Lokführer-Streik

Eine Frage der politischen Perspektive

Als Anfang Juli die Lokführer für vier Stunden die Arbeit niederlegten und den bundesweiten Bahnverkehr zeitweise zum Erliegen brachten, war dies ein nicht zu überhörender Paukenschlag, der viele überraschte.

Nachdem die Gewerkschaften seit Jahren den Widerstand von Arbeitern auf fruchtlosen "Trillerpfeifen-Protest" beschränken und einen miserablen Ausverkauf nach dem anderen durchsetzen, machte der Warnstreik der Lokführer schlagartig deutlich, welche Macht und Kampfkraft die Arbeiterklasse wirklich hat.

Doch heute - zwei Wochen später - befinden sich die Lokführer in einer ausgesprochen schwierigen Situation. Es besteht die unmittelbare Gefahr, dass auch ihr Kampf mit einem faulen Kompromiss, das heißt mit einer Niederlage endet. Um die begonnene Offensive fortzusetzen, ist es notwendig einige politische Fragen nüchtern zu durchdenken.

Ein Hauptgrund für die wachsenden Schwierigkeiten der Lokführer ist die offene Streikbrecherrolle von Transnet (DGB) und der Beamtengewerkschaft GDBA. Von Anfang an haben diese Gewerkschaften die Forderung nach einer bis zu 30-prozentigen Anhebung der Gehälter der Lokführer bekämpft, wohlwissend, dass die außerordentlich niedrigen Grundgehälter von 1.970 bis maximal 2.142 Euro brutto im Monat für eine verantwortungsvolle und durch ständigen Schichtdienst geprägte Arbeit eine hohe Lohnforderung durchaus rechtfertigen.

Um die Lokführer zu isolieren, bot die Bahn AG den übrigen Beschäftigten - vertreten durch Transnet und GDBA - eine lineare Lohnerhöhung von 4,5 Prozent an - weit mehr als sie je erhofft hatten. Zwei Tage nach dem Tarifabschluss wurde Mitte vergangener Woche bekannt, dass diese beiden Gewerkschaften eine Klausel im Tarifvertrag vereinbart hatten, laut der das Unternehmen keine Zugeständnisse an die Lokführergewerkschaft GDL machen dürfe. Falls die Bahn AG mit der GDL einen eigenen Spartentarifvertrag (Fahrpersonaltarifvertrag) abschließe, werde der mit Transnet und GDBA vereinbarte Tarifvertrag automatisch ungültig.

Selten zuvor war die Streikbrecherrolle einer DGB-Gewerkschaft derart offensichtlich. Nachdem Transnet und GDBA die Kampfbereitschaft der Lokführer genutzt hatten, um eine Lohnerhöhung durchzusetzen, versuchen sie mit dieser perfiden Klausel, die eigenen Mitglieder gegen die Lokführer zu mobilisieren.

In einer zweiten Klausel wurde vereinbart, dass GDL-Mitglieder von der vereinbarten Lohnerhöhung ausgeschlossen würden, falls ihre Organisation den Transnet/GDBA-Vertrag nicht unterschreibe. Dadurch soll der Druck auf die kampfbereiten Lokführer noch zusätzlich erhöht werden.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) - dessen Vorsitzender Michael Sommer gemeinsam mit dem Transnet-Chef Norbert Hansen im Aufsichtsrat der Bahn AG sitzt - versucht mit aller Gewalt, seinen Alleinvertretungsanspruch der Bahnbeschäftigten durchzusetzen, und begründet das mit "Gewerkschaftseinheit". Das stellt die Realität auf den Kopf. In Wahrheit spaltet Transnet systematisch die Beschäftigten und versucht, die streikbereiten Lokführer massiv unter Druck zu setzen und zu erpressen.

