G8-Gipfel von Machtlosigkeit und Gegensätzen geprägt

Die kapitalistische Weltwirtschaft steht am Rande ihrer wohl schwersten Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und bedürfte eigentlich mehr denn je einer koordinierten Politik der Regierungen der mächtigsten Länder. Einheit und Zusammenarbeit waren jedoch - trotz wachsender Probleme beim Klimaschutz, steigender Öl- und Lebensmittelpreise und einer drohenden Rezession - eindeutig Mangelware auf dem G8-Gipfel der wichtigsten Industrienationen vom 7. bis 9. Juli im japanischen Toyako.

Nirgendwo waren die Meinungsverschiedenheiten offensichtlicher als in der Erklärung zum Klimawandel. Nach mancherlei Verhandlungen hinter den Kulissen einigten sich die Teilnehmer schließlich auf ein Kommuniqué, in dem sich die großen Industrienationen auf die "Vision" verständigten, "bis 2050 die globalen CO2 Emissionen um mindestens 50 Prozent zu verringern". Aber um auch US-Präsident George Bush zur Unterschrift zu bewegen, der sich weigerte, ohne Verpflichtungen Chinas und Indiens feste Ziele zu benennen, wurde in die Erklärung folgender Vorbehalt eingefügt: "Dieser globalen Herausforderung ist nur mit einer globalen Anstrengung beizukommen, und insbesondere sind Beiträge von allen großen Volkswirtschaften erforderlich."

Wissenschaftler beklagten, dass die Erklärung weit hinter dem zurück bleibe, was notwendig sei, um den globalen Klimawandel aufzuhalten.

"Sie hätten hier einen Fortschritt erreichen können, wenn die Industrieländer bei ihren kurzfristigen Verpflichtungen zur Reduzierung ihrer eigenen Emissionen konkreter geworden wären. Aber in dem Punkt haben sie keine Übereinstimmung", erklärte Aiden Meyer, Sprecher der Union besorgter Wissenschaftler (UCS). "Sie hätten konkretere Einsparungen bis 2050 von einem bestimmten Basisjahr aus festlegen können, aber darauf konnten sie sich nicht einigen."

James Hansen, führender Klimatologe am Goddard Institute for Space Studies der NASA in New York, erklärte, es sei "eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, wenn [die Industrienationen] sagen, sie verstünden das Problem. In Wirklichkeit handeln sie so, dass wir unseren Kindern garantiert unkontrollierbare Klimakatastrophen hinterlassen."

In der Erklärung der G8 gibt es keinerlei Zusagen über eine Reduktion der Emissionen im nächsten Jahrzehnt. Das aber wäre entscheidend. Der Vorsitzende der Klimawissenschaftler der UN, Rajendra Pachauri, sagte, es fehlten "ganz entscheidende Details" in der Erklärung. "Je schneller wir damit beginnen, die Emissionen zu verringern, desto größer ist die Chance, einige der schlimmsten Auswirkungen und Temperatursteigerungen zu vermeiden, die ungefähr in den nächsten zehn Jahren stattfinden werden", sagte er

Die Erklärung wurde umgehend von der G5-Gruppe so genannter aufstrebender Länder kritisiert. Dazu gehören Brasilien, China, Indien, Südafrika und Mexiko, die sich am letzten Tag mit den G8-Vertretern trafen.

"Es kann nicht sein, dass die Verantwortung für das, wofür unzweifelhaft die entwickelten Staaten verantwortlich sind, den aufstrebenden Ländern aufgebürdet wird", sagte der mexikanische Präsident Felipe Calderon.

Südafrikas Umweltminister Marthinaus van Schalkwyk nannte die G8-Erklärung "leere Phrasen ohne Substanz". "Die Erklärung erweckt vielleicht den Eindruck, ein Fortschritt zu sein, aber wir befürchten, dass sie in Wirklichkeit ein Schritt zurück ist, hinter das, was für einen sinnvollen Beitrag zum Klimaschutz notwendig wäre. Ein langfristiges Ziel muss ein Basisjahr haben, wenn es sinnvoll und glaubwürdig sein soll. Es muss ambitionierte Zwischenziele und -maßnahmen enthalten", sagte er.

