Der G8-Gipfel und "Die Linke"

"Eine andere Welt ist möglich", so lautet das Motto des Demonstrationsaufrufes zur internationalen Grossdemonstration gegen den G8-Gipfel, die am 2. Juni in Rostock stattfinden wird. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderen Vertreter von Attac, Ver.di, G reenpeace, Jungsozialisten und Ligue Communiste Révolutionnaire sowie Christian Ströbele (Bündnis 90/ Die Grünen), Oskar Lafontaine (Die Linke) und Gregor Gysi (Die Linke).

Der Aufruf wird von den Themen Krieg, Klimazerstörung, Migration und Verarmung der dritten Welt beherrscht. Das Profitstreben der internationalen Finanzströme und die räuberische Politik der großen Acht werden angeprangert, auf die soziale Lage innerhalb derselben jedoch so gut wie nicht eingegangen. Insgesamt werden sechs Forderungen aufgestellt: Schuldenerlass für die Länder des Südens, Wechsel zu erneuerbaren Energien, Ausstieg aus der Atomenergie, gegen Rassismus und Faschismus, für eine friedliche Welt und gegen den Ausverkauf öffentlicher Güter und Dienste.

Bei der Lektüre kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, die Autoren seien auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner gewesen. Stilistisch wird angeklagt, nicht analysiert, donnern bunte Parolen ohne Erklärungen. Von einem Thema wird ins nächste gestürzt ohne einen einzigen Gedanken an, geschweige denn zu Ende zu denken. Es könnte eingewendet werden, es handle sich ja nur um einen Aufruf, doch ergänzen sich hier Form und Inhalt harmonisch.

Indem keine einzige Forderung konkretisiert oder erklärt wird - der Irakkrieg wird nicht einmal erwähnt, es ist nur von Krieg im Allgemeinen die Rede - indem also das Flugblatt bar jeder Konkretisierung bleibt, verwandeln sich selbst die bescheidenen "Forderungen" in schwammige Allgemeinplätze und lassen reichlich Interpretationsspielraum. Darauf sind die werten Veranstalter auch angewiesen, schließlich sind sie alle alte Haudegen der Politik und hatten schon genügend Möglichkeiten zu zeigen, wer sie sind und wo ihre Fähigkeiten liegen.

Gutes Anschauungsmaterial liefert uns hier "Die Linke", deren Vertreter in der Linkspartei.PDS seit 2002 gemeinsam mit der SPD die rot-rote Berliner Landesregierung stellen. So heißt es in der einzigen sozialpolitisch interpretierbaren "Forderung": "Gegen den Ausverkauf öffentlicher Güter und Dienste - für gleiche soziale Rechte und Standards weltweit".

Und so sieht die Berliner Realität aus: Unter der Regentschaft der rot-roten Koalition wurden bisher 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut, die Gehälter um 10 Prozent gesenkt, drastische Stellen- und Gehaltskürzungen in den Verkehrsbetrieben, an den Universitäten und Schulen durchgesetzt sowie Gebühren und Personalschlüssel an den Kitas und Horten stark erhöht. Ferner wurde die städtische Wohnbaugesellschaft GSW mit 65.000 Wohnungen an den US-Investor und Spekulanten Cerberus verkauft. Damit liegt Berlin mit den Kürzungen im öffentlichen Bereich an einsamer Spitze sämtlicher Bundesländer.

In diesem Zusammenhang bekommt der zweite Teil des zitierten Satzes, "für gleiche soziale Rechte und Standards weltweit", einen doch recht schaurigen Sinn: Sollen unsere Verhältnisse etwa denjenigen der Entwicklungsländer angeglichen werden, statt umgekehrt? Es ist halt alles eine Frage der Interpretation.

Woher kommt nun dieses trübe Gemisch aus links klingenden Parolen und rechter Politik, welcher Dynamik gehorcht es und wohin führt es uns?

Anfang dieses Jahres wurde die Vereinigung von WASG (Wahlalternative soziale Gerechtigkeit) und Linkspartei.PDS zur neuen Partei "Die Linke" beschlossen. Die WASG bildete sich wiederum 2004 aus linken Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern, die Linkspartei.PDS, ehemalige PDS (Partei des demokratischen Sozialismus), ist die Nachfolgepartei der SED (Sozialistische Einheitspartei, ehemalige Staatspartei der DDR).

