Streikwelle in Griechenland hält an

Am vergangenen Mittwoch legte zum dritten Mal seit Dezember ein Generalstreik weite Teile des öffentlichen Lebens in Griechenland lahm. Am Protest gegen die geplante Rentenreform der konservativen Regierung unter Kostas Karamanlis nahmen unter anderem Krankenhausärzte, Fluglotsen, Hafenarbeiter, Journalisten, Hotelpersonal und Tankstellen-Mitarbeiter teil. In der Innenstadt von Athen demonstrierten mehr als 100.000 Menschen, in Saloniki waren es an die 8.000.

Wie schon bei den vorangegangenen Streiks nahmen wiederum über zwei Millionen Menschen, und damit nahezu die Hälfte aller griechischen Arbeitnehmer, an den Ausständen teil. Erneut beteiligten sich Arbeiter und Angestellte aus allen Berufsgruppen, auch aus solchen, die für gewöhnlich kaum in den Streik treten.

Der Generalstreik war der Höhepunkt mehrerer Arbeitskämpfe, die bereits während der vergangenen Wochen im ganzen Land stattfanden. Am Dienstag waren die Eisenbahnbeschäftigten in einen 24-stündigen Ausstand getreten. Banken blieben geschlossen und auch die Gerichte waren von einem einwöchigen Streik der Anwälte betroffen. In den Straßen türmte sich wegen eines Ausstandes der Müllmänner der Abfall. Weil auch beim größten Elektrizitätsversorger gestreikt wurde, kam es seit zwei Wochen zu immer wiederkehrenden Stromausfällen. Ein Streik der Angestellten der Zentralbank hatte eine Woche zuvor das Computersystem der griechischen Börse für drei Tage außer Betrieb gesetzt.

In den kommenden Wochen ist mit weiteren Streiks und Protesten zu rechnen. Anwälte, Bankangestellte und andere Berufsgruppen kündigten weitere Maßnahmen gegen den sozialen Kahlschlag der Regierung an.

Auch die Angestellten der Hellenic Telekom (OTE) haben für die kommenden Tage Arbeitsniederlegungen angekündigt. Sie protestieren gegen den geplanten Verkauf weiterer Anteile des griechischen Telekommunikationsunternehmens an die deutsche Telekom. Die ND-Regierung strebt den Verkauf von über 20 Prozent an den deutschen Konzern an. Damit würden sich weniger als 20 Prozent des ehemals vollständig staatlichen Unternehmens im Besitz der öffentlicher Hand befinden, so dass die Regierung im Grunde keinerlei Entscheidungsgewalt mehr hat. Die Gewerkschaften fürchten, wie sich das bei anderen Unternehmen bereits gezeigt hat, weitere Entlassungen und Einsparungen auf Kosten der Beschäftigten.

Die Streiks und Proteste richten sich vor allem gegen die geplante Rentenreform der konservativen Regierung unter Premierminister Kostas Karamanlis. Diese sieht eine Erhöhung der Beitragsjahre in die gesetzliche Rentenkasse vor, was faktisch eine Anhebung des Rentenalters bedeutet.

Trotz der Massenproteste hat das griechische Parlament Anfang der Woche die umstrittene Reform verabschiedet. Mit den Stimmen der Regierungspartei Nea Demokratia (ND) drückten sie das Vorhaben mit knapper Mehrheit durch. 151 der insgesamt 300 Abgeordneten billigten das Gesetz am Donnerstagabend, 13 votierten dagegen. Die Fraktion der sozialdemokratischen Oppositionspartei PASOK hatte das Parlament vor der Abstimmung verlassen. Auch am Abend der Abstimmung hatten mehrere Tausend in der Hauptstadt demonstriert.

Die Rentenreform ist das Herzstück der Politik der Karamanlis-Regierung, die sich nach ihrem Wahlsieg im vergangenen Jahr ein striktes Reformprogramm auf die Fahnen geschrieben hat. Die bereits in der letzten Legislaturperiode begonnene Umverteilung von Unten nach Oben soll konsequent fortgeführt werden. Bestes Beispiel dafür: Die Nationalbank gab vor kurzem eine Gewinnsteigerung um 70 Prozent auf 1,7 Milliarden Euro für das Jahr 2007 bekannt. Die Angestellten der Bank müssen trotzdem künftig mindestens zwei Jahre länger arbeiten als bisher, bevor sie - mit gekürzten Bezügen - in Pension gehen können.

Einschnitte soll es auch bei den gängigen Pflichtzusatzrenten geben. Wer beispielsweise nach 35 Arbeitsjahren Anspruch auf 1.050 Euro Haupt- und 588 Euro Zusatzrente hatte, bekommt in Zukunft 378 Euro Zusatzrente weniger.

Keine politische Opposition

Die Karamanlis-Regierung kann nur deshalb derart unverschämt auftreten, weil sie genau weiß, dass ihr niemand ernsthaft entgegen tritt. Bei den Wahlen im September hatte sich Karamanlis’ ND trotz deutlicher Verluste und einer merklichen Linksentwicklung unter den Wählern eine knappe Regierungsmehrheit sichern können.

Die zur Schau getragene Opposition der sozialdemokratischen PASOK gegen die Rentenkürzungen ist mehr als heuchlerisch und wird von der Mehrheit der Bevölkerung durchschaut. Die PASOK hatte während ihrer Regierungszeit mehrmals Anläufe unternommen, die Renten zu kappen. Als sie im Mal 2001 versucht hatte, das Rentensystem zum Nachteil der Beschäftigten radikal umzugestalten, war es ebenfalls zu massiven Protesten gekommen. Die damalige PASOK-Regierung sah sich zur Rückname ihrer Pläne gezwungen und verlor beinahe ihre Regierungsmehrheit.

