Wir veröffentlichen hier den vierten Teil des einleitenden Berichts, den Nick Beams auf der internationalen Schule des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und der International Students for Social Equality in Sydney, Australien, vom 21. bis 25. Januar hielt. Beams ist Mitglied der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site und Nationaler Sekretär der Socialist Equality Party Australiens.
Die 1980er Jahre standen im Zeichen der Reaktion des Kapitals auf den Fall der Profitrate im vorhergehenden Jahrzehnt und auf die ernsten wirtschaftlichen Probleme, die sich daraus ergaben. Als erstes begann ein Angriff auf die soziale Lage der Arbeiterklasse, der heute noch andauert, und es wurde versucht, mehr Profit und mehr Einnahmen aus den früheren Kolonien herauszupressen, was ebenfalls bis heute anhält. Gleichzeitig wurde die Wirtschaft durch den Einsatz von Computern und anderen Informationstechnologien in der Industrieproduktion und anagement umstrukturiert.
Computer waren schon in der Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg in den 1950er Jahren entwickelt worden, der Personal Computer tauchte jedoch nicht vor 1981 auf. Sein Einsatz bewirkte eine gewaltige Veränderung in einer ganzen Reihe von Management- und Arbeitsmethoden, in der Kommunikation und auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens.
Diese Veränderungen führten zwar in den 1980er Jahren zu einem Anstieg der Profitrate, jedoch nicht zu einer neuen Aufwärtsbewegung der Kurve der kapitalistischen Entwicklung. Dies lässt sich aus der folgenden Graphik ablesen.

(Lange Wellen und historischer Verlauf der kapitalistischen Entwicklung, Minqi Li und andere)

(Quelle: US Bureau of Economic Analysis)
Wenn wir die zweite Graphik ansehen, die die Profitrate in den USA darstellt, sehen wir, dass zwar in den 1980er Jahren eine Erholung eintrat, die aber nicht besonders kräftig war. Dann folgte am Ende des Jahrzehnts erneut ein Rückgang, der mit der Rezession von 1991-92 zusammentraf.
Vom Beginn der 1990er Jahre an trat eine nachhaltigere Erholung ein, aber um 1997 bis 2001 setzte dann ein scharfer Fall ein. Dies waren die Jahre der Spekulationsblase am Aktienmarkt. Die Gründe für den Zusammenbruch des Aktienmarkts von 2000 bis 2001 lagen auf der Hand: Während die Aktienpreise auf neue Höhen kletterten, sanken die Erträge (Profite), auf die Aktien einen Anspruch darstellen - eine Tatsache, die Konzerne wie Enron und Worldcom durch betrügerische Bilanzmanipulationen zu vertuschen versuchten.
Was ist die Ursache für die Wende von 1991 und den Beginn eines neuen Aufschwungs in der Kurve der kapitalistischen Entwicklung? Zweifellos fand eine der weitest reichenden Veränderungen in der Geschichte des Weltkapitalismus statt - das waren der Zusammenbruch der stalinistischen Regime, die Öffnung Chinas und das Ende der nationalen Entwicklungsstrategien in Indien und ähnlichen Ländern. In seinem Artikel Die Kurve der kapitalistischen Entwicklung hatte Trotzki erklärt, dass eine Aufwärtsentwicklung kein Produkt eines der kapitalistischen Wirtschaft selbst innewohnenden Prozesses sei, sondern das Ergebnis äußerer Bedingungen, innerhalb derer der Kapitalismus sich entwickelt, wie die Einverleibung "neuer Länder und Kontinente". Genau dies fand statt.
Etliche Jahre zuvor hatte Trotzki die Bedingungen aufgezeigt, unter denen ein neuer Aufschwung im Kapitalismus möglich sein konnte.
"Theoretisch ist natürlich auch ein neues Kapitel eines allgemeinen kapitalistischen Fortschritts in den besonders mächtigen, herrschenden Ländern nicht ausgeschlossen. Dazu müsste der Kapitalismus jedoch erst ungeheure sowohl klassenmäßige als auch zwischenstaatliche Barrieren überwinden. Er müsste für lange Zeit die proletarische Revolution abwürgen. Er müsste China endgültig versklaven, die Sowjetrepublik stürzen usw." [Trotzki: Die Dritte Internationale nach Lenin, Essen, 1993, S. 94]
Trotzki ging von der Vorstellung aus, dass die Eroberung Chinas und der Sowjetunion mit militärischen Mitteln stattfinden würde. Aber die Geschichte nahm einen anderen Weg.
