Die Kuomintang kehrt in Taiwan an die Macht zurück

Mit dem überwältigenden Wahlsieg von Ma Ying-jeou, des Kandidaten der Kuomintang (KMT), bei der Präsidentschaftswahl am 22. März kehrt in Taiwan eine Partei an die Macht zurück, die die Insel über Jahrzehnte hinweg diktatorisch regiert hat. Nach acht Jahren ist die Demokratisch Progressive Partei (DPP), die als demokratische Opposition zur KMT aufgebaut wurde, unsanft aus ihren Ämtern geworfen worden. Die offizielle Amtseinführung Mas als Präsident der Republik China, so die offizielle Bezeichnung Taiwans, wird am 20. Mai stattfinden.

Ma gewann die Wahl mit mehr als 7,6 Millionen Stimmen. Das sind fast 17 Prozent oder 2,2 Millionen Stimmen mehr als sein Konkurrent von der DPP, Frank Hsieh, erreichte. Die Stimmenmehrheit war viel größer als bei der Präsidentschaftswahl 2004, als der damalige Gewinner, Präsident Tschen Shui-bian, den zweiten Wahlgang nur ganz knapp mit 0,2 Prozent beziehungsweise 20.000 Stimmen Vorsprung vor dem KMT-Kandidaten gewann. Hsieh ist nach der Niederlage als DPP-Vorsitzender zurückgetreten. Zwei umstrittene Referenden über Taiwans Mitgliedschaft in den UN, die gleichzeitig stattfanden, haben die notwendige Beteiligung von 50 Prozent verfehlt.

Das zentrale Wahlkampfthema war Taiwans Beziehung zu China. Die Insel wird von der UNO und der überwältigenden Mehrheit der Staaten nicht als eigenständiger Staat anerkannt, da sie sich offiziell an der "Ein-China" Politik orientieren und Pekings Ansprüche auf Taiwan anerkennen. Die DPP propagiert einen taiwanesischen Separatismus und hat ihre Wahlkampagne auf die Frage der Unabhängigkeit ausgerichtet. Die KMT trat dagegen für engere wirtschaftliche und politische Verbindungen zum chinesischen Festland ein.

Das Programm des Wahlsiegers Ma, das die Schaffung eines "gemeinsamen Marktes" vorsieht, wurde von einflussreichen Wirtschaftskreisen begrüßt. Die Börse in Taipeh feierte den Sieg Mas am Montag mit einer Kurssteigerung von vier Prozent. Der neue Taiwan-Dollar erreichte gegenüber dem US-Dollar seinen höchsten Wert seit zehn Jahren. Die Finanzmärkte erhielten durch die Aussicht auf gewinnbringende neue Investitionen in China und den Zufluss chinesischen Geldes in die stagnierenden taiwanesischen Immobilienmärkte Auftrieb. Erleichterte Reisebedingungen werden eine wahre Flut chinesischer Touristen nach Taiwan bringen.

Die einfachen Wählern sahen die Dinge aus einem anderen Blickwinkel. Der erdrutschartige Umschwung zu Ungunsten der DPP zeigt, wie tief in der arbeitenden Bevölkerung die Feindschaft gegenüber der Partei sitzt, die viele einst als wahre Alternative zu der korrupten und repressiven Herrschaft der KMT angesehen hatten. Tschen hatte mit Maßnahmen zur wirtschaftlichen Umstrukturierung die soziale Ungleichheit verschärft, Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen verursacht und soziale Leistungen abgebaut.

Als die Ablehnung der DPP zunahm, versuchte Tschen den taiwanesischen Nationalismus anzufachen, indem er drohte, formell die Unabhängigkeit von China auszurufen, und sich bemühte, Taiwanesen gegen "Festlandchinesen" aufzuwiegeln. Die Appelle an nationalistische Gefühle erzielten aber bei vielen aus Taiwan stammenden Wählern die gegenteilige Wirkung. Sie hatten von der Spalterpolitik der DPP und der Gefahr eines Krieges mit China genug. Bemerkenswert ist auch, dass mit Ma der erste Präsident gewählt wurde, der außerhalb Taiwans geboren wurde.

