Lokführerstreik legt große Teile des Nahverkehrs lahm

Der bislang längste Streik der Lokführergewerkschaft GDL hat seit Donnerstag weite Teile des Nahverkehrs in Deutschland lahm gelegt. Der Schwerpunkt des Streiks lag im Osten.

In den neuen Bundesländern sei der regionale Zugverkehr "fast zum Erliegen gekommen", teilte eine Pressesprecherin der Bahn AG mit. In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern seien nur etwa zehn Prozent der Regionalzüge gefahren.

Die S-Bahnen in Leipzig und Rostock fuhren überhaupt nicht, in Dresden lief der Verkehr auf einer S-Bahn-Linie, allerdings mit großer Verspätung. Zwischen Halle und Leipzig fuhren die Züge nur alle 60 Minuten. Nach Angaben der GDL beteiligten sich bundesweit rund 1300 Lokführer am Streik, der erst am Freitagmorgen gegen acht Uhr enden wird.

Die harte Haltung von Bahnchef Mehdorn, der sich weigert ein ernsthaftes Angebot vorzulegen und stattdessen streikende Lokführer abmahnt und Kündigungen anstrebt; die Attacken von Politikern wie SPD-Chef Beck, der den Streikenden "Bruch des Betriebsfriedens" vorwarf; und die Entscheidung des Chemnitzer Arbeitsgerichts, das den Streik auf den Nahverkehr beschränkte und ein Berufungsverfahren bis Ende kommender Woche verschleppt - all das hat die Kampfbereitschaft der Lokführer gesteigert.

Auch die Unterstützung des Streiks durch die Bevölkerung ist nach wie vor sehr groß, wie Berichte von WSWS-Reportern deutlich machen.

Frankfurt/Main Hauptbahnhof

Trotz der Verschärfung der Streikmaßnahmen und der zunehmenden Kampagne von Politikern und Medien gegen den Streik war die Unterstützung der meisten Bahnkunden für die streikenden Lokführer am Frankfurter Hauptbahnhof ungebrochen. Mehrmals riefen vorbeieilende Fahrgäste den Streikposten ein aufmunterndes "Haltet durch" oder "Weiter so!" zu.

Alle Streikposten, mit denen wir sprachen, waren über die Haltung der SPD und besonders des Vorsitzenden Kurt Beck empört.

Uwe Hannsen ist Lokführer und beklagte, dass politische Streiks in Deutschland im Unterschied zu Frankreich verboten seien, obwohl die Unternehmer sehr wohl politische Angriffe auf grundlegende Rechte führen. Der gegenwärtige Angriff aufs Streikrecht beunruhige ihn sehr, betonte Hannsen.

"Meiner Meinung nach hat dieser Streik hier in Deutschland eindeutig einen politischen Hintergrund. Es geht ja im Endeffekt darum, dass von der Arbeitgeberseite generell - nicht nur vom Bahnvorstand - versucht wird, das Streikrecht einzuengen und auszuhöhlen. Damit soll ein Arbeitssystem, ein Arbeitsplatz- und Berufssystem, geschaffen werden, das an amerikanische Verhältnisse grenzt - mit Heuern und Feuern und allem was dazu gehört.

Wenn wir jetzt einknicken und sozusagen den Schwanz einziehen, dann hat die Arbeitgeberseite erreicht, was sie will: den ersten Sieg gegen das Streikrecht und damit gegen das Tarifrecht. Damit wäre dann der Anfang vom Ende einer ordentlichen Tarifkultur in Deutschland eingeleitet. Das betrifft irgendwann alle, nicht nur uns Lokführer. Sobald irgendeine Gewerkschaft, eine Berufsgruppe Tarifverhandlungen führen will und zur Durchsetzung ihrer Ziele streikt, wird das verboten.

Die Arbeitnehmerseite hat dann kein Druckmittel mehr, und damit kann die Arbeitgeberseite schalten und walten, wie sie will. Aber das begreift offensichtlich noch keiner. Es ist in England passiert unter der Thatcher Regierung mit den Bergarbeitern. Die ganze Gewerkschaftsstruktur ist dort damit kaputt gemacht worden. Im Endeffekt ist das jetzt hier bei der Bahn, in Bezug auf uns Lokführer der erste Versuch, das hier auch durchzusetzen. In Frankreich mit den Eisenbahnerpensionen, beim Transportpersonal, ist das im Endeffekt derselbe Versuch. Und alles im Namen der Globalisierung und angeblicher Gerechtigkeit.