Selbst wenn es solche Verpflichtungen gäbe, würden sie sich als genauso wenig nachhaltig erweisen, wie die Verpflichtungen im Kampf gegen die Armut in der Welt. Vor drei Jahren beschlossen die G8-Führer bei ihrem Treffen in Gleneagles in Schottland begleitet von großem Medienrummel, die Hilfe für Afrika bis 2010 um 25 Milliarden Dollar zu erhöhen. Vor dem Treffen in Toyako wurde bekannt, dass dieses Ziel erst zu 14 Prozent erreicht sei.

Weltwirtschaft

Die Vereinbarungen der G8 zur Weltwirtschaft waren auch nicht konkreter als die zum Klimawandel. Die Organisation wurde 1975 gegründet, um eine koordinierte Reaktion auf die Probleme zu entwickeln, die die Rezession und die Finanzkrise infolge des Ölpreisschocks von 1973-74 aufwarfen. 35 Jahre später steht die Weltwirtschaft nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds vor ihrer schlimmsten Finanzkrise seit der Großen Depression. Ein vergleichbares Vorgehen wie damals wäre gerade jetzt eigentlich notwendig.

Aber die Erklärung der G8 enthält keinerlei konkrete Maßnahmen. Sie stellt fest, dass die Weltwirtschaft weiterhin mit "Unsicherheiten" konfrontiert ist, weil "Abschwungsrisiken weiter wirken", und sie macht sich "starke Sorgen über hohe Warenpreise, besonders bei Öl und Nahrungsmitteln". Dann heißt es weiter: "Wir sind entschlossen, kontinuierlich mit angemessenen Maßnahmen individuell und kollektiv zu reagieren, um Stabilität und Wachstum unserer Ökonomien und weltweit zu sichern."

Die Erklärung beinhaltet eine indirekte Aufforderung an die chinesische Regierung, den Wechselkurs des Yuan ansteigen zu lassen, damit globale Ungleichgewichte verringert werden können. "Es ist wichtig, dass sich in einigen aufstrebenden Wirtschaften mit hohem und weiter wachsendem Zahlungsbilanzüberschuss der Währungskurs verändert, um die notwendigen Anpassungen zu ermöglichen", heißt es darin. Das Wort "einige" ist gegenüber dem letzten Jahr hinzugefügt worden. Damals wurden im Kommuniqué ganz allgemein "die aufstrebenden Wirtschaften" erwähnt.

Der Währungskurs ist nur Symptom tiefer liegender Probleme. Ein Sprecher Bushs erklärte zu Beginn der Tagung, dass der Präsident für einen "starken Dollar" sei. Das würde aber eine Erhöhung des Leitzinses in den USA erfordern, was fast sicher eine erneute Finanzkrise in den USA und weltweit auslösen würde. Gleichzeitig würde eine Erhöhung des Dollarwerts sinkende Zinsen in anderen Weltregionen voraussetzen, besonders in der Eurozone. Aber die Europäische Zentralbank (EZB) senkt nicht die Zinsen, sondern verfolgt eine restriktive Geldpolitik, um dem globalen Inflationsdruck entgegenzuwirken.

Die Machtlosigkeit der G8 liegt nicht an einzelnen Führern oder Regierungen, sondern ist Ausdruck enormer Veränderungen in der Weltwirtschaft. Die Financial Times erklärte am Montag in einem Kommentar: "Die G8 sind nicht Herren ihres eigenen Schicksals, sondern werden von Kräften und Entscheidungen von außerhalb getrieben. Zwar stehen die G8-Länder für fast die Hälfte der weltweiten Produktion, aber die Entwicklungs- und Schwellenländer tragen 70 Prozent des weltweiten Wachstums bei. Ihre Dynamik wiegt inzwischen schwerer als die schiere Größe der G8. Und aufgrund seiner zehnprozentigen Wachstumsraten steuert China jedes Jahr genauso viel zum Wachstum der Weltwirtschaft bei wie die USA."