Gleichzeitig berät Transnet den Bahn-Vorstand, wie er am besten und wirkungsvollsten mit juristischen Mitteln den Arbeitskampf der Lokführer illegalisiert. So machte Transnet darauf aufmerksam, dass die ursprünglichen Forderungen der GDL in Teilbereichen so interpretiert werden könnten, dass auch gültige Tarifverträge, für die noch "Friedenspflicht" bestehe, in Frage gestellt würden. Darauf hin setzte der Bahn-Vorstand vor Gericht eine Einstweilige Verfügung gegen weitere Warnstreiks durch.

Als die GDL ihre Forderungen daraufhin präzisierte und die Verfügung vom Mainzer Arbeitsgericht wieder aufgehoben wurde, legte Transnet nach und argumentiert nun für ein generelles Verbot weiterer Lokführer-Streiks. Die Gewerkschaft wies die Konzernführung auf höchstrichterliche Urteile hin, wonach in Betrieben Tarifeinheit in Gestalt von einem Vertrag für alle herrschen soll. Gebe es doch mehrere Verträge, gelte derjenige, der allen Beschäftigten gerecht werde, und dies sei der Transnet/GDBA-Vertrag.

Die aggressive Streikbrecherrolle von Transnet und GDBA kann nicht einfach mit der Freundschaft zwischen Transnet-Chef Norbert Hansen und Bahn-Chef Hartmut Mehdorn erklärt werden, wie das einige GDL-Funktionäre tun. Auch die Bereicherung von Transnet- und GDBA-Vertretern im Aufsichtsrat und anderen Unternehmensgremien erklärt die Rechtswende der Gewerkschaft nur ungenügend.

Wichtiger ist, dass sich die Politik der Sozialpartnerschaft, auf die sich alle Gewerkschaften berufen, unter den Bedingungen der Globalisierung der Produktion vollständig verändert hat. So lange die Arbeitsmärkte weitgehend durch nationale Gesetze und Verträge geregelt waren, konnten die Gewerkschaften Druck ausüben, um Verbesserungen zu erzielen - wenn auch oft nur in sehr beschränkten Maße und für kurze Dauer. Die Internationalisierung der Produktion hat dieser Politik den Boden entzogen.

Die Gewerkschaften sehen ihre Hauptaufgabe nun darin, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, und setzen im Namen der sogenannten "Standortsicherung" massive Lohnsenkungen und Sozialabbau durch. Erst vor wenigen Wochen hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi trotz großer Streikbereitschaft der Telekom-Beschäftigten einen Tarifabschluss durchgesetzt, der eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit bei gleichzeitiger Lohnsenkung beinhaltet.

Bei der Bahn ist die Streikbrecherrolle von Transnet und GDBA direkt mit ihrer Unterstützung für die Privatisierung verbunden. Im Oktober vergangenen Jahres erklärten sie in einem gemeinsamen Papier: "Die Transnet bietet der Bundesregierung an, beratend die inhaltliche Ausgestaltung des Privatisierungsgesetzes zu begleiten." In dieser Erklärung bekennen sie sich zur Wettbewerbsfähigkeit des privatisierten Unternehmens, die ebenso wichtig sei wie die Sicherung der Arbeitnehmerrechte: "Die wirtschaftliche Stabilität der DB AG und deren Wettbewerbschancen in Deutschland, Europa und Weltweit sind für die Arbeitsplatzsicherung genau so relevant wie die Sicherung bestehender Tarifvertragsrechte."

Das größte Problem der Lokführer besteht darin, dass die GDL im Wesentlichen dieselben Perspektiven vertritt. Es ist kein Zufall, dass sie bis 2001 mit Transnet und GDBA eine Tarifgemeinschaft gebildet hat und an zahlreichen Abgruppierungsverträgen beteiligt war.

Seit der Umwandlung des Staatsunternehmen Bahn in eine Aktiengesellschaft im Jahr 1994 wurde es in fast 200 "Töchter" aufgesplittert, mit verheerenden Konsequenzen für Löhne und Arbeitsbedingungen. Während die Produktivität um 180 Prozent gesteigert und die Personalkosten um 28 Prozent gesenkt wurden, hat der DB-Konzern seit Mitte der neunziger Jahre fast jeden zweiten Arbeitsplatz abgebaut, rund 150.000 insgesamt.

