Nach der Privatisierung der Uniklinik Gießen-Marburg

Steigende Umsätze auf Kosten der Beschäftigten

Der Verkauf öffentlichen Eigentums zu Gunsten privater Investoren ist in Deutschland ebenso wie in anderen europäischen Staaten mittlerweile gang und gäbe. Die hessische CDU-Landesregierung hat in den letzten Jahren solche Privatisierungen besonders intensiv betrieben. Sie konnte sich dabei auf die Vorarbeit der SPD stützen, die den öffentlichen Sektor in den vorangegangenen bewusst vernachlässigt und für den Verkauf vorbereitet hatte.

Ein Paradebeispiel für Verschleuderung von Gemeineigentum war die Privatisierung der vormals landeseigenen Universitätskliniken in Gießen und Marburg. Sie wurden durch das Land Hessen im Jahr 2005 fusioniert, im Jahr darauf in eine GmbH überführt und anschließend für 112 Millionen Euro an die Röhn-Klinikum AG verkauft. Nie zuvor war in Deutschland eine Universitätsklinik privatisiert worden.

Die Röhn-Klinikum AG betreibt 45 Kliniken an 34 Standorten in acht Bundesländern mit etwa 15.000 Betten. Gewachsen ist das Unternehmen in den letzten Jahren primär durch die Übernahme öffentlicher Krankenhäuser. Es verfolgt das Ziel, in Deutschland langfristig einen Marktanteil von acht bis zehn Prozent zu erreichen. Die Summen für die entsprechenden Übernahmen dürften für die Röhn-Kliniken AG leicht aufzubringen sein, die Deutsche Bank und die Hypo-Vereinsbank sind große Anteilseigner der Aktiengesellschaft.

Mittlerweile sind die Proteste, die es zu Beginn des Privatisierungsprozesses von Parteien, Gewerkschaften und Institutionen gab, weitgehend verstummt. Doch was der Verkauf wirklich bedeutet, wird erst allmählich ersichtlich.

Für die Röhn AG hat sich der Kauf allemal gerechnet. Auf das dritte Quartal 2007 bezogen stieg der Konzernumsatz gegenüber dem Vergleichszeitraum 2006 um 3,2 Prozent. Zwar schreibt das Gießener Klinikum nach wie vor rote Zahlen, doch durch die Gewinne, die in Marburg erwirtschaftet werden, wird das Unternehmen spätestens im nächsten Jahr in die Gewinnzone rutschen. Für das Gesamtjahr 2007 werden ein Gesamtumsatz von 2 Milliarden Euro und ein Konzernergebnis von über 110 Millionen Euro erwartet.

Auf die beiden hessischen Klinikstandorte entfällt rund ein Drittel des Konzernumsatzes des im MDax notierten Klinikbetreibers. Auch das Management des Rhön-Konzerns wird fürstlich entlohnt. Bereits 2003 erhielt Konzernchef Eugen Münch ein Jahresgehalt von über 2 Millionen Euro. Vorstandsmitglied Meder erhielt damals 1,11 Millionen Euro. Wahrscheinlich sind nach den "erfolgreichen" Übernahmen in Gießen und Marburg diese Summen heute noch deutlich höher. All dies geschieht zum Großteil auf Kosten der Beschäftigten.

Zwar wurde mit dem Land Hessen ein Kündigungsschutz bis 2010 vereinbart, doch das Unternehmen hat Mittel und Wege gefunden, Personal abzubauen, ohne betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Mittlerweile sind rund 300 Stellen gestrichen worden. Dies geschah größtenteils dadurch, dass frei gewordene Stellen nicht wieder besetzt wurden. Deshalb sind allein am Standort Marburg im Pflegebereich 43.000 Überstunden angefallen.

Laut Geschäftsführung ist die Zahl der Patienten in Marburg um zwei und in Gießen um mehr als fünf Prozent gestiegen, darunter befinden sich viele schwere Fälle. Wenn eine größere Anzahl von Patienten mit weniger Personal bewältigt werden muss, leiden darunter Patienten und Angestellte. Die zunehmende Arbeitshetze wirkt sich negativ auf den Gesundheitszustand der Beschäftigten aus. Selbst Geschäftsführer Gerald Meder räumt ein, dass der Krankenstand unter den Beschäftigten auffällig hoch ist.

