CSU in der Krise

Treueschwüre für Stoiber in Wildbad Kreuth

Die jährliche Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten in Wildbad Kreuth diente traditionell als Bühne, auf der die bayrische Landespartei gegen die Machthabenden in Berlin, bzw. Bonn polterte. Hier bekräftigte die CSU regelmäßig ihren Anspruch auf eine politische Rolle im Bund. Hier drohte Franz Josef Strauß dem CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl einst mit der bundesweiten Ausdehnung der CSU. Hier demonstrierte die CSU Jahr für Jahr ihren Anspruch, rechts von ihr keinen Platz für eine andere Partei zu lassen.

In diesem Jahr war es anders. Die Anwesenden übten sich in Treueschwüren für den Parteivorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und sicherten ihm ihre uneingeschränkte Loyalität zu. Von Kreuth werde ein Signal der "legendären Geschlossenheit der CSU" ausgehen, versprach Landesgruppenchef Peter Ramsauer.

Zuvor hatte bereits das CSU-Präsidium in München einen einstimmigen Unterstützungsbeschluss für Stoiber gefasst, in dem es heißt: "Das CSU-Präsidium wird mit dem Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten Edmund Stoiber die erfolgreiche Politik für Bayern über 2008 fortsetzen." Stoiber wurde damit faktisch zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im kommenden Jahr nominiert, obwohl dieses Recht eigentlich einem Parteitag zustünde. Ein Mitgliedervotum, wie es die Fürther CSU-Landrätin und Stoiber-Kritikerin Gabriele Pauli vorgeschlagen hatte, lehnte das Präsidium kategorisch ab.

Dass sich Stoiber in einer Weise huldigen lässt, wie man dies einst von SED-Parteitagen im Osten Deutschlands kannte, ist ein unverkennbares Symptom einer tiefen Krise in der CSU. Wäre sich Stoiber seiner Partei sicher, müsste er sich nicht einstimmig bestätigen lassen, wie einst Honecker vor dem Mauerfall. Seit Jahren rumort und gärt es in der CSU-Mitgliedschaft. Als die weitgehend unbekannte Gabriele Pauli dann vor einigen Wochen eine Mitgliederbefragung vorschlug, um den Spitzenkandidaten für die nächste Landtagswahl zu küren, brach in der Münchner CSU-Zentrale eine regelrechte Panikstimmung aus.

Die Parteispitze sammelte sich um den Vorsitzenden - obwohl jeder weiß, dass hintenherum weiterhin an seinem Stuhl gesägt und die Schlacht um die Nachfolge vorbereitet wird. Nur in einem Punkt ist sich die Parteispitze einig: Die Mitgliedschaft soll sich auf keinen Fall in die Entscheidung über zukünftige Politik und Führungspersonal einmischen, obwohl dies in einer demokratischen Partei eigentlich selbstverständlich sein müsste. Das ist ihr zu gefährlich, auch wenn die CSU-Mitglieder alles andere als fortschrittlich oder gar revolutionär gesinnt sind.

Die demonstrative Geschlossenheit der CSU in Kreuth ist eine reflexartige Reaktion, dem wachsenden Druck von unten einen Riegel vorzuschieben. Die "bayerische Volkspartei" - wie sich die CSU gerne nennt - hat in den vergangenen Jahren einen rücksichtslosen Sparkurses zu Lasten der Bevölkerung durchgeführt, was sowohl den Druck auf die Partei, als auch die Spannungen innerhalb der Partei verschärfte.

Anfang Dezember brach der Streit offen aus, als Gabriele Pauli auf einer CSU-Vorstandssitzung dem Parteichef und Ministerpräsidenten vorwarf, er habe sie bespitzeln lassen. Tatsächlich stellte sich heraus, dass Stoibers Büroleiter Michael Höhenberger gezielt im Umfeld von Pauli herumgeschnüffelt und versucht hatte, über Bekannte Verfängliches aus ihrem Privatleben zu erfahren, um sie damit unter Druck zu setzen. Zunächst nannte Stoiber diese Vorwürfe noch "absoluten Unsinn", doch als es sich nicht mehr leugnen ließ, opferte er seinen Vertrauten Höhenberger. Er entließ ihn und versuchte seine Aktionen als nicht genehmigte Taten eines Einzelnen darzustellen.

Das war Wasser auf die Mühlen von Pauli und anderen parteiinternen Kritikern. Öffentlich beklagte sie das Spitzelsystem in der CSU, dass angewandt werde, um "Kritiker mundtot zu machen". Sie sei "kein Einzelfall", andere aufmüpfige Mitglieder seien ebenso Opfer von Schikanen geworden.

