Bremen-Wahl

Massive Opposition gegen große Koalition

Die Wahl in Bremen am vergangenen Sonntag hat deutlich gemacht, wie groß die Opposition in der Bevölkerung gegen die Große Koalition aus SPD und CDU ist. Nur noch gut ein Drittel aller Wahlberechtigten wählte eine der beiden Parteien, die in Berlin und im Stadtstaat Bremen die politische Macht hatten, beziehungsweise haben.

Die SPD verlor 5,5 Prozentpunkte und erreichte nur noch 36,8 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die CDU kam auf 25,6 Prozent, 4,1 Punkte weniger als vor vier Jahren bei der letzten Wahl. Die Wahlbeteiligung rutschte im Vergleich zum letzten Mal noch einmal deutlich ab. Nicht einmal 58 Prozent gingen an die Urne. Die absoluten Stimmenverluste von SPD und CDU sind daher noch weit höher als die prozentualen. In absoluten Zahlen verlor die SPD über 17 Prozent der Stimmen im Vergleich zur letzten Wahl, die CDU über 18 Prozent.

Profitieren von der wachsenden Opposition gegen die Große Koalition, die in Bremen schon seit zwölf Jahren an der Macht ist, konnten vor allem die Grünen und die Linkspartei. Die Grünen erreichten mit 16,4 Prozent der Wählerstimmen ihr bislang bestes Landtagswahlergebnis. Bei der letzten Wahl 2003 hatten sie einen Stimmenanteil von 12,8 Prozent. Sie erreichten mit gut 45.000 Stimmen rund 8.000 mehr als vor vier Jahren. Überraschend hoch war das Ergebnis der Partei "Die Linke" aus PDS und WASG. Sie zog mit 8,4 Prozent zum ersten Mal in ein westdeutsches Landesparlament ein. Vor vier Jahren hatten sie nur magere 1,7 Prozent erzielt. Die Linkspartei.PDS und die WASG haben sich in Bremen extra zur Wahl schon vor der bundesweiten Fusion der beiden Parteien Mitte Juni zu einer Partei zusammengeschlossen.

Die FDP konnte nur geringfügig um 1,7 Punkte zulegen und kam auf 5,9 Prozent. Die rechtsradikale DVU wird über das Sonderwahlrecht für Bremerhaven erneut mit einem Abgeordneten ins Parlament einziehen. Sie erhielt dort 5,4 Prozent der Stimmen und hat das Recht, wie schon vor vier Jahren einen Abgeordneten zu entsenden. Parteien müssen nur in einem der beiden Wahlbereiche Bremen oder Bremerhaven mindestens fünf Prozent bekommen, um im Landesparlament vertreten zu sein.

Die SPD kann nun entweder mit der CDU die Große Koalition an der Weser weiterführen oder mit den Grünen regieren. Der alte und neue Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) hat schon gleich am Wahlabend angekündigt, dass seine Partei schnell ein Regierungsbündnis bilden und daher "zügig" mit beiden Parteien Sondierungsgespräche beginnen werde. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat zwar wie üblich erklärt, die Entscheidung, mit wem die Regierung gebildet werde, liege ganz beim Landesverband Bremen, doch Teile der SPD haben sich bereits für eine rot-grüne Regierungsbildung ausgesprochen.

Schon spekulieren einige Medien über eine frühzeitige Auflösung auch der Großen Koalition auf Bundesebene. Das Hamburger Abendblatt kommentierte zum Wahlausgang: "Der Konkurrenzdruck durch die Linkspartei - unter den SPD-Linken wird ab heute Ausstiegsszenarien aus der Großen Koalition in Berlin beflügeln."

Der Linksruck, der sich in der Wahl ausdrückt, löste unter den Spitzenpolitikern der Großen Koalition Überraschung und hektische Reaktionen aus. Mit einem so hohen Stimmenanteil für die Linkspartei war nicht gerechnet worden. Parteisprecher der Union forderten von der SPD ein eindeutiges Bekenntnis zur Fortsetzung der Großen Koalition, und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) erklärte, wie schon nach früheren Wahlniederlagen der SPD, die Stimmenverluste für seine Partei würden keinerlei Auswirkungen auf die Fortsetzung der Regierungspolitik haben.

