Angriff auf Basra endet mit Demütigung der Regierung Maliki

Nachdem der nationalistische schiitische Kleriker Moktada al-Sadr eine vom Iran vermittelte Waffenruhe erklärt hatte, kehrte am Montag nach einer Woche erbitterter Kämpfe in der südirakischen Stadt Basra- zumindest vorübergehend -wieder relative Ruhe ein.

Im Großen und Ganzen blieb es auch in Bagdad ruhig, obwohl die Grüne Zone, ein schwer befestigter Stadtteil, in der sich die amerikanische Botschaft und Regierungsgebäude befinden, wiederholt unter Mörser- und Raketenbeschuss geriet.

In beiden Großstädten, wie auch im übrigen irakischen Süden begruben die Menschen ihre Toten, beseitigten den Schutt und versorgten sich in Erwartung erneuter Kampfhandlungen wieder mit Wasser und Nahrungsmitteln. Nach offiziellen Aussagen gab es seit Beginn der am Dienstag letzter Woche begonnenen misslungenen militärischen Offensive der Regierung von Nuri al Maliki, die von Amerika unterstützt wurde, annähernd 500 Tote. Die wahre Zahl der Todesopfer liegt wahrscheinlich beträchtlich höher. Es ist bekannt, dass es mindestens 1.200 Verletzte gab.

Das Ergebnis der Offensive - die vom amerikanischen Präsidenten George W. Bush vergangene Woche zu einem "entscheidenden Wendepunkt" erklärt wurde - und die Art und Weise, wie sie beendet wurde, ist eine demütigende Niederlage sowohl für Washington als auch für seine irakische Marionette Maliki. Diese Episode hat lediglich bestätigt, dass es den amerikanischen Truppen auch fünf Jahre nach der Irakinvasion nicht gelungen ist, auch nur einen Landesteil unter Kontrolle zu halten. Außerdem wurde die faktische Machtlosigkeit der Regierung Maliki deutlich, die von weiten Teilen der Bevölkerung verachtet und lediglich als verlängerter Arm der Besatzungsmacht angesehen wird.

Mit der Offensive, die am Dienstag vergangener Woche gestartet wurde, gelang es nicht, der al-Sadr ergebenen Miliz die Kontrolle über weite Gebiete von Basra abzujagen. Die 1,5 Millionen Einwohner Stadt ist der strategische Ölverladehafen des Irak. Der Öffentlichkeit wurde die Aktion als eigenständige Operation der irakischen Sicherheitskräfte verkauft, tatsächlich wurde die Unterstützung amerikanischer Kampfflugzeuge und Hubschrauber angefordert, die wiederholt Luftschläge gegen Basra, Bagdad und andere Orte führten. Auch amerikanische Sondereinheiten griffen in die Kämpfe ein. Zusätzlich wurden die Kampfeinheiten der irakischen Regierung von Artilleriefeuer außerhalb Basras stationierter britischer Besatzungstruppen unterstützt.

Das Scheitern der Offensive war hauptsächlich das Ergebnis der Weigerung großer Teile der von den Amerikanern ausgebildeten Sicherheitskräfte, gegen die Sadristen zu kämpfen. Am vergangenen Wochenende wurde von vielen Seiten über einen Vorfall berichtet, bei dem Angehörige der Polizei und eines Elitekommandos ihre Waffen der Mahdi-Armee in aller Öffentlichkeit aushändigten. Hinzu kam die Ankündigung des irakischen Innenministers, Tausende irakischer Polizisten zu entlassen, die sich geweigert hatten zu kämpfen.

Die Bagdader Tageszeitung Azzaman berichtete, dass mehrere irakische Armeeeinheiten während der Kämpfe in Bagdad zur Mahdi-Armee übergelaufen waren Sie machte die Prognose, dass viele, die gefeuert werden, sich der sadristischen Miliz anschließen werden.

Letztendlich war es al-Sadrs Aufforderung am Sonntag an seine Gefolgsleute, sich aus den Straßen zurückzuziehen, und zur "Wiederherstellung der Sicherheit" mit der Regierung zusammenzuarbeiten, die zu einer zeitweiligen Feuerpause führte. Weiter forderte Sadr von der Regierung, "ihre illegalen und willkürlichen Razzien und Verhaftungen" seiner Gefolgsleute einzustellen und die Gefangenen wieder freizulassen.

