Pentagon-Bericht zeichnet schlimmes Bild von der Lage im Irak

Das amerikanische Vorhaben, den Irak zu erobern und das ölreiche Land in eine Halbkolonie der Vereinigten Staaten zu verwandeln, befindet sich im Zustand der Katastrophe. Zu dieser Einschätzung kommt ein Bericht des Pentagon, der am vergangenen Montag veröffentlicht wurde.

Der bewaffnete Widerstand gegen die US-Besatzung wird immer stärker. Sowohl die Angriffe auf US-Truppen als auch die amerikanischen Verluste nehmen rasant zu. Der vom US-Kongress bestellte Bericht des Verteidigungsministeriums zeigt, dass die Angriffe der Aufständischen in den letzten drei Monaten um 22 Prozent und die Verluste der USA um 32 Prozent angewachsen sind.

Mehr als zwei Drittel der Angriffe richten sich gegen amerikanische Truppen sowie gegen irakische Soldaten und Polizisten. Das verbleibende Drittel richtet sich gegen irakische Zivilisten. Die Bush-Regierung tut zwar alles Erdenkliche, um die Gewalt vor allem als einen Bruderkampf zwischen Sunniten und Schiiten darzustellen, doch die bewaffneten Aktionen sind größtenteils gegen die Besatzungstruppen und ihre einheimischen Handlanger gerichtet.

Die Zahl der Angriffe hat sich im vergangenen Jahr verdoppelt, was sämtliche Behauptungen der Bush-Regierung widerlegt, es gebe Fortschritte auf dem Weg zu einem stabilen Besatzungsregime. Waren es in den sechs Monaten von Februar bis August 2005 noch 463 Angriffe pro Woche, steigerte sich diese Zahl in den vier Monaten von August bis November dieses Jahres auf 959 pro Woche. Die amerikanischen Verluste betragen täglich 25 Tote und Verwundete, unter den irakischen Soldaten und Polizisten sind es sogar 33 Tote pro Tag.

Marinegeneralleutnant John F. Sattler, der Leiter der strategischen Planungsabteilung beim Generalstab, nahm vor der Presse zu dem Bericht Stellung. "Die Gewalt hat unglaublich schnell zugenommen", sagte er. Vertreter des Pentagon sagten gegenüber der Presse, die Aufständischen hätten "strategische Teilerfolge" errungen. Es sei ihnen gelungen, die von den USA eingesetzte Regierung in Bagdad entlang religiöser Linien zu spalten und ihre Handlungsfähigkeit zu untergraben.

Der Bericht weist zwar darauf hin, dass die US-Truppen ihr Ziel erreicht hätten, 325.000 irakischen Soldaten und Polizisten eine zumindest rudimentäre militärische Ausbildung zu vermitteln. Von diesen seien aber bereits 45.000 tot, verwundet oder verschwunden. Bis zu 50 Prozent der irakischen Soldaten würden sofort desertieren, schätzt das US-Verteidigungsministerium, wenn man sie außerhalb ihres Heimatbezirks einsetzt.

Krise im Pentagon

Die fast vierjährige amerikanische Besetzung des Irak hat die Bevölkerung in eine katastrophale Lage gebracht. Die sozialen und ökonomischen Bedingungen sind weit schlechter als unter Saddam Hussein, und das massenhafte Töten und Sterben hat heute viel größere Ausmaße angenommen als in den blutigsten Jahren des Baath-Regimes.

Der Krieg hat auch beim amerikanischen Militär tiefe Spuren hinterlassen, wie Stellungnahmen von Pentagon-Sprechern in der vergangenen Woche belegen. Armeechef Generalleutnant Peter Schoomaker sagte am 14. Dezember vor einem Kongressausschuss, die Belastungen durch langfristige Einsätze im Irak und in Afghanistan hätten eine verheerende Wirkung auf die Einsatzbereitschaft des Militärs, besonders auch aufgrund der Einsatzbeschränkungen von Reservisten und Nationalgarde.

