Lokführerstreik: Flugblatt der PSG löst heftige Diskussionen aus

Am heutigen Freitag streiken die Lokführer ganztägig im Nah- und Regionalverkehr. Da der Bahn-Vorstand diesmal keine Zeit hatte, einen Notfahrplan auszuarbeiten, wird dies erhebliche Folgen auch für den Fern- und Güterverkehr haben.

Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) hat am Donnerstag kurz vor einem Spitzengespräch mit dem Bahn-Konzern zu dem Streik aufgerufen, der von 2 Uhr früh bis Mitternacht dauern soll.

Zu dem Spitzengespräch in Berlin hatte Bahn-Aufsichtsratschef Werner Müller geladen. Müller war unter Gerhard Schröder Wirtschaftsminister und ist derzeit Vorstandschef der Ruhrkohle AG. An dem Gespräch nahmen der GDL-Vorsitzende Manfred Schell, Bahn-Chef Hartmut Mehdorn, Transnet-Chef Norbert Hansen sowie Verkehrsstaatssekretär Jörg Hennerkes (SPD) als Vertreter der Bundesregierung teil. Müller erklärte, es handle sich dabei nicht um eine Fortsetzung der seit Monaten anhaltenden Tarifgespräche, sondern um eine Zusammenkunft, die "eine faire Lösung" erarbeiten solle.

Nach dem dreieinhalbstündigen Gespräch kündigte Bahnchef Mehdorn an: "Der Vorstand der Bahn AG wird am Montag ein neues Angebot vorlegen." Wie dieses Angebot aussehen wird, sagte er nicht. Er äußerte sich auch nicht dazu, ob das Angebot einen eigenen Tarifvertrag für Lokführer und Fahrpersonal vorsieht, wie von der GDL gefordert.

GDL-Chef Schell versprach daraufhin, bis 31. Oktober zu keinen weiteren Streiks aufzurufen, wenn das Angebot akzeptabel sei. Der heutige Streik hätte aber aus Zeitgründen nicht mehr abgesagt werden können.

Die Bahn kündigte an, gerichtlich gegen den Streik vorzugehen, falls er Auswirkungen auf den Fern- und Güterverkehr habe. Das Arbeitsgericht Chemnitz hatte der GDL letzte Woche verboten, den Fernverkehr zu bestreiken, da dies "unverhältnismäßig" sei.

Auch Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) und die Gewerkschaft Transnet stehen weiterhin fest an der Seite der Bahn. Tiefensee lehnte den erneut von der GDL vorgetragenen Wunsch, vermittelnd einzugreifen, ab.

PSG-Flugblatt löst Diskussionen aus

WSWS -Reporter sprachen gestern mit Lokführern in Frankfurt am Main. Sie verteilten Flugblätter mit der Erklärung der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) "Unterstützt die Lokführer gegen die Deutsche Bahn". Darin wird die gesamte arbeitende Bevölkerung aufgefordert, die Lokführer zu verteidigen und den Streik zum Ausgangspunkt für eine politische Offensive gegen die Bundesregierung zu machen.

Die Erklärung löste Diskussionen unter den Lokführern aus. Viele kamen, nachdem sie das Flugblatt gelesen hatten, um weitere Flugblätter für ihre Kollegen zu holen.

Transnet-Mitglieder unter den Lokführern in Frankfurt waren sehr unzufrieden mit der Rolle ihrer Gewerkschaft. Einer überlegte auszutreten: "Ich bin drauf und dran, aus der Transnet auszutreten. Schließlich zahle ich schon seit dreißig Jahren Beiträge, aber ich habe nicht den Eindruck, dass Hansen und die Gewerkschaftsführung überhaupt von den Interessen der Mitglieder ausgehen."

Als ein Lokführer den Transnet-Abschluss von 4,5 Prozent verteidigte und auch der GDL vorwarf, sie breche die Einheit der Eisenbahner, schalteten sich andere Lokführer ein: Das sei doch Quatsch und völlig daneben. "In Wirklichkeit hat die Transnet die Arbeiter gespalten. Der Abschluss reicht nicht mal aus, um die Inflationsrate auszugleichen."

Früher sei das alles eine einzige große Eisenbahnergewerkschaft gewesen. Auch wenn die Lokführer separat organisiert gewesen seien, habe eine Tarifgemeinschaft bestanden. Die Löhne hätte man gemeinsam ausgehandelt.

