Weiterer Arbeitsplatzabbau bei Siemens

Der Siemens-Konzern ist entschlossen, den im letzten Jahr beschlossenen Konzernumbau und die damit einhergehenden Massenentlassungen rigoros durchzusetzen. Er rechtfertigt dies mit einem hohen Gewinnrückgang und der internationalen Finanzkrise.

Auf der Bilanzpressekonferenz von Siemens am 30. April 2008 berichtete Konzernchef Peter Löscher über einen 67-prozentigen Gewinneinbruch im zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahres 2007/2008. Das Geschäftsjahr beginnt bei Siemens jeweils am 1. Oktober. Im gleichen Atemzug kündigte er weitere scharfe Sparmaßnahmen und den Abbau von Arbeitsplätzen an.

Der Gewinn brach im Vergleich zum Vorjahr um zwei Drittel ein - von 1,26 Milliarden Euro auf 0,41 Milliarden Euro. Dabei stieg der Umsatz um 1 Prozent auf 18,09 Mrd. Euro und der Auftragseingang um 12 Prozent auf 23,37 Mrd. Euro. Allein im letzten Jahr wurde die Zahl der Beschäftigten trotz Zu- und Verkäufen um 36.000 reduziert. Sie sank weltweit von 471.000 auf 435.000.

Dieser drastische Arbeitsplatzabbau soll fortgesetzt werden. Siemenschef Löscher sagte auf der Bilanzpressekonferenz: "Fest steht, die Weltkonjunktur wird sich abschwächen. Wir gehen davon aus, dass die Folgen der Finanzkrise im Verlauf unseres kommenden Geschäftsjahres auch deutlicher in der Realwirtschaft ankommen werden."

Da der Konzernvorstand an seinen festgelegten Wachstumszielen - doppelt so hoch wie die Weltwirtschaft - und hohen Renditezielen für alle Bereiche festhalten will, kündigte Löscher an: "Es wird ganz klar zu einem Personalabbau kommen." Er nannte noch keine genauen Zahlen. Die Größenordnung wird aber schon daran sichtbar, dass allein in Vertrieb und Verwaltung die Kosten um etwa 1,2 Milliarden Euro sinken sollen. Eine solche Summe kann nur durch die Vernichtung von vielen Tausenden Arbeitsplätzen eingespart werden.

Konkret von Arbeitsplatzabbau betroffen sind bereits jetzt Tausende von Siemens-Beschäftigten in der Telefonanlagensparte Siemens Enterprise Networks (SEN). Weltweit sollen in diesem Bereich 7.000 von 17.500 Arbeitsplätzen abgebaut werden. Betroffen sind Niederlassungen in den USA mit derzeit noch 1.900 Beschäftigten, Großbritannien und Brasilien mit jeweils 1.500 Beschäftigten. In Deutschland sind 2.000 von 6.200 Arbeitsplätze bedroht, vor allem in München und Leipzig sowie in den regionalen Niederlassungen.

IG Metall und Betriebsräte

Der 20-köpfige Aufsichtsrat hat im November letzten Jahres den umfassenden Konzernumbau einstimmig abgesegnet. Die Betriebsräte und IG-Metall-Funktionäre, die die Hälfte der Aufsichtsratssitze einnehmen, haben dem Konzernumbau zugestimmt, obwohl schon damals klar war, dass damit die Vernichtung von Zigtausenden Arbeitsplätzen verbunden ist. Sowohl der Gesamtbetriebsrats-Vorsitzende Ralf Heckmann als auch IG-Metall-Chef Berthold Huber sind Mitglied des Aufsichtsrats, Heckmann als stellvertretender Vorsitzender.

Bei SEN in Deutschland stimmten IG Metall und Betriebsrat damals hinter verschlossenen Türen bereits dem Abbau von 600 Stellen zu. Als im Februar der Vorstand diese Zahl auf 2.000 bis 3.000 erhöhte, zeigten sich Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre zwar "bestürzt". Doch das hielt sie nicht davon ab, sich zügig auf den Abbau von mehr als 2.000 Arbeitsplätzen zu verständigen.

Ralf Heckmann setzte sich sogar höchstpersönlich für eine raschere Umsetzung des Abbaus ein. Als die Betriebsräte des Geschäftsfeldes SEN Anfang April dem Sanierungsplan des Managements nicht schnell genug zustimmten und eine gesetzte Frist verstreichen ließen, übten sowohl der Siemens-Personalvorstand Siegfried Russwurm als auch Heckmann Druck aus, um schnell eine Einigung über den Personalabbau zu erzielen.

