Großbritannien: Was die Oxford Union unter "Meinungsfreiheit" versteht

Der britische Debattierclub Oxford Union (OU) hat auf zynische Weise versucht, die Verbreitung rechtsradikaler Propaganda als Bekenntnis zur "Meinungsfreiheit" zu rechtfertigen.

Am Montagabend, den 26. November, veranstaltete die Oxford Union eine öffentliche "Debatte", angeblich zum Thema "Meinungsfreiheit". Darin wurden Nick Griffin, der Führer der faschistischen British National Party (BNP), und der berüchtigte Holocaust-Leugner David Irving als Opfer einer übertriebenen political correctness dargestellt, die ans Totalitäre grenze.

Das Forum hatte sich die Aufgabe gestellt, folgende These zu diskutieren: "Wir sind der Ansicht, dass auch Extremisten das Recht auf Meinungsfreiheit haben". Hätte sich die Debatte wirklich mit der brennend aktuellen Gefahr der Zensur befasst, wäre sie zu begrüßen gewesen.

Einer der geladenen Sprecher war Labour-Verteidigungsminister Des Browne. Er vertritt eine Regierung, die ein ganzes Arsenal antidemokratischer Gesetze verabschiedet und die staatliche Zensur soweit getrieben hat, dass sogar Gedanken bestraft werden können. Unter den Antiterrorgesetzen ist es heute illegal, sich Material auch nur anzuschauen, das angeblich den Terrorismus fördern könnte. Erst vor kurzem wurden mehrere Muslime unter dieser Beschuldigung verhaftet.

Die Oxford Union dagegen hat den Fokus ihrer Kampagne für Meinungsfreiheit auf ganz andere Gesetze gerichtet: Sie kritisiert Gesetze, die von der Regierung gegen die Aufwiegelung zu religiösem Hass erlassen wurden. Mit dieser Begründung hat der Debattierclub Griffin und Irving als Redner eingeladen.

Im Februar 2006 waren Griffin und sein [BNP-] Parteikollege Mark Collett erfolglos wegen Aufwiegelung zu religiösem Hass angeklagt worden. Ein BBC-Reporter hatte sie heimlich gefilmt, als sie den Islam als "bösartigen und gefährlichen Glauben" bezeichneten und behaupteten, weiße Mädchen würden von moslemischen Männern zum Sex gezwungen. Außerdem stellten sie die Behauptung auf, Asiaten hätten es darauf abgesehen, "uns zu zerstören".

Im selben Jahr verbrachte Irving zehn Monate in Österreich im Gefängnis, weil er die deutsche Nazipartei verherrlicht und sich mit ihr identifiziert hatte, was nach österreichischem Recht verboten ist.

Bezeichnenderweise Griffin wurde von einer Jury freigesprochen, nachdem sein Rechtsanwalt erfolgreich argumentiert hatte, seine Bemerkungen, die auf einem internen Treffen gefallen waren, unterlägen dem Schutz der Meinungsfreiheit. Irving, der sich in breiten Kreisen als Historiker diskreditiert hat, weil er den Holocaust leugnet und Verbindungen zu Faschisten unterhält, wurde in Großbritannien noch nie juristisch belangt.

Außerdem war die Anklage gegen Griffin eher eine Ausnahme. Auch von Seiten der Medien wird er gut behandelt. Der faschistische Führer tritt regelmäßig in den Nachrichten auf und kann ungehindert seine Wahlwerbung verbreiten. Die BNP besitzt eine eigene Internetseite und organisiert öffentliche Veranstaltungen und Demonstrationen. Zudem unterhält Irving noch seine private Internetseite, veröffentlicht Bücher und hält landauf landab Vorlesungen. Sein Auftritt in Oxford wurde von seinen Anhängern als Auftakt seines "Comebacks" gefeiert.

Die Gesetze gegen Aufwiegelung zu religiösem Hass haben viel böses Blut geschaffen, und es wäre leicht möglich gewesen, einen bekannten Redner einzuladen, der die wirklich damit verbundenen demokratischen Fragen gründlich hätte darlegen können. Stattdessen inszenierte die Oxford Union eine Diskussionsveranstaltung, in der die staatliche Zensur so dargestellt wurde, als richte sie sich in erster Linie gegen Rechtsextreme.

Einige waren der Ansicht, die Einladung der beiden rechten Propagandisten sei ein billiger Publicitygag einer Organisation, die in den letzten Jahren mehr und mehr auf Konfrontation aus war, statt eine wirklich akademische Debatte zu führen. Aber der Entscheidung lagen definitive politische Erwägungen zugrunde.

Der Vorsitzende der Oxford Union ist Luke Tryl, ein bekanntes Mitglied der Conservative Future, der Jugendorganisation der Tories. Er rechtfertigte die Einladung mit der Begründung: "Wir geben diesen Leuten keine Plattform, um ihre Ansichten schönzureden, sondern sie kommen, um über die Grenzen der Meinungsfreiheit zu sprechen" (Hervorhebung hinzugefügt).

Wenn man der Auffassung ist, dass die Meinungsfreiheit Grenzen hat, wie könnte man dies besser beweisen als durch die Einladung derjenigen, die garantiert Widerspruch provozieren? Die Debatte verschaffte nicht nur Labour- und Tory-Politikern die Möglichkeit, sich als Gegner des Faschismus auszugeben - wobei Browne seine Teilnahme an der Diskussionsrunde sogar absagte, was vom ehemaligen Führer der Konservativen, Michael Howard, kritisiert wurde -, sie leistete auch der staatlichen Rechtfertigung antidemokratischer Gesetze Vorschub.