Sozialer Niedergang und Polarisierung in den Mittelschichten

Das Bremer Wahlergebnis ist ein Ergebnis davon, dass die Landes- und Bundesregierung die wirtschaftlichen Probleme mit immer schärferen Sozialkürzungen auf die Bevölkerung abwälzt und damit einen rapiden sozialen Niedergang erzeugt. Bremen hat in den vergangenen Jahren einen starken Strukturwandel vollzogen. Tausende Arbeitsplätze sind vor allem im Schiffbau und der Stahlindustrie abgebaut worden. Viele Werften, darunter der Bremer Vulkan und die AG Weser, sind geschlossen worden. Die Stahlwerke Bremen wurden vom französischen Arcelor-Konzern (seit 2006: Arcelor Mittal) übernommen, was ebenfalls Arbeitsplätze kostete.

DaimlerChrysler ist zwar nach wie vor der größte private Arbeitgeber der Stadt, aber hier wie in der Luft- und Raumfahrtindustrie - die Endmontage der Airbusflügel findet in Bremen statt - werden ebenfalls stetig Arbeitsplätze abgebaut.

Die Armutsrate und die Arbeitslosenquote waren daher in den vergangenen Jahren nach oben geschnellt. Inzwischen sind sie zwar wieder etwas gesunken, allerdings nur, weil viele aus der Statistik herausmanipuliert wurden. So waren etwa in Bremen im März 2007 gut 36.000 Arbeitslose gemeldet (Bremerhaven: 14.000), was eine Quote von 11,2 Prozent bedeutet (Bremerhaven 13,3). Doch allein in Bremen leben fast 60.000 Menschen vom Arbeitslosengeld II, weitere 23.000 erhalten Sozialgeld. Viele Stadtteile, in denen sich die auf Hartz-IV-Gelder angewiesenen Armen konzentrieren, verfallen zusehends.

Nach Untersuchungen lebten 2005 rund 330.000 Menschen in Bremen unter oder in der Nähe der Armutsgrenze, davon war rund die Hälfte auf öffentliche Unterstützung angewiesen, die andere Hälfte kämpfte mit unzureichenden Löhnen und Renten. Jedes dritte Kind in Bremen unter 15 Jahren wächst unter Armutsbedingungen auf, in Bremerhaven sind des sogar 40 Prozent aller unter 15-Jährigen.

Die seit 1995 regierende Große Koalition in Bremen trägt - neben den Industriekonzernen - mit ihren sozialen Kürzungen die Verantwortung für diese Massenarmut. Als Grund für immer weitere Kürzungen mussten die hohen Schulden des Stadtstaats von 14 Milliarden Euro herhalten.

Die soziale Polarisierung wird auch an den Wahlergebnissen deutlich. Die ärmeren Stadtteile blieben meist der Wahl fern. Hier schwankt die Wahlbeteiligung zwischen 40 und 50 Prozent. In einem der ärmsten Wahlbezirke, dem Ortsteil Goethestraße, lag sie sogar bei nur 38 Prozent. In den besseren Wohngegenden lag die Wahlbeteiligung dagegen fast überall bei über 70 Prozent.

SPD und CDU verloren in allen Wahlbezirken an Stimmen. Die SPD ist in ihren alten Hochburgen, den älteren Arbeitervierteln und den Großsiedlungen zwar immer noch stärkste Partei, verlor aber auch hier. Vor allem ist gerade in diesen sozialdemokratischen Hochburgen die Wahlbeteiligung seit langem am stärksten gesunken. Die CDU verlor am wenigsten Stimmen in ihren Hochburgen, den besseren Wohngegenden und ländlicheren Bezirken.

Beide so genannten Volksparteien verloren vor allem ihre Stimmen in den Innenstadt- und an die Innenstadt angrenzenden Bezirken. Hier wohnen die Schichten mit "einem ausgeprägten bildungsbürgerlichen Hintergrund", wie erste Wahlanalysen diese großstädtischen Mittelschichten umschreiben.

Hier gewannen vor allem die Grünen. In der Bremer City und am Cityrand erhielten sie teilweise über 40 Prozent der Stimmen. In einem Wahlbezirk in Bremen-Ostertor kamen die Grünen sogar auf 50,3 Prozent. 21 Prozent der Selbstständigen in Bremen wählten grün. Die Grünen sind damit in dieser Schicht hinter der CDU zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen. Bei Angestellten und Beamten erreichten sie 19 Prozent. Aber auch unter jüngeren Wählern konnten die Grünen Stimmen hinzugewinnen. Sowohl bei den Erstwählern als auch bei den unter 30-Jährigen wurden sie mit rund 23 Prozent zur zweitstärksten Partei.

