Verdi verhindert Poststreik

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat einen Streik bei der Post in letzter Minute verhindert. Sie einigte sich mit der Deutschen Post World Net am vergangenen Mittwoch, dem 30. April auf einen neuen Tarifvertrag. Einen Tag zuvor hatten sich 93 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder bei der Post in der Urabstimmung für einen unbefristeten Streik ausgesprochen. Er sollte am Freitag beginnen.

In den letzten Wochen waren die Beschäftigten der Post bereits bei den Warnstreiks und auch für den vermeintlich bevorstehenden unbefristeten Streik auf große Zustimmung innerhalb der Bevölkerung gestoßen. Längst verbindet sich mit jedem Arbeitskampf die tiefer gehende Forderung nach einem Ende der unsozialen Umverteilung des Reichtums zu Lasten der Bevölkerung.

Wie bei der Bahn, im Öffentlichen Dienst, den Berliner Verkehrsbetrieben und dem Einzelhandel hat sich auch bei den Postmitarbeitern der Unmut zu einer explosiven Stimmung aufgeheizt. Verdi sieht ihre Hauptaufgabe darin, diesen Unmut aufzufangen und unter Kontrolle zu halten. Der Ausverkauf des Arbeitskampfs bei der Deutschen Post - bevor er noch begonnen hatte - reiht sich in die Liste der diesjährigen Arbeitskämpfe ein, die Verdi allesamt isoliert geführt und letztlich abgewürgt hat.

Der Abschluss

Der Abschluss bedeutet im Detail, dass exakt das Gegenteil dessen eintritt, was Verdi behauptet und als Erfolg darstellt. Der Lohn der 130.000 Tarifbeschäftigten wird über eine Laufzeit von 26 Monaten im November dieses Jahres um vier Prozent, im Dezember 2009 noch einmal um drei Prozent angehoben. Außerdem erhalten die Mitarbeiter der Post in diesem Jahr zwei Einmalzahlungen von 100 Euro.

Der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen wurde bis 2011 verlängert. Die Arbeitszeit wird durch Kürzungen der Pausenregelungen um 40 bis 50 Minuten pro Woche angehoben.

Ursprünglich war Verdi mit der Forderung nach einer Lohnerhöhung von sieben Prozent bei zwölfmonatiger Laufzeit des neuen Vertrages in die Tarifauseinandersetzung gegangen. Eine Arbeitszeitverlängerung war von der Gewerkschaft ausdrücklich ausgeschlossen worden. Im Gegenteil, die Post sollte seinen Beschäftigten sogar zehn zusätzliche Arbeitszeitverkürzungstage gewähren. Nun erhalten die Post-Beschäftigten nicht einmal die Hälfte der geforderten Lohnerhöhung und die Arbeitszeit wird über den Umweg der nichtbezahlten Pausen doch erhöht.

Die Forderung nach einer Beibehaltung der Arbeitszeiten war sogar eine Vorbedingung zur Wiederaufnahme der Verhandlungen. Nominell bleibt die 38,5-Stunden-Woche für die Arbeiter der Post unangetastet. Jedoch werden die stündlichen bezahlten Pausen von etwas über drei Minuten auf circa zwei Minuten gekürzt. Dies führt nach Gewerkschaftsangaben zu einer Arbeitszeitverlängerung von 40 Minuten, der Konzern geht sogar von 50 Minuten Mehrarbeit pro Woche aus.

Die Arbeitszeiterhöhung zusammen mit den derzeitigen Preissteigerungen von mindestens 3 Prozent bedeutet eine reale Lohnsenkung.

Die so genannte Beschäftigungssicherung bis 2011 ist reine Augenwischerei. Da seit nunmehr sieben Jahren kein neuer Beschäftigter unbefristet eingestellt wurde, kann der Personalabbau über diesen Weg, mit der Nichtverlängerung der Verträge, weitergeführt werden.

Die Verdi - Verhandlungsführerin, Andrea Kocsis, beurteilte den Abschluss als großen Erfolg. Die Gewerkschaft habe ihre Ziele "voll umfänglich erreicht". Diese Aussage ist nur dann richtig, wenn man davon ausgeht, dass das vorrangige Ziel der Gewerkschaft nicht die Durchsetzung der Forderungen im Interesse der Beschäftigten sondern die Verhinderung eines Streiks war.

