Russland bereitet militärischen Konflikt mit Georgien vor

Am 25. Oktober strahlte das russische Fernsehen im ganzen Land Wladimir Putins "Gespräch mit dem russischen Volk" aus. In der Sendung bekräftigte der Präsident die Absicht seiner Regierung, die autonomen Provinzregierungen Abchasien und Südossetien in Georgien zu verteidigen, sollte die georgische Regierung militärisch gegen sie vorgehen.

"Wir sind über die Militarisierung Georgiens besorgt", erklärte Putin und gab der Regierung von Micheil Saakaschwili die Schuld daran, dass sich die Spannungen zwischen den beiden Ländern in letzter Zeit verschärft haben. Putin fuhr fort: "Die Verschlechterung der russisch-georgischen Beziehungen steht in direktem Zusammenhang mit dem Vorhaben, die Probleme Südossetiens und Abchasiens mit Gewalt zu lösen."

Die georgische Regierung in Tiflis, die von den USA unterstützt wird, ist in der Tat dabei, die Spannungen mit Russland anzuheizen. Aber Putins Versuch, Moskau als rein passives Opfer darzustellen, ist zumindest heuchlerisch. Der Kreml unterstützt aktiv die separatistischen Führungsschichten in den zwei kleinen autonomen Regionen Georgiens und benutzt sie, um seinen eigenen Einfluss im Kaukasus, einer geopolitisch wichtigen Region, zu festigen und auszudehnen. Durch den Kaukasus verlaufen die wichtigsten Energiehandels- und Exportrouten zu den kaspischen und zentralasiatischen Öl- und Erdgasvorkommen.

Tiflis, von den Vereinigten Staaten finanziert und bewaffnet, bereitet sich darauf vor, die Kontrolle über Abchasien und Südossetien mit Waffengewalt zurückzuerobern; gleichzeitig stellt sich Russland darauf ein, eben dies zu verhindern. Die politischen Diskussionen in Russland kreisen um die Frage, ob die Unabhängigkeit dieser Regionen anerkannt werden soll. Aus dem ultrarechten-nationalistischen Teil der russischen Führung heißt es, Russland habe das Recht, mit Georgien auf die gleiche Weise umzuspringen wie Israel mit dem Libanon.

Sie schlagen einen Bombenkrieg gegen Georgien vor, gefolgt von einer zeitweiligen Besetzung durch russische Truppen. Ihrer Ansicht nach würde ein solches Vorgehen die aktuelle georgische Regierung unterhöhlen und in den Augen der Weltöffentlichkeit Russlands Autorität als "souveräner Staat" stärken, der in der Lage ist, seine nationalen Interessen durch jedes angezeigte Mittel zu verteidigen.

Offiziell unterstützt der Kreml dieses Programm noch nicht. Während seines Fernsehauftritts bemerkte Putin: "Wir betreiben nicht die Ausdehnung unseres Territoriums, selbst nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion bleibt Russland das größte Land der Welt. Wir haben genug Land."

Solchen Worten zum Trotz führt jedoch die Logik der Ereignisse zu zunehmender Instabilität im Kaukasus und führt die Region an den Rand blutiger Konflikte.

Die Kampagne gegen Georgien

Als im September dieses Jahres in Tiflis vier russische Offiziere verhaftet und von Georgien der Spionage beschuldigt wurden, heizte dies die Spannungen natürlich weiter an. Die sofortige und scharfe Reaktion Russlands zeigte, dass die Moskauer Regierung nur auf einen passenden Vorwand gewartet hatte, um in Russland eine aggressive Kampagne gegen Georgien vom Zaun zu brechen. Der Rest der Welt sollte die russische Bereitschaft erkennen, die separatistischen Bewegungen in Abchasien und Südossetien weiter zu unterstützen und die "Unabhängigkeit" dieser Ministaaten anzuerkennen.

Als der russische Verteidigungsminister Sergej Ivanow Ende September an einem Treffen der Verteidigungsminister von 26 NATO-Staaten in Slowenien teilnahm, beschimpfte er die Regierung in Tiflis als "Banditen" und beschuldigte die NATO, Georgien mit Waffen zu beliefern. Anfang Oktober nannte Putin die georgische Führung "eine terroristische Regierung" und verglich Saakaschwilis Taten mit denen von Lawrenti Beria.

Dieser Vergleich ist sowohl oberflächlich als auch widersprüchlich. Beria war die rechte Hand des Sowjetdiktators Stalin, und Stalin gilt heute im Kreml als großer Staatsmann und Sieger im Zweiten Weltkrieg. Am Vergleich des georgischen Präsidenten mit Beria zeigt sich sowohl das Ausmaß der Wut im Kreml als auch die Bereitschaft der Putin-Regierung, im Kampf gegen angebliche Feinde zu extremen Maßnahmen zu greifen.

