New York Times fordert Eskalation des "guten Kriegs" in Afghanistan

In einem Leitartikel vom 20. August formulierte die New York Times den Standpunkt des liberalen Flügels der Demokratischen Partei zu einer Eskalation der US-Militärintervention in Afghanistan.

Der Titel des Editorials gibt seine Richtung vor: "Der gute Krieg muss erst noch gewonnen werden". Das entscheidende politische Rezept ist in folgenden Zeilen enthalten:

"Amerika hat in Afghanistan nie genug Soldaten gehabt, nicht im Jahr 2001, als Osama bin Laden sich in den Höhlen von Tora Bora versteckte, und auch nicht heute, da große Teile des Landes immer noch praktisch unregierbar sind... In Afghanistan, das größer ist als der Irak und mehr Einwohner hat, stehen heute 23.500 amerikanische Soldaten. Im Irak sind es etwa 160.000."

Es ist typisch für die Äußerungen der New York Times über die amerikanische Politik im Irak und Zentralasien, dass der Leitartikel die Bush-Regierung zwar wegen ihrer verfehlten neokolonialen Strategie kritisiert, sich jedoch stillschweigend mit den zugrunde liegenden, unausgesprochenen Zielen solidarisiert, die diese Strategie bestimmen.

"Der Krieg gegen al-Qaida und ihre Taliban-Verbündeten kann immer noch gewonnen werden", schreibt die Zeitung, "und das ist für die amerikanische Sicherheit lebenswichtig". Das ist alles, was das Editorial über die Motive zu sagen hat, die es angeblich nötig gemacht haben, im Oktober 2001 in das Land einzufallen und es seither unter dem Kommando der USA besetzt zu halten.

"Amerikanische Sicherheit" erklärt überhaupt nichts. In Wirklichkeit verschleiert diese Formulierung die wahren Ziele der US-Intervention. Die New York Times fühlt sich nicht verpflichtet, eine seriöse Rechtfertigung für den Krieg zu geben. Ja, sie nimmt sich gar das Recht heraus, ihn als "guten Krieg" zu bezeichnen, denn alle Fraktionen des politischen Establishments und ihre Medienorgane gehen gleichermaßen davon aus, dass die Invasion in Afghanistan, was immer man auch über den Irakkrieg sagen mag, eine zweifellos gerechtfertigte Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 gewesen sei. Sie wird als legitimer und notwendiger Auftakt für den globalen "Krieg gegen den Terror" betrachtet.

Wie ein "guter Krieg" damit zusammenpasst, dass Tod und Zerstörung über das Volk von Afghanistan gebracht, Folter und Entführungen durch die US-Regierung gerechtfertigt, die Genfer Konventionen außer Kraft gesetzt, amerikanische Gefangenenlager wie Guantánamo Bay oder andere, z.B. auf afghanischem Boden, eingerichtet, und die demokratischen Grundrechte in den Vereinigten Staaten mit Füßen getreten werden - das erklärt die New York Times nicht.

Schon die Anwendung dieses Terminus des "guten Kriegs" weist darauf hin, dass die New York Times den US-Imperialismus und sein Streben nach Hegemonie in Nahost, Zentralasien und weltweit voll und ganz unterstützt.

Zu Beginn der US-Invasion in Afghanistan hat die Redaktion der World Socialist Web Site erklärt, worum es in diesem Krieg wirklich geht und was seine räuberischen Ziele sind. Die Erklärung "Weshalb wir gegen den Krieg in Afghanistan sind" enthält eine weitsichtige Analyse und Prognose, die sich seither vollkommen bestätigt hat. Wir schrieben:

"Der Überfall auf Afghanistan wurde zwar durch die Ereignisse des 11. September ausgelöst, hat jedoch weitaus tiefere Ursachen. Der Charakter dieses Krieges bemisst sich wie bei jedem Krieg nicht nach den unmittelbaren Ereignissen, die ihm vorausgingen. Ob er progressiv oder reaktionär ist, entscheidet sich vielmehr an der Klassenstruktur, den ökonomischen Grundlagen und der weltpolitischen Rolle der beteiligten Staaten. Unter diesen ausschlaggebenden Aspekten handelt es sich bei dem gegenwärtigen Vorgehen der Vereinigten Staaten um einen imperialistischen Krieg.