Obwohl die beiden Partner auf eine unterschiedliche Geschichte zurückblicken, weisen sie viele Gemeinsamkeiten auf, die letztendlich aus ähnlichen sozialen Wurzeln herrühren. Sowohl die Existenz der DDR als auch die einflussreichen, westdeutschen Arbeitervertretungen waren Ausdruck der Stärke der Arbeiterklasse nach dem Zweiten Weltkrieg.

Auf der Suche nach einem neuen, stabilen Nachkriegsgleichgewicht war die Bourgeoisie im Westen gezwungen, weitgehende soziale Zugeständnisse einzuräumen. Dies bildete die Grundlage des Reformismus, d.h. der Politik des Kompromisses mit der herrschenden Klasse. So trug die Arbeiterbürokratie ein Janushaupt auf ihren Schultern, mit dessen Vorderseite sie der Arbeiterbewegung zugewandt war und in ihrem Namen soziale Verbesserungen erwirkte, mit dessen Rückseite sie jedoch den bürgerlichen Staat anlächelte, für Ruhe und sozialen Frieden sorgte. In ihrer privilegierten Stellung konnte sie sich dabei allerlei Annehmlichkeiten und Vergünstigungen erfreuen, bildete eine soziale Gruppierung mit Eigeninteresse und einer eigenen Dynamik.

Die SED repräsentierte das parasitäre Dasein einer nationalen Arbeiterbürokratie in seiner Extremform. Sie erhob sich über die Arbeiterklasse, die sie mit allen erdenklichen Methoden von der politischen Kontrolle fernhielt. Die verstaatlichten Produktionsmittel bildeten gleichzeitig Quelle und Bedrohung ihrer Macht. Einerseits ermöglichte die Kontrolle des Staates ihr Zugang zu allen Annehmlichkeiten des Lebens, andererseits stand ihre privilegierte Stellung in schreiendem Widerspruch zu eben jener Nationalisierung der Produktionsmittel, die das spezifische Gewicht des Staates bedingte. Ihre Existenz stand auf wackeligen Beinen, verlangte nach sozialer Stütze und Legitimierung in den Eigentumsverhältnissen, trieb sie zwangsläufig in Richtung Liquidierung des Arbeiterstaates und Restaurierung des Kapitalismus.

Die Globalisierung der Produktion, die unvergleichliche internationale Vernetzung und damit verbundene Produktivitätssteigerung in den 80er Jahren, unterwarf die Nationalstaaten restlos den Diktaten der Weltökonomie, untergrub den Boden für jede Spielart des Nationalreformismus und verlangte auch von der abgeschotteten DDR erbarmungslos den Anschluss an den Weltmarkt. Da sie der Gedanke an die proletarische Weltrevolution schon lange vor Furcht erstarren ließ, suchte die ostdeutsche Bürokratie in der Wiedervereinigung lieber schnell als langsam den Anschluss an den bürgerlichen Staat.

Die PDS vereinigte dabei jenen Teil der Staatsmänner unter ihrem Dach, die weiter Arbeiterbürokratie bleiben wollten, bei der Wende jedoch zu kurz kamen und keine Heimat in den traditionellen westdeutschen Parteien fanden. Mit der "Linken" haben sie nach einem qualvollen Anpassungsprozess schließlich doch noch ihren Anschluss an das westdeutsche Erbe gefunden.

Nur hat der wirtschaftliche Wandel, der die DDR in die Knie zwang, auch seine Spuren auf den geschundenen Häuptern der westdeutschen Arbeiterbürokratie hinterlassen. Ihren materiellen Wohlstand und ihre privilegierte Stellung verdankten sie ihrer Bedeutung für den innbetrieblichen Frieden und ihrer Vermittlungsrolle für das Kapital. Anerkennung und Würden winkten ihnen in Aufsichtsräten und Beraterfirmen. Wer sich einmal zu mehr aufgeschwungen hat, will nicht mehr verzichten. Je stärker die wirtschaftliche Entwicklung den Reformismus untergrub, desto fester klammerte sich die alte Bürokratie an ihre Pfründe. Damit die Geldbörse nicht schmaler wurde, galt es seine Bedeutung für das große Geld zu behalten. Am Bereitwilligsten zahlt der Herr, dem man gehorcht.