Moskaus Reaktion auf die Verhaftung der russischen Offiziere bestand in einer Reihe beispielloser Angriffe und Einschüchterungsmaßnahmen gegen Einwohner georgischer Herkunft in Russland. Auch wurde der großrussische Chauvinismus geschürt. Unter anderem stoppte Russland alle Verkehrs- und Postverbindungen nach Georgien und wies hunderte georgische Bürger unter dem Vorwand aus, Einwanderungsgesetze verletzt zu haben.

Der georgische Botschafter in Russland, Surab Pataradse, sagte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Interfax, es seien über 800 Bürger Georgiens aus Moskau, St. Petersburg und anderen Städten ausgewiesen worden. Laut Pataradse bereiten sich die Behörden im Kreml vor, weitere 2.100 Menschen auszuweisen.

Innerhalb weniger Tage nach der Verhaftung der russischen Offiziere in Georgien wurden die meisten russischen Diplomaten aus Tiflis abgezogen. Gleichzeitig erteilte die russische Botschaft in Tiflis georgischen Staatsbürgern keine Visa mehr, und das russische Außenministerium wies die Russen an, keine Reisen nach Georgien mehr zu unternehmen. Schnell wurde in der russischen Staatsduma ein Gesetz verabschiedet, das sämtliche Geldtransfers über russische Banken nach Georgien untersagte.

In Moskau wurden die Casinos Kristall, Goldpalast und Goldpalast-Wochenende geschlossen, die laut russischen Behörden vom "georgischen Kriminellen" geführt wurden.

Presseberichten zufolge erhielten Moskauer Schulen die Anweisung, Listen von Schülern mit georgischen Nachnamen zu erstellen, und einige Buchläden in Moskau berichteten von Forderungen, Bücher von Autoren mit "politisch inkorrekten" Nachnamen aus dem Verkauf zu nehmen. Auf dieser schwarzen Liste standen sogar der berühmte Poet und Sänger Bulat Okudschawa und ein populärer Schriftsteller von Kriminalromanen, Boris Akunin (Tschchartischwili).

Diese hysterische, georgienfeindliche Kampagne löste in Russland Proteste aus. Der bekannte Filmschauspieler Stanislaw Sadalski bat Georgien, ihm die georgische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Eine Gruppe von Künstlern und Schriftstellern veröffentlichte einen Aufruf mit dem Titel: "Keine ethnischen Säuberungen in Russland. Nein zu einem weiteren Krieg im Kaukasus."

Die Initiatoren dieses Appells nennen es eine nationale Tragödie, Georgier zu verfolgen, "unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft, ihrem Alter und ihrer gesellschaftlichen Stellung". Unter den Unterzeichnern befinden sich die Schauspielerin Lia Akedschakowa, der Historiker Leonid Batkin, der Journalist Artemy Troitsky, die Schauspielerin Inna Tschurikowa und der Schauspieler Sergej Jurski.

Wirtschaftlicher Druck Russlands

Seitdem Tiflis im Herbst 2003 mit finanzieller und politischer Unterstützung Washingtons einen Regimewechsel erlebte, haben sich die Spannungen ständig verschärft. Damals vertrieb eine Gruppe junger Politiker um Saakaschwili den Präsidenten Eduard Schewardnadse von der Macht und errichtete ein Regime, das vollkommen von der Unterstützung Amerikas abhängig war. Das neue Regime verfolgte offen einen politischen Kurs, den Einfluss der Vereinigten Staaten im Kaukasus und dem kaspischen Becken zu stärken.

Besonders im vergangenen Jahr verschärfte sich der Konflikt. Im Dezember 2005 schränkte Russland die Agrarimporte aus Georgien ein, angeblich wegen der Verletzung von Gesundheitsbestimmungen, und im März 2006 stoppte Moskau den Transport und die Einführung von Saatgut.

Ende März verbot Russland den Ankauf von Wein, Kognak und Champagner aus Georgien. Laut Expertenschätzungen beträgt der wirtschaftliche Schaden für Georgien ungefähr 700 Millionen Dollar. Im Mai wurde das Verbot auf Mineralwasser aus Georgien ausgedehnt, was einen zusätzlichen Verlust von 150 Millionen Dollar jährlich für die georgische Wirtschaft bedeutet.