Vielleicht hätten Tryl und die anderen sich glaubhafter als Verfechter der intellektuellen Freiheit darstellen können, hätte die Oxford Union nicht erst letzten Monat ihre Einladung an den bekannten antizionistischen Kritiker, Professor Norman Finkelstein, zurückgezogen.

Finkelstein ist der Autor zahlreicher akademischer Werke, darunter The Holocaust Industry: Reflections on the Exploitation of Jewish Suffering (deutsch: Die Holocaust-Industrie). Er war eingeladen worden, am 23. Oktober an einer Diskussion teilzunehmen, deren Thema lautete: "Wir sind der Ansicht, ein Staat ist die einzige Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts". Finkelstein sollte zusammen mit Lord David Trimble und dem Menschenrechtsaktivisten Peter Tatchell gegen diese These argumentieren.

In diesem Fall genügte es, dass einige Zionismusbefürworter, wie der Harvard-Juraprofessor Alan Dershowitz, sich über die "Unausgewogenheit" der Debatte beschwerten, damit Tryl Finkelstein wieder auslud.

In einer E-Mail an Finkelstein rechtfertigte Tryl die Entscheidung mit der Begründung: "Viele Menschen befürchten, die Debatte sei unausgewogen, so wie sie ausgerichtet ist. Außerdem haben die Leute den Eindruck, dass Sie als Person mit antizionistischen Einstellungen möglicherweise für diese Diskussion nicht geeignet seien. Ich habe versucht, sie vom Gegenteil zu überzeugen, wurde jedoch beschuldigt, eine unausgewogene Debatte vorzuschlagen, und diverse Gruppen haben Druck auf mich ausgeübt. Ich erhielt zahlreiche E-Mails, in denen die Debatte angegriffen wurde, und Alan Dershowitz drohte damit, eine Kolumne zu veröffentlichen, in der er die Union angreift. Und darüber hinaus hat er mich anscheinend in einer im Fernsehen übertragenen Vorlesung in Yale persönlich angegriffen."

Die Entscheidung von Tryl und der Oxford Union, wegen Griffin and Irving noch weit größere öffentliche Proteste zu riskieren, steht dazu in scharfem Kontrast. Vor dem Veranstaltungsort protestierten etwa 500 Demonstranten und verzögerten den Beginn um mehr als eine Stunde. Sie zwangen Griffin and Irving, in getrennten Räumen zu sprechen.

Tryl mag Bedenken gehabt haben, die Oxford Union könnte mit den rassistischen und antisemitischen Ansichten ihrer Gastredner in Zusammenhang gebracht werden. Aber das Argument, die BNP könnte Nutzen daraus ziehen, wenn sie "von den Liberalen am Reden gehindert" würden, wog für ihn offenbar schwerer.

Das Argument erinnert an die Rechtfertigungen, die im vergangenen Jahr vorgebracht wurden, um die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed in diversen rechten Zeitungen zu verteidigen. Als diese bewusste Provokation, wie von den Autoren beabsichtigt, die wütende Reaktion von Moslems hervorrief, waren die Zeitungen quer durchs politische Spektrum voller Bekenntnisse zur Meinungsfreiheit und griffen nicht nur "intolerante" Muslime, sondern auch "politisch korrekte" Liberale an.

Die Debatte um die Oxford Union ist ein weiterer Versuch, die Wirklichkeit auf den Kopf zu stellen. Da werden Rassisten und Fremdenhasser zu Opfern und ihre Gegner zu politischen Reaktionären, und Maßnahmen zum Schutz von Bürgerrechten und zum Kampf gegen Diskriminierung werden zu einer Einschränkung individueller Rechte umstilisiert.

In seiner Rede in der Debatte behauptete Griffin, der Angriff auf die Meinungsfreiheit reiche zurück bis in die 1960er und 1970er Jahre und stehe in Verbindung mit der "liberalen linken Elite... der 1968er-Generation".

Griffins Klagen richten sich vor allem gegen die neuen Gesetze gegen Rassendiskriminierung. Aber mit seinem Angriff auf die "1968er-Generation" will er bestimmte politische Kreise beeindrucken, die von den Neokonservativen in den Vereinigten Staaten bis zu den Konservativen und New Labour in Großbritannien reichen.

Für sie steht das Jahr 1968 beispielhaft für eine Situation, in der eine revolutionäre Massenbewegung der Arbeiterklasse in ganz Europa und international die herrschende Elite zum Rückzug und zu einer Ausweitung der Bürger- und Sozialrechte zwang. Diese Zugeständnisse werden jetzt systematisch wieder abgebaut. Tatsächlich brüstete sich Griffin damit, dass seine Einladung ein Beweis dafür sei, wie grundlegend die Dinge sich geändert hätten. Die BNP sei jetzt "populär", weil "ein großer Teil der heutigen Generation vernünftigere Ansichten hat. Wie es aussieht, hat man endgültig mit der vierzigjährigen Politik gebrochen, die da lautete:,Keine Plattform’ [für Faschisten]".

Siehe auch:
Polizei verbietet Antikriegsmarsch in London
(16. Oktober 2007)
Britische Studenten wegen Besitzes "extremistischer" Schriften zu Gefängnisstrafen verurteilt
(8. August 2007)
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