Gründungsparteitag "Die Linke"

Lafontaines demagogische Phrasen

Die Rede des Co-Vorsitzenden Oskar Lafontaine löste unter den Delegierten und Gästen der Gründungskonferenz der Partei "Die Linke" Begeisterungsstürme und stehende Ovationen aus. Lafontaine stellte sich in die Tradition von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, wetterte gegen Krieg und Kapitalismus und sprach sich für den Generalstreik "als Mittel demokratischer Auseinandersetzungen" aus.

Nimmt man des Gesagte allerdings etwas genauer unter die Lupe, dann zeigt sich, dass die radikalen Phrasen lediglich dazu dienten, die völlige Anpassung an die bestehende bürgerliche Ordnung zu verdecken. Lafontaines Hauptthema war, wie in früheren Reden und Schriften, die Rückkehr zur Politik der sozialen Reformen, wie sie in den siebziger Jahren der Bonner Republik praktiziert wurde. Als dritte Leitfigur neben Liebknecht und Luxemburg nannte er dementsprechend den damaligen sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt.

An keiner Stelle seiner Rede setzte sich Lafontaine mit der Tatsache auseinander, dass die Globalisierung der Produktion der Politik des Sozialreformismus den Boden entzogen hat. Er verlor kein Wort darüber, dass der Niedergang der Sozialdemokratie ein weltweites Phänomen ist. Er zog keine Bilanz der Politik und der Rolle der SPD, in der er vierzig Jahre Mitglied und zeitweise Vorsitzender war. Es war eine Rede voller Ausflüchte und Widersprüche, die jedes ernsthafte Nachdenken erstickte - ein gezieltes politisches Täuschungsmanöver.

Vor zwölf Jahren hatte Lafontaine eine ähnliche Rede auf dem Mannheimer Parteitag der SPD gehalten. Auch damals appellierte er an "die Hoffnung von Millionen" und beschwor eine "Mehrheit links von der Mitte". Darauf wurde er an Stelle des völlig überrumpelten Rudolf Scharping zum Vorsitzenden der SPD gewählt.

In seiner Rede vom vergangenen Samstag bezeichnete der nun die SPD-Funktionäre, die ihm damals zugejubelt hatten, als "Reformchaoten", die in den Folgejahren den Sozialstaat mit einer rückwärts gewandten Reform nach der anderen zerstört hätten. Wie es dazu kam und welche Lehren daraus gezogen werden müssen, erklärte Lafontaine nicht.

Als SPD-Vorsitzender war Lafontaine der Architekt des rot-grünen Wahlsiegs von 1998. Sein Rücktritt als Finanzminister und Parteivorsitzender wenige Monate später ändert nichts an der Tatsache, dass die Regierung Schröder-Fischer das Ergebnis seines rot-grünen Projekts war. Er zählt zu den Vätern der Misere, die er nun lautstark anklagt.

Heute predigt Lafontaine nicht mehr Rot-Grün, sondern Rot-Rot. Er strebt in der Landes- und Bundespolitik eine Koalition zwischen der Linken und der SPD an. Er behauptet, die Linke werde die SPD vor sich her treiben in Richtung Sozialreform. Wer das nach all dem, was in den vergangenen Jahren stattgefunden hat, noch glaubt, der ist nicht nur politisch naiv, der will betrogen werden.

Dabei hätten die Delegierten nur aus dem Fenster blicken müssen, denn der Parteitag fand in Berlin statt. Seit sechs Jahren wird das Rote Rathaus in der Spree-Metropole von den Sozialdemokraten im Bündnis mit der PDS regiert. Hier hat die Linke bereits gezeigt, was von den radikalen Parteitagsphrasen übrig bleibt, wenn sie Realpolitik betreibt und Regierungsverantwortung übernimmt.

Unter der Regentschaft der rot-roten Koalition wurden in Berlin 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut, die Gehälter um 10 Prozent gesenkt, drastische Stellen- und Gehaltskürzungen in den Verkehrsbetrieben, an den Universitäten und Schulen durchgesetzt sowie Gebühren und Personalschlüssel an den Kitas und Horten stark erhöht. Ferner wurde die städtische Wohnbaugesellschaft GSW mit 65.000 Wohnungen an den US-Investor und Spekulanten Cerberus verkauft. Damit besetzt Berlin bei den Kürzungen im öffentlichen Bereich den Spitzenplatz unter den Bundesländern.

Sozialstaat als Ordnungsfaktor

Deutlicher als in früheren Reden hat Lafontaine den Sozialstaat als tragenden Pfeiler der bürgerlichen Ordnung bezeichnet.

"Wir sind die Partei des Sozialstaates", rief er den Delegierten zu und betonte, dass die systematische Zerstörung des Sozialstaates deshalb so gefährlich sei, weil er "Millionen Deutschen Identität in ihrem Staat gegeben" habe. Wenn man in der Vergangenheit Menschen gefragt habe: "Was schätzt ihr eigentlich an eurem Staat, ja an eurer Nation, dann haben sie zuerst den Sozialstaat genannt", rief Lafontaine. Er warnte, die Zerstörung des Sozialstaats führe zur Destabilisierung der bestehenden Ordnung. Die "Reformchaoten" hätten keine Ahnung, wie gefährlich ihre neoliberale Politik sei.

Im Namen der "Verteidigung des Sozialstaats" redete Lafontaine auch der Unterordnung unter den Nationalstaat das Wort. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass "der Raubtierkapitalismus, der Finanzkapitalismus weltweit operiert, ohne dass die Nationalstaaten diesem Treiben ein Ende bereiten und Schranken setzen", rief er.

