Großbritannien:

Rebellion in der Labour-Partei fordert Blairs Rücktritt

Premierminister Tony Blairs Tage im Amt sind gezählt. Zwar ist das Datum seines Rücktritts noch nicht genau bekannt, aber der Hauptgrund für seinen politischen Untergang ist jedenfalls klar: Es sind die Auswirkungen seiner Unterstützung für den illegalen Invasionskrieg und die Besetzung des Irak.

Die Labour-Party wird von offenen Fraktionskämpfen zerrissen; auf der einen Seite stehen die Blair-Getreuen, auf der anderen die Sympathisanten von Schatzkanzler Gordon Brown. Dabei weisen die Differenzen der zwei Lager nicht einen Funken politischer Prinzipien auf.

Diese Spaltung existiert in der Labour-Regierung schon, seit Blair Brown daran hinderte, als Nachfolger von John Smith Parteivorsitzender zu werden. Danach konnte der Premierminister seinen Rivalen eine Zeitlang mit dem Versprechen ruhig stellen, er werde zu gegebener Zeit Blairs Thronfolge antreten.

Jetzt ist auch das nicht mehr möglich, weil seine Position durch die Außenpolitik Labours gefährlich geschwächt ist.

Die Misshelligkeiten zwischen Blair und Brown beziehen sich nicht auf inhaltliche Differenzen. Der Schatzkanzler wie seine Mitarbeiter rühmen sich ihrer Rolle als Mitarchitekten von "New Labour" und dessen unternehmerfreundlichem Programm. Einer der acht Juniormitglieder der Regierung, deren Rücktritt die Krise in der Parteiführung ausgelöst hatte, beschrieb sich und seine Kollegen als "überzeugte Labour-Loyalisten und unversöhnliche Modernisierer".

Brown verlor auch nie ein Wort der Kritik an Blairs Außenpolitik. Der jüngste Ausbruch fraktioneller Streitigkeiten dagegen ist auf Seiten Browns und seiner Getreuen von der Angst bestimmt, die Labour Partei könnte die nächste Wahl verlieren. Dies hängt jedoch mit der gewaltigen öffentlichen Opposition gegen den Irakkrieg zusammen, die seit 2003 ständig zugenommen hat.

In Kreisen des Establishments herrscht seit langem die Meinung vor, Blair habe als Gegenleistung für seine sklavische Unterstützung der Bush-Regierung im Irak und in Afghanistan recht wenig erhalten.

Die Besetzung des Irak unter Führung der USA war nicht einfach nur ein Desaster, das Land steckt heute de facto mitten im Bürgerkrieg, und in Afghanistan ist das Debakel auch nicht besser. Während sich die Situation der britischen Truppen im Südirak zusehends verschlimmert, werden in Afghanistan zusätzliche Kräfte benötigt. Dort stoßen sie auf starken Widerstand, sowohl aus den Reihen der Besatzungsgegner als auch der lokalen Drogenbarone und der vom Opium- und Heroinhandel abhängigen armen Bauern.

Ist Blair schon durch diese Ereignisse stark beschädigt, so besiegelte seine Unterstützung für den amerikanisch-israelischen Krieg gegen den Libanon sein Schicksal erst recht. Dieses Mal hat der Rückschlag für den britischen Imperialismus das Ausmaß einer nationalen Erniedrigung angenommen.

Einst führte Blair gegen seine Kritiker ins Feld, nur er allein könne mäßigenden Einfluss auf Washington ausüben, weil er sich den Respekt des Weißen Hauses verdient habe. Jetzt hat ihn der Libanon als Bushs Schoßhündchen vorgeführt. Bushs berüchtigter Ausruf "Yo, Blair!" während des G8-Gipfels, bei dem er das Angebot des Premierministers, als Vermittler im Nahen Osten zu agieren, voller Verachtung ausschlug, machte deutlich, wie wenig wirklichen Einfluss Blair genießt.