Führende Kämpfer von Sadrs Bewegung zeigten ganz deutlich, dass sie nicht beabsichtigen, auf das Ultimatum der Regierung Malikis einzugehen und ihre Waffen niederzulegen. Das erste Ultimatum war auf 72 Stunden befristet und wurde, als die Sicherheitskräfte der Regierung erfolglos blieben, auf zehn Tage verlängert.

Genauso wurde ignoriert, dass Maliki und seine Berater darauf beharrten, nicht mit den Sadristen zu verhandeln.

Es ist nicht klar, ob Maliki bei dem Zustandekommen des Abkommens über das Ende der Feinseligkeiten überhaupt eine Rolle gespielt hat. Viele gut unterrichtete Beobachter des Irak beschreiben ihn und seine Regierung als zunehmend bedeutungslos angesichts einer Situation, in der verschiedene Sekten und ihre Milizen sich die Kontrolle über das Land aufteilen.

Offenbar ergriffen zwei ranghohe Mitglieder der zwei schiitischen Parteien, die die Regierung dominieren, die Initiative: von der Dawa Partei Malikis selbst und vom Obersten Islamischen Rat des Irak (ISCI) mit seiner Badr-Miliz.

Die McClatchy Newspapers berichteten am Sonntag, dass es auf Vermittlung von Mitgliedern der iranischen Regierung zu dem Abkommen kam. Zuvor waren am Freitag Mitglieder des irakischen Parlaments in den Iran gereist und hatten sich an Brigadegeneral Kassem Suleimani gewandt, den Kommandeur der Quds (Jerusalem) Brigaden des Corps der Iranischen Revolutionsgarden. Die Regierung Bush hat die Quds-Brigaden als terroristische Organisation gebrandmarkt und wiederholt den Verdacht geäußert, dass sie hinter Angriffen auf die amerikanischen Besatzungstruppen im Irak stehen.

"Wir baten iranische Beamte, uns zu helfen, ihn zu überzeugen, dass wir nicht die Absicht hätten Sadrs Gruppe zu zerschlagen", so ein irakischer Beamter zu den Reportern von McClatchy.

Derselbe Beamte äußerte sich jedoch skeptisch über den Bestand des Waffenstillstandes und warnte vor den Folgen eines fortdauernden Konflikts zwischen den Milizionären der Mahdi-Armee und den Sicherheitskräften Diese Angriffe müssten Sadr den Eindruck vermitteln, dass die Regierung weiter auf die Zerstörung seiner Bewegung setze.

"Es würde mich nicht überraschen, wenn die ganze Sache in sich zusammenbricht", sagte der Beamte.

In dem Artikel hieß es: "Ob die Gespräche in Khom den Kämpfen ein Ende setzen können oder nicht, sie haben mit Sicherheit Malikis Stellung untergraben - er hat mehrmals erklärt, dass es keine Verhandlungen geben werde, und dass diejenigen, die ihre Waffen nicht gegen Geld ablieferten, wie Banditen behandelt würden. Der Verlust seiner Glaubwürdigkeit ist umso schwerwiegender, als auch Mitglieder seiner eigenen Partei die Iraninitiative mitorganisiert haben."

Ähnlich kommentierte die New York Times in ihrem Bericht am Montag: "Viele irakische Politiker sagen, dass Malikis politisches Kapital nach der Basra-Kampagne so ziemlich gegen Null tendiert, und er sich in der seltsamen Position befindet, die Mithilfe seines langjährigen Rivalen Moktada Sadr zu benötigen, um einen Ausweg zu finden."

Die Times zitierte Kassim Daoud, den früheren Sicherheitsberater Malikis, mit den Worten: "Das Durcheinander, das dieser vorgeblich entscheidende Angriff produzierte, hat ernste Folgen für den Ministerpräsidenten."

