Volkswagen

Mehr Arbeit - weniger Geld

Am vergangenen Freitag beschlossen IG Metall und der VW-Vorstand mehr Arbeit ohne Lohnausgleich für die Arbeiter in den sechs westdeutschen Volkswagen-Werken. Die 1993 eingeführte Vier-Tage-Woche mit 28,8 Stunden gibt es nun nicht mehr.

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit wird ab November auf maximal 33 Stunden für Produktionsarbeiter und auf 34 Stunden für Verwaltungsangestellte angehoben. Mehr Lohn erhalten die Beschäftigten dafür nicht.

Vereinbart wurde ein Arbeitszeitkorridor von 25 bis 33 Stunden für Beschäftigte in der Produktion und von 26 bis 34 Stunden für die anderen. Unabhängig von der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit entspricht das Entgelt innerhalb dieses Korridors der bisherigen Bezahlung einer 28,8-Stunden-Woche.

VW-Personalvorstand Horst Neumann freute sich: "Mit diesem breiten Stundenkorridor können wir auf Marktschwankungen besser reagieren, und das ohne wesentliche Änderungen bei den Arbeitskosten. Das garantiert uns eine sehr gute Flexibilität und hat zugleich das Potential für eine hohe Kosteneinsparung." Nun seien die Arbeitskosten in den westdeutschen VW-Werken auf dem Niveau der wesentlich profitableren bayerischen Konzerntochter Audi.

Das war das anvisierte Ziel des Managements des größten Autoherstellers Europas. Ursprünglich hatte der VW-Vorstand dabei eine Rückkehr zur 35-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich verlangt. Die 28,8-Stunden-Woche war 1993 mit entsprechenden Lohneinbußen anstelle der 35-Stunden-Woche eingeführt worden. Eine Rückkehr zur alten Arbeitszeit ohne Angleichung der Löhne wäre einer Lohnkürzung von fast 20 Prozent gleichgekommen. Das aber schien selbst IG Metall und Betriebsrat zu heikel, die sonst jede Kürzung der Unternehmensleitung mitragen und den Arbeitern noch höhnisch als Erfolg verkaufen.

Nun werden die 34. und 35. Stunde als Mehrarbeit vergütet. Grundsätzlich ändert diese geringe Einschränkung aber nichts an der Tatsache, dass die Arbeitszeit, die mit 18-prozentigem Lohnverlust verkürzt wurde, nun ohne Lohnausgleich wieder verlängert wird. Personalchef Neumann kündigte zudem an, dass die 35-Stunden-Woche "im Blick" bleibe.

IG-Metall-Chef Jürgen Peters bezeichnete das Ergebnis als "Kompromiss, der Unternehmensziele und die Interessen der Beschäftigten gleichermaßen berücksichtigt".

Gewerkschaft und VW haben beschlossen, die Einzelheiten zu den Eckpunkten voraussichtlich am 4. Oktober in einem abschließenden Verhandlungsergebnis festzulegen. Welche Überraschungen dann noch auf die Belegschaften zukommen, bleibt abzuwarten.

Der Abschluss bringt VW Entlastungen in dreistelliger Millionenhöhe. Dadurch, dass mehr fürs gleiche Geld gearbeitet werde und große Teile der Überstundenzuschläge wegfielen, betrage die Entlastung bei Bandarbeitern über 14 Prozent der Arbeitskosten, bei Bürokräften sogar 18 Prozent, rechneten Börsianer vor.

Im Gegenzug zu den eingesparten Millionen werden die VW-Beschäftigten mit Einmalzahlungen abgespeist - und einmal mehr mit dem Versprechen auf Bestandsgarantie der sechs betroffenen Werke in Wolfsburg, Kassel, Hannover, Braunschweig, Emden und Salzgitter.

Jeder Beschäftigte erhält einen Betrag von knapp 6.300 Euro für die betriebliche Altersvorsorge. Eine Erfolgsbeteiligung kann ebenfalls gezahlt werden. Das Unternehmen erklärt sich auch zur Zahlung eines Einmalbetrages von 1.000 Euro bereit, weil durch den jetzigen Abschluss die Tarifrunde überflüssig geworden sei, die normalerweise im Herbst begonnen hätte.