"Die Armee ist nur dann in der Lage, die für den globalen Krieg gegen den Terror notwendigen Truppen zu mobilisieren und einsatzfähig zu halten, wenn ihre Bestandteile - die aktiven Truppen, die Garde und die Reserve - gemeinsam zulegen", sagte Schoomaker. Weiter erklärte er, es gebe nicht genug aktive Soldaten für die andauernden Einsätze, weil die aktuelle Politik des Pentagon einen zweiten Einsatz von Nationalgardisten und Reservisten nur auf freiwilliger Basis zulasse. "Ohne den wiederholten Rückgriff auf die Reserve durch erneute Einberufung werden wir die Aktiven zugrunde richten, da wir sie überfordern", sagte der General.

Die Bush-Regierung erklärte inoffiziell einen Stopp der Zweiteinsätze, die nach dem Gesetz durchaus erlaubt sind. Die Regierung möchte aus Angst vor den politischen Konsequenzen die Verluste unter Nationalgardisten und Reservisten, die in der Regel älter und verheiratet sind und Kinder haben, möglichst gering halten. Gleichzeitig wurde in den ersten drei Jahren des Krieges stark auf diese Soldaten zurückgegriffen, so dass von den insgesamt 522.000 Gardisten und Reservisten jetzt nur noch 90.000 für den Einsatz in Kriegsgebieten in Frage kommen.

In einer Presseerklärung erklärt die Armee, mittlerweile müssten Reserveeinheiten aus Soldaten ganz unterschiedlicher Einheiten zusammengestückelt werden. 62 Prozent der Reservetruppen sind jetzt derart uneinheitlich zusammengesetzt, während es im Jahr 2002 nur sechs Prozent waren. Bei einer Pionierkompanie von 170 Soldaten konnten beispielsweise nur sieben zum Einsatz geschickt werden; um die Einheit aussenden zu können, mussten schließlich weitere Soldaten aus 65 verschiedenen Einheiten von 49 Orten herbeigeholt werden. "Militärische Überlegungen verlangen, dass wir organisierte, ausgebildete und ausgerüstete Einheiten mit Zusammenhalt entsenden", sagte Schoomaker. "Aber das funktioniert nicht mit zusammengewürfelten Haufen."

Wegen solchen Überlegungen wehrt sich die Militärelite im Pentagon gegen die jüngste Initiative des Weißen Hauses. Die US-Regierung favorisiert eine Lösung, bei der 20.000 bis 30.000 zusätzliche Kampftruppen nach Bagdad und in die irakische Provinz Anbar geschickt werden, wo das Zentrum des sunnitischen Widerstands liegt, um einen intensiven Militärangriff gegen die lokale Bevölkerung zu entfesseln.

Einem Bericht in der Washington Post vom Dienstag zufolge haben sich die Generalstabschefs einhellig gegen den Vorschlag einer solchen Operation samt Truppenaufstockung ausgesprochen, weil die langfristigen Folgen nicht durchdacht worden seien. Besonders bedenklich sei, dass dies sowohl in sunnitischen als auch schiitischen Gebieten des Iraks den Widerstand weiter anheizen könnte.

Die führenden Offiziere machen sie auch große Sorgen, wie sich dies auf die Moral der Truppen auswirken würde. Die ehrgeizigsten Pläne bezüglich eines gesteigerten Truppeneinsatzes - die angeblich von Vizepräsident Dick Cheney unterstützt werden - machen eine Einsatzverlängerung bei Einheiten erforderlich, die im Moment auf ihren Rücktransport in die Heimat warten und dann aber in den Kampf zurückgeschickt würden.

Diese Ansichten werden am klarsten von Bushs Ex-Außenminister Colin Powell formuliert, der vorher auch Generalstabschef unter der Regierung von Bush Senior war. In dieser Eigenschaft leitete er die militärischen Operationen im ersten US-Krieg gegen den Irak. Bei einem Auftritt in der CBS-Sendung "Face the Nation" am Sonntag machte Powell seine Ablehnung jeder kurzfristigen Truppenverstärkung im Irak deutlich.

