Schwerer Unfall auf RWE-Baustelle kostet drei Arbeiter das Leben

Am Donnerstag, dem 25. Oktober, ereignete sich am Nachmittag kurz nach 16.00 Uhr ein schweres Unglück auf der Baustelle für das neue Braunkohle-Kraftwerk des Energiekonzerns RWE in Grevenbroich-Neurath (in der Nähe von Köln und Düsseldorf) in Nordrhein-Westfalen.

Nach bisherigen Erkenntnissen wurden dabei drei Montagearbeiter, zwei im Alter von 32 und 35 Jahren aus der Slowakei und ein 25jähriger Arbeiter aus Tschechien, getötet. Die Todesopfer waren bei einer tschechischen Firma beschäftigt, die im Auftrag der Unternehmen Alstom Power und Hitachi Power auf der Baustelle tätig waren. Fünf weitere Arbeiter im Alter zwischen 20 und 30 Jahren auch aus Tschechien und der Slowakei wurden schwer verletzt. Ein Sanitäter, der bei den Rettungsarbeiten half, erlitt einen Herzinfarkt.

Das Unglück ereignete sich, als ein 200 Meter hoher Spezialkran eine 100 Tonnen schwere Stahlkonstruktion, Bestandteil eines Kraftwerkskessels, auf ein Gerüst an einem der Kraftwerkstürme setzen sollte. Aus bis jetzt noch ungeklärter Ursache brach die Gerüstkonstruktion, auf die die Stahltraverse aufgesetzt werden sollte, zusammen. Über 450 Tonnen Stahl stürzten ungebremst in die Tiefe und erschlugen die auf dem Gerüst befindlichen Arbeiter, rissen zumindest einen von ihnen mit in die Tiefe und verletzten weitere Arbeiter schwer.

Die Bergung der Opfer gestaltete sich außerordentlich schwierig, weil die Rettungskräfte das Gerüst, das selbst durch die Beschädigung einsturzgefährdet ist, nicht betreten konnten, ohne sich selbst zu gefährden. Unter Einsatz von speziellen Höhenrettern der Feuerwehr konnten einige der Verletzten aus großer Höhe geborgen werden.

Die Bergung der zwei Todesopfer auf dem Gerüst zog sich über zwei Tage hin. Einer der getöteten Arbeiter hing in 140 Meter Höhe in seinem Sicherungsseil und konnte erst am Freitagnachmittag geborgen werden. Das andere Todesopfer lag in etwa 70 Meter Höhe auf dem beschädigten Gerüst und wurde erst über 50 Stunden, nachdem sich das Unglück ereignete hatte, am Samstag Abend geborgen.

Unmittelbar nachdem sich das Unglück ereignet hatte, gingen die Verantwortlichen der Baustelle sogar von fünf Toten und mindestens sechs Schwerverletzten aus, ein Arbeiter galt als vermisst. Einen Tag später, am Freitag, dem 26. Oktober, wurden die Angaben korrigiert. Es habe sich um einen Übermittlungsfehler gehandelt.

Bei der RWE-Kraftwerksbaustelle in Grevenbroich-Neurath am Niederrhein handelt es sich um eine der derzeit größten Baustellen Europas. Derzeit sind auf dem 50 Hektar großen Gelände (entspricht 50 aneinander gereihten Fußballfeldern) etwa 1.000 Arbeiter beschäftigt. Zu Spitzenzeiten können es bis zu 4.000 sein.

Die nach Fertigstellung insgesamt vier Kühltürme und Kesselhäuser erreichen eine Höhe von 170 Metern und überragen damit die Spitzen des Kölner Doms, die 157 Meter hoch sind.

Das Braunkohlekraftwerk gehört zu den Prestigeobjekten des Energiekonzerns RWE, der dafür 2,2 Milliarden Euro investiert. Die zwei Kraftwerksblöcke mit einer Gesamtleistung von 2200 Megawatt sollen spätestens 2010 in Betrieb gehen.

Laut RWE soll das Braunkohlekraftwerk nach Fertigstellung das größte Kraftwerk in Europa sein und mehr Leistung bei weniger Kohlendioxid-Ausstoß als bisherige Braunkohlekraftwerke bringen. Zur Grundsteinlegung am 23. August 2006 kamen Bundeskanzlerin Angela Merkel und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (beide CDU) persönlich nach Grevenbroich.

Bei dem Unfall handelt es sich um einen der schwersten Unfälle in der Bauindustrie in der jüngeren Zeit, obwohl Bauarbeiter aufgrund ihrer Tätigkeit und den meist gefährlichen Bedingungen - wie die Vergabe der Aufträge an zahlreiche Subunternehmen, dem enormen Zeit- und Kostendruck, der insbesondere auf Großbaustellen herrscht - überdurchschnittlich von schweren und tödlichen Arbeitsunfällen betroffen sind.

