Deutsche Regierung erwägt Luftwaffeneinsatz in Afghanistan

Die Bundesregierung bereitet eine massive Ausweitung ihres militärischen Engagements in Afghanistan vor. Nachdem sie bisher stets beteuert hatte, die Bundeswehr sei in Afghanistan lediglich mit Wiederaufbauarbeiten und der Sicherung des Regimes von Hamid Karsai beschäftigt und beschränke ihre Einsätze auf die Hauptstadt sowie den relativ ruhigen Norden, will sie nun mit der Entsendung von sechs Tornado-Flugzeugen auch in die heftigen Kämpfe im Süden des Landes einreifen.

Eine entsprechende Anfrage der Nato erreichte Berlin am 11. Dezember, wurde aber erst zehn Tage später bekannt. Offiziell ist noch keine Entscheidung gefallen. Die Süddeutsche Zeitung geht aber davon aus, dass "Kanzlerin Merkel, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsminister Jung bereits entschieden (haben), dass sie die Bitte der Nato nicht ablehnen können". Denn offizielle Anfragen dieser Art würden "normalerweise erst gestellt, wenn vorab auf Arbeitsebene eine positive Antwort gefallen" sei.

Bei den angeforderten Flugzeugen handelt es sich um so genannte Recce-Tornados. Sie dienen der Aufklärung (Rec onnaissan ce) und können kleinste Gegenstände aus der Luft identifizieren. Zur Wartung der hochkomplizierten und teuren Maschinen sind rund 250 Soldaten erforderlich, die vermutlich ebenfalls im Süden des Landes stationiert würden.

Auch wenn die deutschen Tornados lediglich zur Aufklärung und nicht zu Bombenabwürfen eingesetzt werden, wäre dies dennoch ein Kampfeinsatz. Sie würden Ziele für die amerikanischen und britischen Nato-Einheiten identifizieren, die im Süden des Landes einen blutigen Krieg gegen Aufständische führen und dabei zahlreiche Zivilisten töten. "Wer Ziele aufklärt, trägt zu ihrer erfolgreichen Bombardierung bei - mit allen Folgen bis hin zu den ominösen Kollateralschäden, die man aus dem Kosovo-Krieg kennt", kommentiert die Süddeutsche Zeitung.

Gegenwärtig wird darüber gestritten, ob ein solcher Einsatz eines neuen Bundestagsmandats bedarf oder durch das bestehende Afghanistan-Mandat gedeckt ist. Doch selbst wenn es zu einer erneuten Abstimmung im Bundestag käme, wäre eine Mehrheit garantiert. Aus beiden Regierungsparteien, Union und SPD, die zusammen über die Stimmenmehrheit verfügen, ist Zustimmung zu vernehmen.

Gernot Erler (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, erklärte im Deutschlandfunk, seiner Meinung nach gebe es "eine grundsätzliche Bereitschaft, eine solche Aufklärungsfunktion auch tatsächlich zur Verfügung zu stellen". Der CDU-Verteidigungsexperte Bernd Siebert signalisierte ebenfalls Zustimmung.

Auch die parlamentarische Opposition wird sich nicht oder nur halbherzig gegen eine solchen Einsatz stellen. Die FDP versprach eine sorgfältige und unvoreingenommene Prüfung. Die Grünen protestierten zwar, der Bundestag werde übergangen, legten sich aber auf keine eindeutige Haltung fest. Lediglich die Linkspartei will generell gegen eine Ausweitung des Afghanistan-Mandats stimmen.

Noch Ende November, auf dem Nato-Gipfel in Riga, hatte sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (ebenso wie ihre Amtskollegen aus Italien, Spanien und Frankreich) dem amerikanisch-britischen Drängen widersetzt, das Truppenkontingent in Afghanistan aufzustocken und sich an den Kämpfen im Süden zu beteiligen. Unterschwellig warfen die Europäer der US-Regierung vor, sie sei selbst für die Eskalation der Gewalt verantwortlich, weil sie einseitig auf militärische Mittel setze, anstatt den zivilen Aufbau zu forcieren - ein Vorwurf, der in den Medien dutzendfach wiederholt wurde. Nun setzt die deutsche Regierung selbst auf militärische Eskalation.

