Borat: Wessen Torte und wessen Gesicht?

Borat: Kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen, Regie: Larry Charles, Drehbuch Sacha Baron Cohen, Anthony Hines, Peter Baynham und Dan Mazer

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In dem Pseudo-Dokumentarfilm Borat, der im November in mehreren Ländern in die Kinos kam, porträtiert der britische Komiker Sacha Baron Cohen den fiktiven kasachischen Fernsehreporter Borat Sagdiyev auf einer Überlandreise durch Amerika. Der Antisemit, Sexist und Schwulenhasser Borat tut sein Bestes, um mit ungehobelter Sprache und unflätigem Verhalten alle zu provozieren, denen er auf seiner Reise von New York nach Los Angeles begegnet.

In seinen britischen Fernsehsendungen hat Cohen die Masche perfektioniert, sich obsessiv - und in mancherlei Hinsicht ziemlich brillant - in vermeintliche Tunichtgute hineinzuversetzen, sich dann gewöhnlichen Menschen oder "Stars" in den Weg zu stellen, um mit empörenden Verlautbarungen oder Fragen herauszuplatzen und zu sehen, was passiert. Über kurze Zeitspannen, im Angesicht von aufgeblasenen, wichtigtuerischen oder politisch reaktionären Gegenspielern, sind die Ergebnisse zuweilen unterhaltsam und sogar lehrreich. Ansonsten ist Cohen schlicht unflätig und peinlich.

In seinem neuen Film hat sich der britische Komiker entschieden, die Borat-Figur über den ganzen Film auszudehnen und in dessen Verlauf eine Art Kommentar abzugeben über das Leben in Amerika, über Antisemitismus und schwulenfeindliche Einstellungen, über unsere Vorstellungen vom Leben in einer ehemaligen Sowjetrepublik, sowie verschiedene andere Fragen. Jemand hätte eine Warnglocke schrillen lassen sollen. Selbst der formloseste Film verlangt, dass seine Macher eine Idee oder eine Stimmung dramatisieren. Unglücklicherweise stellt Borat alle Schwächen, Unaufgelöstheiten oder gar Schlimmeres in grelles Licht, die Cohens Komik und seiner gesellschaftlichen Perspektive eigen sind. Seine amerikanischen Mitarbeiter, einschließlich des Regisseurs Larry Charles, haben das Gemisch möglicherweise noch mit ihrer eigenen Konfusion angereichert.

Der Film war ein Kassenerfolg und wurde von seinen Bewunderern als übermütig, erbarmungslos satirisch, sogar als in seinem komödiantischen Ansatz "revolutionär" gefeiert.

Borat besteht aus verschiedenen Arten von Szenenfolgen: zum einen die Anfangs- und Endszenen, die im fiktionalen "Kasachstan" (in Wirklichkeit ein Dorf im Süden Rumäniens) spielen; zweitens verschiedene Begegnungen mit gewöhnlichen Amerikanern; drittens Episoden, in denen Cohen "Blut leckt", sprich: in denen er eine positive Reaktion auf seine Tiraden gegen Juden und Schwule hervorlockt.

Die Szenen, die im mythologischen Kasachstan angesiedelt sind, geben den allgemeinen Ton und Ansatz des Films vor. Borat stellt uns seine Schwester vor, die "viertbeste Prostituierte" im Land, mit der einen inzestuösen Kuss tauscht, sowie den "Dorfvergewaltiger" und den örtlichen "Schweißer und Abtreibungsgynäkologen". Er informiert uns, dass einer der jährlichen Höhepunkte des Ortes das "Judentreiben" ist, in dem zwei riesige Pappmaschee-Karikaturen von Juden durch die Straßen getrieben und misshandelt werden, während sie versuchen, "das Geld abzugreifen". Borat verlässt das Dorf im Triumph, auf einem von Pferden gezogenen Wagen, in Richtung USA.

Was wird hier aufs Korn genommen? Joel Stein schreibt im Magazin Time, dass "es sicherlich so wirkt, als würde sich Sacha Baron Cohen über Kasachstan lustig machen. Das stimmt nicht. Letztlich sind wir die Gelackmeierten, die nicht wissen, wo sich Kasachstan befindet oder ob es die Art von Ort ist, wo Dinge wie das von Borat behauptete ‘Judentreiben’ stattfinden."