Teilweise mussten geplante Operationen abgesagt werden, weil keine Mitarbeiter zur Verfügung standen, die die für die krank Gewordenen einspringen konnten. Bei gleicher Stationsgröße wird heute teilweise nur noch halb so viel Personal pro Schicht eingeteilt wie noch vor einigen Jahren. Nach Aussagen des Pflegepersonals ist die Personalsituation manchmal derart eng, dass einige genötigt sind eine zweite Schicht anzuhängen, was arbeitsrechtlich nicht zulässig ist.

Auch die qualitative Versorgung der Patienten lässt nach. Die Frankfurter Rundschau schreibt unter Berufung auf die Marburger Patientenfürsprecherin Cornelia Opitz: "Etwa seit einem Jahr gebe es immer mehr Beschwerden, weil weder Ärzte noch Schwestern Zeit für Fragen und Gespräche hätten. ‚Alle sind gehetzt’ sagt Opitz."

Krankenschwestern sagten der WSWS, man könne "von Qualität in der Pflege nicht mehr sprechen". Schüler, Praktikanten und Zivildienstleistende würden eingesetzt, um ausgebildetes Personal zu ersetzen. Auf vielen Stationen arbeite eine Fachkraft pro Schicht ausschließlich mit Schülern und Zivildienstleistenden. Dadurch sinke auch die Qualität der Ausbildung.

Wurden Stellen neu vergeben, sind die Verträge fast immer befristet. Während für die alten Mitarbeiter noch die 38,5-Stunden-Woche gilt, müssen neu Eingestellte 42 Stunden pro Woche arbeiten. In Bereichen, in denen gering qualifiziertes Personal wie Küchen- oder Reinigungskräfte arbeiten, sind regelrechte Dumpinglöhne eingeführt worden. Teilweise werden hier für schwere Arbeiten weniger als 7 Euro pro Stunde bezahlt. Etwa 90 Prozent der Beschäftigten waren nach der Privatisierung finanziell schlechter gestellt als zuvor. Dies betrifft auch den Kündigungsschutz. Während im zuvor gültigen TVöD die Angestellten nach 15 Beschäftigungs- und 40 Lebensjahren unkündbar waren, fällt diese Regelung nun weg.

Die Schlechterstellung von Beschäftigten hat bei der Röhn AG System. Auch das ehemals Städtische Krankenhaus in Hildesheim wurde auf diese Weise "saniert". In einem Interview mit der Internetzeitung linksnet.de von 2005 erklärte der dortige Klinikchef Martin Menger sein Vorgehen folgendermaßen:

"Ich habe gemeinsam mit dem Betriebsrat die Situation unserer Küche analysiert und festgestellt, dass dort nicht qualifizierte Kräfte 2.000 Euro verdienen! Wenn ich die Küche, wo jetzt noch 60 Beschäftigte sind, schließe und an einen Dienstleister abtrete, könnte ich sofort 500.000 einsparen. Die 60 Beschäftigten würden nicht alle übernommen, dazu kommt, dass ihnen nur um die 1.000 Euro gezahlt würden. Also habe ich zum Betriebsrat gesagt: ‚Wenn ich 350.000 einsparen kann, mache ich die Küche nicht dicht.’ Der Betriebsrat hat sofort mitgezogen. So entstand ein neuer Haustarifvertrag, der das Küchenpersonal weit runterstuft. Der Status quo der bestehenden Verträge bleibt erhalten. Neueinstellungen, das betrifft natürlich die anderen Arbeitsbereiche auch, werden nach dem neuen Haustarifvertrag eingestellt, der den BAT- Vertrag ablöst."

Der Haustarifvertrag und die Rolle von Verdi

Anfang Dezember vereinbarten die Röhn-Klinikum AG und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nach fast zweijährigen Verhandlungen einen Haustarifvertag für die rund 6.500 nicht-ärztlichen Mitarbeiter. Gewerkschaft und Betriebsrat feierten zwar den "wirklich guten Abschluss", doch letzten Endes schreibt Verdi damit die miserablen Arbeitsbedingungen in den Kliniken fest. Nicht umsonst äußerte sich das Klinikmanagement hoch zufrieden mit dem Ergebnis.