Über Herrn Hansen von Transnet brauchen wir nicht zu diskutieren, der Mann sitzt im Bahnaufsichtsrat, der bekommt von der Bahn 1,7 Mio. Euro. Der entscheidet auch dementsprechend und verkauft seine Leute. Also ist der in meinen Augen kein Gewerkschaftsvertreter mehr, er ist der Hampelmann der Industrie und des Bahnvorstandes. Dass er die Privatisierung der Bahn unterstützt und solche Entscheidungen trifft, wie er sie getroffen hat, ist nicht verwunderlich. Das ist doch ein abgekartetes Spiel."

Berlin

Die Solidarität der Bahnbeschäftigten ist groß. Alle Beschäftigten, mit denen wir gesprochen haben, fühlen sich durch Transnet und GDBA nicht vertreten. Diese Gewerkschaften seien zu stark mit dem Unternehmen verstrickt. Der GDL wird eine Vorreiterrolle zugeschrieben. Allerdings setzten viele unserer Gesprächspartner Hoffnungen in die Regierung und glauben sie werde Druck auf Mehdorn machen ein verbessertes Angebot vorzulegen.

Ein nicht organisierter verbeamteter Lokführer aus Frankfurt erklärte sich solidarisch mit den Streikenden. Er wollte seinen Namen nicht angeben, weil die Bahn AG ihn verpflichtet habe, sich gegenüber Medien nur unter Aufsicht eines Mitarbeiters der Presseabteilung zu äußern.

Er berichtete, dass er wegen Kürzungen von Urlaubs- und Weihnachtsgeld 2500€ weniger Jahreseinkommen zur Verfügung habe. Zudem müsse er länger arbeiten. Seine Tochter fährt S-Bahn und müsse noch mit viel weniger auskommen.

"Ein eigenständiger Tarifvertrag ist wichtig, weil Transnet so stark mit der DB verbunden ist. Das ist keine unabhängige Gewerkschaft. Deshalb ist auch die Solidarität der übrigen Beschäftigten so groß. Sie wissen: Wenn die Lokführer jetzt erfolgreich sind, haben sie selbst bessere Möglichkeiten, Gehaltsforderungen zu stellen. Das ist genau das, was die Eisenbahn fürchtet. Deshalb ist sie so vehement gegen die Lokführer."

"Auch die anderen Beschäftigten müssen aus der Transnet raus und einer unabhängigen Gewerkschaft beitreten. Nur gibt es im Moment wenig Alternativen."

Er glaubt, dass sich die Regierung zugunsten der Arbeiter in den Tarifstreit einmischen sollte. Schließlich sei sie die Haupteigentümerin. Allerdings bewertet er die Privatisierungspläne kritisch: "Der normale Eisenbahner ist gegen die Privatisierung. Wir haben einen sozialen Auftrag, der mit marktwirtschaftlichen Prinzipien nicht vereinbar ist."

Die Bahn werde missbraucht, um Gewinn zu machen. Als sich die Vorstandsmitglieder Bahn AG eine saftige Gehaltserhöhung gönnten, habe sich in der Politik und den Medien niemand aufgeregt und gesagt, dass das überzogen sei.

Ein ebenfalls verbeamteter Zugführer aus Köln, der seinen Namen aus den gleichen Gründen nicht nennen wollte, solidarisierte sich ebenfalls mit den Lokführer Kollegen. Er betonte, dass die Arbeitsbedingungen enorm belastend seien. Dann holte er seinen Dienstplan heraus und zeigte, wie viele Schichtwechsel darin zu finden sind. Jede Woche hat er eine externe Übernachtung in einer fremden Stadt. Teilweise muss er nach zwölf Stunden Arbeit und neun Stunden Freizeit gleich wieder in den Frühdienst. In diesem Monat muss er an drei von vier Wochenenden arbeiten. Viele Dienstpläne der Lokführer seien noch krasser.

Er unterstützte den Streik der Lokführer, weil glaubt, dass sie eine Vorreiterrolle spielen. Die anderen Bahnarbeiter würden sich durch einen erfolgreichen Streik ermutigt fühlen. "Transnet vertritt die Bahnarbeiter nicht. Insbesondere nicht die Interessen des Fahrpersonals mit ihren unregelmäßigen Arbeitszeiten." Er erwartet von einer Intervention der Regierung nichts Gutes. "Die Regierung hat als Besitzerin der Bahn ihre eigenen Interessen."