Weshalb dieser Kurswechsel? Hauptgrund dürfte das Debakel der USA im Irak sein.

Lange Zeit hatten die europäischen Regierungen auf den Bericht der Iraq Study Group gehofft. Die Kommission unter Leitung des Republikaners James Baker und des Demokraten Lee Hamilton, zu der die europäischen Regierungen bereits lange vor der Veröffentlichung des Berichts enge Beziehungen geknüpft hatten, empfahl eine Rückkehr zu traditionelleren Methoden der Diplomatie, um dem Schlamassel im Irak zu entrinnen. Unter anderem sprach sie sich für eine engere Zusammenarbeit mit den europäischen Regierungen und die Einbindung der Regionalmächte Iran und Syrien aus.

Mittlerweile ist klar, dass die Bush-Administration diese Empfehlungen weitgehend in den Wind schlägt und auf eine weitere militärische Eskalation setzt - mit katastrophalen Folgen, wie viele europäische Politiker fürchten. Nicht nur der Irak, sondern die gesamte Region droht in Bürgerkrieg und Chaos zu versinken. Das zöge nicht nur die amerikanischen, sondern auch die europäischen Wirtschafts- und Ölinteressen in der Region in Mitleidenschaft. Daher die europäischen und vor allem deutschen Bemühungen, selbst die Initiative zu ergreifen.

Die deutsche Regierung hat in Vorbereitung der Übernahme der EU-Präsidentschaft im 1. Januar eine Fülle außenpolitischer Aktivitäten entwickelt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist praktisch pausenlos unterwegs. So besuchte er in den vergangenen Tagen den syrischen Präsidenten Assad und den russischen Präsidenten Putin. Er bemüht sich um die Wiederbelebung des so genannten Nahost-Quartetts, dem neben den USA auch die Europäische Union, Russland und die Vereinten Nationen angehören. Die USA sollen so unter Druck gesetzt und in ein internationales Vorgehen im Palästina-Konflikt eingebunden werden.

Das verstärkte militärische Engagement in Afghanistan ist untrennbar mit diesen politischen Initiativen verbunden. Deutschland und Europa können ihre eigenen Interessen im Nahen Osten nur zur Geltung bringen, wenn sie auch militärisch massiv auftreten.

Mit der Aufstockung des Bundeswehrkontingents in Afghanistan soll zweierlei erreicht werden: Eine Erhöhung des deutschen Gewichts in der Region und Druck auf Washington. Berlin, so das Kalkül, gibt Washingtons Drängen nach, entlastet die USA militärisch in Afghanistan und erwartet als Gegenleistung ein stärkeres politisches Mitspracherecht in anderen Fragen des Nahen Ostens.

Auf diese Weise werden Deutschland und Europa zunehmend in den blutigen Krieg im Nahen Osten hineingezogen, gegen den zu Beginn des Irakkriegs Millionen auf die Straße gegangen sind. Den Preis dafür muss die Bevölkerung zahlen - in Form steigender Militärausgaben und des Lebens junger Soldaten.

Die Bevölkerung lehnt derartige Militäreinsätze mehrheitlich ab, doch das spielt für die Regierung keine Rolle. Wenn es um die Wahrnehmung imperialistischer Interessen geht, setzt sie sich rücksichtslos über demokratische Grundsätze hinweg. Dass selbst die Parlamentsabgeordneten, die laut Gesetz alle Bundeswehreinsätze genehmigen müssen, erst aus der Presse von den neuen Plänen erfuhren, ist symptomatisch für die Verbindung von Militarismus mit autoritären Herrschaftsformen.

Siehe auch:
Nato-Gipfel in Riga: Scharfe Konflikte über Afghanistan-Einsatz
(1. Dezember 2006)
Bundestag verlängert deutsche Teilnahme am "Krieg gegen Terror"
( 15. November 2006)
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