Zwar hatte der Zusammenbruch der Sowjetunion seine Ursache in wirtschaftlichen Prozessen, dennoch fand die Restauration des Kapitalismus nicht "automatisch" statt. Sie war auch nicht unvermeidlich. Die stalinistische Bürokratie fürchtete, dass die wachsende wirtschaftliche Leistungsschwäche der Sowjetwirtschaft in einer Epoche der Computerisierung und der technologischen Entwicklungen, sowie die Unfähigkeit der Sowjetwirtschaft, ihre Produktivität zu steigern - was letztlich auf ihre erzwungene Isolation von der internationalen Arbeitsteilung zurückzuführen war - einen Aufstand der Arbeiterklasse provozieren könnte, der ihre Herrschaft in Frage stellt. Die Entwicklungen in Polen 1980-81 waren ein Warnsignal.
Mit dieser Aussicht konfrontiert, entschied sich die stalinistische Bürokratie für einen Präventivschlag - für die Liquidation der Sowjetunion und die Sicherung ihrer Privilegien und ihrer gesellschaftlichen Stellung im Rahmen kapitalistischer Eigentumsverhältnisse. Wie wir damals betonten, hatte sie damit erfolg, weil es in der sowjetischen und der internationalen Arbeiterklasse eine Krise der Perspektiven gab. Diese war ein Ergebnis des enormen Schadens, den der Genozid an Marxisten in der Sowjetunion und die lähmenden Auswirkungen jahrzehntelanger bürokratischer Vorherrschaft über die Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern im politischen Bewusstsein der Arbeiterklasse angerichtet hatten. Hätte es einen politischen Widerstand gegen die Zerstörung der Sowjetunion gegeben, wäre die Entwicklung sehr viel anders verlaufen. Mit anderen Worten: Obwohl die Krise der Sowjetunion ihre Ursache in wirtschaftlichen Prozessen hatte, waren ihre Liquidation und "die Einverleibung von neuen Ländern und Kontinenten in den Kapitalismus" das Resultat von Faktoren des Überbaus.
In China hat die maoistische Bürokratie seit 1978 eine marktorientierte Politik verfolgt, deren Grundlage 1971 mit der Wiederannäherung an die USA gelegt wurde. Obwohl diese Politik zu einer gewissen Stimulation der Wirtschaft führte, brachte sie doch eine Reihe sozialer Widersprüche hervor, die schließlich in die Ereignisse von 1989 und das Massaker auf dem Tienanmen-Platz mündeten. Die Repressionsmaßnahmen des Regimes richteten sich damals weniger gegen die Studenten als gegen die Arbeiterklasse.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 stellte das chinesische Regime vor etliche neue Probleme. Im Januar 1992, gerade acht Wochen nach der Liquidation der UdSSR, unternahm Deng seine "Südreise", auf der er signalisierte, dass sich die chinesische Wirtschaft für ausländische Investitionen öffnen wolle und eine Reihe "marktwirtschaftlicher" Reformen in Angriff nehme.
1992 wurden mehr als 8.500 neue Sonderwirtschaftszonen geschaffen. Vor Dengs Reise waren es nur einhundert gewesen.
Nach der Aufhebung restriktiver Bedingungen verdreifachten sich 1992 die ausländischen Investitionen auf 11 Milliarden Dollar. 1994 verdreifachten sie sich erneut auf 33 Mrd. Dollar und ein Jahrzehnt später hatten sie sich noch einmal auf 61 Milliarden Dollar im Jahr 2004 nahezu verdoppelt. Gegen Ende von 2005 waren ungefähr 50.000 US-Firmen in der einen oder anderen Art geschäftlich in China engagiert. Seit 1978 ist die chinesische Wirtschaft um etwa 9 Prozent im Jahr gewachsen. In den letzten fünfzehn Jahren waren es sogar fast 10 Prozent und manchmal noch mehr.
China ist zum wichtigsten Zentrum der Industrieproduktion der Weltwirtschaft geworden. Der Anteil Chinas am weltweiten Bruttoinlandsprodukt hat sich infolge der rapiden Kapitalakkumulation im letzten Vierteljahrhundert nahezu verdreifacht. Er ist von 5 Prozent auf 14 Prozent angestiegen. [Andrew Glyn: Capitalism Unleashed, Oxford University Press, 2006, S. 90].