Ein Lokführer (40), der sich an der GDL-Streikwache beteiligte und seit 1990 Mitglied der Gewerkschaft ist, denkt, dass der eigenständige Tarifvertrag die wichtigste Forderung ist. Lokführer hätten einfach einen gänzlich anderen Tätigkeitsbereich, dem der übliche Tarifvertrag nicht gerecht werde. Jede einzelne Minute des Arbeitstags sei genau geplant und festgelegt.

Den Chemnitzer Gerichtsbeschluss empfindet er als erschreckend: "Sollte der Beschluss des Gerichts in der Berufung Bestand haben, kann man nur noch von diktatorischen Maßnahmen sprechen. Wenn sich die anderen Gewerkschaften dagegen nicht wehren - und danach sieht es aus - sind sie nicht mehr zu gebrauchen. Sie sind dann zu stark mit den Konzerninteressen verflochten." Trotzdem hoffte er die Bundesregierung werde eingreifen und den Tarifkonflikt zugunsten der Arbeiter schlichten.

Unter den Fahrgästen gibt es eine große Solidarität. Allerdings sind sich die meisten der tragweite des Streiks nicht bewusst. Sie sehen es eher als eine alltägliche Tarifauseinandersetzung. Einige solidarisieren sich aber auch bewusst mit den hohen Gehaltsforderungen der Lokführer. "Endlich tut mal jemand was gegen die ständig sinkenden Löhne."

Herr Müller, ein pensionierter Schlosser (66), kritisiert die Transnet: "Das ist doch das Lieblingskind von Mehdorn. Arbeiter sollten sich dieser Gewerkschaft nicht anschließen." Der Chemnitzer Gerichtsbeschluss steht für ihn für das Ende der Unabhängigkeit der Gerichte. Er drückte auch seine Hoffnung aus, dass durch die Streiks die Privatisierung verzögert werden könnte. "Privatierung hat uns noch nie Gutes gebracht. Nicht bei Wasser, Gas oder sonst etwas." Er verstehe nicht, weshalb sich der DB-Vorstand so über die 30-prozentige Gehaltsforderung aufrege. Ein junger Lokführer müsse doch heute schon darüber nachdenken, ob er sich überhaupt leisten könne, eine Familie zu gründen.

Eine arbeitslose Lehrerin (55) gesellte sich zum Streikposten, um den Streikenden trotz der zweistündigen Verzögerung ihres Zuges alles Gute zu wünschen. "Die Situation ist doch in allen Betrieben die gleiche. Es ist gut, dass sich endlich mal jemand dagegen wehrt."

Auseinandersetzung am Berliner Ostbahnhof

Als sich WSWS-Reporter in der Eingangshalle des Ostbahnhofs einer Gruppe Streikender näherten und an Passanten einen Aufruf zur Unterstützung des Streiks verteilten, kamen sofort Sicherheitskräfte von der Bahn, um von "ihrem Hausrecht" Gebrauch zu machen. Obwohl die streikenden Lokführer auf das Recht auf Diskussion pochten, verlangten die Bahnpolizisten Nichtreisende müssten die Halle verlassen. Schließlich kamen zwei Lokführer mit vor die Tür, um die Diskussion fortzusetzen.

Einer von ihnen zeigte seinen Schichtplan in dem bis zu 55 Wochenstunden eingetragen waren. Oft kämen noch zusätzliche Sonderschichten wegen Bauarbeiten oder hohem Krankenstand dazu. Die Personaldecke sei sehr niedrig, es fehle ständig an Personal. "Wenn Kollegen krank werden, müssen andere mehr arbeiten", sagte er und gab Beispiele dafür, mit welcher Rücksichtslosigkeit die physische und finanzielle Ausbeutung ständig weitergetrieben werde.

Plötzlich sprach er mit Begeisterung über einen Roman, den er gerade lese, "Das Geld" vom Emile Zola. Dieses Buch sei sehr aktuell. "Es beschreibt, wie die Börse funktioniert, die Gier, das Agieren mit Geld, das gar nicht existiert." Die T-Aktie sei das beste Beispiel aus der Gegenwart.

Sein jüngerer Kollege äußerte seine Sorge über den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung. "Ich habe Angst, dass es zu Verhältnissen kommt, wie in Großbritannien 1982, als Thatcher Waffen gegen streikende Arbeiter einsetzte, als die Gewerkschaften zerschlagen wurden. Was ist die Bedeutung von diesem Gerichtsurteil in Chemnitz? Es weist in diese Richtung."

Siehe auch:
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