Zum 150. Geburtstag von Clara Zetkin

Vorkämpferin des internationalen Sozialismus

Dritter Teil

Parteiarbeiterin und Botschafterin der Kommunistischen Internationale

Clara Zetkin nahm im Auftrag der Kommunistischen Internationale an den Gründungskongressen der Kommunistischen Parteien Frankreichs in Tours und Italiens in Mailand teil.

In Italien bezog sie scharf Stellung gegen den Pakt der italienischen Sozialdemokratie mit der bürgerlichen Regierung, der der Konterrevolution, den Faschisten zur Macht verhelfen sollte. Auf dem Rückweg von Italien musste sie auf abenteuerlichen Wegen unter großen körperlichen Strapazen illegal die Schweizer Grenze überqueren.

Auf dem Kongress in Tours, zu dem sie wegen staatlicher Verfolgung nur auf Umwegen gelangen konnte, entschärfte sie in ihrer Rede die verheerenden Auswirkungen eines ultimatistischen Telegramms von Sinowjew, dem Vorsitzenden des Exekutivkomitees der Komintern. Sie stimmte in dieser Frage mit Alfred Rosmer und seiner Frau Marguerite Thévenet überein.

Clara Zetkin war sich der Gefährdung der Russischen Revolution durch die Isolation und die ungünstige objektiven Lage des ersten Arbeiterstaates durchaus bewusst. Dazu rechnete sie die ökonomischen Bedingungen ebenso wie die technische Zurückgebliebenheit und die "verhältnismäßige Schwäche, Unerfahrenheit, mangelnde Schulung und geringe Arbeitsdisziplin des Industrieproletariats, die in der Vergangenheit verwurzelte Betriebsweise, Mentalität und Kulturarmut der ungeheuren Mehrzahl der schaffenden Massen überhaupt." (11)

Zum fünften Jahrestag der Oktoberrevolution erklärte sie auf dem IV. Weltkongress der Komintern 1922, die sowjetische Gesellschaft erinnere an eine auf die Spitze gestellte Pyramide. Auf der noch wenig entwickelten Großindustrie und einer kleinen, noch unerfahrenen Arbeiterklasse als schmaler Basis lagerten "die ungeheuren Massive einer kleinbäuerlichen Wirtschaft, einer kleinbäuerlichen Bevölkerung". Es sei ein geschichtliches Wunder, "dass diese Pyramide bis heute steht, obwohl fünf Jahre hindurch alle Mächte und Stürme der Gegenrevolution an ihr gerüttelt haben. Aber auf die Dauer ist ein solcher Zustand unhaltbar." (12) Dennoch war sie zuversichtlich dass es gelingen würde, in der Sowjetunion eine sozialistische Gesellschaft zu verwirklichen.

1923 analysierte sie in ihrem Bericht auf dem Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale die Gefahr des Faschismus, der seit 1921 in Italien an die Macht gelangt war und sich auch in Deutschland formierte. Sie warnte davor, ihn als bloßen bürgerlichen Terror oder als Rache der Bourgeoisie nach revolutionären Umsturzversuchen zu verstehen:

"Der Faschismus ist keineswegs die Rache der Bourgeoisie dafür, dass das Proletariat sich kämpfend erhob. Historisch, objektiv betrachtet, kommt der Faschismus vielmehr als Strafe, weil das Proletariat nicht die Revolution, die in Russland eingeleitet worden ist, weitergeführt und weitergetrieben hat. Und der Träger des Faschismus ist nicht eine kleine Kaste, sondern es sind breite soziale Schichten, große Massen, die selbst bis in das Proletariat hineinreichen. Über diese wesentlichen Unterschiede müssen wir uns klar sein, wenn wir mit dem Faschismus fertig werden wollen." (13)

Seit 1921 gehörte sie dem Zentralkomitee der Roten Hilfe an, einer Hilfsorganisation zur Unterstützung von Opfern der Klassenjustiz. 1925 wurde sie zur Präsidentin der Internationalen Roten Hilfe mit ihren weltweiten Sektionen ernannt. Daneben hatte sie bis zu ihrem Tod weitere Ämter in nationalen und internationalen Hilfsorganisationen inne.

