Berlin: Rot-roter Senat baut Überwachungsstaat aus

Während sich die soziale Krise in der Bundeshauptstadt weiter verschärft und der Unmut der Bevölkerung wächst, weitet der aus SPD und Linkspartei bestehende Berliner Senat die Befugnisse der Polizei aus und schränkt die Bürgerrechte ein.

Am 21. August beschloss die rot-rote Landesregierung eine Novelle des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOD), die nun den Parlamentariern im Abgeordnetenhaus zur Abstimmung vorliegt. Innensenator Ehrhart Körting (SPD), der für die Initiative zur Gesetzesänderung verantwortlich ist, versucht die Ausweitung der Polizeibefugnisse als notwendige Maßnahmen "zur Abwehr von Gefahren durch den Terrorismus und zur Unterbindung des Drogenhandels" darzustellen.

Die Senatoren der Linkspartei unterstützen diese Argumentation und haben der Gesetzesänderung in allen wesentlichen Punkten zugestimmt.

Durch die Änderung wird ein Großteil der Bevölkerung und Berlinbesucher einer systematischen staatlichen Beobachtung unterzogen. Die Polizei wird künftig die Möglichkeit haben, unmittelbar auf Videoaufzeichnungen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zuzugreifen, ohne dass - wie es bisher Voraussetzung war - vorher eine Straftat begangen wurde und eine konkrete Straftatverfolgung von Seiten der Polizei besteht.

Diese Entscheidung steht in Zusammenhang mit den Plänen der BVG, an U-Bahnhöfen, in Bussen und Straßenbahnen flächendeckend Kameras zu installieren. Nach den Vorstellungen des BVG-Vorstands sollen bis Ende des Jahres alle 170 Haltestellen der U-Bahn für eine 24-stündige Videoüberwachung ausgerüstet werden. Bisher war geregelt, dass die verschlüsselt gespeicherten Daten nach 24 Stunden gelöscht werden. Nun erhält die Polizei einen Zugriff darauf. Bis 2010 sollen nach den Plänen der BVG auch alle Busse und Straßenbahnen entsprechend mit elektronischer Überwachung ausgerüstet werden. Neu angeschaffte Verkehrsmittel verfügen bereits über die erforderliche Aufzeichnungstechnik, alte sollen nachgerüstet werden.

Neben dem unmittelbaren Zugriff auf die BVG-Überwachungsvideos soll die Überwachung "sensibler Plätze und Einrichtungen" in der Hauptstadt mit Hilfe von Videotechnik verstärkt werden, wobei auch hier Personen ins Visier genommen werden können, von denen lediglich vermutet wird, dass sie Straftaten begehen könnten. Nach welchen Kriterien der Verdacht auf eine Straftat eingeschätzt wird und wer diese Kriterien festlegt, ist bisher nicht bekannt.

Die Berliner Polizei soll künftig auch "anlassunabhängig" das bei Großveranstaltungen angefertigte Videomaterial von den Veranstaltern anfordern und auswerten können. Von der präventiven Überwachung kann mithin jeder betroffen sein, dessen Verhalten als irgendwie auffällig eingeschätzt wird und der damit ins Raster fällt. Vorsorglich wurden die Kriterien zur Rasterfahndung an die vom Bundesverfassungsgericht geforderten allgemeinen Vorgaben angepasst.

Zum Überwachungs- und Kontrollsystem zählt im Übrigen neben der Raster- auch die so genannte Schleierfahndung, bei der ohne Verdacht und Anlass großflächige Überwachungsmaßnahmen durchgeführt werden. Darüber hinaus werden Ermittlungsbeamte "zur Verbesserung der Eigensicherheit" ermächtigt, bei Personen- und Fahrzeugkontrollen selbst Videoaufzeichnungen anzufertigen.

Auch das Auffinden von Personen über die so genannte Handy-Ortung wird durch die gesetzliche Neuregelung vereinfacht. Bislang war es nur bei der Suche nach Tätern erlaubt, die schwerer Straftaten, wie beispielsweise Mord, verdächtigt werden. In Zukunft wird eine solche Standortfeststellung auch in vielen anderen Fällen möglich sein, wobei der Hinweis, dass sie nun "für alle vermissten und suizidgefährdeten Personen möglich" sei, sehr weit ausgelegt werden kann.

Die verstärkte Überwachung erfordert einen höheren Personalbedarf der Sicherheitskräfte für Überprüfung und Auswertung der Video-Aufzeichnungen. In diesem Zusammenhang machen einige Medienberichte darauf aufmerksam, dass die Berliner Polizei seit einiger Zeit eine sogenannte "Sicherheitspartnerschaft" mit privaten Sicherheitsdiensten abgeschlossen hat. Im Rahmen dieses Partnerschaftsvertrages sollen Beschäftigte von privaten Sicherheitsfirmen die Polizei bei Fahndungsaufgaben unterstützen. Wieweit diese Privatfirmen in die Auswertung von Überwachungsdaten einbezogen sind oder werden, ist bisher nicht bekannt.

Die einzige Opposition gegen die Gesetzesänderung, die bisher im Abgeordnetenhaus sichtbar wurde, kommt von rechts. Der CDU geht die Staatsaufrüstung nicht weit genug.