Die von VW abgegebene Standort- und Beschäftigungssicherung über 2011 hinaus wird seit 1993 ständig vereinbart. Gehalten hat sich noch kein Vorstand daran. Ohnehin gibt kein Vorstand der Welt eine solche Garantie ab, ohne eine Klausel anzuhängen, die diese Garantie "bei wesentlichen Änderungen der Grundannahmen oder der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen" (VW-Zukunftsvertrag 2004) außer Kraft setzt.

Bewährtes Muster

Die jetzigen Kürzungen verliefen nach demselben Muster wie in den Vorjahren. Der Vorstand kündigt rote Zahlen an und droht mit massivem Arbeitsplatzabbau. Anschließend erklären sich Gewerkschaft und Betriebsrat bereit, an der "Konsolidierung" und "Rettung" der Werke mitzuarbeiten. Heraus kommen bis auf kleine Detailänderungen die vom Vorstand geforderten empfindlichen Kürzungen bei den Arbeitern.

Bereits 1993 hatte der damalige Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piech den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen angekündigt, nachdem der Absatz stark eingebrochen war. Als Reaktion folgte die Einführung der Vier-Tage-Woche durch den damaligen Personalchef Peter Hartz. Die IG Metall sekundierte, dadurch seien "betriebsbedingte Kündigungen" vermieden worden.

2001 erfolgte die Einführung des Tarifmodells "5000 mal 5000", das von Politik und Wirtschaft in den höchsten Tönen gepriesen wurde. Zur Produktion des neuen Modells Touran verpflichtete sich VW, im Werk Wolfsburg bis zu 5.000 neue Mitarbeiter einzustellen - zu schlechteren Bedingungen und niedrigeren Löhnen, als in den bisherigen Tarifverträgen festgelegt.

Rund drei Jahre später, Ende 2004 - Piech war inzwischen vom ehemaligen BMW-Chef Bernd Pischetsrieder abgelöst worden und hatte den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden bezogen - erfolgte der nächste Schlag, der so genannte "Zukunftstarifvertrag". Aus heutiger Sicht bereitete er erst die Möglichkeit der aktuellen Erpressung vor. Mit dem Zukunftsvertrag begann die Spaltung der Belegschaft, indem neu eingestellte Arbeiter wesentlich schlechter bezahlt, die Auszubildenden vom Haustarif abgekoppelt und eine weitgehende Flexibilisierung der Arbeitszeit vereinbart wurden.

Der Vertrag beinhaltete jährliche Lohneinsparungen von einer Milliarde Euro. Die bestehenden Löhne und Gehälter sollten 28 Monate eingefroren bleiben. Mit den jetzigen Änderungen sind sie jedoch faktisch nach bereits 23 Monaten weiter gekürzt worden. Früher galten lange Laufzeiten bei Lohntarifverträgen als schlecht für die Beschäftigten. Inzwischen ist es umgekehrt, weil Gewerkschaften und Konzernetagen immer neue Kürzungen vereinbaren.

Die "Auseinandersetzung" in diesem Jahr unterschied sich nicht von den vorangegangenen. Anfang des Jahres kündigte der eigens zur "Sanierung" von Daimler-Chrysler geholte Vorstandschef Wolfgang Bernhard an, die deutschen Traditionswerke seien nicht ausgelastet und arbeiteten zu teuer. Er schloss die Schließung unrentabler Teilbereiche nicht aus und stellte 20.000 Arbeitsplätze zur Disposition, das ist ein Fünftel der Belegschaft. "Wir brauchen grundlegende Veränderungen. In der jetzigen Form sind wir nicht zukunftsfähig", behauptete der Manager.

Steigende Gewinne

Das änderte sich auch nicht, als die Verkaufszahlen für VW in diesem Jahr hochschnellten. In der ersten Hälfte dieses Jahres verkaufte der Konzern zwölf Prozent mehr Autos, setzte 14 Prozent mehr um und verdiente unter dem Strich mehr als doppelt so viel Geld wie in der Vorjahreszeit. Auch in naher Zukunft dürfte sich daran nicht viel ändern. 2006 und 2007 sind allein in Europa mehr als zwei Dutzend Neuheiten geplant.

