Berliner Verkehrsarbeiterstreik

Linkspartei attackiert streikende BVG-Beschäftigte

Zu Beginn der zweiten Woche des Berliner Verkehrsarbeiterstreiks hat die Fraktion der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus heftige Angriffe gegen die streikenden BVG-Arbeiter gerichtet. Der Berliner Tagespiegel berichtet, die Linkspartei-Führung stehe dem Streik im Nahverkehr noch abweisender gegenüber als die SPD - "zumindest, was die Altbeschäftigten der BVG betrifft".

Die Zeitung nennt keine Namen, sondern meldet, dass "in der Führung der Linksfraktion" folgender Standpunkt vorherrsche: Die Streikenden "führten ihren Arbeitskampf noch immer mit der West-Berliner Mentalität der Überversorgten und hätten offenbar nicht verstanden, wie privilegiert sie seien. Daran sei auch die Unternehmensführung Schuld. Diese habe nichts getan, um Privilegien abzubauen."

Weiterhin sei die Linksfraktion der Auffassung, "Verhandlungsspielraum gebe es allenfalls für diejenigen, die nach 2005 neu eingestellt wurden und nicht mit alten BVG-Vorrechten beschenkt worden seien. Dass Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) den Streikenden nicht entgegenkommt, stößt in der Linksfraktion auch auf ‘betriebswirtschaftliches Verständnis’. Immerhin sei die BVG mit rund 850 Millionen Euro verschuldet - da sei für Tariferhöhungen so gut wie kein Raum", schreibt der Tagesspiegel über die Haltung der Linkspartei.

Gegenüber der Zeitung Junge Welt versuchte der parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, Uwe Döring, die Attacke auf die Streikenden abzuschwächen. Er wolle nicht von "Privilegien" der Alt-Beschäftigten sprechen. "Der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen und die Bestandssicherung für die BVG als kommunales Unternehmen bis 2020 seien aber Vorteile, die in die Tarifauseinandersetzung einbezogen werden müssten."

Die Feindschaft der Linkspartei gegen den BVG-Streik ist nicht überraschend. Sie stellt gemeinsam mit der SPD den Berliner Senat und steht in dieser Auseinandersetzung ebenso wie die SPD vollständig auf der Seite der Arbeitgeber. Vor gut zwei Jahren spielte sie eine Schlüsselrolle dabei, Kürzungen im öffentlichen Dienst und bei der BVG durchzusetzen.

Sie setzte sich damals für die Verabschiedung des Tarifvertrags Nahverkehr (TV-N) ein. Die Konsequenzen für die BVG-Beschäftigten waren verheerend. Mit dem TV-N begann eine drastische Verschlechterung der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Die Arbeiter der BVG mussten auf bis zu zwölf Prozent ihres Gehalts verzichten. Gleichzeitig wurde das Weihnachtsgeld gekürzt und das Urlaubsgeld gestrichen. Alte Beschäftigte erhalten seitdem einen Sicherungsbetrag zu ihrem Gehalt, der die Lohneinbußen geringfügig abmildern soll.

Gleichzeitig wurde eine Spaltung der Belegschaft eingeleitet. Neu-Eingestellte, das heißt alle nach 2005 eingestellten Arbeiter, bekommen ebenso wie die Fahrer der "Berlin Transport" (BT ist eine hundertprozentige BVG-Tochter, die 1999 gegründet wurde, um Löhne und Arbeitsbedingungen drastisch zu senken) nur 1.650 Euro Brutto im Monat. Gegenüber den Alt-Beschäftigten bedeutet das eine Lohnsenkung von ca. 30 Prozent.

Jetzt versuchen SPD und Linkspartei die Niedriglöhne der Neu-Eingestellten zu nutzen, um das Lohnniveau der Langzeitbeschäftigten zu drücken. Das Angebot des Senats sieht für die Neu-Eingestellten eine sechsprozentige gestaffelte Lohnerhöhung vor, während die nahezu 10.000 Mitarbeiter der BVG-Stammbelegschaft leer ausgehen sollen.

Die Linkspartei fordert angesichts dieser Situation von den Langzeitbeschäftigten "mehr Solidarität" mit den neu Eingestellten. In einer Stellungnahme der Fraktion schrieb der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Stefan Liebich, seine Partei halte es für wichtig, dass "einerseits die Einkünfte der neuen und der länger Beschäftigten angenähert werden und andererseits eine sozial gerechte Tarifstruktur für die Fahrgäste gesichert und ausgebaut wird".

Mit dieser Forderung nach einer "sozial gerechte Tarifstruktur für die Fahrgäste" stellt sich Liebich hinter Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), der angekündigt hat, dass höhere Löhne für die Beschäftigten "notwendigerweise" höhere Fahrpreise nach sich ziehen würden.

Ein abgekartetes Spiel

Beide, SPD und Linkspartei, versuchen die Bevölkerung gegen den Streik aufzuwiegeln. Angst vor Fahrpreiserhöhungen spielt dabei ebenso eine Rolle, wie die Hetze gegen angebliche Privilegien der Langzeitbeschäftigten und die "West-Berliner Überversorgungs-Mentalität".

Verdi, deren Funktionäre eng mit Linkspartei und dem Senat verbunden sind, haben dem nichts entgegenzusetzen. In Wahrheit sind sie Teilnehmer eines abgekarteten Spiels. Sie haben vor zwei Jahren den TV-N und die damit verbundenen Verschlechterungen ausgehandelt und unterschrieben. Sie verteidigen diesen Abgruppierungsvertrag bis heute. Angesichts des wachsenden Widerstands unter den Beschäftigen und der Drohung von Massenaustritten sahen sie sich zwar gezwungen, neue Forderungen aufzustellen und einen Streik zu organisieren. Doch die Forderungen sind äußerst moderat und würden selbst bei voller Durchsetzung die vergangenen Verluste nicht ausgleichen.