Aus der Linksfraktion wird hingegen Zustimmung signalisiert. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Marion Seelig, war als innenpolitische Sprecherin ihrer Partei in die Erarbeitung der Gesetzesnovelle mit eingebunden. Gegenüber kritischen Äußerungen betont sie, die Linkspartei habe in "sehr langen und harten Verhandlungen" noch stärkere Eingriffe in die Bürgerrechte verhindert.

Außerdem würde sich in der Praxis nicht viel ändern, weil viele Maßnahmen, die durch die Novellierung nun Gesetz werden, bereits bisher in der einen oder anderen Weise praktiziert würden. In den Worten von Seelig hört sich das folgendermaßen an: "Diese Gesetzesänderungen kamen nicht aus heiterem Himmel. Vielmehr ist den im Gesetzentwurf zu findenden Befugnistatbeständen eine tatsächliche Praxis von Sicherheitsbehörden vorausgegangen."

Mit anderen Worten: Anstatt die Polizei, die Sicherheitskräfte und die Verantwortlichen im Landesinnenministerium zur Rechenschaft zu ziehen und ihr gesetzeswidriges Handeln zu unterbinden, sieht die Linkspartei ihre Aufgabe darin, die Gesetze dem rechtswidrigen Handeln der Polizei anzupassen und damit "Rechtssicherheit" zu schaffen.

Die Unterstützung der Linkspartei für die Ausweitung der Befugnisse der Polizei, die innerstaatliche Aufrüstung und die Einschränkung von Bürgerrechten ist aber nicht nur ein Ergebnis ihrer Anpassung an vollendete Tatsachen und ihrer Feigheit vor den Konservativen, sie entspricht auch ihrer Tradition und ihrem Programm.

Hier zeigt die Linkspartei ihr wahres Gesicht als Nachfolgeorganisation der SED, die als Staatspartei der DDR über Jahrzehnte jede selbstständige Regung der Arbeiterklasse unterdrückt und - wenn auch im Vergleich zu heute mit recht primitiven Mitteln - eine umfassende staatliche Kontrolle und Unterdrückung organisiert hat. Die Angst vor einer Bewegung von unten sitzt dieser Partei immer noch tief in den Knochen. Verteidigung von Bürgerrechten und demokratischen Prinzipien ist für sie ein Fremdwort.

Marion Seelig, die seit der Wende im Abgeordnetenhaus sitzt, verkörpert diese politische Entwicklung der PDS/Linkspartei. Sie bezeichnet sich gerne als DDR-Bürgerrechtlerin, weil sie 1989/90 für die "Vereinigte Linke" am Runden Tisch der DDR saß. Auf der Offenen Liste der PDS kandidierte sie dann für die Volkskammerwahl zu einer Zeit, in der Hans Modrow, der heutige Ehrenvorsitzende der Linkspartei und damalige DDR-Ministerpräsident, erklärte, es komme darauf an, "Ruhe und Ordnung" aufrecht zu erhalten, und Gregor Gysi die Einführung der Marktwirtschaft als Fortschritt pries.

Als Mitglied des Fraktionsvorstands rechtfertigt sie seit sechs Jahren die Sozialkürzungen, die von der Linkspartei im Berliner Senat mitgetragen werden. Unter der Regentschaft von SPD und Linkspartei wurden in der Bundeshauptstadt 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut, die Gehälter um zehn Prozent gesenkt, drastische Stellen- und Gehaltskürzungen in den Verkehrsbetrieben, an den Universitäten und Schulen durchgesetzt sowie Gebühren und Personalschlüssel an den Kitas und Horten stark erhöht.

Nachdem der Widerstand gegen diese unsoziale Politik immer stärker wird, unterstützt die Linkspartei nun die Ausweitung der Polizeibefugnisse und die schrittweise Errichtung eins Überwachungsstaats, um einer Radikalisierung der Bevölkerung frühzeitig entgegen zu treten.

Es ist bezeichnend, dass die Beratung der Gesetzesänderungen im Abgeordnetenhaus zu einem Zeitpunkt stattfindet, an dem die Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Hauptstadt für Mitte kommender Woche einen eintägigen Proteststreik angekündigt haben, um gegen die unsoziale Politik des rot-roten Senats zu protestieren und für höhere Einkommen zu kämpfen.

Die Zustimmung zur Ausdehnung der staatlichen Überwachung und Einschränkung der Bürgerrechte hindert die Linkspartei allerdings nicht daran, einen Aufruf zu einer Protestdemonstration "Gegen Staatsaufrüstung und Überwachungswahn" zu unterschreiben, die für den 22. September geplant ist und von verschiedenen Bürgerrechtsgruppen und Journalistenverbänden organisiert wird. Vielleicht wird Marion Seelig dort über ihr Lieblingsthema, die "Verteidigung von Bürgerrechten" sprechen. Die unsoziale und undemokratische Politik der Linkspartei wird nur noch von ihrem Zynismus übertroffen.

Siehe auch:
Rot-roter Senat attackiert Lohnforderung im öffentlichen Dienst
(31. August 2007)
Verfassungsschutz observiert Berliner Sozialforum
( 7. Juli 2006)
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