Grüne attackieren Friedensmärsche

Wie in früheren Jahren organisierte die Friedensbewegung auch am vergangenen Wochenende wieder Ostermärsche gegen Krieg und Militarismus. In diesem Jahr stand der Protest gegen den Irakkrieg und die Ausweitung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan durch Tornado-Einsätze im Süden des Landes im Mittelpunkt der Aktionen. Spitzenpolitiker der Grünen, deren Parlamentsfraktion mehrheitlich für den Einsatz der deutschen Luftwaffe im Süden Afghanistans gestimmt hatte, attackierten die Organisatoren der Ostermärsche.

Parteichefin Claudia Roth warf den Veranstaltern der Antikriegsproteste eine "Schwarz-Weiß-Sicht" vor. Ihre Aufrufe sagten "notorisch wenig" dazu, wie internationalen Krisen begegnet werden könne, erklärte Roth. Der Blick der Ostermarschierer verenge sich zu oft "auf die pauschale Ablehnung des Militärischen". Dazu passe, dass die Vereinten Nationen in den Aufrufen so gut wie gar nicht auftauchten. Dies sei "friedenspolitisch ein Armutszeugnis". Stattdessen erweckten etliche Aufrufe den Eindruck, als seien die US-Regierung, die EU und die bundesdeutsche Politik "eine einzige Achse des Bösen".

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Franziska Eichstädt-Bohlig, bezeichnete die Ostermärsche als "nicht zeitgemäße Form des Antikriegsprotests". Die Friedensmärsche seien "zu einem Ritual geronnen", das sich nur noch gegen Kriegs- und Konfliktsituationen richte, aber keine "differenzierten positiven Antworten" auf komplexe und widersprüchliche Situationen gebe. Mit "Abrüstung alleine" könnten die Weltkonflikte nicht gelöst werden. Die Welt sei komplizierter, als "pro und kontra Frieden", sagte Eichstädt-Bohlig.

Reinhard Bütikofer, der sich mit Claudia Roth den Vorsitz der Partei teilt, verteidigte ausdrücklich die militärischen Auslandseinsätze der deutschen Armee. Die Welt wäre "weitaus unsicherer" ohne den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan oder im Libanon, erklärte er im ZDF.

In einem Interview mit Deutschlandradio Kultur dozierte Bütikofer über die Friedensrolle der Bundeswehr: "Aber ohne zum Beispiel jetzt in Afghanistan den notwendigen zivilen Aufbau des Landes, den wichtigen demokratischen Impuls im Land auch militärisch zu schützen, würde das alles sicherlich nicht gelingen können."

Das ist reine Kriegspropaganda. In Wirklichkeit schützen die Nato-Truppen in Afghanistan eben so wenig die "Demokratie", wie die amerikanischen Besatzungstruppen dies im Irak tun. Sie schützen das Marionettenregime von Hamid Karzai, das durch die USA an die Macht gebombt wurde und den imperialistischen Mächten hörig ist. Karzais Einfluss reicht nicht über Kabul hinaus, und der Widerstand gegen sein Regime nimmt ständig zu.

Um Karzai zu stützen, arbeitet die Bundeswehr im Norden des Landes mit den ortsansässigen Warlords und Drogenbarone zusammen. Sie toleriert ihre Geschäfte mit Waffen und Drogen, und die Warlords unternehmen im Gegenzug nichts gegen die schwache Zentralregierung. Im vergangenen Jahr wurde in Afghanistan mehr Opium produziert als jemals zuvor.

Im Süden nimmt die Unterdrückung des Widerstands immer brutalere Formen an. Tausende Zivilisten fallen der - wie es heißt - "Bekämpfung der Taliban" zum Opfer. Die Besatzungstruppen sind in der Bevölkerung inzwischen zutiefst verhasst.

Wie mit dem Krieg gegen den Irak verfolgen die Großmächte auch mit der Besetzung Afghanistans imperialistische Ziele. Mit seinen Grenzen zum Iran, Pakistan und den ehemaligen Sowjetrepubliken Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan nimmt Afghanistan in ihrem Kampf um die Kontrolle der Energiequellen und um geostrategische Interessen eine außerordentlich wichtige Stellung ein.

Aus den Reihen der Ostermarschierer gab es heftigen Widerspruch gegen die Attacken der Grünen. Das Netzwerk Friedenskooperative bezeichnete den Vorwurf, in der Friedensbewegung fehlten Vorschläge zur Krisenbewältigung, als völlig abwegig. Gerade Claudia Roth und Winfried Nachtwei "müssten es aus der früheren engen Zusammenarbeit eigentlich besser wissen und von den vielen von Friedensorganisationen ausgearbeiteten detaillierten Vorschlägen für zivile Alternativen zu Krieg und militärischem Vorgehen Kenntnis haben", sagte Manfred Stenner vom Netzwerk Friedenskooperative.