Nun organisiert Verdi den Streik in einer Weise, in der er sich tot zu laufen droht und sich mehr und mehr gegen die Bevölkerung und gegen die Streikenden selbst richtet. Die Verluste für die BVG halten sich dagegen in Grenzen, weil ein Großteil der regelmäßigen Nutzer über vorausbezahlte Zeit- und Streckenkarten verfügt.

In acht Streiktagen wurde nicht eine einzige Großkundgebung und Demonstration organisiert, um Unterstützung in der Bevölkerung zu mobilisieren. Als streikende Arbeiter eine spontanen Protestmarsch von einem Busdepot zum nächsten durchführten, wurden sie von Verdi-Funktionären heftig angegangen. Künftige spontane Aktionen außerhalb der Kontrolle von Verdi wurden strikt untersagt.

In den vergangenen Monaten wurden in Berlin über 30.000 Unterschriften gegen die geplante Privatisierung der kommunalen Wasserbetriebe gesammelt. Doch der Senat wies die Petition zurück. Verdi unternimmt nichts, um den gegenwärtigen Streik mit den Protesten gegen die Privatisierung der Wasserbetriebe und anderer kommunaler Einrichtungen zu verbinden.

Auch in Bezug auf die BVG liegen Privatisierungspläne fertig ausgearbeitet in Schubladen. Die Gründung der BT und das systematische Lohn- und Sozialdumping dienen nicht der Verhinderung der Privatisierung, wie die Linkspartei behauptet, sondern sind eine Vorbereitung darauf. Verdi weiß das, aber weigert sich, den Lohnstreik mit dem Kampf gegen die Privatisierung zu verbinden.

Lehrerproteste gegen die Kürzungen im Bildungsetat und unzumutbare Bedingungen an den Schulen, Proteste gegen die schlechte personelle und sachliche Ausstattung in den Kitas, Widerstand gegen die Schließung mehrerer Stadtteilbibliotheken - der Unmut in der Bevölkerung gegen die unsoziale Politik des rot-roten Senats ist sehr groß. Doch Verdi versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass sich der BVG-Streik zu einer breiten politischem Mobilisierung gegen den Senat entwickelt.

Stattdessen richtet sie verbale Attacken gegen den Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV), dessen Angebot "völlig unzumutbar" und "eine Provokation" sei. Das stimmt zwar, aber hinter dem KAV steht der Senat aus SPD und Linkspartei - zwei Parteien, in denen die meisten Verdi-Funktionäre selbst Mitglied sind.

Dazu kommt noch, dass auch im Kommunalen Arbeitgeberverband die eigenen Leute von Verdi sitzen und den Ton angeben. Drei von sechs Vorstandsmitgliedern - einschließlich des Vorstandsvorsitzenden des KAV - sind Verdi-Mitglieder. Sie blicken auf ein langjährige Gewerkschaftskarriere zurück und sind über die gewerkschaftliche Karriereleiter in die Spitzenpositionen auf der Arbeitgeberseite aufgestiegen.

Vorstandschef der KAV ist der Personalchef der Berliner Wasserbetriebe, Norbert Schmidt. Er begann seine berufliche Laufbahn Ende der siebziger Jahre als Busfahrer bei der BVG. Dann stieg er über die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV) auf und war jahrelang ÖTV-Bereichsgeschäftsführer, bevor er Personalchef der Berliner Wasserbetriebe wurde.

Sein KAV-Vorstandskollege Manfred Rompf ist Personalchef von Vivantes. Er war früher Vorsitzender des Landesfachbereichsvorstands von Verdi in Hessen. KAV-Vorstand Lothar Zweiniger, heute BVG-Personalchef, war früher stellvertretender Verdi-Chef in Niedersachsen und ist mit Verdi-Chef Frank Bsirske befreundet.

Die streikenden BVG-Arbeiter müssen auf der Hut sein.

Wenn die Leitung des Streiks in den Händen von Verdi bleibt, wird er mit einem faulen Kompromiss enden, der angesichts der allgemeinen Preissteigerungen wieder Reallohnsenkung bedeuten wird.

Deshalb ist es wichtig, die Kontrolle von Verdi zu durchbrechen und eine unabhängige Streikleitung aufzubauen. Dazu müssen in allen Depots Streik- und Aktionskomitees aufgebaut werden, um die Verhandlungen zu überwachen und eine gezielte Zusammenarbeit mit Arbeitern oder Angestellten aus anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes, aus der Privatindustrie, aber auch Studenten und anderen Teilen der Bevölkerung aufzubauen.

Nur so ist es möglich, den Streik zum Ausgangspunkt für eine breite politische Mobilisierung gegen den Senat aus SPD und Linkspartei zu machen und zum Erfolg zu führen.

Siehe auch:
"Ohne unseren Streik würde der Sozialabbau immer weitergehen"
(11.März 2008)
BVG Arbeiter hoffen auf eine Ausweitung des Streiks
( 10. März 2008)
Die Streikbewegung im Öffentlichen Dienst erfordert eine neue politische Perspektive
( 8. März 2008)
Berliner Verkehrsarbeiter streiken gegen rot-roten Senat
( 5. März 2008)
Loading