Zum 150. Geburtstag von Clara Zetkin

Vorkämpferin des internationalen Sozialismus

Zweiter Teil

Mit Rosa Luxemburg gegen Revisionismus und Militarismus

Clara Zetkin verstand ihre Zeitschrift Die Gleichheit als Organ der internationalen sozialistischen Frauenbewegung, deren Aufbau vor allem ihr Verdienst ist. Ihr Leben lang unterhielt sie Briefwechsel und regen politischen Gedankenaustausch mit Frauen in vielen Ländern. Sie organisierte am Vorabend des Internationalen Sozialistenkongresses 1907 die erste internationale sozialistische Frauenkonferenz in Stuttgart. Auf der zweiten Konferenz 1910 in Kopenhagen schlug sie einen Internationalen Frauentag vor, der 1911 zum ersten Mal stattfand und bis heute weltweit begangen wird.

Um diese Zeit entwickelte sich in der Sozialdemokratie eine starke revisionistische Tendenz, die Eduard Bernstein theoretisch zu begründen versuchte. Die Vertreter dieser Strömung behaupteten, es bedürfe keiner Revolution, um den Sozialismus zu erreichen, sondern es sei möglich, durch Reformen im Kapitalismus allmählich dahin zu gelangen.

Clara Zetkin trat zusammen mit ihrer engen Freundin Rosa Luxemburg von Beginn an kompromisslos gegen diese Tendenz auf. Die Themen Militarismus und Kolonialfrage standen 1907 im Mittelpunkt der internationalen Konferenz sozialistischer Parteien in Stuttgart.

1909 bricht sie mit Karl Kautsky, als dieser sich den revisionistischen Auffassungen der Mehrheit der Parteiführung immer mehr annähert. Gleichzeitig engagiert sie sich zusammen mit Luxemburg gegen den wachsenden Militarismus und Nationalchauvinismus in Deutschland, die auch auf die Sozialdemokratie übergreifen, in der Personen wie Friedrich Ebert an die Spitze gelangen.

Auf dem Internationalen Sozialistenkongress im November 1912 in Basel und noch einmal im Juli 1914 bei der Sitzung des "Internationalen Sozialistischen Büros" in Brüssel tritt sie zusammen mit Rosa Luxemburg mit Nachdruck für einen aktiven Kampf gegen die Kriegsgefahr ein, kann sich aber gegen die Unentschlossenheit und den Opportunismus ihrer Genossen nicht durchsetzen.

Kämpferin für den Frieden

Als 1914 die Führungsspitze der Partei alle bis dahin vertretenen Prinzipien verriet, den Krieg befürwortete und im Parlament dem Kaiser die Kriegskredite bewilligte, widersetzte sich Clara Zetkin offen. Die Bewilligung der Kriegskredite durch die Reichstagsfraktion der SPD und der "Burgfrieden", zu dem sich Partei und Gewerkschaften bereit fanden, provozierten den energischen Protest der beiden engagierten Frauen Clara Zetkin und Rosa Luxemburg. Beide gehörten zu den wenigen führenden SPD-Mitgliedern, die die Politik des "Burgfriedens" ablehnten und Karl Liebknecht unterstützten, als dieser am 2. Dezember 1914 zusammen Otto Rühle im Reichstag die Kriegskredite ablehnte, für die noch im August die gesamte Fraktion gestimmt hatte.

Clara Zetkin ließ sich nicht beirren durch den aufgeheizten Nationalismus und Chauvinismus zu Beginn des Krieges, sondern tat alles, um trotz strenger Überwachung und unter heftiger Missbilligung der Parteiführung mit Hilfe ihrer Korrespondenz ihre internationalen Kontakte gegen den Krieg zu mobilisieren. Der strengen Zensur und den Intrigen der Parteiführung zum Trotz, die alles versucht, um ihre Abonnentinnen unter Druck zu setzen, fährt sie fort, Die Gleichheit herauszugeben. Nach anfänglichen Versuchen, die Zensur durch Umformulierungen zu umgehen, lässt sie demonstrativ die gestrichenen Stellen weiß.

Im März 1915 versammeln sich nach intensiven konspirativen Briefwechseln in Bern auf ihre Initiative hin internationale Sozialistinnen zu einer Antikriegskonferenz. Der von ihr verfasste sogenannte Berner Appell an die Frauen der ganzen Welt wird von der Konferenz verabschiedet. Er schließt mit den Worten: "Bisher habt ihr für eure Lieben geduldet, nun gilt es, für eure Männer, für eure Söhne zu handeln.... Nieder mit dem Kapitalismus, der dem Reichtum und der Macht der Besitzenden Hektakomben von Menschen opfert! Nieder mit dem Krieg! Durch den Sozialismus!" Dieser Appell wird hunderttausendfach illegal in den Krieg führenden Ländern verbreitet. (7)

Wegen der Einberufung der Internationalen sozialistischen Frauenkonferenz in Bern und der illegalen Verbreitung des Appells in Deutschland wird Zetkin 1915 inhaftiert. Aber zu diesem Zeitpunkt ist der Appell bereits auf fruchtbaren Boden gefallen, vor allem die Frauen beginnen sich gegen den Krieg aufzulehnen. Wegen der Einziehung der Männer zum Kriegsdienst müssen sie schwerste Arbeit in der Industrie verrichten, um ihre Familien zu ernähren, während die Versorgungslage immer katastrophaler wird. Es kommt zu großen Protestaktionen. Clara wird nach vier Monaten aus der Haft entlassen.