Russwurm erklärte am 11. April gegenüber der Süddeutschen Zeitung : "Allen Beteiligten ist klar, 1.200 Jobs sind in der Sparte einfach nicht zu halten." Heckmann, der von Siemens ein Gehalt von 250.000 Euro im Jahr bezieht, äußerte sich fast wortgleich: "Wir wissen, dass sich die Jobs nicht retten lassen."

Mitte April legten Siemens-Vorstand, IG-Metall und Betriebsrat des bereits ausgegliederten Bereichs SEN dann einen Sozialplan vor. Er beinhaltet Regelungen, wie sie bereits bei der Zerschlagung von BenQ, der ehemaligen Siemens-Handysparte, zum Einsatz kamen. Über Abfindungen, Altersteilzeit-Regelungen und den Übergang in eine Transfergesellschaft mit 24-monatiger Laufzeit sollen die ersten 1.240 Stellen abgebaut werden. Für weitere 800 Stellen, die nach dem angestrebten Verkauf des Bereichs gestrichen werden, sollen die gleichen Regelungen gelten.

Mit dem Verkauf von SEN hat Siemens allerdings Probleme. Ursprünglich sollte SEN bis Ende April verkauft werden. Als Interessenten waren Konkurrenten wie Alcatel-Lucent, Nortel und der Finanzinvestor Cerberus im Gespräch. Ein Verkauf kam jedoch bislang nicht zustande. Sollte sich bis Ende Juni kein Käufer finden, wird Siemens den Bereich selbst sanieren, wenn nicht gar komplett schließen, da er in den vergangenen Monaten zu den Verlustbringern zählte. Dann wären alle über 17.000 Beschäftigten von Arbeitslosigkeit bedroht.

Als weiterer Bereich ist die Verkehrstechnik TS (Transport Systems) unmittelbar von Einsparungen und Stellenabbau betroffen. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung Ende April sucht ein von der Konzernspitze eingesetztes Sanierer-Team nach Einsparmöglichkeiten. Der Bereich mit einem Umsatz von 4,5 Milliarden Euro stellt Fernzüge und Straßenbahnen her. Siemens-Chef Peter Löscher fordert, dass TS spätestens bis 2010 das geforderte Gewinnziel von 7 Prozent (fast alle anderen Bereiche haben zweistellige Gewinnziele) erreichen müsse. Zuletzt erreichte TS nur 2,1 Prozent.

Alle Einheiten, Prozesse und Strukturen der Siemens-Division Mobility, in der TS Anfang des Jahres aufgegangen ist, werden nun auf den Prüfstand gestellt. Im September sollen erste Ergebnisse vorliegen und vorgeschlagene Einsparmaßnahmen zügig umgesetzt werden. Die Sorge und Angst unter den Beschäftigten ist groß, dass diesen Sparmaßnahmen viele Stellen zum Opfer fallen werden.

IG Metall und Betriebsräte beteuern, Siemens-Bereiche würden nur an "seriöse Investoren" verkauft, bei denen "kein weiteres BenQ" drohe. Was diese Beteuerungen wert sind, zeigt die Praxis. Schon im April letzten Jahres sind Teilbereiche der ehemaligen Siemens-Kommunikationssparte COM in das Unternehmen Nokia Siemens Networks (NSN) übergegangen. Nur einen Monat später kündigte NSN einen massiven Arbeitsplatzabbau in Finnland und Deutschland an. Bis 2010 sollen 9.000 der ursprünglich 60.000 Arbeitsplätze wegrationalisiert werden.

Ein weiteres Beispiel ist die ehemalige Autozulieferer-Sparte VDO, die Siemens Ende letzten Jahres mitsamt den 60.000 Beschäftigten an den Automobilzulieferer Continental AG verkauft hat. Dort und in vielen anderen ausgegliederten und verkauften Bereichen gehen der Arbeitsplatzabbau und die Schließung von Werken weiter. Insgesamt sollen bei VDO 2.000 Arbeitsplätze gestrichen werden.

Vor der Hauptversammlung der Continental AG in Hannover Ende April demonstrierten deshalb Arbeiter aus dem VDO-Werk in Wetzlar und einem Continental-Reifenwerk in San Luis Potosi in Mexiko. In Mexiko will der Konzern die Löhne um 50 Prozent kürzen, obwohl angesichts explodierender Lebensmittelpreise der Lohn bereits jetzt nicht zum Leben reicht. Im letzten Jahr verloren in dem mexikanischen Werk 250 Arbeiter ihren Job, weitere Entlassungen sind bereits angekündigt. In Wetzlar soll die Hälfte der Belegschaft, 450 von 900 Arbeitern, ihren Job verlieren. Ein Teil der Produktion wird nach Tschechien verlagert.