Die massive Offensive des Kapitals in den letzten Jahren, die weitgehende Umstrukturierung des Arbeitsmarktes und die Schaffung eines neuen Phänomens von Armut und prekären Verhältnissen hatten Massenaustritte aus den alten bürokratischen Apparaten und Parteien zur Folge, sowie eine politische Abwendung der Massen von der offiziellen Politik.

Doch auch wenn die alte Bürokratie der Arbeiterschaft sozial entfremdet war, hatte sie aus jahrelanger Übung einen feinen Fühler für soziale Spannungen behalten. Selbst dem selbstzufriedensten Bürokraten fällt auf, wenn die Zeiten sich ändern. Es galt sich neu zu formieren. Daraus entsprang das Bedürfnis nach einer neuen Linken. Sie formuliert den Aufschrei der Arbeiteraristokratie gegen ihr eigenes Verschwinden. Politisch will sie bewahren, was ist, d.h. vor allem die eigene Geldbörse.

Letztere beruhte allerdings auf dem Reformismus, daher ihr Appell an die alten Rezepte, an die sie schon längst selbst nicht mehr glaubt. In ihrem Unglauben hat sie alles Recht auf ihrer Seite. Die internationale Ökonomie hat die Welt gehörig umgewälzt und verkündet in täglichen, tragischen Erschütterungen lauthals den Untergang des Nationalstaates. Doch schlägt gerade in letzterem der Lebenspuls der nationalen Bürokratie. Umso enger umarmt sie das sterbende Geschöpf und versucht den Rest der Menschheit mit in seinen Tod zu zerren.

Untersucht man ihre gesellschaftliche Rolle vom Standpunkt der Klassenanalyse, so erweist sich "Die Linke" als zuverlässiger Handlanger des Kapitals.

Zerstörung der sozialen Infrastruktur, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Unsicherheit hinsichtlich Zukunft und Perspektive und rücksichtslose Bereicherung einer kleinen Elite unterhöhlen die bisherigen Mechanismen der gesellschaftlichen Kontrolle. Soziale Unzufriedenheit führt zum sozialen Protest, verhallt der Protest ungehört, wandelt sich der Aufschrei in die Tat, der Mensch beginnt sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Neue Mittel zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, sprich des kapitalistischen Gesellschaftssystems, werden gesucht.

Wie für einen guten Feldherrn gilt es auch für die Bourgeoisie die linke und die rechte Flanke zu schützen. Die präventivstaatlichen Methoden Schäubles, der Schutz des Staates vor seinen Bürgern, die sukzessive totale Überwachung und Rückkehr zum Polizeistaat, bilden den Schutzschirm von rechts. Doch reicht Repression allein nicht aus, sie schafft die Unzufriedenheit nicht aus der Welt, auf die eine oder andere Weise bahnt sich die Wut der Massen ihren Weg.

Ein Schutz von links muss her. "Lassen wir den Massen ihren Protest, aber sorgen wir dafür, dass er konform bleibt, uns juckt, aber nicht gefährdet." Wer hat mehr Übung im Kanalisieren und Kontrollieren sozialer Unzufriedenheit, als jene Arbeiterführer, die Zeit ihres Lebens nichts anderes gemacht haben? Das wissen sowohl Bourgeoisie als auch die Linke, schließlich habe sie lange genug symbiotisch zusammengearbeitet, um einander vertrauen zu können.

Doch lehrt die Geschichte, dass verhallender Protest, eine verratene Revolution, nur umso stärkere Repression und Unterdrückung nach sich ziehen. Die hermetische Abriegelungen von Heiligendamm und die Razzien gegen die G8 Gegner wenden sich bereits gegen das Fußvolk der "pluralistischen Linken", die sich umso bereitwilliger zur "öffentlichen Ordnung" und zum System bekennt.

"Eine andere Welt ist möglich", lautete die offizielle Parole der Demonstration in Rostock. Aber diese Herren werden keine andere Welt schaffen, sondern euch an das marode Fundament eines sterbenden Systems ketten, um euch unter dessen Trümmern zu begraben!

Siehe auch:
Protestpolitik oder sozialistische Strategie
(30. März 2007)
PDS und WASG besiegeln ihre Fusion
(19. Januar 2007)
Krieg Sozialabbau und die Rolle der Linkspartei.PDS
Loading