Neonazi-Überfall auf Gaststätte in Dortmund

Bewaffnet mit Pflastersteinen und Schlagstöcken überfiel am Samstag, dem 17. November ein etwa 30 Mann starker Schlägertrupp die Gaststätte "Casablanca" in der Rheinischen Straße in Dortmund. Sie riefen laut Polizeibericht Parolen wie "Scheiß-Türken" oder "Scheiß-Ausländer", was sich offenbar auf die türkischen Inhaber des Lokals bezog. Dennoch ist im Bericht der Polizei nicht von einem ausländerfeindlichen Hintergrund die Rede. Ermittelt wird vom Staatsschutz wegen Landfriedensbruch.

Die Tätergruppe war auf der gegenüberliegenden Straßenseite entlangmarschiert, hatte dann plötzlich die Straße überquert und war auf das Lokal zugestürmt. Nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung mit den Türstehern wurden diese angegriffen und in die Gaststätte gedrängt.

Kurz darauf flog ein Pflasterstein in das Schaufenster. Die Täter konnten die Tür aufdrücken und es kam zu einer Schlägerei. Dabei wurde ein Mann durch Pfefferspray verletzt und mit einer Schusswaffe bedroht. Der größte Teil der Schläger konnte bei Eintreffen der Polizei fliehen. Festgenommen wurden nur fünf Personen, darunter der Waffenbesitzer.

In der Rheinischen Straße, in der das Lokal liegt, und im Stadtteil Dorstfeld wohnen sehr viele Migranten. Wohl gerade deshalb haben sich die Neonazis das Stadtviertel als besonderes Kampf- und bevorzugtes Wohngebiet ausgesucht. Das Stadtviertel macht einen recht heruntergekommenen Eindruck, viele Häuser sind verfallen und zahlreiche Läden stehen leer. Etwa jeder Fünfte dort ist arbeitslos.

Auf Naziaufmärschen, die die Rechten in den letzten Jahren besonders häufig in der Ruhrgebietsstadt abhalten, (zuletzt am 2. September) werden T-Shirts getragen, die mit den üblichen Naziparolen und Emblemen, aber auch mit Aufdrucken wie "Dorstfeld bleibt deutsch", verziert sind. Immer wieder kam es zu tätlichen Angriffen, auf Migranten oder Jugendliche, die als Anhänger linker Parteien oder Gruppierungen identifiziert wurden. Die Opfer wurden brutal geschlagen und selbst an Boden liegend noch mit Fußtritten traktiert. Mehrfach wurden die Scheiben von Büros der Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Ulla Jelpke oder des Kreisverbandsbüros der Grünen eingeworfen.

In unmittelbarer Nähe der überfallenen Gaststätte befindet sich ein Ladenlokal, in dem von der rechten Szene bevorzugte Kleidung, CDs, Bücher, Zeitschriften und sonstiges Nazi-Zubehör verkauft wurden und sich Anhänger der rechtsextremen Szene trafen. Der Laden namens "Donnerschlag" musste jedoch auf Grund heftiger Proteste der Anwohner und einer Räumungsklage des Vermieters schließen. Kurze Zeit später mieteten die einschlägig bekannten und vorbestraften Neonazis in unmittelbarer Nähe einen neuen Laden als Ersatz für den "Donnerschlag" sowie einen ehemaligen Imbiss für ein "nationales Piercing- und Tatoostudio" an. Eine vom Stadtrat erlassene Nutzungsänderungssperre an der Rheinischen Straße verhinderte allerdings vorläufig die beabsichtigte Nutzung. Die offizielle Begründung der Stadt für diese Regelung ist, dass der Einzelhandel der Innenstadt geschützt werden solle.

"Donnerschlag" hatte zunächst nebenan als "Buy or die" firmiert und war eng mit der Dortmunder Nazi-Rockgruppe "Oidoxie" verbunden. Der Laden war von Beginn an ein wichtiger Stützpunkt der rechten Szene. Im Januar 2007 konnte der "Donnerschlag"-Vermieter erreichen, dass der Laden im April geschlossen wurde.

"Ihr treibt uns nicht in die Knie" heißt es auf der jüngsten "Oidoxie"-CD mit dem Titel "Straftat". "Oidoxie" ist nicht nur die bekannteste rechte Band in Nordrhein-Westfalen, sie tritt mit ihren rassistischen und antisemitischen Texten auch häufig international, wie vor einiger Zeit in Belgien und in Russland, bei Neonazi-Konzerten auf.

Der jüngste Überfall auf das "Casablanca" in der Rheinischen Straße ist nur einer von zahlreichen Vorfällen der letzten Zeit, ein Anzeichen eskalierender rechter Gewalt im östlichen Ruhrgebiet. Erst am 2. September war die linke Szenekneipe "HirschQ" in der Brückstraße angegriffen worden, wobei die Täter ebenfalls Pfefferspray versprüht und fünf Besucher des Lokals verletzt hatten. Bereits am 17. April waren Jugendliche der linken Szene vor dem "HirschQ" von Rechten durch Schläge und Tritte angegriffen worden, die aber flohen, als die Gäste des Lokals den Jugendlichen zu Hilfe kamen. Die Täter im Outfit der sogenannten "Autonomen Nationalisten" hatten ihnen Sprüche zugerufen wie "Ihr wisst, dass Dortmund unsere Stadt ist, warum lungert Ihr hier herum?" Eine andere Parole, die die Dortmunder Neonazis häufig benutzen ist: "Null Toleranz für Demokraten!" In der Woche vom 21. bis 24 April dieses Jahres wurde dann die gesamte Fensterfront dieses Lokals mit Hakenkreuzen beschmiert.

