Explosive Stimmung in Betrieben, Ämtern, Kitas und Krankenhäusern

Große Beteiligung bei Verdi-Warnstreiks

In der Tarifrunde im öffentlichen Dienst bricht sich offensichtlich der aufgestaute Frust in breiten Bevölkerungsschichten über ihre sich ständig verschlechternde soziale Lage Bahn. Die Beschäftigten von Bund und Kommunen sind nicht länger bereit hinzunehmen, dass die Gewinne der Unternehmen und die Einnahmen der öffentlichen Haushalte steigen, sie aber weiter mit faktischen Minusrunden abgespeist werden sollen. Die Verkündigung von Kanzlerin Merkel: der wirtschaftliche Aufschwung sei auch bei der großen Mehrheit der Bevölkerung angekommen, wird als Verhöhnung empfunden.

Die massive Beteiligung an den Warnstreiks der letzten Tage ist ein Beleg für die explosive Stimmung in den Betrieben, Verwaltungen, Ämtern, Kitas und Krankenhäusern.

Die Forderung von Verdi nach acht Prozent Lohnerhöhung, mindestens aber 200 Euro mehr im Monat, wird von den Streikenden als das blanke Minimum betrachtet. Das bisherige "Angebot" der Arbeitgeber von 5 Prozent über zwei Jahre, verbunden mit einer Arbeitszeitverlängerung wirkt als reine Provokation.

Die Ausweitung der Warnstreiks in den letzten Tagen soll den Arbeitgebern, die sich heute mit Verdi zur dritten Verhandlungsrunde treffen, die Kampfbereitschaft der Belegschaften demonstrieren und ihnen vor Augen führen, dass sie ein gefährliches Spiel spielen, wenn sie weiterhin auf stur schalten. Alleine heute beteiligten sich mehr an den Warnstreiks, als an den sechs Streiktagen im Februar zusammengenommen.

Am Dienstag wurden neben Verkehrsbetrieben und Stadtverwaltungen in verschiedenen Regionen vor allem mehrere große Flughäfen bestreikt. Allein am Frankfurter Flughafen beteiligten sich mehr als 2000 Beschäftigte an dem Ausstand. Mehr als hundert Flüge mussten gestrichen werden. Schon um vier Uhr legten die Bodendienste, wenig später die Sicherheitsdienste und Teile der Flughafenfeuerwehr die Arbeit nieder. Die Beteiligung an den Warnstreiks war überraschend hoch.

Trotz langer Schlangen und Wartezeiten reagierten die Fluggäste in aller Regel sehr geduldig und äußerten viel Verständnis für die Forderungen der Streikenden.

Getroffen werden sollte an diesem Tag vor allem der innerdeutsche und innereuropäische Flugverkehr. Die arrogante Haltung der Arbeitgeber wurde eines Besseren belehrt. Die Beschäftigten könnten ruhig streiken, es werde ohnehin niemand bemerken, hatten sie kürzlich in einer Verhandlungsrunde gesagt. "Am Frankfurter Flughafen kann davon nicht die Rede sein", merkt die Frankfurter Rundschau an.

Am Mittwoch gab es praktisch in ganz Süd- und Mittelhessen sowie auch in Kassel flächendeckend Streikaktionen. Darunter in Frankfurt, Wiesbaden, Darmstadt, Hanau, Gießen, Wetzlar und zahlreichen kleineren Gemeinden. 18.500 Beschäftigte nehmen an den Warnstreiks teil. In Frankfurt standen praktisch alle Straßen-, U-Bahnen und Busse still. Tausende versuchen sich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Auto zu ihrer Arbeitsstelle durchzuschlagen. Gleichzeitig lagen auch die Stadtverwaltungen zum größten Teil lahm. Alleine in Frankfurt waren 50 Kitas geschlossen und weitere teilbestreikt. Die Müllabfuhr ruhte, und auch an den Universitätskliniken und dem Klinikum Höchst gab es Einschränkungen.

Im Frankfurter Stadtzentrum, auf dem Römerberg, versammelten sich 6.000 Streikende zu einer zentralen Kundgebung. Delegationen aus zahlreichen Ämtern und kommunalen Einrichtungen erscheinen, um ihren Protest gegen niedrige Einkommen miserable Arbeitsbedingungen zum Ausdruck zu bringen. Ausdrücklich begrüßt wurden streikende Beschäftigte der Jobcenter und der Arbeitsagentur.

