sei, es wird noch lange dauern, bis die "Beweise", die von der Polizei angeblich entdeckt wurden, öffentlich überprüft werden können. Es heißt, es könnte drei Jahre dauern, bis die Angeklagten vor Gericht gestellt werden.

Eine solche Zeitdauer ist an sich schon ein grober Verstoß gegen die Prozessordnung, aber Craig Murray, bis zu seiner Absetzung 2004 britischer Botschafter in Usbekistan, hat noch auf einen weiteren Verstoß hingewiesen: die Einbeziehung des angeblich unabhängigen Crown Prosecution Service (CPS) in die Polizeiermittlungen.

Dem CPS - dem britischen Äquivalent zur Staatsanwaltschaft - obliegt es, die Beweislage der Polizei zu beurteilen und zu einer unparteiischen Entscheidung zu kommen, ob sie für eine Anklage ausreicht. Murray wies auf die Bedeutung der Worte von CPS-Chefin Susan Hemmings hin, sie habe "in den vergangenen acht Tagen die ganze Zeit mit der Polizei in New Scotland Yard zusammengearbeitet".

Heißt das, fragte er, dass die CPS-Einheit, die die Entscheidung getroffen hat, gegen mehrere der Beschuldigten Anklage zu erheben, "tatsächlich in die Polizeiermittlungen in Scotland Yard einbezogen war? Dass sie Teil des Chaos, der Aufregung, ja, der Hysterie war, die diese Untersuchungen gekennzeichnet hat?

Kennt jemand einen früheren Fall, bei dem sich der CPS jemals nach Scotland Yard begeben hat?" fragte Murray.

Auch erklärte Murray, er habe "aus den Mainstream-Medien" (es handelt sich um Sky News) erfahren, dass Blair und Bush fast eine Woche vor den Verhaftungen über den Zeitpunkt ihrer Durchführung diskutiert haben sollen. Und es gibt zahlreiche Berichte, dass die Razzien auf Druck der Vereinigten Staaten durchgeführt worden sind und dass Blair trotz Bedenken des britischen Sicherheitsapparats einmal mehr gehorsam Folge geleistet hat.

Eine unmittelbare Terrorgefahr war nicht gegeben. Das bedeutet ganz offensichtlich, dass die Alarmstufe nur aus politischen Gründen angehoben wurde - nämlich um die Aufmerksamkeit von der Krise abzulenken, in der Bush und Blair stecken. Sie sind mit einer wachsenden innenpolitischen Opposition gegen den Krieg im Irak konfrontiert, der sich, genauso wie in Afghanistan und im Libanon, immer mehr zum militärischen und politischen Debakel entwickelt.

Die Terroralarme der letzten Zeit weisen ein gemeinsames Schema auf: Eine Verschwörung wird angeblich aufgedeckt, die Medien bauschen die Einzelheiten sensationell auf, es kommt zu Verhaftungen, und Polizei wie Politiker warnen unisono vor den damit verbundenen ernsten Gefahren.

Wenn der Fall schließlich vor Gericht landet - falls es überhaupt dazu kommt - dann stellt sich gewöhnlich heraus, dass vieles frei erfunden und/oder das Ergebnis der Aktionen von Agents Provocateurs war. Aber inzwischen hat die "Verschwörung" ihren wahren Zweck schon erfüllt, nämlich dazu beizutragen, ein Klima der Hysterie zu schaffen und die Bürgerrechte einzuschränken.

Genau so lief es auch im berüchtigten Fall der so genannten Ricin-Verschwörung ab. Im Januar 2003 behauptete die Polizei, Vorgänge in einem "Giftlabor" in Nord-London entdeckt zu haben: Rezepte mit dem Gift Ricin und toxischem Nikotin seien verwendet worden, um die gefährliche Mischung in der Öffentlichkeit freizusetzen. Es wurde berichtet, chemische Tests seien zu positiven Ergebnissen gekommen, und Blair behauptete, man habe "Massenvernichtungswaffen" auf britischem Boden entwickelt.

Die Ricin-Panik wurde benutzt, um Washingtons und Londons Rechtfertigung für den Überfall auf den Irak zu verstärken. Aber als der Fall im April 2005 vor Gericht kam, stellte sich heraus, dass es sich gar nicht um Ricin, sondern um das harmlose Rizinusöl sowie Kirschsteine und Apfelsamen gehandelt hatten. Der positive Test war fehlerhaft, und spätere negative Ergebnisse kamen "aus Versehen" über ein Jahr lang nicht an die Öffentlichkeit. Acht Personen wurden von allen Anklagepunkten freigesprochen (eine neunte Person wurde in einem separaten Verfahren verurteilt).

Was immer bei der jüngsten "Terrorverschwörung" letztendlich herauskommen wird, schon heute dient sie ähnlichen reaktionären Zwecken.

Siehe auch:
Terrorhysterie zur Rechtfertigung antidemokratischer Maßnahmen
(22. August 2006)
Widersprüche Merkwürdigkeiten und offene Fragen um die britische Terrorhysterie
( 19. August 2006)
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