Mit ihrer Forderung nach einem Rückzug Stoibers steht Pauli nicht alleine da. Mehrere Landtagsabgeordnete unterstützten anfänglich den Vorschlag einer Mitgliederbefragung. Vor allem an der Parteibasis wird Stoiber immer unbeliebter. Aktuellen Umfragen zufolge genießt der Parteichef nur noch die Unterstützung von etwa 50 Prozent der Parteianhänger. Fast ebenso viele wünschen sich ein Mitgliedervotum.

Doch Paulis Vorstoß hat nichts mit dem Eintreten für demokratische Strukturen innerhalb der Partei zu tun. Die 49-jährige Landrätin ist seit 30 Jahren Mitglied der CSU und sitzt seit 1989 im Parteivorstand. Ihr Vorstoß ist Ausdruck scharfer Meinungsverschiedenheiten im Parteiapparat über den zukünftigen Kurs der Partei.

Lange Zeit schien die Macht der CSU in Bayern nahezu unantastbar. Sie stellt seit 49 Jahren ununterbrochen den Ministerpräsidenten, Stoiber selbst übt das Amt seit 14 Jahren aus. Die meiste Zeit regierte die CSU mit absoluter Mehrheit. Sie stützte sich auf eine stabile Wählerbasis in den riesigen, konservativen ländlichen Regionen. Außerdem profitierte sie von der Rolle der SPD, die mit der mit der CSU konkurrierte, indem sie versuchte ihr so ähnlich wie möglich zu sehen. Sie gab sich auf allen Ebenen der Politik noch gottgläubiger, noch bierseliger und noch bajuwarisch-bornierter als das Original und blieb bei Wahlen immer weit abgeschlagen hinter der CSU.

Als sich in den 70er und 80er Jahren im stark landwirtschaftlich geprägten Bayern eine moderne Industrie entwickelte und sich Automobil-, Rüstungs- und später IT-Unternehmen niederließen, floss ein Teil des neu entstandenen Reichtums direkt in den CSU-Apparat, der auf diese Weise gestärkt und weitgehend unabhängig von Mitgliedern und Wählern wurde. Es entstand ein enges Netz von Abhängigkeiten, Gefälligkeiten und Korruption - das berühmt-berüchtigte Amigo-System.

Ein Teil der steigenden Steuereinnahmen und Subventionen aus Bundes- und EU-Töpfen wurde eingesetzt, um die Bevölkerung ruhig zu stellen. Das konservative Bayern verfügte so zeitweise über bessere Sozialleistungen und Bildungsmöglichkeiten als die sozialdemokratisch regierten Länder im Westen und Norden Deutschlands, die mit dem Niedergang der Montanindustrie und hohen Arbeitslosenzahlen zu kämpfen hatten.

Doch spätestens seit den neunziger Jahren ist das vorbei. Die Folgen der Globalisierung machen auch südlich des Mains nicht halt. Mehr und mehr wanderten Betriebe in den vergangenen Jahren ab. Massenentlassungen und Werksschließungen wurden immer häufiger. So wurden zuletzt das AEG-Werk in Nürnberg sowie das Infineon- und das BenQ-Werk in München geschlossen, um nur die größten des vergangenen Jahres zu nennen.

Während die rot-grüne Bundesregierung mit der Agenda 2010 drastische Sozialkürzungen durchführte, verschärften auch Stoiber und die CSU, die seit den Landtagswahlen 2003 über eine Zwei-Drittelmehrheit im Münchner Landtag verfügen, den Sparkurs erheblich.

Unter dem Motto von Staatskanzleichef Erwin Huber, "Sozial ist, wer keine Schulden macht", wurden vor allem im Sozial- und Bildungsbereich große Summen eingespart. 2004 wurden bei einem Gesamthaushalt von etwas über 30 Milliarden Euro über 1,6 Milliarden gekürzt, und zwar 160 Millionen allein im Sozialbereich und rund 60 Millionen bei der Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen und Ausländern.

Gesetzliche Leistungen wie das Landeserziehungsgeld, Blindengeld und Mittel für die Notfallrettung wurden drastisch gekürzt. Trotz der steigenden Arbeitslosigkeit in vielen Regionen wurden Mittel zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gestrichen. Besonders hart traf es die Angestellten und Beamten im Freistaat. Die wöchentliche Arbeitszeit wurde ohne Lohnausgleich auf 42 Stunden angehoben, und Urlaubs- und Weihnachtsgeld empfindlich gekürzt.