Die Höhe ihres Sieges überraschte sogar die KTM, die einen Vorsprung von ungefähr einer Million Stimmen erwartet hatte. Die KTM hatte befürchtet, dass Chinas derzeitige gewaltsame Niederschlagung tibetischer Proteste die Zustimmung der Wähler zu engeren Beziehungen mit China schwächen würde. Mas Sieg wurde von China, das die Wahlen in Taiwan besorgt verfolgt hatte, vorsichtig begrüßt.

China betrachtet die Insel als abtrünnige Provinz, die sich nach der Revolution von 1949 vom Festland losgesagt hatte, nachdem die KMT die Macht auf dem Festland an die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) hatte abgeben müssen. Peking droht damit, sich Taiwan gewaltsam wieder anzugliedern, falls die Inselregierung offiziell die Unabhängigkeit von China erklärt. In den vergangenen acht Jahren hatte es Peking mit einer DPP-Regierung zu tun, die immer wieder Spannungen schürte, indem sie mit der Unabhängigkeitsfrage liebäugelte.

Dagegen forderte Ma einen Friedensvertrag mit China, um die Jahrzehnte langen militärischen Feindseeligkeiten zu beenden und einen Wirtschaftsvertrag über die Einrichtung direkter Verkehrsverbindungen und über Investitionen und Handel zwischen den beiden Seiten zu schließen. Obwohl die KTM Gespräche über die Wiedervereinigung auf vorhersehbare Zeit ausgeschlossen hat, war sie immer gegen jede Art von Unabhängigkeitserklärung.

Die KPCh und die KMT waren während und nach der chinesischen Revolution erbitterte Feinde. Selbst nach ihrer Flucht nach Taiwan betrachtete sich die KMT als legitime Regierung von Gesamtchina und sah sich weiterhin im Kriegszustand mit den von der "Republik China" abtrünnigen "kommunistischen Banditen". In Taiwan herrschte sie mit "weißem Terror" und unterdrückte jede politische Opposition erbarmungslos.

Der KTM-Vorsitzende Tschiang Kai-schek war ein nützliches Pfand in den Händen Washingtons, das ihn aber 1971 im Zuge seiner Wiederannäherung an China fallen ließ. Damit verlor Taiwan seine Anerkennung auf internationaler Ebene und seinen Sitz im Sicherheitsrat der UNO, konnte sich jedoch weiterhin auf die amerikanische Garantie zur Verteidigung der Insel gegen jeden chinesischen Angriff stützen.

Der Vorstoß für die Unabhängigkeit der Insel hängt mit der Entwicklung Taiwans - einer der asiatischen "Tigerstaaten" - in den achtziger und neunziger Jahren zu einem Niedriglohnland zusammen. Teile der taiwanesischen Wirtschaft unterstützten aus Enttäuschung über die fehlende internationale Anerkennung die staatlichen Unabhängigkeitsbestrebungen.

Die neu gestylte KTM

Ma gehört zur jüngeren Generation der KTM, die kaum Verbindungen zur Herrschaft der Partei im China vor 1949 hat. Er wurde 1950 in Hongkong geboren, zog nach Taiwan und studierte dann in den USA Jura. Seine Eltern waren mittlere Funktionäre in der KTM und Ma wurde 1981 Übersetzer für Englisch beim taiwanesischen Präsidenten Tschian Tsching-kuo, des Sohnes Tschiang Kai-scheks.

Wachsende Unzufriedenheit mit den sozialen Verhältnissen zwang Tschiang Tsching-kuo, 1987, das Kriegsrecht aufzuheben und einen begrenzten "Demokratisierungs"-Prozess einzuleiten. Die DPP, die in den achtziger Jahren aus der Demokratiebewegung und den breiten Kämpfen gegen die Diktatur der KTM hervorgegangen war, wurde legalisiert. Ihre Förderung einer taiwanesischen "Identität" einwickelte sich zu einem nützlichen Instrument zur Spaltung der schnell wachsenden Arbeiterklasse in "Festlands"- und "einheimische" Chinesen.

