"Erzwungene Wege" - Revanchismus light

Zur Ausstellung der Vertriebenenverbände

Die Ausstellung "Erzwungene Wege - Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts" ist im Kronprinzenpalais in Berlin Unter den Linden vom 11. August bis 29. Oktober zu besichtigen. Die Ausstellung wurde von der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibung" mit offenbar großem finanziellem Aufwand ausgerichtet. Die Schau stieß schon anlässlich ihrer Eröffnung auf Proteste in der Öffentlichkeit. Insbesondere Vertreter des polnischen Staates fühlen sich durch die bei den deutschen Vertriebenenverbänden angesiedelte Stiftung arg provoziert.

Die Ausstellung stellt an den Anfang ihrer Präsentation die Zeit des Zerfalls des Osmanischen Großreiches und der Vertreibung und Ermordung der armenischen Minderheit im Gebiet der heutigen Türkei, die unter den Augen deutscher Diplomaten stattgefunden hat. Sie appelliert an das menschliche Mitgefühl, in dem sie durch alte Fotografien, originale Texte und einige Exponate, wie beispielsweise einem verloren gegangenen Kinderschuh, das Elend und das Leid der betroffenen Menschen eindringlich veranschaulicht.

Die ausstellungstechnische Aufbereitung der Thematik ist ansprechend ausgeführt und ohne Einschränkung ergreifend. Interviews von Zeitzeugen sind in Wort und in Bild abrufbar und bilden eine Ergänzung zu den chronologisch angeordneten Schautafeln. Im Ausstellungstext heißt es: "Mehr als 30 Völker Europas haben im 20. Jahrhundert als Ganzes oder in Teilen ihre Heimat verloren."

Der Bogen spannt sich vom ersten Weltkrieg über die Zeit des zweiten Weltkrieges bis zu den Vertreibungen von Bevölkerungsgruppen im ehemaligen Jugoslawien am Ende des 20. Jahrhunderts. Gemäß Informationsmaterial, das in der Ausstellung kostenlos erhältlich ist, schätzen Historiker die Zahl der im vergangenen Jahrhundert innerhalb von Europa aus "religiösen und ethnischen" Gründen von ihren Heimatorten gewaltsam verjagten Menschen auf bis zu 100 Millionen. Dem Besucher wird mitgeteilt, dass in der Ausstellungskonzeption die neuesten internationalen Forschungsergebnisse der Historiker verarbeitet wurden. Es wird der Eindruck erweckt, dass den Ausstellungsmachern viel an politischer Korrektheit bei der Darstellung gelegen war.

Unschuldig ins Elend getriebene Menschen verdienen selbstverständlich das Mitgefühl und die Hilfe der davon nicht Betroffenen. Die Anzahl der entwurzelten und der brutal ermordeten Menschen ist erschreckend hoch.

Eine These der Ausstellung ist dann auch, dass die Vertreibung von Teilen einer Bevölkerung aus ihren Siedlungsgebieten, als Mittel der Politik weltweit zu ächten ist. Welcher anständige Mensch würde dieser Zielstellung widersprechen wollen? Die Ausstellung schmückt sich dann auch mit dem Postulat der unteilbaren Humanitas.

Und dennoch hat diese Darstellung der Geschichte einen gewaltigen Pferdefuß.

Die Stiftung gegen Vertreibung relativiert und verharmlost die Verbrechen des deutschen Imperialismus, die während des zweiten Weltkriegs von den Faschisten begangen wurden, indem sie diese Verbrechen in eine Reihe mit anderen in Europa verübten Verbrechen stellt. Das kommt sowohl in der optischen Darstellung als auch in den Textbeiträgen zum Ausdruck.

Ferner umgehen die Ausstellungsmacher die Frage nach den wahren Ursachen der Kriege und der damit verbundenen Leiden, ja sie versuchen sogar eine ernsthafte Untersuchung dieser Frage zu hintertreiben. Über Kopfhörer abrufbare Heimatlieder und auf der Flucht mitgenommene Gegenstände verdeutlichen subtil den Anspruch auf die alte Heimat.

