Eine oberflächliche Analyse des globalen Kapitalismus - Teil 2

Teil 2

Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, von Naomi Klein, 2007 Frankfurt/ Main. ISBN 3-10-039611-1, ISBN 978-3-10-039611-2

Dies ist der Schluss einer zweiteiligen Buchbesprechung. Der erste Teil erschien am 26. März 2008.

Klein klammert sich weiter daran, dass das Programm der Chicagoer Schule von Milton Friedman einfach ein Bündel "gefährlicher Ideen" war. Wenn sie dagegen feststellen würde, dass dieses Programm mit objektiven Entwicklungstendenzen der globalisierten kapitalistischen Wirtschaft zusammenhängt, würde dies ihrem politischen Programm der Rückkehr zu der keynsianischen Politik der Vergangenheit in die Quere kommen.

Hier sind mächtige ideologische und materielle Faktoren am Werk. Die Finanzkrise, die jetzt die Weltwirtschaft getroffen hat, und die wachsende Feindschaft gegenüber der "neo-con" Politik der Bush-Regierung haben zweifellos einen "Markt" für "linke" Kritik an der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung geschaffen - und infolgedessen eine Bereitschaft der Verlagshäuser, Mittel für ihre Verbreitung zur Verfügung zu stellen. Aber es gibt Grenzen für diese Unterstützung, deren sich Klein wohl bewusst ist.

Das ist der Grund, weshalb sie sorgfältig darauf besteht, keine "Fundamentalistin" zu sein. Außerdem wiederholt sie die alte Leier, dass es eine Art Konvergenz zwischen der marxistischen Bewegung und der extremen Rechten gebe.

In der Auseinandersetzung mit der These Friedmans, dass nur eine Krise wirkliche Veränderung bewirken könne, schreibt sie: "Die Idee, dass ein Marktzusammenbruch als Katalysator für einen revolutionären Wandel dienen kann, hat bei der extremen Linken eine lange Tradition; am bekanntesten ist die Theorie der Bolschewiki, dass eine durch Zerstörung des Geldwerts herbeigeführte Hyperinflation die Massen einen Schritt näher an die Zerschlagung des Kapitalismus selbst bringt. Diese Theorie erklärt, warum eine bestimmt Sorte von sektiererischen Linken immer wieder die genauen Bedingungen berechnet, unter denen der Kapitalismus die ‘Krise’ erreicht, genau wie evangelikale Christen die Anzeichen für das kommende Ende aller Tage kalibrieren. Mitte der achtziger Jahre erlebte diese kommunistische Vorstellung eine machtvolle Wiedererweckung, denn sie wurde von den Ökonomen der Chicagoer Schule aufgegriffen, die argumentierten, genau wie ein Marktzusammenbruch eine Revolution beschleunigen könne, könne man ihn auch nutzen, um eine rechte Gegenrevolution zu entzünden - eine Theorie, die als ‘Krisen-Hypothese’ bekannt wurde." (S. 198)

Dieses Amalgam ist nicht das Ergebnis von Unkenntnis. Klein wählt ihre Worte sorgfältig. Sie möchte der breiten Öffentlichkeit sowie ihren Verlegern klarmachen, dass sie nichts mit einem marxistischen Programm zu tun hat, das darauf ausgerichtet ist, das kapitalistische System zu beseitigen.

Dies ist das Thema von Kleins Schlusskapitel, in dem sie auf ein "Wiedererstarken des Volkes" hinweist, nachdem die Wirkung der verabreichten "Schocks" auf das politische Bewusstsein nachzulassen beginnen. In Lateinamerika kehren die Völker zum sozialdemokratischen Projekt zurück, das in den 1970er Jahren so brutal abgebrochen wurde. Die Politik ist bekannt: Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, Landreform, Investitionen in Bildung, nicht revolutionär, sondern beruhend auf einer "selbstbewussten Vision von einem Staat, der Gleichheit verwirklichen hilft".(S. 639)

Es sei möglich, behauptet Klein, zu dem System des regulierten Kapitalismus der Vergangenheit zurückzukehren, wenn nicht auf nationaler Ebene, dann eben in kontinentalem Maßstab. "Heute schafft sich Lateinamerika selbst eine Zone relativer wirtschaftlicher Stabilität und Berechenbarkeit inmitten einer Welt voller finanzieller Turbulenzen, eine Leistung, die im Zeitalter der Globalisierung niemand für möglich gehalten hätte."(S. 643f)