Im Alter von 38 Jahren trat Ma als jüngster Minister, den es je gab, in das KTM-Kabinett ein. Er bekleidete die verschiedensten Positionen und war auch Mitglied des Rates für Angelegenheiten des Festlandes, der die Beziehungen zu China organisiert. Als die Initiativen für die Unabhängigkeit Taiwans auf höchsten Touren liefen, verabschiedete die DPP 1991 ein Programm zur Bildung einer "Republik Taiwan". In der KTM unternahm Präsident Lee Teng-hui einen Vorstoß in ähnlicher Richtung.

Der aus Hongkong stammende Ma war nie ein Verfechter der taiwanesischen Unabhängigkeit. Von Lee 1993 zum Justizminister ernannt, gewann er Ansehen als Kämpfer gegen das "schwarze Gold" - die berüchtigte KTM-Korruption in Form von umfangreichen Stimmenkäufen, Geschäften mit Gangstern und dem Absahnen staatlicher Mittel. Ma wurde in eine Reihe von Skandalen verwickelt, als seine politischen Feinde zurückschlugen. Im Jahr 1997 trat er zurück und nahm eine Tätigkeit als Juradozent an einer Universität auf.

In dieser Zeit gab es über die Beziehungen zu China innerhalb der KTM erbitterte Meinungsverschiedenheiten. Dem Unabhängigkeitskurs Lees stellte sich ein Teil der alten Garde der KTM entgegen, der schließlich mit der Partei brach und die Neue Chinesische Partei bildete. Es kam auch zu ähnlichen Spaltungen innerhalb der DPP. Der Hauptgrund für diese politischen Umbrüche war der Aufstieg Chinas zum global größten industriellen Billiglohngebiet, das riesige Mengen Kapital, auch aus Taiwan, anzog in den neunziger Jahren.

Ma kehrte 1998 mit einem Sieg über Tschen Schui-bian bei den Bürgermeisterwahlen in Taipeh in die Politik zurück. Zwei Jahre später eroberte Tschen den Präsidentenposten und vertrieb damit zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert die KTM aus der Regierung. Ein wichtiger Faktor bei der Niederlage der KTM war die Kandidatur von James Soong für die Erste Volkspartei, die sich von der KTM abgespalten hatte und für engere Verbindungen zu Peking eintrat. Er zog viele Stimmen von der KTM ab.

Nach dieser Niederlage schloss die KTM Lee und seine Fraktion aus und leitete eine versöhnlichere Politik gegenüber China ein. 2005 besuchte Lien Tschan als erster KTM-Vorsitzender seit 1949 China und trat für ein Bündnis mit der KPCh gegen die DPP und andere separatistische Gruppen ein. Gegen Ende des Jahres 2005 übernahm Ma Liens Position als KTM-Vorsitzender.

Mas Wahl war Bestandteil der Anstrengungen der KTM, sich ein neues Image zu verschaffen und sich von ihrer korrupten autoritären Vergangenheit zu distanzieren. Die Propaganda der KTM präsentierte Ma als jungen, gut aussehenden Familienvater mit weißer Weste, der sich von den traditionellen KTM-Mitgliedern abhob.

Ein wichtiges Moment für Mas Sieg war das Versprechen eines höheren Lebensstandards durch Einrichtung eines Gemeinsamen Marktes mit China. Die engeren Beziehungen werden zwar Teilen der Wirtschaft zugute kommen, Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit werden jedoch weiter anwachsen. Ma versprach zwar zu verhindern, dass chinesische Arbeiter ins Land strömen, viele taiwanesische Firmen haben aber schon Arbeitsplätze auf das Festland verlegt. Genauso wenig wie Tschen hat er aber Einfluss auf die international steigende Inflationsrate oder auf die Auswirkungen des fallenden US-Dollars auf die Exporte und auf die wirtschaftliche Rezession.