In einem Offenen Brief an die Parteiführung wird Roth wegen ihres Verhaltens heftig kritisiert. "Wer mit dem Kosovo-Krieg 1999 und dem Afghanistan-Krieg 2001 (Beteiligung an der Operation Enduring Freedom) zwei völkerrechtswidrige Kriege unterstützt hat, sollte gegenüber der Friedensbewegung nicht den moralischen Zeigefinger heben", schreiben die Autoren.

Außerdem kollidiere Roths Forderung nach einem positiven UN-Bezug in den Aufrufen mit "dem taktischen Verhältnis", das die Grünen in den vergangenen Jahren zum Völkerrecht gepflegt hätten. So hätten die Grünen den Irak-Krieg 1991 "völlig zu Recht" abgelehnt, obwohl die UN ihn legitimiert hatten.

Die offene Attacke der Grünen auf die Ostermarschbewegung kennzeichnet eine neue Stufe ihrer Entwicklung nach rechts.

Seit sie 1998 in die Bundesregierung eintraten und Joschka Fischer die Verantwortung für die Außenpolitik übernahm, sind sie von ihren einstigen pazifistischen Standpunkten abgerückt und zu enthusiastischen Befürwortern internationale Militäreinsätze geworden. Doch bisher hatten sie stets versucht, die Pazifisten unter ihren Anhänger wenigstens durch verbale Zugeständnisse bei der Stange zu halten. Das ist nicht länger der Fall. Nun greifen die Grünen die Friedensbewegung in einer Art und Weise an, wie man dies früher nur von der Union kannte. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe.

Erstens sind die Zeiten vorbei, in denen sich die deutsche Außenpolitik mit pazifistischen Phrasen bemänteln ließ. Die aggressive Außenpolitik der USA und das amerikanische Debakel im Irak zwingen auch Deutschland, seine internationalen Interessen mit zunehmender Aggressivität und mit militärischen Mitteln zu verteidigen.

Der ehemalige grüne Außenminister Joschka Fischer hat dies Mitte März in einer Rede an der Berliner Humboldt-Universität deutlich ausgesprochen. Er begann seine Rede mit der Frage: "Sind wir Europäer darauf vorbereitet die Probleme zu lösen, die sich aus der Selbstschwächung der Vereinigten Staaten durch ihre Politik des Unilateralismus ergeben, die sie in das Desaster des Irakkrieg geführt haben?" Und er beendete sie mit der Forderung nach einer "neuen außen- und sicherheitspolitischen Verantwortung" Europas unter deutscher Führung.

Ausdrücklich befürwortete Fischer dabei auch ein stärkeres militärisches Engagement. So sagte er zum deutschen Einsatz im Libanon, die gegenwärtige Situation, in der die deutsche Marine sich darauf beschränke, an der Küste des Libanon die "außerordentlich gefährliche Armada der Hisbollah" in Schach halten, während andere Bündnispartner im Landesinneren "die Kastanien aus dem Feuer holen", sei nicht länger akzeptabel.

Zweitens streben die Grünen, nachdem sie mit der SPD keine Mehrheiten mehr zustande bringen, auf eine Koalition mit der Union zu. Eine Koalition von CDU/CSU, FDP und Grünen hätte im Bundestag rechnerisch eine Mehrheit und könnte die zunehmend blockierte Große Koalition ablösen. Fischers Humboldt-Rede las sich wie eine erneute Bewerbung um den Posten des Außenministers. Es gab darin nichts, was eine Angela Merkel nicht akzeptieren könnte.

Parteichef Bütikofer hat in den vergangenen Monaten wiederholt betont, seine Partei strebe auf verschiedenen Ebenen eine engere Zusammenarbeit mit den Unionsparteien an.

Und in Berlin, das von einer Koalition aus SPD und Linkspartei regiert wird, bemüht sich der CDU-Vorsitzende Friedbert Pflüger seit geraumer Zeit um ein gutes Verhältnis zu den Grünen. Er macht keinen Hehl daraus, dass er eine Koalition der beiden Parteien für wünschenswert hält. Die Berliner Grünen fühlen sich geschmeichelt und betonen ihrerseits wachsende politische Gemeinsamkeiten mit der CDU. Eine schwarz-grüne Koalition in der Bundeshauptstadt hätte Signalwirkung für die Bundespolitik.

Siehe auch:
Ex-Außenminister Fischer plädiert für europäische Großmachtpolitik unter deutscher Führung
(22. März 2007)
Bundesparteitag der Grünen: Frieden aus den Gewehrläufen
( 8. Dezember 2006)
Grüner Militarismus: Ströbele wirbt für Kongo-Einsatz
( 25. Mai 2006)
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