Ein anderer Lokführer berichtete, er habe erst jetzt durch Gespräche mit Kollegen erfahren, wie wenig die jungen Lokführer verdienten. "Ich selbst bin Beamter. Aber mit den Löhnen der Jungen kann man ja unmöglich in Frankfurt wohnen und eine Familie ernähren."

Er als Beamter habe in der letzten Woche, als die GDL am Freitag streikte, am Nachmittag zuvor einen Anruf erhalten, er müsse am Freitag einspringen und den Zug eines Kollegen von der GDL fahren. "Ich habe mich aber geweigert." Er wisse, dass er nicht der einzige Beamte sei, der nicht bereit ist, sich zum Streikbrecher machen zu lassen.

Nach Informationen der Zeitung Die Welt hat die Bahn auf Arbeitsniederlegungen von Lokführern am vergangenen Freitag mit mündlichen Kündigungen und Suspendierungen reagiert. Thomas Schütze, Tarifreferent der GDL, sagte der Zeitung: "Uns liegen Fälle vor, wonach Lokführer bei der Bahntochter DB Regio nach dem Streik am Freitag vergangenen Woche gefeuert wurden."

Laut GDL sei am vergangenen Freitag drei Mitarbeitern der DB Regio Berlin-Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mündlich gekündigt worden, weil sie nicht bereit waren, im Rahmen des Not-Fahrplans Dienst zu tun, sich also als Streikbrecher zu betätigen. Zudem sei in Baden-Württemberg ein bei der GDL organisierter Lokführer vom Dienst suspendiert worden. Die Bahn bestreitet dies.

Auch in Berlin wurde das Flugblatt der PSG am S-Bahnhof Alexanderplatz sowie am Ostbahnhof verteilt. Ein junger Lokführer von der GDL meinte, das Motto der Bahn sei "Streikt, aber tut mir nicht weh". Wenn ökonomische Gründe angeführt werden könnten, um einen Streik zu verbieten, "kann man die Gewerkschaften abschaffen". Er sei unzufrieden darüber, dass die GDL ihre Mitglieder schlecht informiere über das, was sie tue. Einige Dinge hätte man erst aus der Zeitung erfahren. Für ihn sei die Frage der Überstunden zentral. Es würden viele Überstunden gemacht, die noch nicht einmal alle bezahlt werden.

Tino Blossey und Melanie Kowalski, beide Anfang 20, konnten dies bestätigen. Sie waren auf dem Weg zum Jobcenter Marzahn, wo sie im Rahmen einer Maßnahme eine Ausbildung absolvieren. Tinos Onkel ist Lokführer bei der Bahn. "Er hat mir erklärt, dass es viele unbezahlte Überstunden und wenig Lohn gibt. Es würde sich niemand aufregen, wenn die Überstunden bezahlt würden. Aber das werden sie nicht." Der Onkel habe schon überlegt, zur privaten Firma Inter-Connex zu gehen. Dort werde etwa der gleiche niedrige Lohn gezahlt, dafür gebe es keine Überstunden.

Die meisten Passanten unterstützten die Forderungen der Lokführer. Eine junge Referendarin bei Gericht sagte, die Lokführer hätten einen sehr verantwortungsvollen Beruf. "Es ist ihr gutes Recht zu streiken, man hat in der Vergangenheit bei ihnen gekürzt." Sie wandte sich auch gegen das Streikverbot der Gerichte: "Das verstößt gegen die Tarifautonomie."

Mehrere Passanten, mit denen die WSWS -Reporter redeten, sprachen die ungeheure Kluft zwischen den reichen Bahn-Vorständen und den Lokführern an. Mehdorn erhielt 2006 3,18 Millionen Euro, 100 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Eine Frau sagte, sie sehe die fetten Autos der höheren Verwaltungsangestellten der Bahn und die Lokführer, die eine enorme Verantwortung in ihrem Beruf tragen. "Bei denen stagnieren die Löhne, wie generell bei der Basis, seit zehn Jahren.

Eine ältere Passantin brachte dies knapp auf den Punkt: "Der Mehdorn verdient zuviel Geld, die anderen zuwenig."

Siehe auch:
Unterstützt die Lokführer gegen die deutsche Bahn AG!
(10. Oktober 2007)
Chemnitzer Arbeitsgericht greift Streikrecht an
( 6. Oktober 2007)
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