In ihrer Ablehnung des Marxismus als einer anderen Form von "Fundamentalismus" erweist sich Klein am Ende ihrer 400 Seiten als kaum mehr als eine Unterstützerin diverser lateinamerikanischer Führer - von Kirchner in Argentinien, Morales in Bolivien, der Regierung von Lula in Brasilien und natürlich der Regierung Venezuelas, wo es trotz des "Personenkults um Hugo Chávez und dessen Strategie die Macht auf staatlicher Ebene zu konzentrieren" ein System dezentraler fortschrittlicher Netzwerke gebe. (S. 640)

Solche Netzwerke seien, wie Klein meint, ein Modell für die Zukunft. Sie verfügen nicht über ein Programm, dem Profitsystem ein Ende zu setzen. Vielmehr sind sie "per se improvisiert, sie begnügen sich mit jedem noch so rostigen Werkzeug, das nicht fortgespült, zerschlagen oder gestohlen wurde. Anders als in der biblischen Phantasmagorie des Heils, der apokalyptischen Auslöschung, die den Rechtgläubigen (sie meint damit die Marxisten und all diejenigen, die für eine sozialistische Neugestaltung der Gesellschaft kämpfen) die Flucht in himmlische Sphären erlaubt, gehen die von Menschen getragenen Erneuerungsbewegungen von der Prämisse aus, dass wir uns dem von uns angerichteten Scherbenhaufen nicht durch die Flucht entziehen können und dass schon genug platt gemacht worden ist - an Geschichte, an Kultur, an Erinnerung. Diese Bewegungen sind nicht darauf aus, von Grund auf zu beginnen, sondern das Neue auf den Trümmerbergen wachsen zu lassen. Während der korporatistische Kreuzzug sich weiter im rasanten Niedergang befindet und die Intensität der Schocks erhöht, um den zunehmenden Widerstand zu sprengen, weisen diese Projekte einen Weg aus den Fundamentalismen heraus nach vorn." (S. 658)

Mit anderen Worten solche Initiativen repräsentieren einen dritten Weg, der notwendig ist, wenn man den Kampf nicht "Orthodoxie und Revolution" überlassen will.

Was für eine bankrotte Alternative! Kleins Feindschaft gegenüber dem Kampf der marxistischen Bewegung, die Arbeiterklasse - d.h. die überwältigende Mehrheit der Menschheit - zu mobilisieren, lässt ihre Perspektive dem Schluss eines Science Fiktion Films über eine globale Katastrophe ähneln, in dem die Überlebenden, am Boden zerstört und verwirrt, versuchen mit dem zurechtzukommen, was nach der Zerstörung übrig geblieben ist. Das ist ihre Alternative zur Kontrolle der Arbeiterklasse über die gewaltigen Produktivkräfte, über Wissenschaft und Technologie, die sie geschaffen hat, und für die Weiterentwicklung der Zivilisation nutzen kann.

Keine Analyse politischer Bewegungen

Kleins oberflächliche Methode in der Behandlung der Ökonomie wiederholt sich auf der Ebne der Politik. Man muss ihr zugute halten, dass sie im Unterschied zu den üblichen Lobeshymnen auf Nelson Mandela auf das neoliberale Programm des African National Congress (ANC) in Südafrika hinweist. Aber ihre Weigerung, eine politische Analyse durchzuführen, führt dazu, dass niemand auf Grund ihrer Kritik schlauer wird.

Klein zufolge blieb die südafrikanische Wirtschaft unter der Vorherrschaft des globalen Finanzkapitals, was katastrophale Konsequenzen für die Masse der Bevölkerung hatte, weil sich der ANC bei den Verhandlungen mit dem Apartheidregime, die zur Machtübergabe führten, hinters Licht führen ließ. Der Führer der Nationalpartei, F.W. de Klerk, hatte einen Plan, der die wirtschaftliche Macht auch nach dem unvermeidlichen Ende des Apartheidregimes in den Händen des internationalen Finanzkapitals ließ. Die Freiheits-Charta des ANC blieb damit nichts als ein totes Stück Papier.

"Dieser Plan wurde unter den Augen der ANC-Führer zum Erfolg geführt, die sich natürlich vor allem darauf konzentrierten, die politische Schlacht um das Parlament zu gewinnen. Dabei versäumte es der ANC, sich gegen eine viel infamere Strategie zu wappnen - bei der es sich im Grund um die elaborierte Rückversicherung handelte, dass die wirtschaftlichen Forderungen der Freiheits-Charta niemals Gesetz werden würden. ‘Das Volk soll herrschen!’ wurde bald Realität, aber der Bereich, den es beherrschte, schrumpfte schnell." (S. 278)

