Bush-Regierung bestreitet Verantwortung für Folter an Kanadier

Der amerikanische Justizminister Alberto Gonzalez hat öffentlich bestritten, dass die Bush-Regierung für die gut dokumentierte Folter an einem kanadischen Staatsbürger verantwortlich sei, der vor vier Jahren von amerikanischen Beamten in New York City festgenommen wurde. Er tat dies am selben Tag, an dem Präsident Bush vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen über Demokratie schwadronierte, dem Iran und anderen Ländern drohte, und an dem Regierung und führenden Kongressmitglieder über den exakten Wortlaut eines Gesetzes verhandelten, das der CIA das Foltern offiziell erlauben soll.

Maher Arar war 31 Jahre alt und Computerfachmann, als er im Oktober 2002 von der US-Einwanderungsbehörde am New Yorker Kennedy-Flughafen beim Umsteigen in ein Flugzeug nach Montreal festgehalten wurde. Über eine Woche lang wurde er in den Vereinigten Staaten verhört, da eine falsche Beschreibung von Seiten der kanadischen Polizei ihn als Mitglied von Al Qaida auswies.

Arar wurde in einem Flugzeug der CIA nach Jordanien gebracht, dann über die Grenze in sein Herkunftsland Syrien verfrachtet. Er wurde zehn Monaten lang heftiger Folter ausgesetzt und gestand unter diesen Bedingungen den Besuch eines Ausbildungslagers von Al Qaida in Afghanistan. Schließlich kamen jedoch syrische, US-amerikanische und kanadische Behörden zu dem Schluss, dass keine wirklichen Beweise gegen Arar vorliegen. Nach einem Jahr in einem syrischen Gefängnisloch wurde Arar an kanadische Beamte übergeben und nach Hause gebracht.

Ein staatlicher kanadischer Untersuchungsausschuss unter Vorsitz des Obersten Bundesrichters Dennis O'Connor veröffentlichte nach zweijähriger Tätigkeit am 18. September seinen Abschlussbericht. Der Bericht beschuldigt die kanadische Polizei, falsche Angaben zu Arar gemacht zu haben, und wirft der US-Regierung vor, den kanadischen Bürger entführt und ihn an Folterer des syrischen Regimes überstellt zu haben. Syrien wird von der Bush-Regierung öffentlich als Terrorismus fördernder Staat bezeichnet.

Als Antwort auf den kanadischen Bericht sagte der amerikanische Justizminister Alberto Gonzalez am Dienstag auf einer Pressekonferenz: "Wir waren für seine Verlegung nach Syrien nicht verantwortlich." Gleichzeitig erklärte er: "Ich weiß nichts davon, dass er gefoltert wurde."

Als daraufhin ein Aufschrei durch die Medien ging - insbesondere in Kanada, wo der Fall Arar mittlerweile sehr bekannt ist - nahm ein Vertreter des Justizministeriums das ursprüngliche Dementi zurück und gab zu, dass die US-Regierung tatsächlich für Arars Überstellung an Syrien verantwortlich war, spielte aber Letzteres herunter. Der Vertreter behauptete, Minister Gonzalez habe nur die Verantwortung des Justizministeriums für die Abschiebung nach Syrien bestritten, da die Einwanderungsbehörde mittlerweile dem Heimatschutzministerium unterstellt ist - auch wenn diese zum Zeitpunkt von Arars Festnahme 2002 noch zum Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums gehörte.

Gonzalez behauptete auch, dass Arars Festnahme nicht ungesetzlich war. "Herr Arar wurde gemäß unseren Einwanderergesetzen abgeschoben. Er wurde ursprünglich festgenommen, weil sein Name auf einer Liste von Terrorverdächtigen stand, und er wurde in Übereinstimmung mit unseren Gesetzen abgeschoben", sagte der Justizminister.

Wenn das wahr ist, so zeigt es lediglich, dass die existierenden amerikanischen Gesetze, die die Bush-Regierung als unzureichend für den "Krieg gegen den Terror" bezeichnet, der Regierung und den staatlichen Behörden bereits jetzt ausreichend Macht und Befugnis geben, einem unschuldigen Mann himmelschreiendes Unrecht zuzufügen, ohne dass jemand dafür zur Verantwortung gezogen wird.

Gonzalez führte auch an, dass Arars Festnahme und seine Verlegung nach Syrien nicht Teil der "außergewöhnlichen Überstellungsflüge" ("renditions") waren, jener berüchtigten CIA-Praxis, bei der Einzelpersonen im Ausland festgenommen und in Drittländer gebracht werden, wo man sie unter Folter verhört. Der Grund für diese Feststellung: Arar wurde auf amerikanischem Boden verhaftet, nicht im Ausland, so dass seine Verlegung eine Abschiebung und keine Überstellung war. Diese juristische Wortklauberei lässt die Folterspuren an Seele und Körper des Opfers allerdings nicht verschwinden.