Unfreiwillige Ikone der Bürokratie

Clara Zetkin galt in der KPD als "Rechte", denn sie lehnte jeden isolierten Aufstand ab, der nicht von einer breiten Unterstützung der Massen getragen war. Sie war mit Lenin der Meinung, dass auf Grund einer sorgfältigen Analyse der politischen Situation eine kluge Einheitsfront-Taktik entwickelt werden müsse, um die an der Sozialdemokratie orientierten Massen dazu zu bringen, mit dem Reformismus zu brechen. In dieser Frage stimmte sie vollkommen mit den Grundsätzen überein, die auf dem III. Kongress der Komintern 1921 festgelegt worden waren.

Allerdings barg ihr Festhalten an dieser Überzeugung auch die Gefahr, dass sie eine revolutionäre Situation nicht richtig einschätzte. So war sie skeptisch, ob ein revolutionärer Aufstand 1923 wirklich möglich gewesen wäre. Sie lehnte Trotzkis Position ab, der die Komintern- und die KPD-Führung wegen ihrer zögerlichen Haltung scharf kritisiert hatte. Die KPD- Führung unter Brandler und Thalheimer hatte im Herbst 1923 trotz einen breiten Mobilisierung der Bevölkerung die Vorbereitungen zum Aufstand gestoppt und die Entscheidung von einem Beschluss einer Betriebsrätekonferenz abhängig gemacht. Daraufhin war es in Hamburg zu einem isolierten Aufstand gekommen, der blutig niedergeschlagen wurde.

Mit der linksradikalen Politik der KPD-Führung unter Ruth Fischer und Arkadij Maslow, die Brandler und Thalheimer ablösten, ging sie hart ins Gericht, während sie zu letzteren auch nach deren Ausschluss aus der Partei Kontakt hielt. Ihr enges Verhältnis zu Bucharin spricht dafür, dass ihre politischen Sympathien im sich verschärfenden Kampf in der russischen Partei auf Seite der Rechten lagen.

Auf dem VII. erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, auf dem es Ende 1926 zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Mehrheit um Stalin und Bucharin und der Vereinigten Opposition um Trotzki und Sinowjew kam, ergriff sie jedenfalls eindeutig Partei für Bucharin und gegen die Opposition, die sich ihrer Meinung nach in "Wunschvorstellungen über die proletarische Weltrevolution flüchten, die mit einem Schlag alle Probleme und Aufgaben lösen und alle Schwierigkeiten beseitigen wird".

Sie setzte sich in ihrem Beitrag zunächst mit den Argumenten Sinowjews und Kamenews auseinander und erklärte dann: "Genosse Trotzki hat allerdings versucht, die Frage über den Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion etwas konkreter zu stellen. Er verwies auf die Verbindung, die zwischen dem Wirtschaftsleben der Sowjetunion und dem Markt der kapitalistischen Umwelt besteht und die dadurch bedingte Beeinflussung der sowjetischen Wirtschaftsentwicklung. Genosse Bucharin hat zu Trotzkis Darstellung vom marxistischen Standpunkt das Nötigste gesagt."

Sie vertrat die Auffassung, die wirtschaftliche Entwicklung der Sowjetunion könne auf Grund der riesigen Ausdehnung des Landes und des damit verbundenen Reichtums an Ressourcen auch bei völliger Isolation vom Weltmarkt aus eigener Kraft zum Sozialismus führen. Allerdings leugnete sie nicht, dass ihr für den erfolgreichen Aufbau bisher durchaus "Produktionsmittel aus dem kapitalistisch weiter fortgeschrittenen Europa" zugeflossen seien. Eine isolierte Entwicklung sei aber möglich, wenn auch langsamer und unter größten Opfern. Der Opposition fehle die "unerschütterliche Zuversicht, dass sich auch unter den heute gegebenen Bedingungen die Sowjetunion als sozialistisch aufbauender Staat behaupten könne". (14)

Zetkin stellt den Standpunkt der Vereinten Opposition hier offensichtlich falsch dar. Letztere bestritt nicht, dass sich die Sowjetunion unter den "heute gegebenen Bedingungen" behaupten könne - dazu hatte Trotzki als Oberbefehlshaber der Roten Armee einen entscheidenden Beitrag geleistet. Sie lehnte aber die Stalin-Bucharinsche Theorie ab, wonach eine sozialistische Gesellschaft "in einem Land", d.h. gestützt allein auf die wirtschaftlichen Ressourcen der Sowjetunion aufgebaut werden könne. Diese Theorie stellte einen grundlegenden Bruch mit dem marxistischen Internationalismus dar und hatte schwerwiegende Fehler in der sowjetischen Wirtschaftspolitik und eine zunehmend reaktionäre Rolle der Kommunistischen Internationale zur Folge. Sie entsprach den bornierten Interessen der Sowjetbürokratie, die sich zu einer privilegierten Kaste entwickelte und unter Stalins Führung die Staatsmacht usurpierte.

