Niederlande: Zwei Minister treten nach Veröffentlichung des Untersuchungsberichts zum Brand in Schiphol zurück

Der am 20. September veröffentlichte Untersuchungsbericht zum Brand im Abschiebegefängnis am Amsterdamer Flughafen Schiphol hat das regierende Minderheitskabinett aus Christlich-Demokratischem-Appell (CDA) und der rechtsliberalen Partei für Freiheit und Demokratie (VVD) unter Ministerpräsident Jan-Peter Balkenende (CDA) erneut in eine Krise gestürzt. Die von der niederländischen Sicherheitsbehörde durchgeführte Untersuchung warf dem Bauministerium, dem Innenministerium sowie dem Ministerium für Integration schwere Versäumnisse vor.

Als Konsequenz traten Justizminister Piet-Hein Donner (CDA) und die Ministerin für Wohnungswesen, Raumordnung und Umwelt, Sybilla Dekker (VVD), von ihren Ämtern zurück. Ihren Ministerien oblagen der Bau, der Betrieb und die Kontrolle des Gefängnisses.

Die ebenso mitverantwortliche Ministerin für Einwanderung und Integration, Rita Verdonk (VVD), wird hingegen nicht nur ihr Amt behalten, sondern nach einer Entscheidung des Ministerpräsidenten auch das Justizministerium kommissarisch übernehmen. Zusammen mit Innenminister Johan Remkes (VVD) wird sie das Ministerium bis zu den vorgezogenen Neuwahlen am 22. November leiten. Ihr fällt damit auch die Rolle zu, die Regierung bei der bevorstehenden Parlamentsdebatte über den Bericht der Kommission zu vertreten. Dabei trägt Rita Verdonk die politische Verantwortung für den Tod der Flüchtlinge. Unter der Leitung ihres Ministeriums erreichte die menschenverachtende, fremdenfeindliche Politik in den Niederlanden einen vorläufigen Höhepunkt.

Seit dem Antritt der Mitte-Rechts-Koalition unter Ministerpräsident Jan-Peter Balkenende (CDA) wurde das Asylrecht faktisch abgeschafft und durch Schnellverfahren ersetzt. Flüchtlingen ohne gültige Papiere wird beispielsweise das Recht auf Asyl per se abgesprochen. Menschen, die sich ohne Papiere im Land aufhalten, werden von der eigens geschaffenen Ausländerpolizei, deren Befugnisse permanent ausgeweitet werden, regelrecht gejagt.

So ist das Feuer in der Abschiebehaftanstalt eine Folge der Kriminalisierung und Verfolgung von Flüchtlingen. Die meisten Opfer des Gefängnisbrandes am Amsterdamer Flughafen waren Abschiebehäftlinge, die alleine aufgrund fehlender Papiere dort eingesperrt waren. Viele der Opfer saßen bereits monatelang in dem Gefängnis.

Bei dem Feuer am 27. Oktober 2005 kamen elf Flüchtlinge ums Leben, deren Asylanträge abgelehnt worden waren. Fünfzehn weitere wurden verletzt, teilweise schwer. Bereits direkt nach dem Brand wurden Vorwürfe gegen die damalige Koalition aus CDA, VVD und den Demokraten `66 (D`66) erhoben, denn die Mängel waren seit langem bekannt. Die Bausubstanz entsprach bei weitem nicht den Feuerschutzrichtlinien. So gab es beispielsweise keine brandhemmende Beschichtung der Türen im Gebäudekomplex, und die Trennwände zwischen den Zellen bestanden aus leicht entflammbarem Kunststoff. Außerdem fehlte eine Einrichtung, um die Zellentüren zentral zu entriegeln und so die Inhaftierten schnell in Sicherheit bringen zu können.

Wie sich im Zuge der Ermittlungen herausstellte, waren dem Aufsichtspersonal die eklatanten Sicherheitsmängel bekannt. Die im Gefängnis Beschäftigten wandten sich lange vor dem Brand in einem Brief an die Gefängnisleitung, um auf die Mängel hinzuweisen. In den Befragungen durch die Untersuchungskommission stellte sich außerdem heraus, dass das Personal weder Schulungen zum richtigen Verhalten im Brandfall hatte, noch um die Existenz des Sicherheits- und Evakuierungsplanes wusste.