Der chinesische Anteil an den weltweiten Exporten von Industriegütern wurde in den letzten 25 Jahren um das Zehnfache gesteigert. Seit 1990 ist das Wachstum der chinesischen Exporte in absoluten Zahlen höher, als das der neun nächstgrößten Exporteure von Billiglohnprodukten zusammen genommen. Bis zu einem Drittel der chinesischen Hersteller produzieren in Fabriken im Besitz ausländischer Firmen. Die meisten davon gehören Japanern, wodurch ständig Importe von Maschinen und Bauteilen von Japan nach China strömen. [Glyn, S, 90-91]
Nach zehn Jahre wird eine der wichtigsten Folgen der asiatischen Finanzkrise von 1997-98 deutlicher. Mit Ausnahme von Südkorea wachsen die asiatischen Tigerstaaten heute, nach einem anfänglichen Produktionsrückgang von zehn Prozent, um zwei Prozent weniger schnell als vor 1997. Vor der Krise hatten diese Staaten den amerikanischen und europäischen Markt mit Billigprodukten beliefert. Nach der Krise zeichnete sich eine andere Struktur ab. China ist zum überragenden Hersteller von Billigprodukten geworden und zieht dadurch Importe von Vorprodukten und Halbfabrikaten aus der asiatischen Region an sich.
Die frühere Struktur wurde gelegentlich als Modell der fliegenden Gänse bezeichnet - die asiatischen Billigproduzenten fliegen in Formation hinter Japan her. Heute ist es jedoch vollkommen anders. China ist zum Zentrum einer riesigen Produktionsdrehscheibe geworden.
Es gibt viele Aspekte der asiatischen Krise, aber einer der wesentlichsten Gründe war das Auftauchen Chinas als Billigproduzent, der in der Lage war, die asiatischen Tiger zu unterbieten, die sich von Mitte der 1980er bis Mitte der 90er Jahre eines zunehmenden Wachstums hatten erfreuen können.
Die gewaltigen Investitionen in China sind Teil eines umfassenderen Prozesses. Die Weltbank schreibt: "Von einem niedrigen Ausgangsniveau von 22 Milliarden Dollar im Jahre 1990 ausgehend, liegen die ausländischen Direktinvestitionen in Entwicklungsländern gegenwärtig bei etwa 200 Milliarden Dollar im Jahr, was 2,5 Prozent des BIP der Entwicklungsländer ausmacht." Entwicklungsländer ziehen zurzeit ungefähr ein Drittel aller ausländischen Direktinvestitionen an sich.
Unter all den Fakten und Zahlen, die die Veränderungen in der Struktur der globalen Wirtschaft dokumentieren, ist das weltweite Anwachsen des Arbeitskräftepotentials der für eine sozialistische Perspektive auffälligste und weitreichendste Aspekt. Der Eintritt von Millionen von Arbeitskräften in den globalen Arbeitsmarkt ist eine bahnbrechende Entwicklung.
Es gibt verschiedene Schätzungen über den Umfang dieser Veränderung. In einem Papier, das der Konferenz der Federal Reserve Bank in Boston 2006 unterbreitet wurde, schätzte ein Arbeitswissenschaftler der Harvard Universität, dass mit dem Eintritt Chinas und der früheren Sowjetunion in den Weltmarkt die Zahl der Arbeitskräfte in der Marktwirtschaft sich von 1,46 auf 2,93 Milliarden etwa verdoppelt habe.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) veröffentlichte im World Economic Outlook vom Mai 2007 eine Schätzung der weltweit verfügbaren Arbeitskräfte. Der IWF gewichtete die Zahl der Arbeitskräfte nach dem Anteil der jeweiligen Länder an der Weltwirtschaft - gemessen am Anteil der Exporte am BIP - und fand heraus, dass sich die "effektive Zahl der Arbeitskräfte weltweit in den vergangen vier Jahrzehnten vervierfacht hat. Dieses wachsende weltweite Reservoir an Arbeitskräften wird von den entwickelten Volkswirtschaften durch verschiedene Kanäle ausgeschöpft. Darunter fallen Importe von Fertigprodukten, die Verlagerung der Herstellung von Vor- und Zwischenprodukten ins Ausland und die Immigration."
Der größte Teil des Zuwachses fand nach 1990 statt. Ostasien trug ungefähr die Hälfte dazu bei, während der Anteil Südasiens und der ehemaligen Länder des Sowjetblocks geringer ausfiel. Zwar besteht der größte Teil der absoluten Zunahme der Arbeitskräfte weltweit aus weniger gut ausgebildeten Arbeitskräften, dennoch ist auch der Anteil solcher mit höherer Qualifikation während der vergangenen 25 Jahre um 50 Prozent gestiegen. Dies ist sowohl eine Folge des Zuwachses in den fortgeschrittenen Ökonomien als auch in China.