Die Textbeiträge zur Ausstellung verkünden, dass keine Gewichtung der leidvollen Erfahrung jedes einzelnen Menschen erfolgen soll. Alle Opfer leiden gleichermaßen. Ursache der Vertreibungen im Europa des 20. Jahrhunderts seien vor allem die Ideen eines homogenen Nationalstaates, der Rassismus und der Antisemitismus. Jedoch, welchen Ursprung diese Ideen und Vorstellungen haben, wessen Interessen sie dienen, wer die Macht hat diese Ideen politisch umzusetzen, wird nicht untersucht. Krieg und Vertreibung, Grausamkeit und Verbrechen hat es, so suggeriert die Ausstellung, immer gegeben, und nun wollen wir doch alle recht gute Menschen sein und in einem einigen Europa Frieden halten.

Diese durch die Ausstellung transportierte Haltung ist bestenfalls eine Illusion. Der Bund der deutschen Vertriebenenverbände listet bis zum heutigen Tag die in Polen und der Tschechoslowakei nach 1945 verabschiedeten Gesetze zur Aussiedlung und Enteignung der deutschen Bevölkerung auf und versuchte den Beitritt dieser Länder zur EU von der Aufhebung dieser Vorschriften abhängig zu machen. Das impliziert vermögensrechtliche Ansprüche an die Nachbarländer und hält die Frage der Änderung der Nachkriegsordnung in Europa offen.

Daneben beschränkt sich die Ausstellung allzu sehr auf die europäischen Geschehnisse. Vertriebene Völker außerhalb Europas werden lediglich kommentarlos am Ausstellungsausgang aufgezählt.

Diese eurozentristische Sichtweise führt in der Politik aktuell zu Maßnahmen wie beispielsweise der des deutschen Innenministers Schäuble (CDU), der angesichts der afrikanischen Flüchtlingskatastrophe vor den Toren Europas jegliche finanzielle Hilfe für die Versorgung der in primitiven Lagern elendig untergebrachten Flüchtlinge aus dem Armutsregionen Afrikas ablehnt. Andererseits wäre er aber gern bereit, technische und logistische Hilfe beim Ausbau der "Festung Europa" Spanien und anderen vom Flüchtlingsstrom aus Afrika betroffene Staaten wie Libyen und Marokko zur Verfügung zu stellen.

Der dargestellte Anspruch der Stiftung Zentrum gegen Vertreibung von einer "ungeteilten Humanitas" ist mithin die reine Heuchelei.

Die Ausstellung "Erzwungene Wege" gibt sich auf den ersten Blick betont sachlich und fern jeder Ideologie. Geschickt werden ideologische Fallstricke für den Ausstellungsbesucher ausgelegt. Im Lamento um das grausame Schicksal der Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden und oft in Not und Elend leben mussten, wird die Ursache dieses Grauens nicht aufgedeckt.

Natürlich wird aufgezeigt, dass die Vertreibung von Bevölkerungsgruppen oft im Zusammenhang mit Kriegen steht. Eine Analyse wie es zu diesen Kriegen kommt, in wessen Interesse sie geführt werden und wer daran verdient, findet jedoch nicht statt. Der zweite Weltkrieg wurde insbesondere mit dem Ziel der Vernichtung der Sowjetunion geführt, des ersten Arbeiterstaates, in dem die Klasse der Bourgeoisie auf revolutionärem Weg enteignet worden war. Diese historische Tatsache wird selbstverständlich verschwiegen und verschleiert.

Im Zusammenhang mit der Not der im Ergebnis des zweiten Weltkrieges aus Osteuropa vertriebenen Deutschen wird in der Ausstellung von "Menschenrechtsverletzungen an Schuldlosen" gesprochen. Die Verbrechen der deutschen Faschisten werden in einem Atemzug mit den verbrecherischen Handlungen anderer Krieg führender Staaten genannt. Insbesondere werden die Nazi-Verbrechen im unmittelbaren Vergleich mit Aktionen der durch die stalinistische Führung der Sowjetunion befehligten Roten Armee dargestellt. Es wird behauptet, dass die Verbrechen des Stalinismus, der in der Diktion der bürgerlichen Klasse mit "Kommunismus" gleichgesetzt wird, mindestens genauso schlimm waren, wie die Verbrechen der deutschen Faschisten.

Dabei wird allgemein von Deutschen, Polen, Russen u.s.w. gesprochen und auf diese Weise die Klassengegensätze in den einzelnen Staaten verschleiert. Damit wird auch geleugnet, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten im Zusammenhang mit dem bürgerlichen Herrschaftssystem in Deutschland stehen. Die geschichtliche Tatsache, dass die Machtergreifung der Nazis nur im Einverständnis und mit der Unterstützung weiter Teile der herrschenden Klasse in Deutschland vonstatten ging, wird vertuscht und damit geleugnet.