In Dortmund sollen bei VDO sogar zwei Drittel der Arbeitsplätze abgebaut werden. Von 1.250 Arbeitsplätzen sollen nach Abschluss von so genannten "Strukturanpassungen" in den nächsten Monaten nur 350 übrig bleiben. Auch bei Continental sind die Renditeziele hoch. So sollen bis 2009 alle Bereiche mindestens 10 Prozent Gewinn erzielen.

Die Korruptionsaffäre

Unter den Siemens-Beschäftigten sind die Sorge und der Ärger über den Korruptionsskandal groß, der im November 2006 aufgebrochen ist und seitdem in großem Ausmaß die Medienberichte über das Unternehmen beherrscht. Viele befürchten zu Recht, dass die Auswirkungen der Schmiergeldaffäre und die Kosten für ihre Aufklärung zu Lasten von Arbeitsplätzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen gehen. Bis jetzt sind Strafzahlungen und Anwaltskosten von knapp 2 Milliarden Euro aufgelaufen.

Siemens gibt horrende Summen für die Aufklärung der Korruption aus. So kassierte bislang allein die vom Aufsichtsrat engagierte Anwaltskanzlei Debevoise & Plimpton, die auf solche Fälle spezialisiert ist, eine halbe Milliarde Euro. Die Kosten für den beschlossenen Sozialplan für die 1.250 SEN-Beschäftigten dürften dagegen nur einen Bruchteil davon betragen.

Diese Aktivitäten des Siemens-Konzerns haben nichts mit neuen Geschäftspraktiken oder einer veränderten Geschäftsmoral und -ethik zu tun, wie dies vom Vorstand gerne dargestellt wird. Siemens fürchtet wegen der Korruptionsaffäre Geldbußen der amerikanischen Börsenaufsicht SEC in Milliardenhöhe, die das Unternehmen in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnten. Sie könnten den Aktienkurs ernstlich bedrohen und so die Aktienbesitzer verprellen.

Der ständige Ruf nach "Transparenz" und "Erneuerung" soll vor allem der US-Börsenaufsicht demonstrieren, dass die Korruptionspraktiken der Vergangenheit angehören. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2006/2007 wurden 470 Mitarbeiter wegen Verstößen gegen interne Richtlinien entlassen, bestraft oder abgemahnt. Die Vorstandsriege ist fast vollständig ausgetauscht worden.

Der Beschluss des Aufsichtsrats, Schadensersatzansprüche gegen ehemalige Vorstandsmitglieder und leitende Mitarbeiter zu prüfen, wenn sich die erhobenen Korruptionsbeschuldigungen als wahr herausstellen sollten, erinnert an die Methode: "Haltet den Dieb!"

Das System der Schmiergelder war bei Siemens weit verbreitet und jahrzehntelang von der offiziellen Politik akzeptiert. Bis September 1998 konnten in Deutschland Schmier- und Bestechungsgelder, die im Ausland bezahlt wurden, noch steuerlich abgesetzt werden. Offensichtlich hat Siemens diese Geschäftspraktiken danach nicht beendet.

Ausgehend von der Kommunikationssparte, wo die Ermittlungen ihren Ausgang nahmen, sind inzwischen immer mehr Siemens-Bereiche ins Blickfeld der externen und internen Ermittler geraten - darunter zentrale Geschäftsfelder wie die Kraftwerks-, Verkehrs- und Medizintechnik. "In fast allen untersuchten Geschäftsbereichen und zahlreichen Ländern" wurden Belege für Korruptionsverstöße gefunden, heißt es in einem Ende April vorgelegten Bericht der Anwaltskanzlei Debevoise & Plimpton. Von der Münchner Staatsanwaltschaft wird inzwischen in der Siemens-Korruptionsaffäre gegen 270 Beschuldigte aus den Führungsetagen ermittelt.

Dass IG Metall und Betriebsrat, die zehn Vertreter im Aufsichtsrat stellen, nichts vom Schmiergeldsystem gewusst haben, ist nur schwer zu glauben. Sie betrachten sich als Co-Manager des Vorstands und arbeiten in Vorstand und Aufsichtsrat Hand in Hand mit der Konzernspitze.

Siehe auch:
Siemens baut weltweit 7.000 Stellen ab
(28. Februar 2008)
Siemens: Aufsichtsrat beschließt radikalen Konzernumbau
(1. Dezember 2007)
Nokia Siemens Networks streicht Tausende von Arbeitsplätzen in Finnland und Deutschland
(17. Mai 2007)
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