Die militante Stimmung der Kundgebungsteilnehmer gab ein Bild von dem wachsenden Unmut in Ämtern und Behörden. Offensichtlich sieht sich Verdi gezwungen dieser Stimmung Rechnung zu tragen, und diese umfangreichen Warnstreiks zu organisieren, um nicht die Kontrolle über die Bewegung zu verlieren.

Die Streikmaßnahmen treffen in der Bevölkerung auf große Unterstützung, selbst bei unmittelbar Betroffenen, wie Eltern, die ihre Kinder nicht in der Kita abgeben können. Diese Bedingungen könnten dazu führen, dass sich diese Tarifrunde ganz gegen den Willen von Verdi zu einer offenen Machtprobe mit der Regierung ausweitet. Ein Streik beim öffentlichen Dienst könnte mit einem erneut ausbrechenden Streik der Lokführer zusammenkommen und dadurch zusätzliche Brisanz gewinnen.

Warum viele Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst nicht länger bereit sind, still zu halten, zeigen einige Interviews, die wir mit Teilnehmern an der Kundgebung auf dem Römerberg machten:

Damir Krupic ist Krankenpfleger am Uniklinikum Frankfurt und Naoual Aloui arbeitet am Klinikum Höchst. Sie haben gerade erst vor einem Jahr ihre Ausbildung beendet

Naoual: Obwohl wir erst im April unsere Prüfung gemacht haben, bekommen wir doch die ganze Situation schon mit. Auch auf uns lastet schon ganz viel. Ständig gibt es Überstunden, die nicht bezahlt werden. Die Überstunden sollen zwar durch Freizeit ausgeglichen werden, aber wo soll denn die Freizeit herkommen?

Damir: "Mit dem Geld kommt man gar nicht auf die Reihe, das reicht vorne und hinten nicht, wenn man eine Wohnung bezahlen muss. Ich möchte mir zum Beispiel Möbel kaufen, das kommt überhaupt nicht hin. Für ein Schlafzimmer hat es gerade noch gereicht, aber das Wohnzimmer kann ich erst mal vergessen. Wenn ich mit meinen 1.100 Euro Netto meine Miete bezahlt habe, dann habe ich noch vierhundert Euro zum Leben. Da kann ich gerade noch einmal mit Freunden weggehen.

Naoual: Bei uns geht es ja gerade noch, aber wenn man Kinder hat und eine Familie ernähren muss, das geht überhaupt nicht. Dabei ist doch eigentlich genug Geld da, es ist nur falsch verteilt.

Damir: Man muss sich das mal vorstellen: jetzt bieten sie fünf Prozent in zwei Jahren an und wir sollen noch mehr arbeiten. Wir haben das mal ausgerechnet, da kommen wir sogar ins Minus, da arbeiten wir am Ende ein bis zwei Stunden die Woche umsonst. Dabei geht doch die Wirtschaft rauf und die Arbeitslosigkeit runter. Da wollen doch die Leute auch was davon haben.

Silvia, Heidi und Moni (von links) arbeiten im Altenpflegeheim Johanna Kirchner. Sie berichten über die extrem schwierige Personallage in der Altenpflege:

"Wir sind völlig unterbesetzt, die Altenpflege existiert personell am Existenzminimum. Wir finden kein Personal, weil so schlecht bezahlt wird. Alle sagen, davon kann man eigentlich gar nicht leben.

Es müssen ständig Überstunden gemacht werden. Es kommt sogar vor, dass Doppelschichten gemacht werden. Das ist zwar gar nicht erlaubt und passiert auch nur selten. Aber wenn dann plötzlich bei der Ablösung fast niemand da ist, dann kann man die ja nicht einfach sich selbst überlassen und auch nicht unsere Patienten.

Außerdem ist die Arbeit in der Altenpflege eine schwere Arbeit, die viel zu gering entlohnt wird. Und gleichzeitig wird alles teurer. Wie soll man da noch rumkommen? Wir haben seit sechs Jahren keine Lohnerhöhung mehr bekommen. Das ist völlig unakzeptabel. Und dann soll auch noch die Arbeitszeit auf 40 Stunden erhöht werden. Das ist schon dreist. Da machen wir nicht mehr mit."

Siehe auch:
Berliner Verkehrsarbeiter streiken gegen rot-roten Senat
(5. März 2008)
Lokführer benötigen die Unterstützung aller Arbeiter
( 9. November 2007)
Loading