Auf diese Weise waren die ANC-Führer, so meint Klein, einfach hereingelegt und "einfach bei einer Reihe von Punkten, die zu dem Zeitpunkt weniger wichtig erschienen, ausgetrickst worden - aber auf lange Sicht wurde die Befreiung Südafrikas dadurch in der Schwebe gehalten." Am Ende hatten die Unterhändler des ANC keinen Schimmer davon, was sie sich hatten abhandeln lassen. (S: 282)

Hätte Klein sich entschlossen, ein wenig tiefer in die Materie einzudringen, wäre klar geworden, dass die Abkommen, die der ANC geschlossen hatte, sehr wohl mit den wesentlichen Grundzügen der Freiheits-Charta und den politischen Perspektiven der Kommunistischen Partei Südafrikas, die sie entworfen hatte, übereinstimmten.

Bereits 1956 hatte Mandela deutlich gemacht, dass der ANC in Südafrika nicht beabsichtige, den Kapitalismus zu stürzen, sondern den Weg für die Entstehung einer afrikanischen Bourgeoisie bereiten wolle. Dafür musste die Kontrolle der großen Konzerne über die südafrikanische Wirtschaft gebrochen werden. "Das Aufbrechen und die Demokratisierung dieser Monopole wird neue Möglichkeiten schaffen, eine wohlhabende nicht-europäische bürgerliche Klasse zu schaffen. Zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes wird die nicht-europäische Bourgeoisie die Möglichkeit haben, selbst Maschinen und Fabriken zu besitzen. Handel und privates Unternehmertum werden gedeihen und aufblühen wie nie zuvor". (Zitiert in Anne Talbots Rezension der Biographie Mandelas von Anthony Sampson)http://www.wsws.org/de/1999/aug1999/mand-a14.shtml

Um die Politik des Machtübergangs und die Einführung des neoliberalen Programms durch den ANC wirklich zu verstehen, wäre es erforderlich, die Rolle der Kommunistischen Partei Südafrikas und ihres Programms der Zwei-Stufen-Revolution zu untersuchen. Nach diesem Programm musste die Macht zunächst in die Hände der afrikanischen Bourgeoisie gelegt werden, während die Durchführung sozialistischer Maßnahmen einer fernen Zukunft zu überlassen wäre.

Klein ist sich dieser Frage sehr bewusst. Sie entschied sich jedoch, sie nicht zu behandeln, weil dies erfordert hätte, die Rolle und die Doktrin des Stalinismus zu erklären. Das hätte die Gefahr aufgeworfen, ihre Arbeit in den Ruch des Fundamentalismus zu bringen. Da war es besser, so zu tun, als ob die ANC-Führer nicht so recht wussten, was sich da abspielte.

Aber es geht noch um mehr. Kleins Buch hat zum Thema, dass das neoliberale Wirtschaftsprogramm durchgesetzt werden konnte, weil den herrschenden politischen Kräften eine Reihe von Schocks versetzt wurden. Aber bei der Erörterung dieser so genannten Schock-Doktrin wird die Rolle von Parteien und politischen Bewegungen vollständig außer Acht gelassen.

Der chilenische Staatsstreich vom September 1973, durch den der sozialistische Präsident Allende vom Militär und von General Augusto Pinochet gestürzt wurde, wird von Klein als "blutige Geburt der Konterrevolution" charakterisiert.

Aber der Putsch kam keineswegs überraschend. Er war seit Monaten erwartet worden. Allende war aufgefordert worden, seine Anhänger zu bewaffnen. Klein erklärt nicht, weshalb er dies nicht tat, weil eine solche Erklärung notwendig gemacht hätte, die Rolle der politischen Strömungen zu analysieren, die in der chilenischen Arbeiterbewegung tonangebend waren - die Kommunistische Partei, die Sozialistische Partei und die radikalen Gruppen wie die MIR (Revolutionäre Linke Bewegung) - dadurch wäre ihre entscheidende These erschüttert worden, dass die Einführung des neoliberalen Programms einfach das Ergebnis einer erfolgreichen "shock and awe"-Kampagne war.

Werbung für Keynsianismus

In mehreren Interviews zur Popularisierung ihres Buchs, hat Klein die politische Argumentation, die ihm zugrunde liegt, noch klarer gemacht. Sie hat dabei keine Gelegenheit ausgelassen, um die rechten Befürworter der "Schock-Doktrin" und den marxistischen "Fundamentalismus" in einen Topf zu werfen. Für sie waren die "gemischte Wirtschaft" von Keynes und der New Deal eine wirkliche Alternative.