Die Unterwürfigkeit des Premierministers Washington gegenüber zeigte sich in seiner Weigerung, auch nur pro forma zum Waffenstillstand aufzurufen. Einmal mehr war Blair überzeugt, die überlegene Feuerkraft der USA und ihres israelischen Verbündeten würde ihnen den Sieg sichern. Und einmal mehr ließ ihn die überwältigende Opposition der Öffentlichkeit gegen die israelische Aggression im In- und Ausland kalt.

Selbst als der libanesische Premierminister Fouad Siniora an Blair appellierte, einen sofortigen Waffenstillstand zu unterstützen, und auf die historischen Bindungen zwischen seinem Land und Großbritannien hinwies, schwieg Blair.

Es fiel den Vereinten Nationen zu, die USA und Israel aus der jüngsten Krise zu befreien, die sie im Nahen Osten provoziert hatten. Ein führender UN-Funktionär erklärte Blair rundheraus, er solle sich am besten aus allen Verhandlungen heraushalten, da seine Beziehungen zu Washington zu eng seien.

Im Vereinigten Königreich konnten die Journalisten nur noch neidvoll auf Frankreich starren, das in der Libanonkrise eine Schlüsselrolle spielte und einerseits einen Waffenstillstand forderte, andererseits mit den Vereinigten Staaten einen Kuhhandel über die Führung der UN-Truppen abschloss.

Während sich dieses globale Drama abspielte, wurde Großbritannien durch eine angebliche Terrorverschwörung in eine Sicherheitshysterie gestürzt. Transatlantische Flüge sollten angeblich vom Himmel gebombt werden. Trotz aller Behauptungen über die angebliche ernsteste Bedrohung des Vereinigten Königreichs seit der Gefahr einer Nazi-Invasion konnte nichts den Premierminister dazu bewegen, seine Ferien in der Karibik abzubrechen. Von dort aus ließ er kaum ein Wort verlauten, weder über den angeblichen Terroranschlag, noch über den Libanonkrieg.

Doch diesmal realisierten selbst Blairs rückgratloseste Gegner, dass sie in einen Abgrund blickten, und das nicht nur in Hinblick auf die Wahlen. Jeder weiß, dass der von den USA unterstützte israelische Angriff auf den Libanon nur als Vorspiel für den geplanten großen Nahostkrieg gegen den Iran oder Syrien gedacht war - und dass ein solcher Krieg noch weit schrecklichere Konsequenzen als der Irakkrieg haben würde.

Als die israelische Offensive schlecht ausging, erwartete das Brown-Lager von Blair, einen Zeitpunkt für seinen Rücktritt zu nennen. Als er dies nicht nur unterließ, sondern auch noch ankündigte, er werde auf dem Labour-Parteitag Ende September eine ganze Palette politischer Maßnahmen vorschlagen, um sein "Vermächtnis" sicherzustellen, wurden Rücktrittsgesuche lanciert, um ihn unter Druck zu setzen.

Während die Krise der britischen Außenpolitik in den internen Manövern gegen Blair zumindest einen bruchstückhaften und verzerrten Ausdruck findet, so spielt der andere wichtige Grund für die Regierungskrise überhaupt keine Rolle.

Eng mit der Ablehnung des Irakkriegs verbunden ist die breite Unzufriedenheit mit der reaktionären Innenpolitik der Regierung.

Sie zeigt sich an dem wachsenden Unmut in der Öffentlichkeit über die Angriffe auf Bürgerrechte, die ein integraler Bestandteil der räuberischen Außenpolitik im Nahen Osten sind. Millionen Menschen, die der Meinung sind, dass im Irak auf Grund von Lügen Krieg geführt wird, haben auch zum so genannten "Krieg gegen den Terror" kein größeres Vertrauen. Sie haben erkannt, dass die Terrorgefahr ein Ergebnis von Blairs Kriegspolitik ist, und dass diese Bedrohung manipuliert und übertrieben wird, um Blairs politischen Zielen zu dienen.