Die US-Regierung verfolgt mit diesem Krieg weit gefasste weltpolitische Interessen der amerikanischen herrschenden Klasse. Sein Hauptzweck ergibt sich aus folgenden Zusammenhängen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion vor zehn Jahren hat in Zentralasien ein Vakuum hinterlassen. Dieses Gebiet beherbergt die zweitgrößten nachgewiesenen Vorkommen an Erdöl und Erdgas weltweit.

Die Region um das Kaspische Meer, zu der Afghanistan einen strategischen Zugang eröffnet, enthält schätzungsweise 270 Milliarden Barrel Öl, was rund 20 Prozent der weltweit bekannten Reserven entspricht. Außerdem lagern dort etwa ein Achtel der weltweiten Erdgasvorkommen.

Diese außerordentlich bedeutsamen natürlichen Ressourcen befinden sich in der instabilsten Region der Welt. Indem die USA Afghanistan angreifen, dort ein Marionettenregime installieren und umfangreiche Truppen in die Region verlegen, wollen sie neue politische Verhältnisse schaffen, in deren Rahmen sie ihre Hegemonie ausüben können."

In der Erklärung heißt es weiter:

"Würden die USA die Taliban stürzen oder bin Laden töten und die Einrichtungen vernichten, die sie als Ausbildungslager für Terroristen bezeichnen, dann würden die amerikanischen Truppen nach der Verwirklichung dieser Ziele nicht abziehen. Das Ergebnis wäre vielmehr die dauerhafte Stationierung von amerikanischem Militär, um die USA als unbestrittenen Schiedsrichter über die Verteilung der Rohstoffvorkommen in der Region zu etablieren. In diesen strategischen Zielen liegt die Saat für künftige, noch weitaus blutigere Konflikte."

Das Editorial der New York Times lamentiert über die Verschlechterung der amerikanischen Stellung in Afghanistan und die ihrer Marionettenregierung in Kabul und macht zum großen Teil die Kriegspolitik der Bush-Regierung im Irak dafür verantwortlich. "Es könnte ganz anders aussehen", heißt es in der Zeitung, "hätte die Bush-Administration die nötigen Truppen und Dollars nicht in die schlecht konzipierte Invasion im Irak umgeleitet..."

Sie versäumt es, darauf hinzuweisen, dass die Times selbst, ungeachtet ihrer taktischen Differenzen über Vorbereitung und Durchführung des Irak-Abenteuers, den Versuch der Regierung unterstützt hat, das ölreiche Land zu erobern, und eine wichtige Rolle dabei spielte, die öffentliche Meinung zu manipulieren. So hat sie die Lügen der Regierung über irakische Massenvernichtungswaffen und Verbindungen zwischen Saddam Hussein und al-Qaida verbreiten geholfen.

Sie schweigt auch über die wichtige Rolle der USA bei der Unterstützung der Mujaheddin in Afghanistan in den 1980er Jahren, zu denen auch bin Laden und einige jener Leute gehörten, die später die Taliban aufgebaut haben. Washington verfolgte damals die Strategie, den islamischen Fundamentalismus zu unterstützen, um die Sowjetunion zu schwächen und ihren Einfluss in Zentralasien zu untergraben. Bin Laden und andere Fundamentalisten wurden von der CIA rekrutiert, um gegen das Regime zu kämpfen, das mit Unterstützung der Sowjetunion in Kabul regierte, und gegen die sowjetische Armee, als diese in Afghanistan einmarschierte.