Sie ist Mitglied der Gruppe Internationale oder Spartakusgruppe um Karl Liebknecht, Franz Mehring, Hermann Duncker und Rosa Luxemburg. 1917 tritt die Spartakusgruppe der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) bei, aus der sie sich später wieder löst, als Keimzelle der Kommunistischen Partei Deutschlands. Zetkin zählt zu den Gründungsmitgliedern der KPD, kann allerdings wegen einer Erkrankung nicht am Gründungskongress teilnehmen.

Die Redaktion der Gleichheit wird ihr entzogen, als sie der USPD beitritt. In der Frauen-Beilage der Leipziger Volkszeitung vom 29. Juni 1917 schreibt sie unter der Überschrift Abschied von der Gleichheit über ihre Maßregelung durch die Führer der SPD:

"Es würde ein müßiges Beginnen sein, wollte ich mich über Recht oder Unrecht der Maßregelung mit Leuten auseinandersetzen, die meine sozialistische Sprache so wenig verstehen, wie ich mir ihr nationalistisches Reden zu eigen zu machen vermag. Da steht Weltanschauung gegen Weltanschauung und die darin wurzelnde Überzeugung von pflichtgemäßer Lebensbetätigung.....

Ich erkläre mich schuldig, dass Die Gleichheit sich vom ersten Augenblick an, wo die sozialdemokratische Reichstagsfraktion die Grundsätze des Sozialismus als hinderlichen Ballast über Bord warf, in bewussten Gegensatz zu der entsprechenden ‚Neuorientierung’ gestellt hat. Ich erkläre mich schuldig, dass Die Gleichheit die Mehrheitspolitik mit steigender Schärfe kritisiert und bekämpft hat - soweit Schärfe des geistigen Kampfes unter den heutigen Zuständen möglich ist - je mehr meiner Überzeugung nach diese Politik von dem granitnen Felsen der sozialistischen Grundsätze abirrte und sich zwischen den wandelnden Dünen bürgerlicher Auffassungen verlor; je offensichtlicher mit der Dauer des Krieges die Mehrheitspolitik die Sozialdemokratie innerlich und äußerlich zerrüttete, ihren kostbaren geistig-sittlichen Inhalt zum Spielball der Wolken und Winde des Kriegsgeschehens machte, ihren festgefügten Bau in Trümmer schlug; je verhängnisvoller die Mehrheitspolitik dem Erkennen, Wollen und Handeln des arbeitenden Volkes wurde. Denn mit all dem wirkte die Mehrheitspolitik kriegverlängernd und verdrängte das gemeinsame Ringen der Proletarier aller Länder für den Triumph des Sozialismus durch den Kampf der Proletarier aller Länder gegeneinander für einzelstaatliche Weltmachtziele des internationalen Kapitalismus. Ich erkläre mich schuldig, dass Die Gleichheit mit Zorn und Verachtung die Gewaltmaßregeln gebrandmarkt hat, die die sozialdemokratischen Mehrheitler an Stelle von überzeugenden, durchschlagenden Gründen gegen die Opposition einsetzten.

Würde ich anders gehandelt haben, so hätte ich meine Grundsätze als internationale Sozialistin verleugnen, meiner Vergangenheit, meinem Lebenswerk, meinem Wesen ins Gesicht schlagen müssen." (8)

Verteidigerin der Oktoberevolution

Clara Zetkin gehört zu den ersten deutschen Sozialisten, die die Oktoberrevolution als "Triumph der konsequent festgehaltenen und durchgeführten grundsätzlichen und taktischen Auffassung der Bolschewiki" begrüßten. Diese hätten die Diktatur des Proletariats angestrebt, während Menschewiki und Sozialrevolutionäre sich als unfähig erwiesen hätten, die vor der Revolution stehenden Aufgaben - Herbeiführung des Friedens und Agrarfrage - zu lösen. (9) Etwa ein Dreivierteljahr später schloss sich auch Rosa Luxemburg in ihrer Schrift Zur russischen Revolution dieser Meinung an.

Gegen diejenigen, die die Oktoberrevolution in dem wirtschaftlich und gesellschaftlich rückständigen Russland verurteilten, weil ihr Verlauf angeblich nicht mit der Marxschen Analyse übereinstimmte, erklärte sie: "Die ‘notwendige’ Reife der Dinge und der Menschen zur Revolution ist eine Formel, die durch die geschichtliche Wirklichkeit Inhalt und Leben empfängt. Und diese geschichtliche Wirklichkeit lässt sich nicht in das Schema F pressen. Der historische Materialismus ist keine Sammlung fertiger Rezepte für soziale Ärzte, Kurpfuscher und Apotheker. Er ist das vollkommenste Werkzeug zur Erforschung und Durchleuchtung, zum Verständnis des geschichtlichen Werdegangs der Menschheit. Die Entwicklung der Wirtschaft und der gesellschaftlichen Dinge in Russland darf nicht an den Vorbildern der Länder alter europäischer Kultur gemessen werden. Diese Entwicklung fasst in vieler Hinsicht Asien, Europa und Amerika zusammen...

