Gericht hebt Streikverbot für Lokführer auf

Das Sächsische Landesarbeitsgericht hat das gegen die Lokführergewerkschaft GDL verhängte Streikverbot im Fern- und Güterverkehr aufgehoben. Richter Werner Leschinger erklärte am Freitag in seiner mündlichen Urteilsbegründung, eine Beschränkung des im Grundgesetz verbrieften Streikrechts sei nicht zulässig. Die Wahl der Kampfmittel müsse den Tarifparteien selbst überlassen werden.

Eine Ausweitung der Streiks sei nicht per se unverhältnismäßig, stellte das Gericht fest, und setzte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Chemnitz außer Kraft, das in erster Instanz am 5. Oktober Streiks im Güter- und Fernverkehr als "unverhältnismäßig" untersagt hatte.

Die Lokführer reagierten auf den Urteilsspruch mit großer Begeisterung. Sie haben nun die Möglichkeit, den Streik auf den Güterverkehr auszudehnen und damit den Druck auf den Bahnvorstand deutlich zu erhöhen. Der GDL-Vorsitzende Manfred Schell sprach von einem "umfänglichen Sieg", den die Gewerkschaft davongetragen habe.

Für die Deutsche Bahn AG bedeutet das Urteil eine Niederlage. Sie hatte ebenfalls Revision gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt und beantragt, alle Streiks der GDL für rechtswidrig zu erklären. Es wäre aber eine Illusion zu glauben, die Bahn werde deshalb von ihrem Konfrontationskurs abrücken. Der Druck auf die Lokführer von allen Seiten nimmt sogar noch zu.

GDL-Chef Schell hofft auf zügige Verhandlungen. Noch im Gerichtssaal appellierte er an den Bahnvorstand, nun endlich ein verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen, und kündigte an, auch am Montag könne noch ohne direkten Streikdruck verhandelt werden. Der GDL-Vorsitzende hofft, der Bahnvorstand könne durch den Urteilsspruch und die nun unmittelbare Drohung eines Streiks im Güterverkehr zum Einlenken gebracht werden. Doch dafür gibt es keine Anzeichen.

Bahnchef Hartmut Mehdorn reagierte auf den Richterspruch empört und kündigte an, er werde prüfen lassen, ob die Bahn eine Verfassungsklage gegen das Urteil einleite. Personalchefin Margret Suckale sprach von einem "schwarzen Tag für die deutsche Wirtschaft". Die Lokführergewerkschaft GDL habe "das Recht zugesprochen bekommen, die gesamte Republik lahm zu legen". Flächendeckende Streiks im Güterverkehr seien "nur schwer zu verkraften".

In den ARD-Nachrichten warnte Frau Suckale die GDL, sie trage nun eine große nationale Verantwortung. Sie forderte die Lokführergewerkschaft zu neuen Verhandlungen auf, ohne aber ein verbessertes Angebot vorzulegen.

Mit dem Chemnitzer Urteilsspruch tritt der Streik der Lokführer in eine neue Phase. Der Bahnvorstand ist offensichtlich entschlossen, die Auseinandersetzung weiter zu verschärfen. Er lehnt einen eigenständigen Tarifvertrag mit der GDL nach wie vor ab und weigert sich stur, irgendwelche Zugeständnisse zu machen. An der Entschlossenheit der Bahn, einem unliebsamen, kämpferischen Teil der Belegschaft eine Lektion zu erteilen und die Lokführergewerkschaft in die Knie zu zwingen oder notfalls zu zerschlagen, hat sich nichts geändert.

Hinter Mehdorn und dem Bahnvorstand stehen alle großen Wirtschaftsverbände, die DGB-Gewerkschaften und die Bundesregierung. Unmittelbar vor dem Richterspruch, als die Entscheidung des Gerichts bereits abzusehen war, schrieb Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) einen Brief an GDL-Chef Schell, in dem er ihn zur Mäßigung im Tarifkonflikt aufrief. Wie die Frankfurter Rundschau am Freitag berichtete, betonte Tiefensee, bei dem Konflikt stehe sehr viel auf dem Spiel und alle Beteiligten müssten zu einer Lösung beitragen.

Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall Martin Kannegiesser attackierte die bisherigen Streiks der Lokführer. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte er, es müsse mit allen Mitteln verhindert werden, dass "eine Spezialistengewerkschaft ihr Erpressungspotenzial" in einer Art und Weise ausnutze, die Betriebe nicht mehr führbar mache. Notfalls müsse der Gesetzgeber eingreifen, um festzulegen, wie weit ein Streik gehen dürfe, "um Schlimmeres zu verhindern".

Am Tag der Gerichtsverhandlung kamen erneut heftige Angriffe gegen die streikenden Lokführer aus der Berliner Verdi-Zentrale. Diesmal war es die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Margret Mönig-Raane, die die Forderungen der GDL als egoistisch und rücksichtslos gegenüber allen anderen Beschäftigten der Bahn bezeichnete. Das Verhalten der Lokführer sei "nicht akzeptabel". Es dürfe nicht zugelassen werden, dass die Solidarität im Betrieb aufgebrochen werde und "jedes Grüppchen sein eigenes Süppchen" koche.

Verdi hat in den vergangen Jahren eine Schlüsselrolle dabei gespielt, Lohnsenkungen und Sozialabbau im großen Stil in Tarifverträgen zu vereinbaren und durchzusetzen. Der Verdi-Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TVöD) stellt für alle Betroffenen gravierende Verschlechterungen dar, und im Frühjahr segnete Verdi gegen den erklärten Widerstand vieler Mitglieder die Ausgliederung von 50.000 Beschäftigten der Telekom in eine betriebseigene Billiglohn-Gesellschaft ab.

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