"Bevor ich zusätzliche Truppen schicke oder dies dem Oberkommandierenden empfehle, würde ich sicherstellen, dass wir eine klare Vorstellung haben, was sie dort wie lange tun sollen", sagte er.

Forderung nach Aufstockung der Armee

Bush, Cheney und ihre engsten Berater weigern sich, das Ausmaß der Katastrophe im Irak einzugestehen, und bekräftigen unnachgiebig das Ziel des militärischen Siegs. Bushs neuer Verteidigungsminister, der ehemalige CIA-Chef Robert Gates, wiederholte diese Position am Montag, als er das Amt von Donald Rumsfeld übernahm.

"Ein Scheitern im Irak zu diesem Zeitpunkt wäre ein Unglück, das unsere Nation verfolgen, unsere Glaubwürdigkeit beschädigen und die Amerikaner auf Jahrzehnte hinaus gefährden würde", erklärte er anlässlich seiner Vereidigung, im Beisein des Vizepräsidenten Cheney und des Demokraten Carl Levin, der demnächst den Vorsitz des Streitkräfteausschusses im Senat, übernimmt. Levin hatte Gates gemeinsam mit den anderen Demokraten im Senat als neuen Pentagon-Chef bestätigt und sagte der Washington Post, Gates stehe "einer Kontrolle durch den Kongress viel offener gegenüber" als Rumsfeld.

Keiner der Demokratischen Fraktionsführer im Kongress würde Gates widersprechen, dass eine Niederlage im Irak weltweit katastrophale Folgen für den amerikanischen Imperialismus hätte. Deshalb steht die neue Demokratische Mehrheit im Kongress entschlossen für die Fortsetzung des Kriegs, obwohl die Demokratische Partei bei den Kongresswahlen am 7. November gerade von der massiven Antikriegsstimmung in der US-Bevölkerung profitiert hat.

Die Konflikte in der herrschenden Elite drehen sich um die Frage, wie der Schaden aus dem Debakel im Irak minimiert werden kann. Aber alle Fraktionen unterstützen das grundlegende Ziel der Bush-Regierung, die Kontrolle über das Öl des Irak zu erlangen und das Land als strategische Machtbasis für die Pläne der USA im ganzen Nahen und Mittleren Osten zu nutzen.

Diesen parteiübergreifenden Konsens unterstreicht ein gemeinsamer Beitrag im Wall Street Journal von Senatorin Hillary Clinton, der Favoritin unter den möglichen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten 2008, und dem Republikanischen Senator John Ensign aus Nevada. Die zwei Senatoren fordern ein schnelles Handeln der irakischen Regierung bei der Einrichtung eines "Irakischen Öltrusts", der Anteile an jeden irakischen Bürger ausgeben soll.

Dies würde die Privatisierung der Ölindustrie vorbereiten. Solche Projekte sind in anderen Ländern schon als Mittel genutzt worden, staatliche Industrien an private Investoren zu verkaufen. Diese kaufen den einzelnen Bürgern ihre Anteile ab, wobei sie die verzweifelte Lage der arbeitslosen und verelendeten Bevölkerung ausnutzen.

Hillary Clinton hat auch einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine Erhöhung der Personalstärke der Armee um 80.000 Mann in den nächsten vier Jahren fordert. Der Gesetzentwurf wird von den Demokratischen Senatoren Jack Reed, Joseph Lieberman und Bill Nelson unterstützt. Unter Rumsfeld hatte das Pentagon solche Vorschläge immer schroff abgewiesen, aber am Dienstag sagte Bush, er sei jetzt bereit, eine Erhöhung der Soll-Stärke von Armee und Marinekorps zu unterstützen.

Siehe auch:
Europäische Ernüchterung über Baker-Bericht
(15. Dezember 2006)
Baker-Report wirft Schlaglicht auf die Krise des US-Imperialismus
( 9. Dezember 2006)
Die Wahlen 2006 und das amerikanische Zwei-Parteien-System: Bush und Demokraten entmündigen Antikriegs-Wähler
( 8. Dezember 2006)
Aus der Demokratischen Partei tönt der Ruf nach Wiedereinführung der Wehrpflicht
( 24. November 2006)
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