Der Manteltarif tritt bereits am 1. Januar 2008 mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 2010 in Kraft. Die neue Lohntabelle wird ab 1. Juli 2008 angewendet und behält bis zum 31. März 2009 Gültigkeit. Verdi-Verhandlungsführer Ahäuser sprach von "sachlichen Verhandlungen" und einer "vernünftige Arbeitsatmosphäre".

Tatsächlich waren die Verhandlungen eine Farce. Zwei Jahre lang haben Verdi und Betriebsrat zugesehen, wie das Management Löhne gesenkt und Arbeitsbedingungen verschlechtert hat. In zwei Jahren war ein 2-stündiger Warnstreik alles, was die Gewerkschaft im Kampf dagegen auf die Beine stellte.

Der Servicebereich hat mit dem neuen Vertragswerk nun einen eigenen Tarifvertrag. Darin ist ein Mindestlohn von 8,05 Euro vereinbart. Abgesehen von der geringen Erhöhung wird durch den eigenen Tarifvertrag die Stellung dieser unteren Lohngruppe stark geschwächt. Abgekoppelt von den übrigen Beschäftigten hat das Management hier künftig leichtes Spiel, die Bedingungen zu verschärfen.

Als großen Sieg feierten die Gewerkschaften vor allem die Beibehaltung der 38,5-Stundenwoche. Auch alle Arbeitnehmer, die zuvor vertraglich eine höhere Arbeitszeit vereinbart hatten, behalten ihre bisherige Vergütung, müssen zukünftig allerdings nur noch 38,5 Stunden arbeiten. Allerdings haben sich die Tarifparteien hier ein Hintertürchen offen gehalten, mit dem die Arbeitszeit angehoben werden kann. Die 38,5-Stundenwoche kann unter Gewährung von neun Arbeitszeitverkürzungstagen per Betriebsvereinbarung in eine 40-Stundenwoche umgewandelt werden.

Die jetzt erzielte Einigung sieht vor, dass jeder Beschäftigte zusätzlich zur vereinbarten Besitzstandsregelung (in der Regel dieselben Löhne wie zuvor) ab Januar eine monatliche Zulage von 50 Euro erhält. Selbst wenn man davon absieht, dass das Klinikmanagement versuchen wird, die wenigen Zugeständnisse durch eine weitere Steigerung der Arbeitshetze wieder hereinzuholen, sind die vereinbarten Lohnsteigerungen gemessen an der Laufzeit der Verträge geradezu lächerlich. In den allermeisten Fällen verdienen die Beschäftigen noch immer weit weniger als vor der Übernahme durch den privaten Betreiber.

Es wäre ohnehin verwunderlich gewesen, hätten sich Gewerkschaft und Betriebsrat wirklich für die Interessen der Beschäftigten eingesetzt. Beide haben den Personalabbau auch schon zu Zeiten mitgetragen, als die Kliniken noch öffentlich betrieben wurden. Gerade Verdi spielt eine üble Rolle für die öffentlich Beschäftigten. Wie bei anderen großen Unternehmen sitzt auch bei den Rhön-Kliniken ein Verdi-Funktionär im Aufsichtsrat.

Verdi hat im vergangenen Jahr mit dem TVöD einen Vertrag unterschrieben, der den Beschäftigten im öffentlichen Dienst unbezahlte Mehrarbeit und Sozialabbau aufbürdet und durch Öffnungsklauseln und regionale Differenzierung den öffentlichen Arbeitgebern viele Möglichkeiten bietet, die Beschäftigten gegeneinander auszuspielen und zu immer neuen Zugeständnissen zu erpressen.

In vielen öffentlichen Kliniken und Pflegeeinrichtungen hat Verdi in Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen die Bedingungen zu Lasten der Beschäftigten verschärft, um die Einrichtungen für private Investoren attraktiv zu machen. Ende 2006 lag der Anteil privater Kliniken bei etwa 12 Prozent. Bis zum Jahr 2015 sollen Studien zufolge bis zu 40 Prozent der Kliniken in Deutschland in privater Hand sein.

Siehe auch:
Telekom: Verdi vereinbart Lohnsenkung Arbeitszeitverlängerung und Sozialabbau - Stimmt bei der Urabstimmung mit Nein!
(22. Juni 2007)
Gesundheit wird teurer - Unternehmenssteuern sinken
(8. Juli 2006)
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