Ob es in den Archiven weiteres Material darüber gibt, wie Clara Zetkin den Kampf der Opposition gegen Stalin und seine Anhänger in der Folgezeit beurteilt hat, wäre noch zu untersuchen. In wieweit sie überhaupt angesichts ihrer Krankheit und der Abschirmung durch die Bürokratie den Fortgang der Auseinandersetzungen verfolgen konnte, ist nicht klar, denn ihre Schriften und Briefe wurden unter der Kontrolle der stalinistischen Bürokratie veröffentlicht, der sie in ihren letzten Lebensjahren zunehmend kritisch gegenüber stand. Ihre Briefe zeugen davon, dass sie Vieles kritischer sah, als sie dies in der Öffentlichkeit sagte. In einem Brief an Jossif Pjanitzki schrieb sie 1930 resigniert, sie wolle über die russischen Affären kein Urteil fällen, "weil mir das Vertrauen zu den Berichten von beiden Seiten fehlt". (15)

Zunehmend wurde die alte Revolutionärin in dieser Zeit von der Komintern- und der KPD-Führung zwar als Ikone hoch geehrt und ausgezeichnet, aber aus der aktuellen Politik herausgehalten. Trotzdem versuchte sie sich immer wieder einzumischen. Kritische Briefe nach Deutschland schickte sie manchmal in fünffacher Ausfertigung an verschiedene Personen, damit die Chance, dass einer sein Ziel erreichte, vergrößert wurde. Dass sie die Politik Stalins und seiner Anhänger in der KPD-Führung vor allem in der so genannten "Dritten Periode" nach dem VI. Weltkongress der Komintern 1928 als dumm und gefährlich ansah, das ist vielfach bezeugt.

Insbesondere aber lehnte sie die Politik des Thälmannschen Zentralkomitees in Deutschland ab, das seit 1928 den angeblichen "Sozialfaschismus", die Sozialdemokratie, zum Hauptfeind der Arbeiterklasse erklärt hatte und sich jeder Einheitsfront gegen die Nationalsozialisten widersetzte. Clara Zetkin dagegen befürwortete die Einheitsfronttaktik, so wie Lenin sie definiert hatte, als einziges Mittel, um die sozialdemokratische Führung und ihre prokapitalistische Politik zu entlarven und die in der SPD organisierten oder an ihr orientierten Arbeitermassen für die sozialistische Revolution zu gewinnen.

Sie ist entsetzt über Stalins Eingreifen zugunsten Thälmanns während der Wittorf-Affäre 1928. John Wittorf, ein enger Vertrauter von Thälmann, hatte Parteigelder veruntreut und war von letzterem gedeckt worden. Thälmann war zunächst gezwungen, seine Ämter niederzulegen, wurde jedoch auf Betreiben Stalins rehabilitiert und blieb Parteivorsitzender. Gegen das von Stalin an die Parteispitze gehievte Triumvirat Thälmann, Remmele und Neumann konnte die bereits schwer Erkrankte nichts mehr ausrichten.

1929 war sie nicht mehr in das Zentralkomitee der KPD gewählt worden, dennoch wollte die Partei auf ihr Prestige nicht verzichten und stellte sie 1930 erneut als Kandidatin für die Parlamentswahlen auf. Sie wurde wieder gewählt. Aus ihrer Ablehnung des Kurses der Parteiführung in Berlin und in Moskau jedoch machte sie in privaten Briefen keinen Hehl. Immer wieder betonte sie die Notwendigkeit einer Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus.