Daoud erklärte: "Die Regierung befindet sich jetzt in einer schwachen Position. Sie kündigte die Entwaffnung der Milizen an und konnte diesen Anspruch nicht einlösen." Auf die Frage der Zeitung, ob das Debakel in Basra das Ende der Regierung Malikis bedeute, antwortete er: "Alles ist möglich."

Während die Regierung Malikis behauptet hatte, die Belagerung Basras und die Angriffe auf die Kräfte Sadrs in Sadr City in Bagdad hätten das Ziel, "kriminelle Banden" auszuschalten und dem Gesetz wieder Geltung zu verschaffen, war der Angriff offensichtlich ein politisch motivierter Versuch, die Bewegung Sadrs zu unterdrücken.

In Basra wurden nur die Hochburgen der Mahdi-Armee - insbesondere die Stadtteile Hayaniya und Qibla - angegriffen. Dagegen wurden die Gebiete in Ruhe gelassen, die von den Badr Milizen und der kleineren Partei Fadila kontrolliert werden, die die Stadtverwaltung stellt.

Die Operation sollte im Vorfeld der für Oktober vorgesehenen Provinzwahlen die Machtposition der Mahdi-Armee zerstören. Sadr und seine Gefolgsleute, die 2005 die Wahlen boykottierten, werden dieses Jahr daran teilnehmen. Im Süden des Irak gibt es eine enorme Wut über die korrupten, repressiven und inkompetenten Behörden, die von den dominierenden Parteien in Malikis Koalition gestellt werden. Es wird im ganzen Süden des Irak mit bedeutsamen Siegen al-Sadrs und seiner Gefolgsleute gerechnet.

Der Zeitpunkt der Offensive - wie auch Malikis Unterwürfigkeit gegenüber Washington - lässt keinerlei Zweifel zu, dass amerikanische Forderungen dahinter standen. Knapp eine Woche vor der Entsendung von 30.000 Armee- und Polizeikräften zur Belagerung Basras machte der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney einen Überraschungsbesuch in Bagdad. Er führte mit Maliki und weiteren irakischen Beamten Gespräche über die Regionalwahlen im Oktober und legte Vorschläge für Gesetze vor, die die reichen irakischen Ölvorräte der Ausbeutung durch amerikanische Energiekonzerne öffnen sollen.

Von Anfang an war die Kontrolle über Basra ein wichtiger Baustein für die Erreichung des Ziels des amerikanischen Aggressionskriegs gegen den Irak: die Absicherung kolonialer Herrschaft über den Irak und seinen Ölreichtum mit dem Ziel strategischer Vorteile gegenüber Washingtons wichtigsten ökonomischen Rivalen in Europa und Asien.

Die irakische Southern Oil Company hat ihren Hauptsitz in der Hafenstadt. Mit ihren Pipelines, Förderstationen, Raffinerien und Verladestationen ist die Stadt die wichtigste Arterie für den Abtransport des irakischen Ölreichtums.

Der ISCI und seine Badr Miliz, die mit den Sadristen um die Kontrolle über Basra gekämpft haben, haben sich für die Unterstützung der Gesetze zur Freigabe irakischen Öls für ausländische Ausbeutung ausgesprochen. Die Sadristen haben sich dagegen ablehnend geäußert.

Die enormen Interessen, die sowohl für den US-Imperialismus als auch für die konkurrierenden politischen Eliten im Irak auf dem Spiel stehen, lassen kaum Zweifel aufkommen, dass die enorme Gewalt der letzten Woche wieder ausbrechen wird.

"Die Angelegenheit ist noch nicht vorbei, es ist nur eine Atempause", erläuterte der aus Bagdad stammende politische Analytiker Hazem al-Nuaimi der Nachrichtenagentur Reuters. "Die Provinzwahlen werden den Kampf wieder anfachen."

Auch innerhalb der Sadr-Bewegung haben sich viele skeptisch zum Waffenstillstandsabkommen geäußert oder den Befehl des religiösen Führers zum Rückzug sogar ausdrücklich abgelehnt.