Wenige Tage später, Ende April, hatten zwei Neonazis versucht, die Scheiben des "HirschQ" mit Pflastersteinen einzuwerfen, was ihnen allerdings nicht gelang, da nach einem ersten Überfall 2006 Sicherheitsglas eingebaut worden war. Als der Wirt das Fenster öffnete schrieen die beiden "Sieg Heil" und zeigten den Hitlergruß. Darin konnten die herbeigerufenen Polizisten allerdings keinen politischen Hintergrund erkennen und nahm nur eine Anzeige wegen Sachbeschädigung auf.

Nach einem ersten Überfall auf das "HirschQ" im Jahr 2006 waren 18 Verdächtige festgenommen worden. Aber nur ein einziger wurde angeklagt. Zwar sprach im März 2007 im Prozess die Oberstaatsanwältin von "bürgerkriegsähnlichen Szenen". Dennoch kam der Angeklagte mit 100 Sozialstunden plus einer Woche Dauerarrest davon. Dabei war der 20-Jährige schon 2002 wegen Volksverhetzung verurteilt worden. Obwohl er mit anderen stadtbekannten Neonazis in ein und der derselben Wohngemeinschaft wohnt, hatte er dem Gericht glaubhaft machen können, dass er sich aus dem rechten Milieu gelöst habe.

Die rechte Szene versucht sich seit den siebziger Jahren in Dortmund mit wechselnder Taktik zu etablieren und hat ein langes Register von Straftaten aufzuweisen. War es zunächst die Borussenfront, die im Umkreis von Fußballfans rekrutierte, so waren es später die inzwischen verbotene FAP, die "Freien Kameradschaften" oder in jüngster Zeit vor allem die "autonomen Nationalisten" und die RechtsRockszene. Der Anführer der Borussenfront und ihrer Nachfolgeorganisationen ist der mehrfach vorbestrafte überregional bekannte Neonazi Siegfried "SS-Siggi" Borchardt. Borchardt, der im benachbarten Ausland offen als Nationalsozialist auftritt, bevorzugt im Inland die Bezeichnung "Nationale Sozialisten".

Seit den Kommunalwahlen von 2004 sitzen drei Vertreter der rechtsextremen DVU im Dortmunder Rat.

Auf ihren Webseiten veröffentlichen die Neonazis Steckbriefe von Antifaschisten, womit sie zwar nicht direkt, aber implizit zu Angriffen auf diese aufrufen. Strafverfahren gegen Vertreter der rechten Szene werden in Dortmund häufig "mangels Beweisen" eingestellt. Die Verteidigung von Neonazis übernimmt oft der Dortmunder Anwalt André Picker, dessen Kanzlei in der Dortmunder Innenstadt liegt und dessen Briefkasten mit einem eisernen Kreuz geschmückt ist.

Gegen die Aufmärsche der Rechten, oft unter Anführung von "SS-Siggi" Borchardt und dem überregional aktiven Christian Worch, bei denen in der Regel ein paar hundert Neonazis aus dem Bundesgebiet zusammengekarrt werden, finden Demonstrationen von vielen Tausenden Nazigegnern statt. In Schulen, Hochschulen und Jugendzentren gibt es unzählige Initiativen und Aktionen gegen die Rechten. Etwa 4.000 demonstrierten im April 2005 anlässlich der Ermordung des Punks Thomas Schulz durch den 17jährigen Neonazi Sven Kahlin. Schulz war erstochen worden, weil er gegen die rechten Sprüche Kahlins opponiert hatte. Nach dem Mord klebten die Rechtsradikalen in Dortmund Plakate, auf denen es drohend hieß: "Wer der Bewegung im Weg steht, muss mit den Konsequenzen leben." Kahlin wurde im November 2005 wegen Totschlags, nicht wegen Mordes, zu sieben Jahren Jugendstrafe verurteilt.

Die oft wohlwollende Haltung von Polizei und Justiz muss in Zusammenhang mit der wachsenden Gewalt der Neonazis gesehen werden. Auch die Tatsache, dass die NPD und rechte Szene insgesamt auf allen Ebenen mit Vertrauensleuten des Verfassungsschutzes durchsetzt ist, hat nicht zu einem Rückgang rechter Straftaten geführt.

In der ersten Hälfte 2007 wurden nach Angaben der Bundesregierung 324 Menschen in Deutschland Opfer rechter Gewalt. Insgesamt wurden 5.321 Fälle "politisch motivierter Kriminalität" aus dem rechten Spektrum registriert. Diese Zahlen liegen derzeit noch leicht unter denen von 2006. Statistische Angaben über Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund sind im Allgemeinen ohnehin recht ungenau. Die monatlichen Zahlen der Bundesregierung müssen in der Regel stark nach oben korrigiert werden. So war im letzten Jahr die erste gemeldete Zahl von 12.240 rechtsextremen Straftaten, darunter 726 Gewalttaten, schon ein Rekord. Schließlich musste selbst diese hohe Zahl noch auf 18.000 korrigiert werden, weil der rechtsextreme Hintergrund bei vielen Taten solange wie möglich geleugnet oder im Unklaren gelassen wird.

In den ersten drei Quartalen 2007 gab es offiziell 716 antisemitische Straftaten in Deutschland. Im August dieses Jahres erreichte die Zahl der Straftaten mit rechtsextremem oder ausländerfeindlichem Hintergrund mit 1.116 Vorfällen einen Höchststand. Nach der vorläufigen Zählung waren darunter 58 Gewalttaten mit 58 verletzten Personen. Haftbefehle nach diesen Gewalttaten zählte die Bundesregierung nur vier.

Siehe auch:
Politiker lehnen Verantwortung für rassistischen Übergriff in Mügeln ab
(5. September 2007)
Verbotsverfahren gegen NPD eingestellt
(1. April 2003)
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