Nach der Bergung der Opfer und der Sicherung der Unfallstelle haben Staatsanwaltschaft und Polizei die Ermittlungen zur Unfallursache aufgenommen. Oberstaatsanwalt Peter Aldenhoff aus Mönchengladbach erklärte gegenüber der Presse, dass es noch offen sei, ob wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und schweren Körperverletzung ermittelt werde. Zunächst müssten Sachverständige klären, wie es zu dem Unfall gekommen ist.

Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft mit Sitz in Berlin teilte mit, dass es nach ersten Ermittlungen einen Montagefehler beim Kesselbau gegeben haben könnte. Dies konnte aber von den Behörden bisher noch nicht bestätigt werden.

Laut Aussage von Klaus Dieter Rennert, dem Leiter der an den Bauarbeiten beteiligten Hitachi-Gruppe, kommen als Unfallursache Materialprobleme, Fehler bei der Montage oder Konstruktion und menschliches Versagen in Frage.

Unternehmenssprecher von RWE und anderen an dem Bau beteiligten Unternehmen erklärten, dass sie sehr auf Sicherheitsvorschriften achten würden. Auch die für die Kraftwerksbaustelle zuständige Arbeitsschutz-Dezernentin Angelika Notthoff betonte in einem Interview mit dem WDR, dass in Grevenbroich-Neurath vorbildlich gearbeitet werde und man sehr auf Sicherheit bedacht sei.

Diesen Versicherungen widersprechen die Aussagen von betroffenen Arbeitern, die auch auf Fehlverhalten der Baustellenleitung und den großen Zeitdruck, der auf der Baustelle herrscht, hindeuten.

Wie zahlreiche andere Bauarbeiter ist auch Anton Perackovic am Freitag zur Baustelle gekommen, obwohl er und seine Kollegen an diesem Tag nach dem schweren Unfall hätten zu Hause bleiben können. Er äußerte sich gegenüber dem WDR über das, was am Vortag passiert ist. "Das hat zwei oder drei Mal ganz schrecklich geknallt und danach war Stille." Er selbst arbeitete etwa 50 Meter von der Unglücksstelle entfernt, wo tonnenschwere Stahlteile in die Tiefe stürzten. Gemeinsam mit Kollegen war er mit der Installation der Kanalanlagen für das Kraftwerk beschäftigt.

"Es ist ganz seltsam. Einerseits freue ich mich, dass ich nicht getroffen wurde, aber andererseits trauern wir auch um unsere Kollegen." Ihm selbst sei nicht aufgefallen, dass irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen nicht getroffen worden wären. Allerdings habe es, wie auf jeder Großbaustelle, einen gewissen Zeitdruck gegeben.

Die Zeitung Rheinische Post zitiert in ihrer Ausgabe vom 27. Oktober einen Arbeiter namens Bernd Fritsche, der auch als Zeuge gegenüber der Polizei aussagte und heftige Vorwürfe gegen die Werksleitung erhob: "Da ist etwas total schief gelaufen. Wir sind in den Bau hineingeschickt worden, obwohl oben montiert wurde. Da sind die Sicherheitsbestimmungen nicht eingehalten worden. Der Bereich unter dem Kran hätte gesperrt sein müssen."

Hektik und Stress auf der Baustelle nannten auch Arbeiter einer Großbaustelle in Essen als möglichen Grund für den Unfall in Grevenbroich, die von Fernsehteams nach Ihrer Meinung dazu befragt wurden.

Reporter der Fernsehnachrichtensendung WDR aktuell besuchten und interviewten einen der verletzten Bauarbeiter im Krankenhaus in Dormagen. Jan Kubanda, 38 Jahre alt, arbeitete als Vorarbeiter auf dem Gerüst, als der Unfall geschah. Er erlitt schwere Prellungen vom Kopf bis zu den Füßen und berichtet, dass er in seinem Sicherungsseil in etwa 100 Meter Höhe hängen geblieben war. Er sagte, dass er zu dem Zeitpunkt des Unglücks eigentlich längst zu Hause bei seiner Frau und seinen drei Kindern in der Slowakei hätte sein wollen. Er blieb aber länger auf der Baustelle, weil sich gewisse Probleme ergeben hatten und er helfen wollte, diese zu lösen.

Er hofft, dass er bald zu seiner Familie zurückkehren kann. Das Schlimmste seien nicht die körperlichen Verletzungen, sondern dass in seinem Kopf ständig der Film über die schrecklichen Geschehnisse, die drei seiner Kollegen das Leben kosteten, abliefe.

Ein weiteres Indiz dafür, dass die Sicherheitsvorschriften auf der Baustelle möglicherweise nicht ganz so ernst genommen werden, ist die Tatsache, dass es am 3. September dieses Jahres bereits zu einem tödlichen Arbeitsunfall auf der Baustelle kam. Ein 51jähriger Arbeiter stürzte von einem Gerüst zehn Meter in die Tiefe und zog sich dabei tödliche Verletzungen zu.

Die Aufschrift auf dem Schild an der Baustelleneinfahrt mit dem Spruch "Wir möchten, dass Sie gesund wieder nach Hause kommen", muss vielen Arbeitern inzwischen als blanker Zynismus erscheinen.

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