Der Versuch der DPP, die ethnische Karte zu spielen, ist gescheitert. Während der Wahlkampagne hatte DPP-Kandidat Hsieh Ma als Teil der "Festlandselite" gebrandmarkt, und Taiwanesen, die mit Festlandchinesen verheiratet sind, als "Schweine" bezeichnet. Diese Appelle an Rückständigkeit sollten die Angst schüren, dass ein Sieg der KMT eine Rückkehr zur Politik der Diskriminierung lokaler Dialekte und der einheimischen Bevölkerung bedeuten würde.

Die Unterscheidung von "Einheimischen" und "Festlandbewohnern" ist sehr gekünstelt. Mehr als 98 Prozent der taiwanesischen Bevölkerung sind Han-Chinesen, einschließlich der 13 Prozent, die nach 1949 nach Taiwan kamen. Während der Kommunalismus der DPP in bäuerlichen Gegenden im Süden Taiwans einige Unterstützung findet, haben die städtischen Bewohner Taiwans - einheimische wie vom Festland kommende - jahrzehntelang zusammen gelebt und gearbeitet. Die scheidende Vizepräsidentin der DPP, Annette Lu, gab zu, dass die Hälfte der 7,6 Millionen Stimmen für Ma von "einheimischen" Taiwanesen stammt.

Die Politik der DPP war eine verwässerte Version von Tschens Unabhängigkeitsbestrebungen. Diese werden zunehmend als "Vogelkäfig-Politik" kritisiert, die die wirtschaftliche Integration Taiwans und Chinas, des wirtschaftlichen Motors Asiens, verhinderten. Wichtige taiwanesische Firmen haben trotz der Begrenzung des Kapitalanteils bei Investitionen auf 40 Prozent riesige Kooperationsprojekte mit China auf den Weg gebracht. Ein Viertel der taiwanesischen Exporte gehen nach China, jedoch über dritte Partner, wie Hongkong, da der direkte Handel immer noch verboten ist. Insbesondere lehnte Ma Tschens Weigerung ab, Freihandelsabkommen mit den USA, Japan und Singapur zu schließen, weil die Welthandelsorganisation (WTO) Taiwan auf eine zweitrangigen Status als "Sonderzollgebiet" verwiesen hatte. Alle diese Hindernisse haben dazu beigetragen, dass Taiwan in den letzten acht Jahren hinter die übrigen "asiatischen Tigerstaaten" zurückgefallen ist.

Die DPP hat sich immer um Washingtons Unterstützung für die Unabhängigkeit Taiwans bemüht. Die Bush-Regierung ist jedoch stark mit dem Aufstieg Chinas als potentiellem Konkurrenten Amerikas und mit der Absicherung ihrer Besatzung Afghanistans und Iraks beschäftigt. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sie willens wäre, wegen Taiwan die Spannungen mit China zu verschärfen. Tatsächlich hat Washington Tschen mehrmals davor gewarnt, die Region durch seinen Ruf nach Unabhängigkeit zu destabilisieren.

Bush gratulierte Ma umgehend zu seinem Sieg, der nach seinen Worten eine "neue Chance" für China und Taiwan biete, "ihre Differenzen" zu bereinigen. Ma erklärte seinerseits, er wolle noch vor seiner Amtseinführung am 20. Mai die USA und Japan besuchen, um den wichtigsten Verbündeten Taiwans zu zeigen, dass er keine Marionette Chinas ist, sowie um seine Position für Verhandlungen mit China zu stärken.

Siehe auch:
Hu weist Vorwurf kolonialer Bestrebungen Chinas in Afrika zurück
(28. Februar 2007)
China und die Aussichten des internationalen Sozialismus
( 11. April 2006)
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