Der Justizminister behauptet auch, die US-Regierung habe sich von syrischen Beamten zusichern lassen, dass Arar, der in Syrien aufwuchs und mit 17 Jahren nach Kanada emigrierte, nicht gefoltert würde. Nach Arars Darstellung, die von dem 800 Seiten starken Bericht des kanadischen Untersuchungsausschusses gestützt wird, wurde er derart häufig und stark mit einem Metallkabel geschlagen, dass dieses schließlich riss. Er war ein Jahr lang in einer Zelle eingesperrt, die kleiner als ein Grab war: 90 Zentimeter mal 1,80 Meter mal 2 Meter.

In Interviews mit kanadischen und US-amerikanischen Medien wandte sich Arar gegen die Lügen von Gonzalez und anderen Sprechern der US-Regierung. "Ich glaube nicht, dass sie in dieser Sache die Wahrheit sagen", erklärte er. "Sie haben mich an ein Land ausgeliefert, dass sie für einen Förderer des Terrorismus halten und das bekanntermaßen foltert."

"Die Tatsachen sprechen für sich", sagte er im öffentlichen Rundfunk. "Der Bericht kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass ich gefoltert wurde. Es ist wirklich empörend, wenn er sagt, er wisse nichts über den Fall oder darüber, dass ich gefoltert wurde."

Der staatliche kanadische Untersuchungsbericht führt eine Reihe von Details über das Vorgehen der amerikanischen und kanadischen Sicherheitsbehörden im Fall Arar auf:

* Die kanadische Polizei führte Arar als Mitglied von Al Qaida, weil er vor einem Vereinshaus im Gespräch mit einer anderen verdächtigten Person (gegen die auch keine Beweise vorlagen) aus der kleinen muslimischen Gemeinde in Montreal beobachtet wurde.

*Diese Schuldzuweisung aufgrund einer Bekanntschaft wurde auch auf Arars Ehefrau ausgeweitet, eine an der Universität beschäftigte Wirtschaftswissenschaftlerin, die ebenfalls auf der "Beobachtungsliste" mutmaßlicher Mitglieder von Al Qaida landete. Auch die zwei kleinen Kinder von Arar wurden in die Liste aufgenommen.

*Die kanadische Polizei behauptete gegenüber der US-Bundespolizei FBI fälschlich, dass sich Arar am 11. September 2001 in Washington aufgehalten und jede Aussage zu angeblichen Terrorverbindungen verweigert habe.

*Das FBI wiederum belog die kanadische Polizei in Hinblick auf seine Pläne, Arar zu verhören. Die US-Behörden brachten ihn nach Syrien, während sie gleichzeitig zu verstehen gaben, dass sie Arar lediglich die Einreise in die Vereinigten Staaten verweigert und ihn zur Rückkehr in die Schweiz gezwungen hätten, von wo sein Flug kam.

*US-Beamte verweigerten Arar den gewünschten Kontakt mit dem kanadischen Konsulat in New York und verstießen damit gegen internationale Abkommen zur Behandlung von Reisenden.

Die Bush-Regierung hat sich wiederholt geweigert, Verantwortung für die irrtümliche Inhaftierung und die Folter an Arar zu übernehmen. Sie versuchte darüber hinaus, jede Untersuchung des Falls zu verhindern. Seit 2004 weigern sich amerikanische Vertreter mit dem staatlichen kanadischen Untersuchungsausschuss zusammenzuarbeiten.

Gleichzeitig versuchte die Bush-Regierung, sämtliche gerichtlich vorgetragenen Entschädigungsforderungen Arars abzuwenden. Die Mitarbeiterin im Justizministerium Mary Mason teilte im vergangenen Jahr einem Bezirksgericht in Brooklyn, New York, mit, dass internationale Passagiere auf US-Flughäfen praktisch keine Rechte besäßen, selbst wenn sie sich nicht in den Vereinigten Staaten aufhalten, sondern nur von einem Flugzeug in das nächste umsteigen wollten.

Sie könnten verhaftet und ohne Anwesenheit eines Anwalts verhört werden, ihnen könne die Einreise ebenso verweigert werden wie die Versorgung mit Wasser und Essen während des Gewahrsams. Sie könnten unbegrenzt in amerikanischen Gefängnissen eingesperrt werden. Das einzige verbotene Vorgehen sei die "grobe körperliche Misshandlung", erklärte Mason. Mit anderen Worten: Wenn es nach der Bush-Regierung geht, so haben internationale Flugreisende die gleichen Rechte wie Gefangene in Guantanamo Bay.

Der Bundesrichter David Trager hat bereits eine Klage Arars gegen die US-Regierung abgelehnt und dabei die Behauptung der Regierung übernommen, dass seine Klage schon aufgrund eines "Sonderrechts zum Schutz von Staatsgeheimnissen" abgewiesen werden könne. Diese Entscheidung wird derzeit in einem Revisionsverfahren überprüft.

Siehe auch:
Bush-Regierung und CIA-Gefängnisse: Eine neue Lügenkampagne
(20. September 2006)
Bush gibt Existenz von Geheimgefängnissen zu
( 9. September 2006)
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