Noch wichtiger ist, dass die Feindschaft gegen Blair und die ständig abnehmende Unterstützung für seine Regierung in der beispiellosen sozialen Ungleichheit wurzeln, die unter der Regierung Blair seit ihrem Amtsantritt 1997 enorm zugenommen hat.

Der Hauptgrundsatz von Blairs politischer Philosophie lautet: Die Rolle der Regierung besteht darin, politische Maßnahmen durchzusetzen, die unmittelbar den Interessen der die Weltgeschicke leitenden Finanzoligarchie dienen. Diese herrschende Elite hat durch ihre Vorherrschaft über die globalen Märkte gewaltige Reichtümer aufgehäuft. Diese Politik zielt darauf ab, die alten Mechanismen des Sozialstaats abzuschaffen, die großen Konzerne von Steuern zu befreien, und alle Hindernisse beiseite zu räumen, die der Ausbeutung der Arbeiterklasse im Wege stehen.

Eine Regierung kann sich keine öffentliche Unterstützung sichern, indem sie die große Bevölkerungsmehrheit unterdrückt, um die Taschen der Reichen zu füllen. Aber Blair spekulierte darauf, dass seine Führung gesichert sei, so lange er von Leuten wie Rupert Murdoch unterstützt werde. Seine Arroganz wurde noch durch die Degeneration und den Zerfall der Arbeiterbewegung gefördert, deren offizieller Kopf er selbst ist. Das Ergebnis besteht darin, dass die Interessen und Wünsche der Arbeiterklasse im offiziellen Politikgefüge keinen Ausdruck finden, was es Blair erlaubt, seine Gleichgültigkeit dem Volkswillen gegenüber zu proklamieren.

Die Klassenspannungen werden jedoch immer schärfer, so unklar sie sich auch artikulieren mögen. Millionen ehemaliger Labourwähler wenden sich von der Regierung ab und drohen Labour mit einem wahltechnischen Supergau. Aber das ist nur der Beginn bevorstehender sozialer und politischer Erschütterungen.

Der späte Schritt der Brown-Leute gegen Blair ist wenig mehr als ein verzweifelter Versuch, ihre eigne Haut zu retten und das Projekt New Labour zu erhalten. Sie bieten in der Außenpolitik keine gangbare Alternative für die britische Bourgeoisie, geschweige denn einen Ausweg für die Millionen arbeitender Menschen, die Blair und alles, wofür er steht, loswerden möchten.

Das einzige, was Brown je wollte - und was er nach wie vor fordert - ist eine "stabile und geordnete Übergabe". Aber er hat die politischen Ereignisse genauso wenig in der Hand wie Blair.

Die Labour-Party ist in Wirklichkeit rettungslos aus dem Lot. Aller Wahrscheinlichkeit nach steht ihr ein erbitterter Kampf um die Führung bevor, in dem mehr als ein Kandidat aus dem Blair-Lager gegen Brown antreten wird. Blairs Erklärung von gestern, er werde innerhalb von zwölf Monaten das Feld räumen, wird die erbitterten Diadochenkämpfe nicht verhindern können.

Wer auch immer am Ende die Parteiführung erobert, wird einen Giftbecher überreicht bekommen. In einer Frage hat Blair in der Tat recht: Nicht nur sein politischer Hals steckt in der Schlinge. Auch die Schadenfreude des Führers der Konservativen Partei, David Cameron, die er heute auf Kosten von Labour genießt, wird nicht von langer Dauer sein.

Auch die Konservativen sind in Fragen der Außenpolitik gespalten. Sie sind immer noch höchst unpopulär und ohne jede substantielle soziale Basis. In Großbritannien entwickelt sich nicht die Krise eines Mannes oder selbst einer Partei, sondern eine Krise der politischen Herrschaft.

Siehe auch:
Großbritannien: Labour-Regierung legt Entwurf für einschneidende Sozialreform vor
(31. August 2006)
Großbritannien: Blair will Menschenrechtsgesetz aufheben
( 25. Mai 2006)
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