Der Aufstieg der deutschen Faschisten hätte ohne das Geld der Krupp und Thyssen, der Aktionäre der IG Farben und der anderen Konzernherren gar nicht stattfinden können. Es ging der deutschen Bourgeoisie um die Unterdrückung der Arbeiterklasse, die Zerschlagung ihrer Organisationen, um die ideologische Kontrolle breiter Kreise der Bevölkerung, mit dem Ziel einen Angriffskrieg führen zu können. Ein Aggressionskrieg, der die Eroberung ganz Europas zum Ziel hatte, die Neuaufteilung der Rohstoffquellen und Absatzmärkte, ein Krieg der zum Zwecke der Profitsteigerung Millionen Menschen zu Zwangsarbeitern machte, sie versklavte und insbesondere in dem Gebiet der Sowjetunion vorsätzlich verhungern ließ.

Diese Kriegsziele der Herrschenden im Nazi-Deutschland wurden unter anderem in der Wehrmachtsaustellung klar dokumentiert. In Polen versuchten die Faschisten die gesamte Intelligenz auszurotten, um dort ein Volk billiger Arbeitssklaven zu schaffen. Die Ukraine sollte entvölkert werden, um Rittergutsbesitzer und Bauernfamilien aus Deutschland in der "Kornkammer Europas" anzusiedeln. Die in Europa lebenden Menschen jüdischer Abstammung wurden zuerst systematisch ausgeraubt und dann millionenfach mit industrieller Perfektion ermordet. Sie wurden von deutschen Unternehmen sogar als Rohstoff verwertet.

Nein, die Verbrechen der deutschen Faschisten sind ein singuläres, aber nicht unerklärliches Geschehen in der Menschheitsgeschichte. Durch Beschränkung der Darstellung auf die Vertreibung von Deutschen in Teilen Europas, im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg, erfolgt eine unzulässige Gleichsetzung des Geschehens und damit eine Verharmlosung der Verbrechen des Nazi-Regimes!

Wer sind die Unterstützer der Stiftung gegen Vertreibung? Da finden sich der politisch weit rechts angesiedelte Historiker Arnulf Baring, der unlängst in einer Rede zu mehr Patriotismus aufrief und die Forderung von einer "Eindeutschung der Ausländer" aufstellte. Baring meinte übrigens, dass es klein-kariert sei Berührungsängste zum Nazi-Vokabular zu haben, und er sprach sodann von der Schicksalsgemeinschaft des deutschen Volkes.

Unterstützer sind auch der Bankier Dr. Rolf E. Breuer, Pfarrer Joachim Gauck, Dr. Otto Graf Lambsdorff, der Kaiserenkel Dr. Otto von Habsburg und jede Menge Leute, die sich nicht gerade als Kriegsgegner in der Öffentlichkeit einen Namen gemacht haben, wie auch Prof. Michael Wolffsohn von der Bundeswehruniversität in München, den das jahrzehntelang erlittene palästinensische Flüchtlingselend nie störte.

Die Ausstellung "erzwungene Wege" mit ihrem allgemeinen Appell an die Menschlichkeit dient letztendlich dazu, die Verbrechen des deutschen Staates in der Zeit von 1933 bis 1945 zu relativieren Damit fügt sich die Ausstellung gut in die aktuelle politische Entwicklung in Deutschland ein.

Die deutsche Bundeswehr, die an sich den verfassungsmäßigen Auftrag zur Landesverteidigung hat, wird seit einigen Jahren in zunehmendem Maße zur Verteidigung deutscher Kapitalinteressen in aller Welt eingesetzt. Mit dem jüngsten Auslandseinsatz im Libanon ist erstmals ein so genanntes robustes Mandat verbunden. Damit besteht die Möglichkeit mit offenen Militäreinsätzen aktiv in kriegerisches Geschehen einzugreifen. Seit dem zweiten Weltkrieg wurde jedoch dazugelernt. Heutzutage nennen die deutschen Imperialisten den Kampf für ihre Profitinteressen "Frieden stiftende Maßnahmen."

Siehe auch:
Die Debatte über die Verbrechen der Wehrmacht
(26. Juli 2001)
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