Zunehmend schlechtere Arbeitsbedingungen

Während viele der Beschäftigten nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen sollen, gönnt sich der Vorstand des Unternehmens unvorstellbare Gehälter. Allein im Geschäftsjahr 2007 bezogen die zehn Vorstandsmitglieder knapp 15,7 Millionen Euro. Dazu kamen Aktienoptionen im Wert von knapp 6,4 Millionen Euro. Trotz (oder gerade wegen) eines Gehalts von über 4,3 Millionen Euro im Jahr 2007 hatte der ehemalige Vorstandsvorsitzende Klaus Zumwinkel im letzten Jahr insgesamt 12 Millionen Euro am Finanzamt vorbei ins Steuerparadies Lichtenstein zu schleusen versucht. Aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndung trat der Besitzer eines Schlosses in der Schweiz vom Vorstandsposten der Post zurück. Der Haftbefehl gegen Zumwinkel ist durch die Zahlung einer "hohen Geldsumme" ausgesetzt worden.

"Verdient" hat sich Zumwinkel seinen Reichtum mit einem fast beispiellosen Kahlschlag bei der ehemals staatlichen Deutschen Post. Als Zumwinkel 1990 die Führung des Staatsunternehmens übernahm, hatte die Post 380.000 Vollzeitbeschäftigte bei einem Umsatz von 19 Milliarden DM und einem jährlichen Verlust von 1,4 Milliarden Mark. 1995 wurde das Unternehmen privatisiert und Zumwinkel der erste Vorstandsvorsitzende des Konzerns.

Seitdem hat das Unternehmen mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze abgebaut, nämlich 200.000. Nur noch 130.000 Tarifbeschäftigte und 53.000 Beamte arbeiten noch bei der Post. 25.000 Jobs wurden in Subunternehmen ausgelagert. Die dort für Filialdienste, Briefkastenleerung und Transport zuständigen Arbeiter gehören zum Niedriglohnsektor. Daneben wurden 30.000 bis 40.000 Arbeitsplätze in Teilzeitjobs umgewandelt und die Post zu einem der Unternehmen mit den meisten Teilzeitarbeitsplätzen in Deutschland.

Seit 2001 stellt der Konzern keine Arbeitskräfte mehr ohne Befristung und mit einem Vollzeitvertrag ein. Im selben Jahr senkte das Unternehmen die Einstiegslöhne. Der Stundenlohn für einen neu eingestellten Arbeitnehmer sank um über einen Euro, Sonderleistungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld, sowie tarifliche Zuschläge für Kinder und der Ortszuschlag wurden gestrichen. An ihre Stelle trat ein Prämiensystem, das parallel zur steigenden Arbeitsbelastung eingeführt wurde. Kritik, Krankheit und Überstunden führen zu Kürzungen oder Streichung der Jahresprämie, was letztlich zur Folge hat, dass das Prämiensystem die Lohnkürzungen in keiner Weise ausgleicht.

Ein langjähriger Mitarbeiter, der vor 2001 in den Konzern kam, kann dadurch das Doppelte seines seit 2001 beschäftigten Kollegen verdienen. Die Masse der Teilzeitbeschäftigten erhalten - je nach Wochenarbeitszeit - nur zwischen 600 und 900 Euro netto pro Monat, woran auch der Ende letzten Jahres vereinbarte Mindestlohn nichts ändert. Durch den Mindestlohn wurden diese Lohnuntergrenzen nur festgeschrieben, nicht aber angehoben.

Durch den massiven Stellenabbau während des vergangenen Jahrzehnts wurde die Belastung des Einzelnen kontinuierlich erhöht. Die den einzelnen Tätigkeitsgebieten zugrunde gelegten Bemessungen des Arbeitsvolumens sind theoretische Konstrukte, die die Arbeitswirklichkeit nicht wiedergeben - und nicht wiedergeben sollen. Anstelle der konkreten Einzelbemessung, wobei beispielsweise jeder Zustellbezirk von einem Bemesser abgelaufen und tatsächlich vermessen wurde, traten Durchschnittsgrößen.

Für ein Paket, das in so genannten Verbundbezirken auch von Briefträgern zugestellt wird, gilt der theoretische Mittelwert von 45 Sekunden pro Stück: Für die digitale Erfassung des Pakets am Morgen, die Beladung und die Zustellung! Ein Brief benötigt in diesen Berechnungen nur Bruchteile von Sekunden, um von der Hand des Zustellers den Briefkasten zu erreichen. Werbeprospekte ohne Anschrift werden unter den gleichen Durchschnittswerten erfasst, obwohl nur eine dieser Wurfsendungen die tatsächliche tägliche Arbeitszeit um rund 45 Minuten verlängert - oder sie werden wie im Fall der so genannten "Postwurf - Spezial" gar nicht auf die Arbeitszeit angerechnet und dafür mit wenigen Zehntelcent pro Stück bezahlt.