Dieser Appell, der Nationalstaat müsse dem internationalen Kapitalismus Schranken setzen, ist reaktionär. Er läuft auf protektionistische Maßnahmen und die Abschottung der Grenzen hinaus. Er steht im Gegensatz zu einer sozialistischen Perspektive, die dem internationalen Kapital die internationale Einheit der Arbeiterklasse entgegensetzt. Er dient dazu die Arbeiterklasse zu spalten und auf die jeweils nationalen Interessen des eigenen Landes auszurichten.

Diese nationalistische Orientierung wiegt schwerer als alles, was Lafontaine an anderer Stelle seiner Rede gegen den Irakkrieg und den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sagte - wie immer mit großen Phrasen. So zitierte er den französischen Sozialisten Jean Jaurès, der am Vorabend des ersten Weltkrieges gesagt habe: "Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen!"

Doch die Unterordnung unter den Nationalstaat und die nationalen Interessen ist die unmittelbare Vorstufe zur Unterstützung imperialistischer Kriege, die stets mit dem nationalen Interesse begründet werden. Niemand hat das in der Geschichte deutlicher gemacht als die SPD mit ihrer Zustimmung zu den Kriegskrediten im August 1914. Lafontaine ist auch in dieser Frage durch und durch Sozialdemokrat.

Lafontaines nationalistische Reaktion auf die Globalisierung hängt direkt mit seiner sozialen Orientierung zusammen. Die Linke betrachtet die Auswirkungen der Globalisierung aus dem selben Blickwinkel wie ein Kleinunternehmer, der sich von der Macht der globalen Konzerne bedroht fühlt und den nationalen Staat zur Hilfe ruft, um Zollschranken, Steuersenkung und andere Schutzmaßnahmen und Wettbewerbsvorteile durchzusetzen.

Lafontaine erklärte, dass es in Deutschland drei Millionen kleine Betriebe gäbe, "die weniger als zehn Beschäftigte und weniger als 10 Millionen Euro Umsatz" hätten. Diese "wichtigen Betriebe unserer Volkswirtschaft" seien die "wichtigsten Ansprechpartner" der Linken, "denn auch bei denen gibt es Ausbeutung und Selbstausbeutung". Diese Kleinbetriebe müssten besonders gepflegt werden, so Lafontaine.

Über dieselbe nationalistische Schiene läuft die Zusammenarbeit der Linken mit der Gewerkschaftsbürokratie. Alle Vorstandsredner auf dem Parteitag - Gysi, Bisky und Lafontaine - hoben die Anwesenheit einer großen Zahl von Gewerkschaftsfunktionären und offiziellen Delegationen einzelner Gewerkschaften aus dem In- und Ausland hervor. Während Millionen Arbeiter Tag für Tag die Erfahrung machen, dass die Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte als Co-Manager eng mit den Unternehmensvorständen zusammenarbeiten, um Lohnsenkung und Sozialabbau durchzusetzen, preist die Linkspartei die Gewerkschaftsbürokratie als wichtigsten politischen Verbündeten.

Auch Fausto Bertinotti, der Vorsitzende der italienischen Partei Rifondazione Comunista, wurde auf dem Parteitag als "langjähriger Freund" begrüßt und gefeiert. Das macht mehr als alles andere deutlich, wohin die politische Reise der Linkspartei geht.

Seit geraumer Zeit wird Rifondazione Comunista von so genannten Linken in ganz Europa als leuchtendes Vorbild für eine "Linkspartei" gepriesen, wie sie nun auch in Deutschland entstanden ist. Ähnlich wie die PDS war die Organisation 1991 als Zerfallsprodukt der Kommunistischen Partei entstanden. Bertinotti, der seine politische Laufbahn in der Sozialistischen Partei Bettino Craxis begonnen hatte, 1967 zur Kommunistischen Partei übertrat und anschließend Karriere als Gewerkschaftsführer machte, lehnte damals die Umwandlung der KPI in eine offen sozialdemokratische Partei ab und gründete Rifondazione, in der sich auch zahlreiche Altstalinisten wieder fanden.

Im Frühjahr vergangenen Jahres wurde Bertinotti zum Präsident der Abgeordnetenkammer in Rom gewählt. Er übernahm damit nicht nur das dritthöchste Staatsamt in Italien, seine Partei wurde auch zu einer wichtigen Stütze der Regierung Prodi, die scharfe Angriffe gegen die Arbeiterklasse durchführt und italienische Truppen in Afghanistan und im Libanon einsetzt.

Fasst man Lafontaines Rede und die Entwicklung des Parteitags zusammen, so gelangt man zu folgender Bilanz: Die Linke ist kein unvollkommener oder verworrener Ausdruck der politischen Gärung und der Suche nach tragfähigen Antworten auf die großen Probleme der Gesellschaft. Sie widerspiegelt nicht die Stimmung, die in den Betrieben herrscht und die sich in der hohen Streikbereitschaft der Telekombeschäftigten, Airbus- oder Autoarbeiter gezeigt hat. Stattdessen versucht die Linke ein bürokratisches Instrument zu schaffen, das angesichts der wachsenden Desillusionierung über die SPD eine Debatte über sozialistische Perspektiven unterdrückt und eine Radikalisierung der Arbeiterklasse unterbindet. Während sich viele Arbeiter enttäuscht von der SPD abwenden, versucht sie, die Illusionen in ein sozialreformistisches Programm aufrecht zu erhalten.

Siehe auch:
Was will "Die Linke"?
(16. Juni 2007)
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