Die Sparmassnahmen im Bildungsbereich waren ebenso einschneidend. Eine Kürzung des Etats der Universitäten um 10 Prozent hatte massive Stellenstreichungen zur Folge. Die Kostenfreiheit für Schulbücher und Schulbusfahrten gehört der Vergangenheit an. Die Einführung des "G8", eines auf zwölf Schuljahre verkürzten Abiturs, erhöht den Druck auf Schüler und Lehrer massiv. Das Bildungsministerium musste kürzlich eingestehen, dass in Bayern mittlerweile über 800 Lehrkräfte fehlen, um den Regelunterricht sicher zu stellen. Das führte in der Vergangenheit immer wieder zu heftigen Protesten von Studenten und Lehrern.

Bei den Bundestagswahlen im Herbst 2005 verlor die CSU 900.000 Wählerstimmen. Doch trotz mahnender Stimmen und obwohl der Landeshaushalt im vergangenen Jahr ausgeglichen war, will Stoiber an seinem radikalen Sparkurs festhalten.

Hinzu kommt, dass das Gewicht Bayerns im Bund mit der Vereinigung Deutschland stark abgenommen hat. In den neuen Bundesländern gründete die CDU Landesverbände, die CSU blieb auf Bayern beschränkt. 2002 gelang es Stoiber zwar aufgrund des Führungsstreits in der CDU, sich zum Kanzlerkandidaten der gesamten Union küren zu lassen. Doch er verlor den bereits sicher geglaubten Wahlsieg an Gerhard Schröder (SPD), nachdem sich dieser gegen den Irakkrieg gewandt hatte.

2005 setzte die CDU dann mit Angela Merkel ihre eigene Vorsitzende als Kanzlerkandidatin durch. Stoiber erklärte sich erst nach langem Zögern bereit, ein Ministeramt in Merkels Regierung zu übernehmen - und zog sich sofort wieder zurück, als in der CSU ein heftiger Kampf zwischen Innenminister Günter Beckstein und Staatskanzleichef Erwin Huber um seine Nachfolge als bayrischer Ministerpräsident entbrannte.

Seither gilt Stoiber als angeschlagen. Besonders in der CSU-Mitgliedschaft besteht ein starkes Bedürfnis nach einem Führungswechsel. Tritt Stoiber aber ab, bricht unweigerlich der Kampf um seine Nachfolge und den zukünftigen Kurs der Partei wieder auf.

Während die stark neo-liberal ausgerichteten Kräfte um Huber und Finanzminister Kurt Faltlhauser eine Fortsetzung und Verschärfung der marktradikalen Politik anstreben, halten andere diesen Kurs für riskant. Sie fürchten, der soziale Widerstand könnte außer Kontrolle geraten. Hier haben sich bezeichnenderweise der Sozialpolitiker Horst Seehofer und der notorisch rechte Innenminister Günter Beckstein zusammengetan.

Seehofer war mehrmals als Kritiker der unsozialen Politik Stoibers aufgetreten. Er wird gerne als das "soziale Gewissen" der Partei bezeichnet. Allerdings ist der ehemalige Bundesgesundheitsminister nicht generell gegen Soziallabbau, er will ihn nur langsamer betreiben und geschickter verpacken. Er tritt dafür ein, die "überholten Strukturen" im Gesundheitswesen zu modernisieren und die Arbeitgeberbeiträge zu begrenzen. Gleichzeitig sollen Leistungen wie die kostenfreie Mitversicherung von Kindern erhalten bleiben. Seehofer spricht von "Reformen mit Augenmaß".

Flankiert werden sollen diese "Reformen mit Augenmaß" durch die weitere Aufrüstung des Staatsapparats, für die Beckstein zuständig ist.

Gabriele Pauli hat sowohl Beckstein als auch Seehofer als mögliche Nachfolger Stoibers ins Spiel gebracht. Beckstein lehnte ab und Seehofer hüllt sich momentan noch in Schweigen. Pauli selbst vertritt eine ähnliche Linie wie Seehofer. Sie hat zu keinem Zeitpunkt die Sozialkürzungen kritisiert. Selbst als die ehemalige Bildungsministerin Hohlmeier Kürzungen an Schulen durchsetzte und dabei kritische Schuldirektoren kurzerhand strafversetzte, kam von Pauli kein Widerspruch.

Momentan unterstützt die Führungsriege der CSU, zumindest offiziell noch, den Parteichef. Stoiber selbst wertet die einstimmige Entscheidung des Präsidiums, ihn zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2008 zu benenne, als "eindeutigen Vertrauensbeweis". Doch vieles deutet darauf hin, dass die Konflikte bald wieder aufbrechen. Vereint ist die CSU-Führung gegenwärtig vor allem in einer Frage: Dem Druck von unten, von der Parteibasis oder der Bevölkerung, soll unter keinen Umständen nachgegeben werden.

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