Sri Lanka

Regierung behindert Untersuchung über Mord an internationalem Hilfspersonal

Das Hin und Her bei der offiziellen Untersuchung über den Mord an siebzehn Mitarbeitern der französischen Hilfsorganisation Action contre la Faim (ACF) im vergangenen Monat deutet auf ein Vertuschungsmanöver der srilankischen Regierung hin. Die Sicherheitskräfte sind direkt in das Verbrechen verwickelt.

Das Hilfspersonal wurde am 4. August auf dem Gelände der ACF in der Stadt Muttur im Osten der Insel ermordet und am folgenden Tag aufgefunden. Fünfzehn ACF-Mitarbeiter lagen nebeneinander aufgereiht und waren mit Kopfschüssen buchstäblich hingerichtet worden. Zwei weitere wurden erschossen, als sie zu fliehen versuchten. Die meisten Ermordeten waren jung, und bis auf einen Moslem waren alle Tamilen.

Die Morde ereigneten sich nach heftigen Kämpfen zwischen dem Militär und den Befreiungstigern von Tamil Eelam (LTTE) um die Kontrolle von Muttur. Die LTTE hatte am 1. August Teile der Stadt eingenommen, nachdem die staatlichen Streitkräfte eine größere Offensive zur Eroberung der Bewässerungsschleusen von Mavilaru südlich von Muttur begonnen hatten. Als die Armee die Stadt unter Beschuss nahm, flohen etwa 40.000 der vorwiegend muslimischen Bewohner. Die LTTE zog sich später wieder zurück.

Staatliche Stellen bestritten von Anfang an, dass die Armee an den Morden beteiligt war. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums Keheliya Rambukwella erklärte am 7. August, die Regierung könne nachweisen, dass die LTTE für das Verbrechen verantwortlich sei, doch bislang blieb sie jeden Beweis für diese Behauptung schuldig.

Die Morde riefen große Empörung hervor, und ACF sowie andere Stellen forderten eine internationale Untersuchung des Vorfalls. Der srilankische Präsident Mahinda Rajapakse stimmte zwar einer internationalen Kommission zur Nachforschung über "Verschwundene" und willkürliche Hinrichtungen zu, aber es wurden keinerlei Schritte unternommen, um ein solches Gremium einzurichten. Stattdessen wurde die Untersuchung der Morde in den Händen einer Justizkommission unter der Leitung eines Schiedsmanns belassen.

Die Sri Lanka Monitoring Mission (SLMM), die den Waffenstillstand von 2002 überwacht, führte ihre eigene Untersuchung durch. Am 30. August veröffentlichte SLMM-Leiter Ulf Henricsson eine Erklärung, in der die Armee für die Morde verantwortlich gemacht wird. Mitarbeiter der SLMM sprachen mit Krankenhausangestellten, Polizisten, den Familien der Opfer und andere Zeugen. "Außer den Sicherheitskräften gibt es keine andere bewaffnete Gruppe, die diese Tat begangen haben könnte", lautet die Schlussfolgerung in der SLMM-Erklärung.

Umgehend verurteilte die Regierung die SLMM. Regierungssprecher Rambukwella bezeichnete die Erklärung als "völlig substanzlos", "armselig" und "voreingenommen". Aber als einzigen Gegenbeweis bot er den ungenauen offiziellen Autopsiebericht an, der zu dem Ergebnis kommt, dass die Helfer eventuell schon am 3. August gestorben sind, d.h. zu einem Zeitpunkt, als noch die LTTE in Muttur war. Entgegen dem normalen Verfahren wurde die Autopsie allerdings von einem Jungmediziner aus Anuradhapura durchgeführt und nicht von Ärzten am Krankenhaus von Trincomalee, wohin die Leichen ursprünglich gebracht worden waren.

Die Regierung forderte australische Gerichtsmediziner an, um eine weitere Autopsie durchführen zu lassen. Nur zwei der Leichen wurden exhumiert. Der Amtsschimmel und bürokratisches Gerangel um die "Modalitäten" der Untersuchung verhinderten, dass die Australier die Leichen in Augenschein nehmen konnten. Vergangene Woche fuhren sie wieder nach Hause, ohne irgendeine forensische Arbeit geleistet zu haben.

Am 5. September wurde die gerichtliche Voruntersuchung von dem Gericht in Kantalai nahe Muttur ins mehr als 100 Kilometer entfernte Anuradhapura verlegt. Justizminister Suhada Gamlath ordnete die Verlegung unter Verletzung der üblichen juristischen Vorgehensweise an. Nach srilankischem Recht muss jede Untersuchung zunächst in dem Justizbezirk durchgeführt werden, in dem das Verbrechen stattfand. Kanatalai wurde ursprünglich ausgewählt, weil Muttur durch die Kämpfe zerstört ist.