In der russischen Regierung wird eine mögliche Energieblockade gegen Georgien in Erwägung gezogen. Vergangenen Winter wurde in Folge einer Explosion eine der Gaspipelines aus Russland nach Georgien unterbrochen. Ein paar Tage lang blieben die Erdgaslieferungen unterbrochen, und viele Einwohner Georgiens saßen ohne Heizung da. Damals beschuldigte Tiflis Russland, hinter der Explosion gesteckt zu haben.

Georgien kann nur vierzig Prozent seiner benötigten Energie selbst erzeugen. Der Rest muss aus anderen früheren Sowjetrepubliken, in erster Linie aus Russland importiert werden. Gegen eine Energieblockade Georgiens spricht aus russischer Sicht, dass auch das befreundete Armenien davon betroffen wäre, das seinen Energienachschub über das georgische Territorium erhält.

Militärische Vorbereitungen

Seit Saakaschwilis Machtantritt hat Georgien die eigene Militärmacht systematisch ausgebaut. Der georgische Militärhaushalt ist seit 2005 der weltweit am schnellsten wachsende. Für 2007 haben die Vereinigten Staaten Millionen Dollar für die Erweiterung und Ausrüstung von Georgiens Armee ausgewiesen.

Vergangenen Sommer hat Georgien seine Militärkontrolle bis in die zu Abchasien gehörende Kodorschlucht ausgedehnt. Das nährt den russischen Verdacht, Saakaschwili plane schon ein weiteres Vordringen. Die russischen Medien berichten, in der Kodorschlucht bereiteten sich georgische Militärkräfte auf Aktionen in Abchasien vor.

Vergangenen Dienstag eröffnete Präsident Saakaschwili einen neuen Armeestützpunkt in Zentralgeorgien. Er kündigte an, im kommenden Mai einen weiteren Stützpunkt in der Stadt Gori aufzumachen, dessen "Ausrüstung allen Erfordernissen genügen wird, damit Georgien künftig NATO-Mitglied werden kann". Der neue Stützpunkt wurde mit französischer Hilfe gebaut. Bei der Eröffnungszeremonie war eine US-Kongressdelegation mit Richard Luger an der Spitze anwesend, einem bekannten Befürworter russlandfeindlicher Maßnahmen.

Saakaschwili lässt sich häufig über die äußeren Feinde Georgiens aus und pflegt zu sagen, das Land müsse "eine Struktur der Totalverteidigung aufbauen".

Laut Berichten in der Zeitung Iswestija hat Georgien seit letztem Jahr mehrere Waffenlieferungen aus Osteuropa erhalten, darunter Panzer, Kampfflugzeuge und Munition. Diese Waffenlieferungen kamen unter anderem aus der Ukraine und den baltischen Staaten.

Auch Russland erweitert seine militärische Stärke in der Region. Bei seinem Fernsehauftritt kündigte Putin an, bis Ende nächsten Jahres seien 500 Millionen Dollar für die Verstärkung der russischen Grenzen zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer eingeplant.

Russland rüstet auch die Schwarzmeerflotte auf. Anfang Oktober führte Russland Flottenmanöver durch, die nach georgischen Angaben bis in den Wirtschaftsraum Georgiens hineinreichten.

Gleichzeitig hat Russland vor, die Flotte auf der Krim zu erweitern. Vor kurzem kam es zu Konflikten zwischen Russland und der Ukraine über die Platzierung und Funktion von Leuchttürmen in dieser Region, sowie über die Miete, die Russland für die Nutzung des Marinestützpunkts Sewastopol an die Ukraine zahlen muss. Seitdem das Kiewer Machtzentrum jedoch aus den Händen von Juschtschenko an seinen moskaufreundlicheren Rivalen Janukowitsch übergegangen ist, scheinen die Unstimmigkeiten zu verblassen. Die zwei Länder sind übereingekommen, den Preis für aus Russland in die Ukraine exportiertes Erdgas auf 135 Dollar pro tausend Kubikmeter festzulegen, und die Miete für Sewastopol wurde auf der Höhe des Abkommens von 1997 eingefroren, d.h. auf 93 Millionen Dollar jährlich.

Der Kampf um Einfluss im Kaukasus

Drei nicht anerkannte autonome Regionen - die Dnjestr-Region von Moldawien und die georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien - fordern unentwegt Unterstützung von Russland. Im September wurde in der Dnjestr-Region ein Referendum abgehalten, und die Mehrheit stimmte für einen engeren Anschluss an Russland.

Mitte Oktober wandte sich die Nationalversammlung von Abchasien mit einem Appell an die russische Staatsführung, die Unabhängigkeit ihrer Republik anzuerkennen und enge Beziehungen zwischen der russischen Föderation und der Republik Abchasien zu knüpfen.