Diese weit reichenden Veränderungen in der Struktur des weltweiten Arbeitskräftepotentials hatten große Auswirkungen auf die Löhne der Arbeitskräfte in den entwickelten kapitalistischen Ländern und auf die Verteilung des Nationaleinkommens auf Löhne und Profite. Der IWF schreibt, dass es seit 1980 eine deutliche Verringerung des Anteils der Löhne am Nationaleinkommen gegeben habe. Er schätzt, dass diese Verschiebung bis zu 8 Prozent beträgt. Die Bedeutung lässt sich aus der folgenden Graphik über den Anteil der Arbeitseinkommen am Nationaleinkommen ablesen.

In einem Bericht auf der Konferenz der Federal Reserve in Boston, gelangte Richard Freeman zum Schluss, dass sich "die globale Verteilungsquote zwischen Arbeit und Kapital durch das Hinzukommen Chinas, Indiens und der Ex-Sowjetunion massiv zuungunsten der Arbeiter verschoben hat. Ausgaben für höhere Bildung in Entwicklungsländern haben das Angebot an gut ausgebildeten Arbeitskräften erhöht, so dass die aufstrebenden Giganten den entwickelten Ländern sogar auf dem Gebiet der Spitzentechnologie, die letztere nach dem Nord-Süd-Modell für ihr Geburtsrecht hielten, Konkurrenz machen konnten."
Er schätzte, dass die Verdoppelung des weltweiten Arbeitskräftepotentials das Verhältnis von Kapital zu Arbeit in der Weltwirtschaft um 40 bis 50 Prozent reduziert hat. Mit anderen Worten, da das Angebot an Arbeitskräften im Verhältnis zum Kapital zunimmt, sinkt deren Preis, der Lohn.
Im Juli 2006 schrieb der Economist : " Im letzten Jahr stieg der Anteil der Gewinne nach Steuern am BIP in den USA auf den höchsten Stand seit 75 Jahren, Die Gewinnanteile in der Eurozone und in Japan liegen auch im höchsten Bereich seit 25 Jahren... Chinas Aufstieg in der Weltwirtschaft hat, relativ gesehen, Arbeit im Überfluss zur Verfügung gestellt und das Kapital relativ knapp werden lassen, so dass die Kapitalrendite relativ gestiegen ist."
Die Financial Times schrieb am 14. Oktober 2006, dass die Gewinne britischer Firmen 2005 ihr höchstes Niveau erreicht hätten, während die Wochenlöhne inflationsbereinigt um 0,4 Prozent gefallen seien.
"Es ist die gleiche Geschichte in allen reichen Ländern des Westens", heißt es in dem Bericht weiter. "In einer neueren Forschungsstudie zur US-Wirtschaft erklärt die US-Investmentbank Goldman Sachs: Der Anteil der Profite am BIP hat im ersten Quartal 2006 eine Rekordhöhe erreicht. Mehrere Faktoren haben zu dem Anstieg der Gewinnmargen beigetragen. Der wichtigste ist das Absinken des Anteils der Arbeit am Nationaleinkommen’."
Der Bericht zitiert einen unverblümten Kommentar der Ökonomen Stephen King und Jane Henry von HSBC Global Research: "Die Globalisierung ist nicht bloß die Geschichte von mehr Exportmärkten für westliche Produkte. Sie ist vielmehr die Geschichte großer Umschichtungen in der Einkommensverteilung: von reichen zu armen Arbeitskräften, von den Arbeitskräften insgesamt zum Kapital, von Arbeitern zu Konsumenten und von Energieverbrauchern zu Energieproduzenten. Sie ist die Geschichte von Gewinnern und Verlierern, keine Fabel über wirtschaftliches Wachstum."
Aber das Sinken des Anteils der Löhne ist nicht der alleinige Weg, durch den die Profite angekurbelt wurden. Der Eintritt Chinas in den Weltmarkt hat nicht nur zur Verbilligung von Konsumgütern geführt, gleichzeitig hat er eine Absenkung der Ausgaben für Industrieanlagen bewirkt. Das heißt, ausgedrückt in der Terminologie der marxistischen Ökonomie, nicht nur die Ausbeutungsrate wurde infolge der Verringerung des Werts der Arbeitskraft gesteigert, sondern die organische Zusammensetzung des Kapitals ist tendenziell gefallen, weil sich die Kosten des konstanten Kapitals verringert haben. Dadurch tendierte die durchschnittliche Profitrate der kapitalistischen Wirtschaft insgesamt nach oben.
Wird fortgesetzt
