Was steckt hinter den Terroranschlägen in der Türkei?

Ende August explodierten in drei türkischen Städten innerhalb von 24 Stunden fünf Bomben, von denen drei Menschen getötet und über 120 verletzt wurden, darunter auch ausländische Touristen. Neben der Metropole Istanbul waren die Touristenstädte Marmaris und Antalya Ziel der Attentate.

Zu den Anschlägen bekannte sich eine Gruppe namens TAK (Freiheitsfalken Kurdistans). In ihrem Bekennerschreiben forderte sie Ausländer auf, touristischen Gebieten in der Türkei fernzubleiben. Solange sich der Führer der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), Abdullah Öcalan, genannt "Apo" in Gefangenschaft befinde, "werden überall in der Türkei unsere Bomben hochgehen". Im vergangenen Jahr hatte sich diese Organisation eines ähnlichen Terrorangriffs im Badeort Kusadasi bezichtigt. Dort wurde ein Minibus in die Luft gesprengt, es gab mehrere Todesopfer.

Es ist ausdrücklich beabsichtigt, dass Touristen zu Opfern werden. Die TAK begründet dies damit, dass der Tourismus eine der wichtigsten Einnahmequellen für "den schmutzigen Krieg" gegen die Kurden sei. 2005 nahm das Land von seinen 21,5 Millionen Gästen umgerechnet mehr als 14 Milliarden Euro ein. Der Anteil der Urlaubsbranche an der Wirtschaftsleistung liegt bei etwa fünf Prozent. Rund 1,5 Millionen Menschen finden hier Beschäftigung. "Erfolge" der Terrorattentate würden im Verlust von Arbeitsplätzen vieler türkischer - und kurdischer - Arbeiter im Hotelbereich und anderen vom Tourismus abhängigen Gewerbezweigen bestehen.

Diese Taktik ist durch und durch kriminell und reaktionär. Sie kann nur die rechtesten Kräfte im türkischen Establishment und ihre Hintermänner auf internationaler Ebene, in der US-Regierung und anderswo, stärken. In der arbeitenden Bevölkerung der Türkei und anderer Länder erzeugen solche Verbrechen nicht mehr Verständnis für die Kurden, sondern sie diskreditieren sie und spalten die Arbeiterklasse.

Hinter der scheinbaren Radikalität verbirgt sich ein abgrundtiefer politischer Opportunismus. Die Kalkulation geht dahin, den von der TAK als "faschistisch" denunzierten türkischen Staat zu einer Übereinkunft mit den kurdischen Nationalisten zu zwingen. Für die verarmte und unterdrückte kurdische Bevölkerung in der Türkei würden sich dadurch die Lebensumstände nicht verbessern.

Wer ist die TAK und woher kommt sie?

Die Ursprünge der TAK liegen weitgehend im Dunkeln, insbesondere ihre Beziehung zur wesentlich älteren und einflussreicheren PKK ist umstritten. Beide erklären offiziell, vollkommen unabhängig voneinander zu sein. Manche Unterstützer der PKK behaupten sogar, bei der TAK handele es sich um Provokateure des türkischen Staates, mit denen der "Friedenskurs" der PKK sabotiert werden solle.

Dies ist aber ebenso wenig zu belegen wie die offizielle türkische Position, die auch von der US-Regierung geteilt wird, die TAK sei lediglich eine Art Frontorganisation der PKK. Diese hat die jüngsten Terroranschläge verurteilt und den Opfern ihr Beileid ausgesprochen.