Wie werden "wir" in dieser Sequenz verspottet und mutmaßlich dazu gebracht, über unsere Schwächen nachzudenken? Das Argument könnte sein: eine absurde Szene wie diese ermutigt die Zuschauer dazu, die Falschheit ihrer vorgefassten Meinungen über die Landbevölkerung in Zentralasien zu erkennen - dass es sich um ignorante Leute handle, die von Gewalt, Inzest und Judenhass beherrscht würden.

Jedoch ist die Szene nicht in einer Weise gestaltet, die zu einer solchen Infragestellung führen würde. Sie ist dazu nicht einmal annähernd so absurd oder künstlerisch distanziert, wie dies nötig wäre. Die Filmemacher haben sich eines echten Dorfes (obwohl offensichtlich keines kasachischen) bedient, dessen wirkliche Armut und Rückständigkeit offensichtlich sind. Zahnlose Frauen, ein Einarmiger, unrasierte und verdrossene Umstehende, eine Kuh in einem Wohnzimmer, nichts als eine Reihe von Klischees - wie nimmt dies unsere vorgefassten Meinungen aufs Korn? Im Gegenteil, hat die Szene insgesamt die Wirkung, Abscheu hervorzurufen und das Überlegenheitsgefühl des Zuschauers über diese bemitleidenswerten Kreaturen zu bestärken. Schon zu Beginn erregt der Film den unseligen Verdacht, die zynischen, gut betuchten Filmemacher teilten die Ressentiments, die zu verhöhnen sie vorgeben.

Dieser Verdacht wird erhärtet durch die Reaktion der Einwohner des rumänischen Dorfes Glod auf den gesamten Vorgang. Sie fühlen sich offenbar ausgenutzt und als Dummköpfe vorgeführt. Glod ist ein elendiglich armer Ort, größtenteils von Roma bevölkert, ohne Kanalisation und fließendes Wasser. Die Einwohner, verzweifelt nach Geld und Arbeit suchend, erhielten von den Filmemachern einen Hungerlohn.

Bestimmte amerikanische Sequenzen sind lediglich plump und witzlos. Abermals, wie werden unsere Vorurteile "verspottet" und herausgefordert, wenn wir Borat in der Nähe eines Hotels von Donald Trump beim Stuhlgang sehen, oder beim Masturbieren vor einem Unterwäscheladen, oder wenn er sein Gesichts in einer Toilettenschüssel wäscht, ein Huhn in der U-Bahn aussetzt oder mit seinem mutmaßlichen Produzenten nackend einen Ringkampf ausficht? Andere Szenenfolgen, in denen die Opfer seiner ausgedehnten Streiche verwirrt und gelegentlich entsetzt auf sein Verhalten reagieren (Borat diskutiert die Stellung der Frau mit einer Gruppe gestandener Feministinnen, belegt eine Fahrstunde, lernt, wie man einen Witz erzählt; er kauft ein Auto, wird in Anstandsregeln unterwiesen, nimmt beim Abendessen einer Southern Dining Society teil, unterbricht ein örtliches Fernsehprogramm usw.) sind meistenteils pennälerhaft und ermüdend.

Mit Bezug auf diese und andere Szenen schreibt Stein in Time, "wir" würden verspottet, weil der Zuschauer "der Idiot ist, der so sehr an den kulturellen Relativismus glaubt, dass er höflich nicken wird, wenn ihm ein Kerl erzählt, dass man in seinem Land Behinderte in Käfigen halte." Das ist absurd. Tatsächlich ist es so, dass sich eine Anzahl erstaunlich höflicher und geduldiger Individuen Borats unerquickliche Mätzchen gefallen lassen (wir wissen nicht, wie viele Leute ihn und seine Filmcrew schockiert fortgejagt haben) und jetzt für ihre Anstrengungen von den Medien eine Standpauke erhalten.

In den Taktiken von Cohen, Charles und ihren Mitarbeitern sowie in den Kommentaren von Stein und anderen Bewunderern findet man ein Ausmaß an gesellschaftlicher Abgeschottetheit, Schadenfreude und intellektuellem Sadismus, das definitiv beunruhigend ist. In seiner eigenen Weise unterstreicht dies die soziale und moralische Kluft im amerikanischen Leben. Eine privilegierte Schicht, die sich selber für kultiviert und wissend hält, übt sich in Verachtung für weite Teile der Bevölkerung.