K. Ratnavale, der Anwalt der Opferfamilien der erklärte gegen über der World Socialist Web Site, die Entscheidung bedeute eine offene politische Einmischung in die Unabhängigkeit der Justiz. Er sagte, der Minister habe kein Recht, den Fall zu verlegen, da dies Sache der Justizkommission sei.

Die Entscheidung ist nicht einfach eine formale oder juristische Frage. Anuradhapura ist eine mehrheitlich von Singhalesen bewohnte Stadt, die schon seit langem als Aufmarschgebiet der Armee für den Krieg gegen die LTTE dient. Die Verlegung wird tamilische Zeugen einschüchtern, darunter auch die Angehörigen der Opfer, und sie von der Teilnahme an den Verhandlungen abzuhalten. Wer doch teilnimmt, muss mit Drohungen von Seiten der Armee und Protesten von extremistischen singhalesischen Gruppen rechnen.

Der Gerichtsreporter Kishali Pinto Jayawardena schrieb am 10. September in der Sunday Times : "Die Verlegung aufgrund einer politischen Anordnung (des Justizministers) ist ein recht plumper Versuch, das gerichtliche Verfahren zu beeinflussen. Anuradhapura liegt in der Zentralen Nordprovinz (einer mehrheitlich singhalesisch geprägten Region), wo man angesichts der enormen Sensibilität dieses Falles damit rechnen muss, was auch durchaus verständlich ist, dass Zeugen zögern, sich zur Verfügung zu stellen. Ganz anders wäre das, wenn der Fall weiterhin im Bezirk Trincomalee verhandelt würde."

Der Fall wurde am 20. September im Gericht von Anuradhapura von Richter W. Jinadasa, einem Singhalesen, wieder aufgenommen. Keiner der Zeugen und Verwandten erschien vor Gericht. Der Richter verlegte den Fall wieder nach Kantalai, behielt ihn allerdings unter seinem Vorsitz. Entschieden werden sollte lediglich über die Exhumierung der Leichen. Die Polizei erklärte, nur die Verwandten von zwei Opfern hätten ihr Einverständnis gegeben. Rechtsanwalt Ratnavale teilte dem Gericht jedoch mit, dass alle Verwandten die Exhumierung befürworteten. Daraufhin war der Richter gezwungen, die Ausgrabung aller Leichen anzuordnen.

Armee, Polizei und chauvinistische singhalesische Parteien wie die Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) verhalten sich nicht zum ersten Mal feindselig gegenüber internationalen Hilfsorganisationen wie der ACF, die in den Kriegsgebieten im Norden und Osten der Insel arbeiten. Die Vertreter und einheimischen Beschäftigten dieser Organisationen werden regelmäßig als "Handlanger der LTTE" beschimpft und bedroht.

Im Mai wurden in der Nähe der Büros von drei internationalen Hilfsorganisationen in Muttur Handgranaten geworfen, die einen Ausländer und mehrere einheimische Zivilisten verwundeten. Die Organisationen hatten Tsunami-Opfern geholfen, deren Dörfer und Städte an der Ost- und Südküste Sri Lankas im Dezember 2004 zerstört worden waren. Die Regierung versprach eine Untersuchung über die Handgranatenangriffe, aber nichts geschah. Die drei Organisationen haben das Land inzwischen verlassen.

Der brutale Mord an den ACF-Mitarbeitern ist nur eines der Verbrechen, an denen die srilankische Armee beteiligt ist. Seit der Amtsübernahme von Präsident Rajapakse im November wurden die Armee und mit ihr verbündete tamilische Milizen mehrfach beschuldigt, für Morde und das "Verschwinden" von Menschen verantwortlich zu sein, doch kein einziger Fall wurde wirklich untersucht. Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen sprechen von einer Kultur der Straflosigkeit, in der die Sicherheitskräfte mit einem Verbrechen nach dem anderen davonkommen.

Am 7. August wurde der Sympathisant der Socialist Equality Party (SEP) Sivapragasam Mariyadas von unbekannten Mördern in seinem Haus in Mullipothana nahe Muttur erschossen. Indizien deuten auf eine Beteiligung der Armee hin. Zur Tatzeit herrschte in der Stadt ein strenges Sicherheitsregime, das es jedem, abgesehen von den Sicherheitskräften und ihren engen Verbündeten, schwer machte, sich in der Stadt zu bewegen. Keine ernsthafte Polizeiuntersuchung wurde durchgeführt. Die SEP und die WSWS führen eine internationale Kampagne für eine umfassende Unersuchung des Verbrechens und die Verfolgung von Mariyadas’ Mörder.

Siehe auch:
Die SEP in Sri Lanka fordert vollständige Aufklärung des Mordes an Sivapragasam Mariyadas
(7. September 2006)
Waffenstillstandsbeobachter: Srilankische Armee hat Mitarbeiter von Hilfsorganisation getötet
( 5. September 2006)
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