Auch die beiden großen griechischen Gewerkschaftsverbände GSSE und ADEDY, die vergangene Woche ebenfalls zum Streik aufriefen, haben eine lange Tradition der Zusammenarbeit mit der politischen Elite des Landes. Zur PASOK pflegen die Gewerkschaften enge Kontakte.

Auch wenn sie sich unter dem Druck von unten bemüßigt sehen, etwas radikalere Töne anzuschlagen, ist unübersehbar, dass sie auf einen Deal mit der Regierung spekulieren. Obwohl sich die Regierung unnachgiebig zeigt, rufen führende Gewerkschafter immer wieder zum Dialog mit der ND auf.

Mit der zunehmenden Radikalisierung breiter Bevölkerungsschichten und dem rasanten Niedergang der PASOK kommt der kleinbürgerlichen Linken zunehmende Bedeutung zu. Neben der Kommunistischen Partei (KKE) ist dies vor allem Synaspismos, ein Sammelbecken von radikalen und angeblich sozialistischen Gruppierungen. 2004 bildete Synaspismos zusammen mit anderen radikalen Tendenzen das Linksbündnis SYRIZA.

Eine aktuelle Umfrage der konservativen Tageszeitung Kathimerini und des TV-Senders Skai bescheinigte SYRIZA einen Wählerzuwachs von 11,5 auf 17 Prozent, während PASOK von 35 auf 31 Prozent zurückgefallen ist. Mittlerweile glauben über die Hälfte aller Griechen (54 Prozent), dass weder PASOK noch die ND die gegenwärtigen Probleme des Landes lösen können. Das sind über 13 Prozent mehr als im vergangenen Monat.

Ähnlich wie die italienische Rifondazione Comunista in den 1990er Jahren oder die deutsche Linkspartei vollzieht SYRIZA einen Balanceakt zwischen der Rolle als außerparlamentarische Opposition und als Mehrheitsbeschafferin für die Sozialdemokratie. Während sie sich auf die Beteiligung an einer "linken" Koalitionsregierung vorbereitet, bemüht sie sich gleichzeitig, Einfluss auf radikalisierte Jugendliche und Arbeiter zu gewinnen, die sich enttäuscht von der Sozialdemokratie abwenden. Die Folge sind heftige Richtungskämpfe in ihren Reihen.

Bis zum Februar dieses Jahres hatte Alekos Alavanos an der Spitze von Synaspismos gestanden. Dann trat er aus Gesundheitsgründen zurück, führt aber weiterhin die Parlamentsfraktion von SYRIZA.

Alavanos verkörpert die soziale und politische Orientierung dieser Tendenz in typischer Weise. Der Ökonom stammt aus dem erz-stalinistischen Milieu der Kommunistischen Partei. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die auch in der griechischen KP einen heftigen Schock ausgelöst hatte, wechselte Alavanos zu Synaspismos, das er mitbegründete. Er gehört zur Oberschicht des Landes und besitzt zahlreiche Grundstücke auf der Insel Tenos.

Nach Alavanos’ Rücktritt vom Parteivorsitz stritten Fotis Kouvelis, der seine politische Karriere im Widerstand gegen die Militärdiktatur von 1967 bis 1974 begonnen hatte, und der 33-jährige Alexis Tsipras um seine Nachfolge.

Kouvelis ist langjähriges Führungsmitglied der aus einer Spaltung der Kommunistischen Partei Griechenlands hervorgegangenen Inlands-KKE. Er war Generalsekretär ihrer Nachfolgepartei EAR, die später in Synaspismos aufging. Er sitzt seit 1989 fast ununterbrochen im Parlament und war 1989 sogar für ein paar Monate Justizminister. Wie kein anderer verkörpert er den pragmatischen Versuch, sich mit der KKE zusammenzuschließen und sich mit dieser der PASOK anzunähern, um ein breites Linksbündnis auf parlamentarischer und Regierungsebene zu bilden.

Kouvelis unterlag schließlich dem Vorsitzenden der Jugendbewegung Tsipras, der sich gegen einen solchen Kurs aussprach. Tsipras’ legt das Schwergewicht auf die "außerparlamentarische" Bewegung. Bei den Wahlen für das Bürgermeisteramt in Athen hatte er auf Anhieb über zehn Prozent der Stimmen erreicht. Tsipras’ Wahl zum Synaspismos-Vorsitzenden widerspiegelt die Befürchtung, das Bündnis SYRIZA könnte sich durch eine Annäherung an die diskreditierte Sozialdemokratie politisch zu schnell verschleißen.

Die Differenzen sind aber rein taktischer Natur. SYRIZA versucht die rasante Linksentwicklung der Bevölkerung zu kanalisieren und in für die herrschende Klasse ungefährliche Kanäle zu lenken. Das Bündnis stellt keine politische Alternative zur PASOK und KKE dar. Hinter seiner teilweise radikalen Fassade und der harschen Kritik am Reformkurs der Regierung steckt nichts weiter als bürgerliche Protestpolitik. In den Parlamentswahlen im letzten Jahr hatte sich das Bündnis geweigert, sozialistische Forderungen aufzustellen. In Gemeindeparlamenten und Gewerkschaften gibt es seit langem eine enge Zusammenarbeit zwischen PASOK und der radikalen Linken.

Siehe auch:
Generalstreik in Griechenland
(14. Dezember 2007)
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