Sicher erscheint gegenwärtig nur so viel: Die TAK trat erstmals im Jahr 2004 in Erscheinung. Kurdischen Quellen zufolge rekrutiert sie sich aus desillusionierten ehemaligen PKK-Anhängern aus dem studentischen Milieu sowie aus Jugendlichen aus den Elendsvierteln türkischer Großstädte, deren Familien von der türkischen Armee aus dem kurdischen Südostanatolien vertrieben wurden. Die TAK bekannte sich zu Anschlägen auf zivile, vorwiegend touristische Ziele und warnte: "Wenn die chauvinistische und repressive Politik gegen das kurdische Volk fortgesetzt wird, werden wir unsere Aktionen in kontinuierlicher Form fortsetzen." Von Beginn an erklärte sie ihre Loyalität zum "Vorsitzenden Apo" [Abdullah Öcalan]. Ihr Auftauchen fiel damit in eine Zeit erbitterter Richtungskämpfe in der PKK.

Diese hatte sich zuvor mehrmals umbenannt, zuletzt im November 2003 in Kongra-Gel [Kurdischer Volkskongress]. Das Gründungsprogramm des Kongra-Gel unterstützte die Invasion und Besetzung des Irak durch die USA und den EU-Beitritt der Türkei und bekannte sich zur Achtung der Integrität des türkischen Staats. Die einzige Reaktion der USA und der EU auf diese Absage an die einstigen separatistischen Ziele der PKK bestand darin, dass sie auch den Kongra-Gel offiziell als "terroristische Organisation" einstuften.

Eine Gruppe um Osman Öcalan, den Bruder von "Apo", spaltete sich daraufhin ab und biederte sich unter dem Namen PWD (Patriotische Demokratische Partei) noch stärker an den türkischen Staat und die amerikanischen Besatzer an, allerdings ohne großen Erfolg. Die PKK/Kongra-Gel dagegen kündigte im Juni 2004 ihren einseitigen Waffenstillstand gegenüber der Türkei auf.

Führer der PWD waren zumeist langjährige PKK-Kader, unter ihnen auch Hidir Sarikaya. Er behauptet laut der konservativen deutschen Tageszeitung Die Welt, er sei im August 2003 von Murat Karayilan, einem "Apo" ergebenen PKK-Führer, über die Gründung der TAK informiert worden. Ihm selbst sei vor der Spaltung mit der PKK die Führung einer neu zu gründenden Einheit angeboten worden, die ausschließlich Terror gegen Zivilisten ausüben sollte; er habe aber abgelehnt. Sarikaya zufolge ist die TAK den "Spezialeinheiten" des militärischen Flügels der PKK untergeordnet und wird von einem syrischen Kurden geführt (Feyman Hüseyin).

Diese Version ist durchaus mit Vorsicht zu genießen. Sarikaya hat ein politisches Interesse daran, sich auf Kosten seiner früheren Kameraden bei der Türkei und ihren Verbündeten einzuschmeicheln. Auch mit der Glaubwürdigkeit diverser, von türkischen Quellen präsentierter "Geständnisse" angeblicher TAK-Mitglieder und "Erkenntnissen" des türkischen Geheimdienstes ist es nicht allzu weit her. Die türkischen Sicherheitsdienste sind für ihre Provokationen ebenso berüchtigt wie für ihre Foltermethoden.

Die PKK hat offiziell nie Anschläge auf zivile Ziele unterstützt und kämpft in der Regel nur gegen staatliche Sicherheitsorgane. Gleichzeitig lehnt sie aber einen gemeinsamen Kampf der kurdischen und türkischen Arbeiterklasse und unterdrückten Massen ab und weist letzterer eine Mitverantwortung für die repressive und chauvinistische Politik des türkischen Staates zu. Auf dieser Grundlage entstand sie Ende der 70er Jahre. Ihre Antwort auf die Kurdenfrage bestand darin, mit einem Wechsel von Anschlägen und Friedensangeboten die Gunst einer imperialistischen Macht für sich zu gewinnen und mit deren Hilfe einen Flügel des türkischen Establishments zu einer Übereinkunft zu bewegen.

Dies ist ihr allerdings nie gelungen. Die Türkei wird vom Militär dominiert, das jedes Zugeständnis an die PKK strikt ablehnt. Aufgrund ihrer geografischen Lage zwischen Europa, dem Kaukasus und dem Nahen Osten sind die EU und die USA an den Kurden zwar mitunter als Druckmittel interessiert, letztlich war ihnen das türkische Militär aber stets wichtiger.