Der Volkswagen-Konzern fährt seit Jahren Gewinne ein und hat für die Aktionäre zuletzt sogar die Dividende spürbar erhöht, nämlich um fast 10 Prozent. 450 Millionen Euro schüttete die Volkswagen AG für 2005 an ihre Aktienbesitzer aus. Ziel des Vorstands ist es aber, den Aktienbesitzern noch mehr Geld zu verschaffen. 2008 strebt VW einen Konzerngewinn vor Steuern von 5,1 Milliarden Euro an - vier Milliarden mehr als 2004. Das ist der eigentliche Grund für die ständige Forderung nach Lohnkürzungen.

Nach Angaben des Managements fahren lediglich die sechs VW-Werke in Westdeutschland Verluste ein, angeblich einen dreistelligen Millionenbetrag. Die Arbeitskosten in Wolfsburg lägen um mehr als ein Drittel über denen in anderen deutschen Autowerken und 20 Prozent über den Arbeitskosten in den ebenfalls zu VW gehörenden Audi-Werken in Bayern. Daher müssten insbesondere im Stammwerk Wolfsburg die Arbeitskosten fallen, die allerdings - nach Angaben des Betriebsrats - nur noch 11 Prozent der Gesamtkosten ausmachen.

Der VW-Konzern hat Werke in elf Ländern Europas sowie in sieben Ländern Amerikas, Asiens und Afrikas. Übersetzt heißt die Forderung des Vorstands: Wenn ihr nicht genauso günstig wie in Spanien, Tschechien oder sonst wo arbeitet, schließen wir das Werk. So läuft die Erpressung der Belegschaften - nicht nur bei VW - schon seit Jahren. Teil der jetzigen Vereinbarung ist auch, den konzerninternen Zuschlag für den Bau des neuen Golfmodells nach Wolfsburg zu vergeben. Die Konzernspitze hatte wiederholt gedroht, ihn woanders bauen zu lassen, wenn die Gewerkschaft den verschärften Arbeitsbedingungen nicht zustimmt.

Mit der jetzigen Vereinbarung werden die in den 1960er und 70er Jahren erkämpften tariflichen Errungenschaften vollständig einkassiert. In den vergangenen Jahren ist dies in allen Branchen und Konzernen geschehen. Auch im VW-Konzern arbeiteten innerhalb Deutschlands schon bisher viele Beschäftigte zu schlechteren Konditionen als die Arbeiter der sechs westdeutschen Werke - in Ostdeutschland ebenso wie in der Audi-Sparte oder in der 5000 mal 5000 GmbH im Wolfsburger Stammwerk.

Neueingestellte Arbeiter erhalten seit 2004 ebenfalls geringere Löhne. In diesem Zusammenhang muss auch der derzeitige Versuch des Vorstands gesehen werden, 20.000 Arbeitsplätze über Abfindungen abzubauen. Die alten, etwas bessergestellten Arbeiter gehen, neue, geringer entlohnte kommen. Rund 15.000 Beschäftigte haben bislang Verträge zum Vorruhestand oder Aufhebungsverträge unterschrieben.

Inzwischen sind die einst relativ hohen VW-Löhne auf dem niedrigeren Metall-Tarif angelangt. IG-Metall-Verhandlungsführer Hartmut Meine sagte nach der jetzigen Vereinbarung, VW nähere sich damit dem Flächentarifvertrag der Metallindustrie. Die Lohnrunde 2007 müsse daher nicht mehr eigens verhandelt werden. Sie werde durch eine Einmalzahlung von 1.000 Euro abgegolten. 2008 soll sich die Lohnerhöhung dann am Flächentarif der niedersächsischen Metallbranche orientieren.

Wie schon in den letzten Jahren erweisen sich Gewerkschaft und der Betriebsrat auch mit dieser Vereinbarung wieder als verlängerter Arm des Konzern-Vorstands. Sie übernehmen die Aufgabe, die Angriffe gegen die Belegschaften durchsetzen - auch wenn diese, wie im Falle VW, zu 97 Prozent Gewerkschaftsmitglieder sind.

Siehe auch:
Das klägliche Ende des "VW-Modells"
(22. Juli 2005)
Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit
( 13. November 2004)
Hartz-Reformen bei Volkswagen
( 24. September 2004)
DaimlerChrysler: Uneingeschränkte Kapitulation von IG Metall und Betriebsrat
( 27. Juli 2004)
VW-Tarifmodell "5000 mal 5000"
( 6. September 2001)

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