In einem Brief an ihre Freundin Rosa Grimm schrieb sie über eine Freundin, die alles glaube, was die Parteipresse schreibe, "während in mir der revolutionäre Skeptizismus steckt, namentlich für alle Fragen, die sich nicht a priori vom grünen Tisch aus entscheiden lassen, sondern die nur die Praxis lösen kann.... die schlimmste Krankheit, die in mir zehrt, ist die innere Zerrissenheit u. Unsicherheit, das Ringen, Suchen, Tasten um Antwort auf die alte, ewig neue Pilatusfrage: Was ist Wahrheit, was ist Pflicht als oberstes Gebot meiner Treue zur proletarischen Revolution: Reden oder Schweigen." Diese "Krankheit", der Zweifel an der Parteilinie, hat mit Sicherheit dazu beigetragen ihre physische Gesundheit weiter zu untergraben.

1929 stellte sie fest, dass die Parteipresse ihr Buch "Erinnerungen an Lenin" totschwieg, in dem sie über die intensiven Gespräche berichtet, die sie mit diesem und seiner Frau Nadeschda Krupskaja gerade auch über Fragen der Bildung und Erziehung geführt hatte.

Selbst was ihr ureigenstes politisches Betätigungsfeld anging, machte sich zunehmend Enttäuschung bei ihr breit. Sie hatte immer wieder versucht, so genau wie es ihr möglich war, die Lage der Frauen in der Sowjetunion zu erforschen. Auch dabei stellte sie durchaus viele Defizite fest. Sie entwickelte sogar einen Fragebogen, mit dem sie eine soziologische Untersuchung zur Situation der sowjetischen Frauen plante. Es ist aber nicht bekannt, ob er jemals verteilt und ausgewertet werden konnte. 1928 schrieb sie an ihren Sohn Kostja, dass die Frauen es in der Sowjetunion schwer hätten, sich als Gleichberechtigte durchzusetzen. (16)

Als Alterspräsidentin eröffnete sie trotz ihrer Gebrechlichkeit - sie war fast gelähmt und so gut wie blind - im März 1932 den deutschen Reichstag mit einer Rede. Sie warnte vor dem Nationalsozialismus, dessen Gefährlichkeit sie viel früher und genauer erkannt hatte als die damalige Führung der KPD, die zeitweilig die Parole ausgegeben hatte: "Nach den Nationalsozialisten sind wir an der Reihe!"

Zetkin forderte im Gegensatz zur Parteiführung: "Das Gebot der Stunde ist die Einheitsfront aller Werktätigen, um den Faschismus zurückzuwerfen, um damit den Versklavten und Ausgebeuteten die Kraft und Macht ihrer Organisationen zu erhalten, ja sogar ihr physisches Leben. Vor dieser zwingenden geschichtlichen Notwendigkeit müssen alle fesselnden und trennenden politischen, gewerkschaftlichen, religiösen und weltanschaulichen Einstellungen zurücktreten. Alle Bedrohten, alle Leidenden, alle Befreiungssehnsüchtigen gehören in die Einheitsfront gegen den Faschismus und seine Beauftragten in der Regierung!"

Die Nazipresse giftete am nächsten Tag gegen die "kommunistische Jüdin" und "Moskowiterin", die des Hochverrats schuldig sei.

Clara Zetkin starb am 20.Juni 1933 im Sanatorium von Archangelskoje bei Moskau und wurde mit großem Pomp an der Kremlmauer beigesetzt. Auf einem Foto sieht man wie Stalin und Molotow ihren Sarg tragen, ein Symbol für das tragische Ende ihres revolutionären Lebens. Immerhin ist ihr durch ihren Tod vielleicht das schlimmere Schicksal erspart geblieben, das zahlreiche Marxisten im Zuge der Stalinschen Säuberungen erlitten.

Anmerkungen:

11) Zetkin: Die russische Revolution auf dem IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale. In: Die Kommunistische Internationale, 4. Jg., H. 24/25, S. 11

12) C. Zetkin: Fünf Jahre russische Revolution und die Perspektiven der Weltrevolution. in : Für die Sowjetmacht , Frankfurt/Main, 1977

13) http://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1923/06/faschism.htm

14) Clara Zetkin: Über die Gesetzmäßigkeit des Sieges des Sozialismus in der UdSSR, In: Für die Sowjetmacht,, S. 388-405

15) Badia, a.a.O. S. 259

16) ebd, S. S. 235

Siehe auch:
Clara Zetkin: Vorkämpferin des internationalen Sozialismus - Erster Teil
(12. Juli 2007)
Clara Zetkin: Vorkämpferin des internationalen Sozialismus - Zweiter Teil
(13. Juli 2007)
Die Frauenfrage im Lichte des Marxismus
(11. September 1997)
Loading