Der stetige Niedergang der "führenden Industrienationen", wie sich die G8-Teilnehmer gerne selber nennen, wird von dem ökonomischen Niedergang der Vereinigten Staaten illustriert. In einem Kommentar bei Bloomberg News hieß es am Donnerstag: "Der 41-prozentige Fall des Dollar gegenüber dem Euro während Bushs Amtszeit ist die ökonomische Grabinschrift für eine Regierung, die angetreten war, die amerikanische Vorherrschaft wiederherzustellen."

Ein noch schärferer Kommentar des bekannten britischen Historikers und Journalisten Max Hastings wurde am Montag im Guardian veröffentlicht. Die Zusammenkunft in Toyako, begann er, beschwöre das Bild eines Unfalls und einer Notaufnahmestation an einem Samstagabend herauf.

"Präsident Bush, Führer der stärksten Nation der Welt, ist diskreditiert; seine Zeit ist so gut wie abgelaufen. Gordon Brown führt eine Regierung, deren meiste Mitglieder ihn am liebsten in einem Loch verschwinden sähen. Silvio Berlusconi steht an der Spitze einer Gangsterkultur, die es Italien unmöglich macht, in der Welt noch ernst genommen zu werden. Nicolas Sarkozy sollte sich des Prestiges seines noch bis 2012 sicheren Präsidentenjobs erfreuen können, aber die Possen seines ersten Amtsjahres haben seine Machtbasis in seinem eigenen Lager erschüttert. Der neue russische Präsident Dimitri Medwedew könnte sich als Nullnummer erweisen, weil Wladidmir Putin nicht da ist, um ihm zu sagen, was er zu denken hat."

Hastings ist deswegen so besorgt um den Zustand der politischen Führung der Welt, weil die G8 vor den "schwierigsten Fragen der modernen Zeit" stehen. Dazu zählt er den Klimawandel, die weltweite Armut und die Wachstumsschwäche der Wirtschaft angesichts steigender Energie- und Lebensmittelpreise. Es werde aber immer schwieriger, "international eine Mehrheit für ein Ziel zu mobilisieren, so wertvoll und wichtig es auch sein mag". Das sei nicht nur eine Folge des Autoritätsverlustes der USA, sondern auch die Konsequenz des so genannten "Globalismus", der es "für jedes Land schwieriger macht, einen Konsens für ein entschiedenes Vorgehen herzustellen".

Hastings zufolge war in der Ära des kalten Kriegs für die kapitalistischen Gesellschaften alles viel einfacher, "als es einsichtig war, dass man der starken Führung der USA folgen musste". Er geht davon aus, dass "die globalen Aussichten" künftig noch "viel schlimmer" werden müssten, bis Organisationen wie die G8 "sich eingestehen, dass gemeinsames Handeln gegen alle gleichermaßen bedrohende Gefahren Vorrang vor der gewohnten, katastrophal veralteten Verfolgung nationaler Interessen haben muss."

Hastings Hoffnung, dass globale Ereignisse die Führer der Welt für die Gefahren einer rein nationalen Interessenvertretung empfänglich machen würden, ist völlig fehl am Platze. Das aktuelle G8-Treffen hat gezeigt, dass die globalen wirtschaftlichen und Umweltprobleme nicht zu einem international einheitlichen und koordinierten Vorgehen führen, sondern die nationalen Divergenzen und Konflikte zwischen den kapitalistischen Mächten verstärken.

Das liegt daran, dass die Gegensätze nicht den Vorstellungen einzelner Politiker entspringen oder das Ergebnis mangelnder Einsicht oder Verständnisses sind, sondern in der nationalstaatlichen Struktur der kapitalistischen Weltordnung selbst verwurzelt sind.

Siehe auch:
US-Notenbank in weltweite Turbulenzen verstrickt
(2. Juli 2008)
Schatten von 1929: die globalen Auswirkungen der US-Bankenkrise
(27. Mai 2008)
Rolle der Hedge Fonds in der Weltnahrungskrise
(24. April 2008)
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