Auch jetzt spricht vieles dafür, dass die Terroranschläge der TAK die Kurdenpolitik der Türkei verschärfen und nicht abschwächen werden. Sie kamen zeitgleich mit dem Wechsel an der Spitze des türkischen Generalstabes. Der scheidende Hilmi Özkök hatte sich noch um eine relativ gemäßigte Politik bemüht und im Interesse eines türkischen EU-Beitritts eine begrenzte Liberalisierung ohne großen Widerstand hingenommen.

Sein Nachfolger, Yasar Büyükanit, machte schon in seiner Antrittsrede unverhohlen deutlich, dass er jede Kritik an der Armee, jedes Eintreten für Demokratie und Menschenrechte als Separatismus und Terrorismus zu verfolgen gedenkt. Vor wenigen Monaten war er in die so genannte Semdinli-Affäre verwickelt: Armeeangehörige verübten Terroranschläge in der Südosttürkei, die dann der PKK in die Schuhe geschoben werden sollten. Auch wenn es keine Beweise dafür gibt, dass er mit den jüngsten Bombenangriffen der TAK etwas zu hat, kamen sie jedenfalls wie bestellt.

Es ist gut möglich, dass Büyükanit außenpolitisch einen weniger an der EU und mehr an den USA orientierten Kurs fahren wird. Die sich als liberal gebende englischsprachige Zeitung The New Anatolian pries sein rücksichtsloses Vorgehen gegen die Kurden ebenso wie seine pro-amerikanische Orientierung: "General Yasar Büyükanit hat uns als guter Diplomat beeindruckt, wie auch als fähiger Soldat, der sich in der Südosttürkei und der Kurdenfrage gut auskennt. Er ist auch in Hinsicht auf den Nordirak erfahren, der in den nächsten zwei Jahren eine der wichtigsten außenpolitischen Fragen sein wird. Er weiß sehr genau, welche Bedeutung die Vereinigten Staaten für unsere Außenpolitik hat, und kennt den Wert, ein enger Verbündeter Washingtons zu sein. Auch die USA sind sich des Wertes des Generals bewusst, und deshalb wurde ihm letztes Jahr in Washington auch so ein warmer Empfang bereitet."

Die ebenfalls als liberal und pro-westlich geltende Zeitung Radikal hofft, dass die Türkei sich durch eine Beteiligung an der UN-Truppe für den Libanon Rückendeckung für ein Vorgehen gegen die Kurden verschaffen kann. "Es bedeutet nicht das Ende der Welt, nur weil die Türkei 1.000 Soldaten in den Libanon schickt", schreibt sie. "Diese symbolische Geste wird es der Türkei aber leichter machen, seine lebenswichtigen Interessen zu verteidigen."

Verschärfte Repressionen im Innern verbunden mit Söldner-Diensten nach außen - das ist der Kurs, den die politische Elite der Türkei zurzeit einschlägt. Er wird ihr durch die Terrorakte der TAK erleichtert, tatsächlich reagiert sie damit aber auf scharfe soziale Spannungen. Die Vorgaben des IWF und der EU, die auf einschneidende Marktreformen drängen, haben in den letzten Jahren zur Verarmung breiter sozialer Schichten geführt. Die Türkei ist wirtschaftlich, finanziell und militärisch von der EU, vor allem aber von den USA abhängig.

Siehe auch:
Türkei: Proteste gegen Bombenanschlag durch Todesschwadronen
(18. November 2005)
Türkei/Irak: PKK-Nachfolgeorganisation gespalten
( 8. September 2004)
PKK-Nachfolgeorganisation biedert sich bei den USA an
( 11. März 2004)
Die Politik der PKK - eine Bilanz
( 3. März 1999)
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