Zwar hat die GDL vor sechs Jahren die Tarifgemeinschaft mit Transnet und GDBA aufgekündigt, weil die Gewerkschaftsmitglieder gegen die ständige Abgruppierung rebellierten, aber die Niedriglöhne und miserablen Schichtpläne der Lokführer - die gegenwärtig immer wieder ins Gespräch gebracht werden, um die berechtigten Forderungen zu begründen - sind ein Ergebnis der opportunistischen Kompromisspolitik, die die GDL-Führung bisher betrieben hat.

GDL-Chef Manfred Schell ist CDU-Mitglied und saß für seine Partei Mitte der neunziger Jahre im Bundestag. Während dieser Zeit stimmte er gegen die damaligen Privatisierungspläne der Bahn, doch er ist alles andere als ein prinzipieller Privatisierungsgegner. Sein Hauptargument für "deutlich höhere Einkommen" der Lokführer ist die Feststellung, dass die gegenwärtigen Niedriglöhne zu einem Hindernis für das Anwerben neuer junger Lokführer geworden seien. Ein Argument, das auch von Teilen der Konzernleitung geteilt wird.

Die Tatsache, dass die GDL seit knapp einer Woche, als die gerichtliche Verfügung gegen Warnstreiks aufgehoben wurde, keine weiteren Streikaktionen organisiert hat, ist ungeachtet aller Rhetorik ein deutliches Signal an den DB-Vorstand, dass die GDL-Führung zu sehr weitgehenden Kompromissen bereit ist. Im Grunde versucht die Gewerkschaftsspitze um Schell nichts weiter, als die gegenwärtigen politischen Spannungen, die in allen Parteien über die Privatisierung der Bahn entstanden sind, ausnutzen, um eine Einkommensverbesserung der Lokführer durchzusetzen, und zwar mit dem vorrangigen Ziel, die eigene Existenz als Gewerkschaft und den Funktionärsapparat zu erhalten.

Diese Kompromisspolitik führt geradewegs in eine Niederlage.

Es gibt nicht wenige unter den organisierten Lokführern, die diese opportunistische Orientierung ablehnen. Aber die Vorstellung, dass gewerkschaftliche Militanz ausreiche, um einen drohenden Ausverkauf zu verhindern, ist falsch. Die niedrigen Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen der Lokführer und anderer Eisenbahner sind direkter Bestandteil der Vorbereitung auf den Börsengang der Bahn AG.

Obwohl diese nächste Stufe der Privatisierung von vielen Beschäftigten und einer großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird, sind Bahn-Vorstand und Bundesregierung und vor allem das Verkehrsministerium unter Leitung von Wolfgang Tiefensee (SPD) entschlossen, diesen Schritt durchzusetzen. Mit anderen Worten: der Kampf der Lokführer hat politische Dimensionen und kann nur dann konsequent und erfolgreich geführt werden, wenn er nicht auf die unmittelbaren Eigeninteressen beschränkt wird, sondern zu Ausgangspunkt für eine breite politische Mobilisierung gegen die Privatisierungspolitik der Bundesregierung gemacht wird.

Das erfordert eine grundlegend neue politische Strategie. Wichtige gesellschaftliche Einrichtungen wie das Eisenbahnsystem müssen der Kontrolle der Finanzaristokratie entrissen und in den Dienst der Gesellschaft als Ganzer gestellt werden.

Gerade wenn es zur Urabstimmung kommt, muss der Streik zum Auftakt gemacht werden, um mit den alten nationalen Organisationen, den Gewerkschaften und der SPD, zu brechen und Arbeiter in allen Branchen und an allen Standorten europa- und weltweit zusammenzuschließen, um für eine sozialistische Reorganisation der Gesellschaft zu kämpfen.

Siehe auch:
Lokführer kämpfen an zwei Fronten
(11. Juli 2007)
Bahnstreik und Lehren aus Telekom: Baut eine breite Bewegung gegen die Große Koalition auf!
(6. Juli 2007)
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