Die nun vereinbarte Verlängerung der Arbeitszeit bedeutet vor allem für die Zusteller der Post eine weiter steigende Arbeitsbelastung. Die Kürzung der Pausenzeiten wird schnell zu 50 bis 100 zusätzlichen Haushalten führen, die aufgrund der Durchschnittszeitbemessung jedem Zustellbezirk zugerechnet werden. In Wochen mit hohem Postaufkommen kann dies leicht zu einer realen Mehrarbeit von einer Stunde pro Woche oder mehr führen.

Seit der Privatisierung der Post muss somit ein ständig wachsendes Arbeitspensum von immer weniger und immer schlechter bezahlten Arbeitskräften bewältigt werden. Der Konzern allerdings wandelte sich von der defizitären "Schneckenpost" zum gewinnträchtigen Global Player der Logistikbranche. Bei einem Rekordumsatz von 66 Milliarden Euro gab die Post für das Jahr 2007 einen Gewinn von 1,8 Milliarden Euro an. Ein Großteil davon wurde an die Aktionäre ausgeschüttet. Die Dividende wurde von 0,75 Euro auf 0,90 Euro je Aktie erhöht. Die Aktionäre dürfen auch für das laufende Geschäftsjahr mit einer deutlich höheren Beteiligung am Konzernergebnis rechnen als die Belegschaft, die diese Gewinne erarbeitet. Der Nachfolger Zumwinkels im Vorstandsvorsitz Frank Appel stellte den Aktionären eine 20-prozentige Dividendensteigerung in Aussicht.

Die Rolle von Verdi

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat die Konzernspitze bei der Umwandlung des ehemaligen Staatsunternehmens zum Global Player treu begleitet, jeden Rationalisierungsschritt unterzeichnet und gegen die Belegschaft durchgesetzt.

· 2001 unterrichtete die Gewerkschaft die Belegschaft erst wenige Tage vor Inkrafttreten über die bevorstehende Kürzung der Löhne für alle befristet Beschäftigten und neu Eingestellten Mitarbeiter der Post. Diese Schaffung eines Niedriglohnsektors bei der Post war laut Gewerkschaft unumgänglich, da sie sich "an den branchenüblichen Löhnen" orientiere.

· 2004 schloss Verdi einen Tarifvertrag über eine Lohnsteigerung von fünf Prozent bei zweijähriger Laufzeit. Vor dem Abschluss der Verhandlungen, in die das Unternehmen ohne Angebot gegangen war, hatte Verdi mit einer Urabstimmung gedroht. Der Konzern war mit dem moderaten Abschluss hoch zufrieden, denn der vorangegangene Stellenabbau und die Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung hatten der Post 2003 einen Rekordgewinn von 1,3 Milliarden Euro beschert. Der Vorstand hatte sich deshalb die Bezüge um 30 Prozent (!) auf zehn Millionen Euro erhöht.

· 2006 schloss Verdi einen Tarifvertrag über 4,3 Prozent bei zweijähriger Laufzeit ab. Dazu stimmte die Gewerkschaft der Ausgliederung von 880 Paketzustellbezirken zu, die an Subunternehmer abgegeben werden sollten. Die Einigung wurde bereits in der zweiten Gesprächsrunde erzielt.

Die Gewerkschaft hat dadurch aktiv an der Schaffung und Erhaltung des Niedriglohnsektors bei der Post mitgewirkt. Durch die niedrigen prozentualen Abschlüsse änderte sich gerade für die niedrigsten Einkommen angesichts der steigenden Preise nichts an ihrer prekären Situation. Auch die vierprozentige Steigerung der Löhne in diesem Jahr bedeutet für die untersten Lohngruppen bei Teilzeitbeschäftigung brutto gerade einmal 20 bis 30 Euro mehr im Monat!

Eine Anhebung der Bezüge durch einen Sockelbetrag lehnt Verdi vehement ab. Laut der Internetzeitung Telepolis antwortete Verdi auf die Frage nach einer Erhöhung der Löhne durch Sockelbeträge, dies würde "das Entgeldsystem durcheinander bringen" und den "Rationalisierungsdruck" steigern.

Mit anderen Worten: Verdi übernimmt die gleiche Argumentation wie die Geschäftsführung und die Wirtschaftsverbände, dass nämlich Lohnerhöhungen Arbeitsplätze vernichten. Deshalb hat Verdi den Streik bei der Post abgeblasen noch bevor er begonnen hatte.

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