Manohla Dargis behauptet in der New York Times, dass "Sacha Baron Cohen die Grobiane nicht vom Stuhl kippt; er löscht sie aus." Ganz im Gegenteil spielt zum größten Teil Cohen selber den Grobian. Dass Dargis davon nicht einmal Notiz nimmt, ist aufschlussreich. Stephanie Zacharek in Salon bringt Grausamkeit und Komödie in einen Zusammenhang und bemerkt: "Manchmal können wir unserer eigenen Fähigkeit zur Grausamkeit nicht ins Gesicht sehen - doch wenigstens können wir uns einen Spaß daraus machen." Vielleicht sollte sie besser für sich selber sprechen.

Die Bewunderer von Borat verweisen insbesondere auf drei Szenenfolgen als Ausweis pointierter Gesellschaftssatire. In einer davon gibt Cohen/Borat vor, eine Schusswaffe kaufen zu wollen. Es fragt den Waffenhändler, welche Art von Schusswaffe er zum Töten eines Juden empfehlen würde. Der Mann antwortet: "Ich empfehle Ihnen eine 9-mm oder eine Glock Automatik."

In einer zweiten, ausgedehnteren Sequenz unterhält sich Borat mit dem Rodeoausrichter Bobby Rowe in Salem, Virginia und sagt ihm an einer Stelle: "In meinem Land hängen wir Homosexuelle!" Rowe antwortet: "Das ist es, was wir hier zu tun versuchen." Als er dem Rodeopublikum vorgestellt wird, erklärt Borat: "Wir unterstützten euren Krieg gegen den Terror!" und erhält lautstarken Applaus, bevor er die angebliche kasachische Nationalhymne anstimmt, an welchem Punkt das Publikum sich gegen ihn wendet und ihn auszubuhen beginnt.

In der dritten wird Borat als Anhalter von drei Mitgliedern einer studentischen Kameradschaft in einem Wohnmobil mitgenommen. Die Burschenschaftler offenbaren in einem Zustand starker Trunkenheit dumme und rückständige Ansichten über Schwarze und Frauen.

Die Behauptung ist, Borat dringe hinter der höflichen, "politisch korrekten" Oberfläche zur verborgenen Wahrheit durch. Josh Rottenberg nennt Cohens Borat im Entertainment Weekly "ein transkulturelles trojanisches Pferd, das sich hinter die Abwehrhaltung seiner Subjekte schleicht und ihnen die Freiheit gibt, verborgene Vorurteile bloßzulegen - sich im Kabelfernsehen den Wunsch einzugestehen, dass es gestattet wäre, zum Beispiel Juden zu jagen oder Sklaven zu halten."

Abermals, Stein in Time : "Indem er, ohne mit der Wimper zu zucken, seine Listen ausspielt, schafft es Baron Cohen, seine Gesprächspartner dazu zu bringen, ihr inneres Selbst zu zeigen, und oft sieht dieses nicht hübsch aus." Der Regisseur Charles behauptet: "Ich hatte nie das Gefühl, dass wir jemanden grausam reingelegt haben. Wir haben Leuten die Gelegenheit gegeben, sie selbst zu sein."

Die Bedeutung all dessen ist klar und in solchen Kreisen nichts Neues. Amerika, so geht der Gedanke - oder wenigstens große Teile davon - ist ein Kessel, in dem es vor rassischem und ethnischem Hass, vor Frauenverachtung und anderen Vorurteilen nur so kocht; seine rückständige und gewaltbereite Bevölkerung wird von den Gesetzes- und Ordnungskräften gerade noch in Schach gehalten. In Film und Kunst besteht dann die "radikale" und "erfrischende" Position darin, zu entdecken, wie schmutzig wir (in Wirklichkeit, sie) tatsächlich sind.

Ist es aber nicht offensichtlich, dass Cohen, Charles und Co. bis zu einem gewissen Grade genau das "gefunden" (oder zu filmen gewählt haben), was ihren vorgefassten Einstellungen über die amerikanische Bevölkerung entspricht? Darin besteht die Ironie: ein Film, der sich angeblich der Verspottung von Stereotypen verschrieben hat, endet großenteils in ihrer Bestätigung und Bekräftigung.

Gibt es Rassisten, Antisemiten, bigotte Schwulenhasser und andere, ähnliche Typen in Amerika? Gewiss. Man müsste wohl nicht 15 bis 20 Millionen Dollar und mehrere Wochen Dreharbeiten investieren, um sie zu entdecken. Zunächst einmal erscheint eine gute Anzahl dieser Figuren regelmäßig auf den Kabelfernsehsendern, den Kanzeln fundamentalistischer Kirchen, bei der militärischen Befehlsausgabe und auf größeren politischen Parteiversammlungen. In jedem Fall besteht die Notwendigkeit, den Antisemitismus, Rassismus und ähnliche Niederträchtigkeiten zu enthüllen und zu bekämpfen.