Während Sadr als religiöser bürgerlicher Politiker zwischen Washington, Teheran und den verschiedenen politischen Fraktionen im Irak manövriert, haben seine Anhänger, die überwiegend der schiitischen Arbeiterklasse des Irak angehören, den Punkt erreicht, wo sie die Lage unter der amerikanische Besatzung nicht mehr länger ertragen können.

"Ich freue mich darüber, dass unser Mullah den Rückzug der Miliz beschlossen hat, bin aber nicht sicher, ob das auch funktionieren wird", meinte Ala’a Salah, ein Bewohner Basras, zu Al Jazeera. "Wenn man eine Feuerpause macht, ohne sich um die Hauptprobleme unserer Gesellschaft zu kümmern, bleibt die Wunde für eine erneute Infektion offen. Ich bin sicher, dass es zu noch schlimmeren Zusammenstößen kommen wird."

Abu Ali, ein Kämpfer der Mahdi-Armee, sagte zu Al Jazeera, er glaube nicht, dass alle Angehörigen der Miliz den Kampf einstellen würden.

"Einige fühlen sich ausgenutzt, weil man ihnen gesagt hat, sie würden um Anerkennung kämpfen, und weil sie jetzt aufhören sollen, ohne dass sie irgendwelche Zugeständnisse bekommen haben", sagte er. "Wenn wir aufhören (zu kämpfen) werden wir als Verlierer und schwache Gruppierung angesehen und die Wahrscheinlichkeit politischer Anerkennung wird geringer."

Das Scheitern der Offensive der irakischen Marionettentruppen und des amerikanischen Militärs hat gezeigt, wie unzutreffend die Behauptung der Regierung Bush ist, die so genannte Aufstockung der amerikanischen Truppen im Irak auf 160.000 Mann den Widerstand erstickt, beziehungsweise die amerikanischen Interessen in dem Land abgesichert habe.

Der relative Rückgang der Gewalt in den letzten Monaten wurde wesentlich durch den Waffenstillstand Sadrs vom August letzten Jahres ausgelöst, der aber unter dem Druck der Angriffe der Regierung zusammengebrochen ist.

Ganz klar zum Ausdruck kam der leidenschaftliche Hass der irakischen Arbeitermassen und der am meisten unterdrückten Schichten gegen die amerikanische Besatzung.

Sudarsan Raghavan, Korrespondent der Washington Post, verbrachte während der Kämpfe 19 Stunden in einem Wohnblock in Sadr-City. Er schickte einen Bericht, der einen Eindruck von der kämpferischen Stimmung in breiten Teilen der irakischen Bevölkerung gibt.

"Nach fast einem Jahr verhältnismäßiger Ruhe," so schreibt er, "waren amerikanische Truppen und schiitische Milizionäre in zähe Kämpfe verwickelt, was deutlich macht, wie schnell im Irak geordnete Zustände in Chaos umschlagen können. In diesem Block in Sadr-City, der weiträumigen Hochburg des Klerikers, kamen fast aus jedem Haus mit IEDs und Raketen bewaffnete kampfbereite Männer und Jungen."

Einer der Kämpfer sagte ihm: "Die Menschen sind jetzt an dem Punkt angelangt, wo sie ihren Kühlschrank verkaufen, damit sie einen Raketenwerfer kaufen können, um die Amerikaner zu beschießen und zu töten."

Gleich welche Beschlüsse in den nächsten Wochen über die Truppenstärke der Amerikaner im Irak auch gefasst werden, die Verhältnisse, die in den vergangenen Monaten der Truppenaufstockung geherrscht haben - weniger amerikanische und irakische Opfer -, gehen auf jeden Fall zu Ende.

Die Ereignisse der letzten Woche in Basra und Sadr-City haben unmissverständlich gezeigt, dass die räuberischen Ziele der amerikanischen Invasion im Irak ohne erneute gewaltsame Konfrontationen und noch viel größeres Blutvergießen als in den vergangenen fünf Jahren - unter Irakern und Amerikanern - nicht erreicht werden können.

Siehe auch:
Zusammenstöße und Spannungen im Südirak
(27. März 2008)
Demokratische Präsidentschaftskandidaten: US-Truppen könnten bis 2013 im Irak bleiben
( 2. Oktober 2007)
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