Das Ergebnis dieser imperialistischen Politik war Chaos und Verwüstung in Afghanistan. Die Antwort der USA darauf bestand darin, die Machtübernahme der Taliban zu unterstützen. Die eigentliche und direkte Verantwortung für die tragischen Verluste vom 11. September 2001 trägt also die amerikanische herrschende Klasse selbst.

Was die New York Times sich unter einer erweiterten US-Besetzung von Afghanistan vorstellt, wird aus folgender Aussage deutlich:

"Seit die Truppenkonzentration für den Irak 2002 begann, hat sie die Ressourcen abgezogen, die das Kriegsglück in Afghanistan hätten wenden können, zum Beispiel die besten Kräfte für Spezialeinsätze und Aufstandsbekämpfung".

Für welche Art von Operationen solche besonders ausgebildete Killerkommandos zuständig sind, konnte man während der US-Invasion in Afghanistan sehen, als gegen Ende November 2001 US-Spezialkräfte und CIA-Personal in Kala-i-Dschangi Hunderte Kriegsgefangene in der Festung Masar-i-Scharif aus der Luft abschießen ließen.

In letzter Zeit hat die New York Times auf ihrer Leitartikelseite Stellungnahmen zur US-Politik im Irak, im Iran und in Afghanistan veröffentlicht. Der Leitartikel vom 13. August kritisierte die britische Entscheidung, ihre Truppen bis auf 5.000 Mann aus dem Südirak abzuziehen, und sprach sich dafür aus, eine große Zahl amerikanischen Militärpersonals auf unbestimmte Zeit in der Region zu belassen.

Am 18. August veröffentlichte die Times einen Leitartikel, der härtere Sanktion gegen den Iran befürwortete. Diese sollten von Verhandlungen mit dem Ziel begleitet sein, den Iran dazu zu bringen, die US-Vormachtstellung in der Region zu akzeptieren. Das Editorial kritisierte die "Kriegsfalken" in der Bush-Regierung, weil sie einen Militärangriff auf den Iran hier und jetzt fordern, schloss aber einen zukünftigen derartigen Angriff nicht aus.

Diese Woche ruft sie zu einer militärischen Eskalation in Afghanistan auf.

Diese Erklärungen treffen mit einer intensiven Diskussion und Debatte in der amerikanischen herrschenden Klasse über die Frage zusammen, was der beste Weg sei, um ihre Interessen im Irak zu wahren und eine katastrophale Niederlage zu vermeiden, und wie man die US-Vorherrschaft im Nahen Osten und Zentralasien aufrecht erhalten könne. Die führenden Kandidaten der Demokraten für die Präsidentschaftswahl 2008 haben ihre "Antikriegs"-Rhetorik schon stark gemäßigt und pflichtschuldigst ihre Unterstützung für eine fortgesetzte US-Militärpräsenz im Irak und der Region bekundet.

All dies weist auf starke Bemühungen hin, die zuweilen erbitterten Dispute zu überwinden und einen neuen Konsens in der Irak- und der Nahostpolitik herzustellen. Eins ist gewiss - und wird durch die Leitartikel der New York Times noch unterstrichen: Sämtliche Fraktionen und beide kapitalistischen Parteien stimmen darin überein, dass die amerikanische Militärgewalt und neokoloniale Unterdrückung nicht beendet wird. Im Gegenteil, die offizielle Debatte läuft unerbittlich in die Richtung einer Ausweitung der amerikanischen Militäroperationen, die sich nicht nur auf Afghanistan beschränkt, sondern auch neue Länder bedroht. Und das nächste Opfer wird der Iran sein.

Siehe auch:
SPD und Grüne wollen Truppen in Afghanistan aufstocken
(11. August 2007)
Weshalb wir gegen den Krieg in Afghanistan sind
( 10. Oktober 2001)
US-Kriegsverbrechen in Afghanistan: Hunderte Kriegsgefangene in Masar-i-Scharif abgeschlachtet
( 30. November 2001)
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