Für den 12. November wurde in Südossetien ein Plebiszit angesetzt, das im Ergebnis wahrscheinlich die Neigung dieser Region zu Russland noch deutlicher hervorhebt.

Der Kreml schreckt davor zurück, allzu abrupte Schritte in Richtung Anerkennung der Unabhängigkeit dieser Republiken zu unternehmen, da befürchtet wird, dies könne negative Reaktionen im Westen hervorrufen. Bisher hat Russland darauf gewartet, dass Europa die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien anerkennt, um diesen Schritt dann als juristischen Vorwand zu nehmen, seine eigenen Beziehungen zu den drei autonomen Regionen zu verändern.

Jetzt jedoch könnte der Kreml in eine Zwangslage geraten und sich zu rascheren Schritten gedrängt fühlen. In den vergangenen Monaten hat die russische Führung eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, die dem amerikanischen Energiebedarf entgegenstehen. So wurde die Frage nach der Verletzung von Umweltbestimmungen beim Bau des massiven "Sachalin-2"-Projekts für Öl und Gas aufgeworfen. Nach seiner Reise nach Sachalin gab der Minister für Bodenschätze Juri Trutnew bekannt, solche Verletzungen könnten Sanktionen nach sich ziehen. Die Gesamtsumme der Bußen könnte höher sein als die getätigten Investitionen, und ausländische Konzerne könnten gezwungen werden, sich ganz aus dem Projekt zurückzuziehen.

Diesen Monat kündigte Präsident Putin während seiner Deutschlandreise an, dass Erdgaslieferungen aus den Schtokman-Feldern in der Barentssee nicht in die USA sondern nach Deutschland fließen werden. Deutschland soll infolgedessen zum Hauptverteilzentrum für Erdgas in Europa werden.

Die Situation in Georgien könnte auch entscheidende Auswirkungen auf die Zukunft der Öl- und Gaspipeline für die Route Baku-Ceyhan haben. Die Pipeline ist zwar schon in Betrieb, ihr Nutzen ist jedoch so gering, dass er die enormen Baukosten nicht ausgleicht und keinen Profit abwirft. Um die Pipeline profitabel betreiben zu können, müssten sich auch Kasachstan und Turkmenistan entscheiden, unter Umgehung Russlands ihr Öl und Gas nach Baku zu verschiffen. Ein solcher Schritt würde Russlands Reputation als "Energiesupermacht" einen beträchtlichen Schlag versetzen.

Ein Sieg des Tifliser Saakaschwili-Regime über die Separatisten und eine Konsolidierung Georgiens würde den USA erlauben, ihre Pläne bezüglich der Baku-Ceyhan-Pipeline weiterzuentwickeln und ihren Einfluss im Kaukasus und der gesamten kaspischen Region auszudehnen. Für Russland ist die Destabilisierung Georgiens ein Mittel, um die Absichten der USA in der Region zu hintertreiben. Unter diesen Bedingungen ist es sehr wohl möglich, dass es in der einen oder anderen Form zu einer militärischen Konfrontation kommt.

Die Integration dieser Regionen und des gesamten Territoriums der früheren Sowjetunion in den kapitalistischen Weltmarkt zieht explosive und blutige Konsequenzen nach sich, da die Großmächte um den Zugang zu Öl und Erdgas kämpfen und ihren jeweiligen politischen Einfluss ausdehnen wollen. Es gibt nur einen Weg, die drohende Katastrophe zu verhindern - eine unabhängige und vereinigte revolutionäre Bewegung der Arbeiterklassen aller Länder in dieser Region auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms.

Die Oktoberrevolution von 1917 hat den Weg gezeigt, wie die nationalen und territorialen Konflikte im Kaukasus beizulegen sind. 1922 trat Georgien der Russischen Föderation als volles und gleichberechtigtes Mitglied der UdSSR bei. Trotz der späteren bürokratischen Degeneration des Sowjetregimes unter der stalinistischen Bürokratie bleibt diese historische Erfahrung wertvoll. Der revolutionäre Impuls der Oktoberrevolution weist den Weg, auf dem die Spannungen zwischen Russland und Georgien und zwischen den verschiedenen nationalen und ethnischen Gruppen der Region auf fortschrittliche und demokratische Weise gelöst werden können.

Siehe auch:
Russland: Putin legt die Axt an den Sozialstaat
(14. Oktober 2006)
Russland: Feiern zum Kriegsende zeigen politische und soziale Spannungen
( 17. Mai 2006)
Putins Rede an die Nation: Spannungen zwischen USA und Russland nehmen zu
( 14. Mai 2006)
Putin und die Ermordung Anna Politkowskajas
( 28. September 2004 )
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