In einer Diskussion mit Greg Grandin vom North American Congress for Latin Amerika (NACLA) erklärte sie: "Der Rechten ist es sehr gut gelungen, den Stil und die Strategie der Linken nachzuahmen. Besser als es die Linke je vermocht hat, hat die Rechte die Disziplin und die Provokation einer Krise durch die Leninisten mit der Geduld Gramscis, sich durch die Institutionen hindurchzuarbeiten, verbunden, angeheizt durch trotzkistische Leidenschaft."

Bei anderer Gelegenheit wies sie "religiösen Fundamentalisten" und "marxistischen Fundamentalisten" gemeinsame Eigenschaften zu.

Auf eine Frage, ob sie Befürworterin der keynsianischen "gemischten Wirtschaft" sei, antwortete sie: "Ich bin Realistin." Aber ihre Berufung auf Realismus gründet sich auf keinerlei historische oder ökonomische Analyse. Vielmehr ist sie durch ihre Annahme motiviert, dass diese Haltung im gegenwärtigen politischen Klima akzeptiert ist - ein bisschen nach links, aber nicht zu viel.

Kleins in einem Interview geäußerte Behauptung, dass sozialdemokratische Alternativen nicht fehlgeschlagen seien, weil sie überhaupt nicht ausprobiert wurden, ist falsch. Die keynsianischen Maßnahmen des New Deal haben nicht vermocht, die USA aus der Depression herauszuführen - die Rezession von 1938 war so tief wie die vorhergehende. Erst mit dem Anstieg der Rüstungsausgaben begann sich die US-Wirtschaft zu erholen. Diese Erholung konnte nur verstetigt werden, weil in der Nachkriegszeit eine Wiederbelebung der Weltwirtschaft einsetzte, die durch den militärischen Sieg der USA ermöglicht wurde.

Wenn keynsianische Maßnahmen einen machbaren dritten Weg darstellen würden, dann wäre es mit ihnen auch gelungen, den Nachkriegsboom aufrechtzuerhalten. Aber in Wirklichkeit hatten sie einen gegenteiligen Effekt.

Und selbst wenn solch ein Programm angenommen würde, wie könnte es durchgeführt werden? Wie Klein weiß, wurde der Keynsianismus in den Vereinigten Staaten nur eingeführt, weil die "militanten Forderungen von Gewerkschaftern und Sozialisten, deren wachsende Stärke eine noch radikalere Lösung zu einer drohenden Gefahr machte, was wieder dazu führte, dass der New Deal als akzeptabler Kompromiss erschien."(S. 350)

Roosevelt führte den New Deal als Mittel ein, um eine soziale Revolution in den USA zu verhindern. Es war notwendig, so erklärte er, den Kapitalismus vor sich selbst zu retten. Letztlich waren es nicht die Manöver Roosevelts, die den New Deal zum Erfolg machten - es gibt keinen Zweifel daran, dass er ein brillanter kapitalistischer Politiker war - sondern ausschlaggebend war die Tatsache, dass Amerika eine aufstrebende Macht war. Wie sich in der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte, hatte es die Stärke, die kapitalistische Weltordnung wieder herzustellen und war in der Lage, die notwendigen wirtschaftlichen Zugeständnisse zu machen, um dieses Ziel zu erreichen.

Heute hat sich die Lage dramatisch verändert. Der amerikanische Kapitalismus ist erstmals in der Geschichte im Niedergang begriffen. Er wird von alten und rasch aufsteigenden neuen Mächten herausgefordert. Zu erwarten, dass in dieser Situation ein Roosevelt vergleichbarer Politiker auftauchen könnte, um einen "dritten Weg" einzuschlagen, ist wohl die unrealistischste Perspektive überhaupt.

Welche Rolle spielt denn nun das Buch von Klein und welche Bedeutung hat es? Ob sie es wahr haben will oder nicht: Sie ist die ideologische Repräsentantin eines Teils der herrschenden Elite, die den Linksruck in breiten Teilen der Bevölkerung sieht und der Meinung ist, dass diese Entwicklung aufgefangen werden muss, bevor sie bedrohlichere Formen annimmt. Vor allem erfordert die veränderte Situation die Förderung "linker" Autoren, die eingespannt werden können, eine Alternative zu einer wirklich sozialistischen und marxistischen Perspektive zu propagieren.

Schluss

Siehe auch:
Die Weltkrise des Kapitalismus und die Perspektive des Sozialismus
(9. Februar 2008)
Anmerkungen zur politischen und ökonomischen Krise des kapitalistischen Weltsystems und die Perspektiven und Aufgaben der Socialist Equality Party
( 16. Januar 2008)
Tiefste Krise seit der Großen Depression kündigt sich in Bear Stearns Zusammenbruch an
( 22. März 2008)
Loading