Doch davon abgesehen und vor allem: Die Dinge und Menschen sind reif zur Revolution, wenn breite Volksschichten bestimmte Zustände als unerträglich empfinden; wenn sie nicht mehr an die Fähigkeit übergeordneter Gesellschaftsmächte glauben, die unerträgliche Last von ihnen zu nehmen; wenn sie nur auf die eigene Kraft vertrauen." (10)

Besonders nach der Oktoberrevolution in Russland sah Clara Zetkin die einzige realistische Hoffnung auf Frieden in ganz Europa in einem von der Arbeiterklasse und großen Teilen der Mittelschichten und der Bauern getragenen revolutionären Umsturz und dem Aufbau einer internationalen sozialistischen Ordnung. Sie verteidigte diese Perspektive kompromisslos. Dabei wandte sie sich gleichzeitig gegen die aktionistische, linksradikale Politik, die von einem starken Flügel innerhalb der neu gegründeten KPD vertreten wurde. Sie beharrte darauf, dass ein geduldiger, prinzipieller Kampf geführt werden müsse, um die Massen zu gewinnen. Sie trat ein für die Teilnahme an Wahlen und wurde 1920 zusammen mit Paul Levi als erste Abgeordnete der KPD in den Reichstag gewählt. Von 1919 bis 1924 war sie Mitglied des Zentralkomitees der Partei.

Dort setzte sie sich für Solidarität mit der Sowjetunion ein, die sie im September des gleichen Jahres selbst bereiste. Sie wurde ehrenvoll von Tausenden begeisterten Menschen auf dem Bahnhof in Petersburg empfangen. Sie war beeindruckt von der ungeheuren Aufbruchstimmung in dem vom Zarismus befreiten Land, das von Hungersnot, Kriegszerstörungen, ausländischen Interventionstruppen und Bürgerkrieg bedroht war. Sie schilderte ihre Reiseeindrücke in zahlreichen Artikeln. Sie nahm auch an den Kongressen der neu gegründeten der Kommunistischen Internationale teil.

Trotz ihrer äußerst labilen Gesundheit bewältigte sie in den zwanziger Jahren ein ungeheures Arbeitspensum. Tief erschüttert durch die brutale Ermordung ihrer engsten Freundin Rosa Luxemburg und ihrer Mitkämpfer Karl Liebknecht, Leo Jogiches und dem Tod von Mehring, war sie als eine der wenigen erfahrenen revolutionären Kader recht isoliert in der jungen KPD mit ihren "Kinderkrankheiten". Neben der parlamentarischen Arbeit kümmerte sie sich um den Parteiaufbau, hielt Vorträge und Reden, reiste, schrieb Artikel.

Eine wichtige Rolle spielte sie bei der Vereinigung des linken Flügels der USPD mit der KPD, durch die die Partei mit einem Schlag über Masseneinfluss, zahlreiche Publikationsorgane und Parteihäuser verfügte. Mehrmals war sie von Angriffen der äußersten Rechten bedroht. Einmal konnte sie rechtzeitig Genossen benachrichtigen, die die Angreifer in die Flucht schlugen, die versucht hatten, in ihr Haus einzudringen. Ein andermal - während des Kapp-Putsches 1920 - versteckten sie Tübinger Studenten eine Woche lang.

Auch innerhalb der KPD hatte sie keineswegs nur Freunde. Sie war eine entschiedene Gegnerin des mitteldeutschen Märzaufstands von 1921, konnte ihn aber nicht verhindern. Nach dessen Niederschlagung diskutierte sie national und international unter anderem mit Lenin über diese verfehlte Politik. Sie versuchte, den Zickzackkurs der KPD-Führung zu beeinflussen und diese organisatorisch und politisch nach dem Muster der bolschewistischen Partei auszurichten. Da sie sich krankheitsbedingt meist in Sanatorien in der Sowjetunion aufhielt, waren ihre Möglichkeiten aber beschränkt.

1921 wurde sie auf der Zweiten Internationalen Frauenkonferenz zur Leiterin des Westeuropäischen Internationalen Frauensekretariats der Komintern in Berlin bestimmt und gehörte in dieser Funktion dem Exekutivkomitee an.

Wird fortgesetzt

Anmerkungen

7) Gilbert Badia: a.a.O.,S. 143

8) http://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1917/06/abschied.htm

9) C. Zetkin: Für den Frieden. In: Für die Sowjetmacht, Berlin 1977, S. 33ff

10) ebd., S. 44f

Siehe auch:
Vorkämpferin des internationalen Sozialismus - Erster Teil
(12. Juli 2007)
Die Frauenfrage im Lichte des Marxismus
(11. September 1997)
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