Auch die Linke gewann bei den Mittelschichten überdurchschnittlich. Im besagten Wahlbezirk Ostertor erzielte sie 19,8 Prozent der Stimmen und lag damit in diesem Bezirk nur zwei Prozent hinter der SPD. Die Linke gewann zudem auch in den Arbeitervierteln überdurchschnittlich hinzu. Dort erreichte sie einen Stimmenanteil von rund 10 Prozent. Unter Arbeitslosen kam die Linke nach Angaben der Forschungsgruppe Wahlen sogar auf 22 Prozent.

Verzerrter Ausdruck einer wachsenden sozialen und politischen Opposition

Während also die Parteien der Großen Koalition von den Wählern abgestraft wurden, konnten die Grünen und die Linke von der wachsenden Opposition innerhalb breiter Schichten profitieren. Das Wahlergebnis ist daher ein verzerrter Ausdruck der wachsenden sozialen und politischen Polarisierung. Doch eine rot-grüne Landesregierung in Bremen würde nicht weniger soziale Angriffe durchführen als die rot-grüne Bundesregierung, die den sozialen Niedergang eingeleitet hat, der nun von der Großen Koalition fortgesetzt wird.

Noch am Wahlabend erklärte die Spitzenkandidatin der Grünen, Karoline Linnert, man müsse in Bremen zügig an den Abbau der 14 Milliarden Euro Schulden herangehen, um die Stadt handlungsfähig zu machen. Übersetzt heißt dies nichts anderes als weiterer und verschärfter Sozialabbau. Ungeachtet davon, dass die Grünen im Wahlkampf zeitweise auch "linke Töne" anschlugen, haben sie auf Landes- und Bundesebene längst bewiesen, dass sie sich den so genannten Sachzwängen des Profitsystems beugen und nicht nur alle sozialen Kürzungen mittragen, sondern sogar vehement dafür eintreten.

Auch für die Linkspartei kam der Wahlsieg in Bremen überraschend. Ihr Spitzenkandidat Peter Erlanson war kein Wunschkandidat der Bundespartei. Die beiden Fraktionschefs der Linkspartei im Bundestag, Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, hatten den finanzpolitischen Sprecher ihrer Fraktion, Axel Troost, vorgeschlagen. Doch Erlanson konnte auf einer Mitgliederversammlung der Bremer WASG im Januar 2007 schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erlangen. Der 48-jährige Erlanson, der aus der Anti-Atomkraft-Bewegung und der Studentenpolitik zu Attac und zur Gewerkschaft Verdi kam, ist inzwischen stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Bremer Klinikums Links der Weser.

Er hat im Wahlkampf insbesondere auf die wachsende Armut angesprochen und Abhilfe versprochen. Auf einer ersten Landespressekonferenz kündigte die Bremer Linke denn auch gleich erste parlamentarische Initiativen für die konstituierende Sitzung des Landesparlaments im Juni an. Ein-Euro-Jobs sollen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt werden, auf Zwangsumzüge für Arbeitslose soll verzichtet und die Einführung eines Sozialtickets für sie beantragt werden. Ebenso will sich Erlanson gegen die noch von der alten Regierung geplante Teilprivatisierung der Kliniken wenden.

Doch die soziale Rhetorik der Bremer Linken steht in schreiendem Gegensatz zur politischen Praxis der Linkspartei.PDS, dort wo sie politische Macht hat. In Berlin setzen SPD und Linkspartei.PDS seit fast sechs Jahren gemeinsam genau die Angriffe gegen die Bevölkerung durch, die Erlanson in Bremen lautstark kritisiert und ablehnt. Auch in Mecklenburg-Vorpommern hat der PDS-Arbeitsminister Holter mehr Krankenhäuser privatisiert, als in den meisten konservativ regierten Bundesländern.

Das Wahlergebnis in Bremen macht vor allem eines deutlich: Es zeigt, wie dringend es ist, eine neue sozialistische Partei aufzubauen, die die Lehren aus der politischen Rechtswende der Grünen und dem krassen Opportunismus der Linkspartei zieht und dem wachsenden Widerstand gegen die Große Koalition eine internationale sozialistische Perspektive gibt.

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