Während die Bevölkerung mit Trauer, Entsetzen und Wut auf die Katastrophe reagierte, bestand die Reaktion der verantwortlichen Minister in Abwiegeln, Kleinreden und Denunziation der Flüchtlinge als Drogenkuriere und Schwerstverbrecher. Sowohl Donner als auch Verdonk hatten direkt nach dem Brand die Reaktion des Personals und der verantwortlichen Behörden als "adäquat" bezeichnet - ohne auch nur auf eine erste, oberflächliche Untersuchung zu warten. Justizminister Donner erklärte ferner öffentlich, die Sicherheitseinrichtungen des Gefängnisses seien ausreichend gewesen.

Die Koalition bewies in der weiteren Entwicklung, dass sie unter allen Umständen an ihrer fremdenfeindlichen und rassistischen Politik festhalten wolle. Rita Verdonk hob den auf öffentlichen Druck hin erlassenen Abschiebestopp bereits im Dezember - also nur fünf Wochen nach der Katastrophe - wieder auf. Sie setzte auch die Abschiebung derjenigen Flüchtlinge durch, bei denen eine Befragung durch die Untersuchungskommission noch ausstand. Dabei hatte sie sich zuvor noch mit der Untersuchungskommission darauf geeinigt, zumindest die Überlebenden der Brandkatastrophe nicht abzuschieben.

Justizminister Donner zwang im Dezember die Gemeinde Haarlemmermeer, der die direkte Aufsicht über das Abschiebegefängnis Schiphol obliegt, die Schließung der Anlage zum 24. April dieses Jahres zurück zu nehmen. Er bediente sich dabei des äußerst selten angewandten Mittels des königlichen Dekrets. Darin hieß es, der Betrieb des Gefängnisses liege im öffentlichen Interesse. Die Gemeindeverwaltung von Haarlemmermeer hatte den weiteren Betrieb des Gefängnisses wegen der Sicherheitsmängel als unmöglich betrachtet und gegen den Willen des Justizministers geschlossen.

Die Ermittler beklagten außerdem, dass ihnen erst Monate nach dem Brand ungenaue Namenslisten der Insassen übergeben worden seien. Nachdem die Parlamentarier einen ersten Vorabbericht der Untersuchungskommission erhalten hatten, warf der Justizminister der Kommission politische Voreingenommenheit vor und behauptete, sie arbeite gegen die Regierung.

Der nun veröffentlichte Bericht konstatiert die schweren baulichen Mängel und die mangelhafte Ausbildung des Personals. Laut der Kommission tragen das Ministerium für Justiz, das Ministerium für Wohnungswesen und die kommunale Verwaltung Haarlemmermeer die Verantwortung dafür. Das Vorgehen des Personals war fehlerhaft, und keineswegs "adäquat", wie Verdonk und Donner erklärt hatten.

Ebenso gab es gravierende Mängel bei der Versorgung der Überlebenden (wogegen enorme Ressourcen eingesetzt wurden, um die Flüchtlinge, die den Brand zur Flucht genutzt hatten, wieder zu ergreifen). Laut Bericht hätte es keine, oder zumindest deutlich weniger Tote und Verletzte gegeben, wenn die niederländischen Verantwortlichen nur die rechtlichen Sicherheitsbestimmungen eingehalten hätten.

Unausgesprochen bleibt die grundsätzliche Verantwortung der gesamten Balkenende-Regierung. Der christdemokratische Ministerpräsident hatte bereits mit der rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Liste Pim Fortuyn (LPF) koaliert. Diese rund 80 Tage amtierende Regierung drückte das gesamte politische Establishment nach rechts. Damit bereitete sie den Weg für die rechte Politik der Integrationsministerin Verdonk.

Die von der Regierung praktizierte Fremdenfeindlichkeit soll sowohl die soziale Kürzungspolitik kaschieren und Ausländer und Flüchtlinge als Sündenböcke darstellen, als auch polizeistaatliche Maßnahmen rechtfertigen. Dies hatte in Umfragen dazu geführt, dass die Balkenende-Regierung auf einen historischen Tiefststand fiel. Die Bevölkerung lehnt die Politik der Regierung - auch die Abschottungs- und Abschiebepraxis Rita Verdonks - mehrheitlich ab. Trotzdem hält Balkenende auch nach dem jetzt vorgelegten Untersuchungsbericht an seiner Ministerin fest. Mit anderen Worten, die Politik gegen die gesamte Bevölkerung wird weitergehen.

Siehe auch:
Fire kills at least 11 at Amsterdam airport detention center
(28. Oktober 2005)
Niederlande: Überlebende der Brandkatastrophe von Schiphol werden abgeschoben
( 7. Dezember 2005)
Niederlande: Regierung Balkenende am Ende
( 4. Juli 2006)
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