Aber hasst jeder in Amerika zum Beispiel die Juden? Cohen spielt einen rasenden Antisemiten. Wie Ron Rosenbaum auf Slate bemerkt: "Die übliche Schlussfolgerung, die man daraus zieht, ist, dass er selber kein Antisemit sein kann, aber ich frage mich, ob es nicht eine andere Schlussfolgerung gibt: So sieht ein praktizierender orthodoxer Jude die Welt, selbst die judenfreundlichste Nation der Welt: ‘Sie alle hassen uns, selbst wenn sie es zu verbergen versuchen, aber man kann es direkt unter der Oberfläche finden.’"

Tatsächlich ist das Ausmaß von Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in den USA seit den 1950ern und 1960ern dramatisch zurückgegangen. Cohen scheint die misanthrope Sicht von David Mamet zu teilen, der, wie kürzlich ein Rezensent in der New York Times bemerkte, schreibt, "als wäre Pater Coughlin noch im Radio, als würde Henry Ford noch den Dearborn Independent feilbieten, und als marschierten Fritz Kuhns deutsch-amerikanische Bundisten immer noch durch Yorkville."

Als Mittel der Sozialforschung ist die Methode der Macher von Borat komplett wertlos. Es ist unmöglich herauszufinden, unter welchen Bedingungen jemand gefilmt wurde oder welches Filmmaterial verworfen wurde. Es ist klar, dass gewisse Personen Mitspieler waren, wie Pamela Anderson, die in einer der letzten Szenenfolgen des Films eine "Entführung" durchmacht. Die "schwarze Prostituierte", die Borat zu der Zusammenkunft der Southern Dining Society mitnimmt, ist in Wirklichkeit eine professionelle Darstellerin. Bestimmte Teile der Szene mit den Burschenschaftlern der University of South Carolina waren inszeniert.

Die Opfer von Borats Streichen wurden hinters Licht geführt. Haben einige davon es verdient, übertölpelt und bloßgestellt zu werden? Zweifellos. Ich hege kein Mitleid mit Rowe, zum Beispiel. In anderen Fällen ist die Unternehmung trübe oder willkürlich.

Das wirft die vielleicht wichtigste Frage auf. Der komische Moment ist kein fixierter oder abstrakter Punkt; es hat sozialen und psychologischen Inhalt. Grausamkeit mag untrennbar sein von echter Komödie, doch Grausamkeit wem gegenüber? Den Schwachen oder den Starken? Eine Torte im Gesicht ist amüsant, wenn das Gesicht die Torte verdient. Ein Tritt ins Hinterteil ist am komischsten, wenn jeder Zuschauer im Publikum sich die ganze Zeit gewünscht hat, einen solchen Tritt zu verpassen.

Das vielleicht größte Genie des Kinos, Charlie Chaplin, hat dem Bedürfnis seines Publikums, in der einen oder anderen Weise mit den herrschenden Mächten quitt zu werden, tief entsprochen. Der Filmtheoretiker Siegfried Kracauer schrieb, dass hinter dem offenen Ende in vielen Chaplin-Filmen "vielleicht ein Bedürfnis steckt, der Kraft des Widerstands der vermeintlich Schwachen, die dem Schicksal immer wieder ein Schnippchen schlagen, ein Denkmal zu setzen."

Solche Anwandlungen findet man selten in der zeitgenössischen Komödie. In Borat fehlen sie nicht völlig, aber ihre Anwesenheit ist undeutlich. In ihrer undifferenzierten Art treffen Cohen und Clark manchmal zufällig ins Schwarze. Der Film ist am vergnüglichsten, wenn er zum Beispiel die Scharlatanerie der evangelischen Kirchen entblößt (Borat wird errettet, "kommt zu Jesus" und beginnt, in Zungen zu reden) oder wenn Borat die Nationalhymne verballhornt.

Die Zuschauer regieren auf alle möglichen Elemente in Borat, auf seine formlos anarchistische Seite, seinen Pennälerhumor ebenso wie auf sein Hinterwäldlertum. Es mag verlockend, sogar bequem sein, auf etwas reinzufallen, das die Medien als brillant und respektlos kennzeichnen. Nichtsdestotrotz, hart gesprochen, geben immer noch allzu viele Menschen ihren kritischen Verstand an der Garderobe des Filmtheaters ab. Alles in allem ist Borat ein schäbiges und würdeloses Unternehmen.

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