Siemens-Arbeitsplatzabbau

Betriebsräte und IG Metall spalten Konzernbelegschaft

In Verhandlungen mit der Siemens-Geschäftsleitung haben Betriebsräte und Vertreter der IG Metall sich für einen Deal nach dem Sankt-Florian-Prinzip eingesetzt. (Heiliger Sankt Florian / Verschon mein Haus / Zünd andre an!)

Um die deutschen Standorte zu retten und einer Konfrontation mit den Beschäftigten auszuweichen, schlugen Betriebsräte und IG Metall vor, das Fahrzeugwerk in der tschechischen Hauptstadt Prag abzustoßen. Das Siemens-Werk in Prag-Zlicin soll verkauft oder - falls sich kein Käufer findet - geschlossen werden. Spätestens im Herbst kommenden Jahres soll das Werk mit seinen gegenwärtig noch etwa 1.100 Beschäftigten nicht mehr zu Siemens gehören.

Konzernchef Peter Löscher hatte die Arbeitnehmervertreter aufgefordert, "Alternativ-Vorschläge" zu machen, wenn sie einen vorläufigen Bestandsschutz für die Siemensstandorte in Deutschland haben wollten. Dass Löscher den Vorschlag, das tschechische Werk abzustoßen, angenommen hat und als Gegenleistung zusicherte, bis September 2010 keinen deutschen Siemensstandort zu verlagern oder zu schließen, feierten die Gewerkschafter als großen Erfolg.

Sie lobten die "sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit", übernahmen die Ausarbeitung der Einzelheiten für den Arbeitsplatzabbau und sagten die bereits vorbereiteten Protestaktionen an mehreren Siemensstandorten kurzfristig ab.

Dirk Graalmann, der für die Süddeutsche Zeitung Mitte vergangener Woche die Verhandungen im Parkhotel Krefelder Hof verfolgte, beschrieb die "traute Harmonie" zwischen Management und Arbeitnehmervertretern mit folgenden Worten: "Ein paar Kilometer weiter östlich trotteten die betroffenen Beschäftigten im Siemens-Werk nach ihrem Schichtende vom Gelände, im Salon Krefeld aber stand Personalvorstand Siegfried Russwurm einträchtig neben Gesamtbetriebsratschef Ralf Heckmann und bilanzierte zufrieden: 'Wir sind uns mit der Arbeitnehmerseite grundsätzlich einig geworden, um Siemens wetterfest zu machen'."

Mit der Unterzeichnung eines "Eckpunkte-Papiers", das zuvor von Konzernchef Peter Löscher und IG-Metall-Chef Berthold Huber mit ausgehandelt worden war, übernehmen Gewerkschaft und Betriebsrat eine Schlüsselrolle, um den Abbau der Arbeitsplätze, Steigerung der Arbeitshetze und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen "sozialverträglich" durchzusetzen.

Personalchef Russwurm betonte, an der Planung, weltweit 17.000 Stellen abbauen zu wollen und in den kommenden Jahren 1,2 Milliarden Euro in Verwaltung und Vertrieb einzusparen, halte man auch nach den Verhandlungen mit Betriebsrat und Gewerkschaft uneingeschränkt fest.

Von den über 6.000 Arbeitsplätzen die an deutschen Standorten abgebaut werden sollen, sind vor allem Beschäftigte der Verwaltungen betroffen. Aber auch im Unternehmensbereich Transport und Verkehrstechnik, der so genannten Sparte "Mobility", die bei der Produktion von Zügen und Bahnen wiederholt die vom Vorstand vorgegebenen Gewinnziele verfehlte, sollen an deutschen Standorten 560 und weltweit 2.500 Stellen abgebaut werden. Mehr als jeder zehnte Arbeitsplatz soll in diesem Bereich wegfallen.

Anstatt einen gemeinsamen Kampf aller Beschäftigten über alle Grenzen hinweg zu organisieren und dem globalen Profitstreben der Konzernleitung eine internationale Strategie der Beschäftigten entgegenzusetzen, handeln Betriebsräte und IG Metall genau entgegengesetzt. Sie übernehmen die Rolle die Beschäftigten von Land zu Land gegeneinander auszuspielen, internationale Solidarität und Zusammenarbeit zu sabotieren, und die Entscheidungen der Konzernleitung, die sich ausschließlich an den Profitinteressen der Großaktionäre orientiert, gegen den Widerstand der Beschäftigten durchzusetzen.

In der tschechischen Hauptstadt schlug die Nachricht, dass die IG Metall das Siemens-Werk an der Moldau geopfert hat, wie eine Bombe ein. Siemens ist mit insgesamt 18.000 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber in der Tschechischen Republik. Als die Nachricht vom geplanten Verkauf oder gar einer drohenden Betriebsschließung bekannt wurde, traten die Beschäftigten in einen spontanen Proteststreik. Für eineinhalb Stunden wurde die Arbeit niedergelegt. Nach Angaben von Vertretern der Metallarbeitergewerkschaft Kovo herrscht im Betrieb eine außerordentlich gereizte und hitzige Stimmung. Die Beschäftigten seien eindeutig streikbereit.

Doch die Gewerkschaftsfunktionäre in Prag sind keinen Deut besser als ihre Kollegen in Deutschland. Während sie vor der aufgebrachten Belegschaft radikale Töne anschlagen, arbeiten sie gleichzeitig eng mit der örtlichen Unternehmensleitung zusammen. Am Donnerstag trafen sich Vertreter von Kovo und des Siemens-Konzerns, um über die Zukunft des Verkehrstechnik-Werks im Stadtteil Zlicín zu verhandeln.

Dabei ging es überhaupt nicht mehr in erster Linie um den Erhalt des Werks, sondern über mögliche Beschäftigungsgarantien nach einem Verkauf, beziehungsweise um die Höhe möglicher Abfindungen für die Beschäftigten. Der Siemens-Vorstand erklärte sich zu weiteren Gesprächen bereit.

Die Prager Gewerkschaftsfunktionäre versuchen ebenfalls schnellstmöglich ein Verhandlungsergebnis zu erzielen und den Widerstand der Beschäftigten unter Kontrolle zu halten. Ihnen ist sehr wohl bewusst, dass ein längerer Streik der Siemens-Beschäftigten in Prag sehr schnell auf andere Teile der Arbeiterklasse übergreifen könnte.

Ende Juni beteiligten sich 800.000 Menschen an Protestaktionen gegen die "Reformpolitik" der tschechischen Regierung, die massive Einschnitte ins Gesundheits-und Rentensystem vorsieht.

Wie die IG-Metall hier, so hat auch Kovo in Tschechien eine lange Tradition als Co-Manager der Unternehmen. Dabei verfolgt sie eine ebenso national-orientierte Politik. Kovo-Chef Josef Stredula erklärte, dass die Schließung des Werkes "eine politische Entscheidung" gegen das tschechische Volk wäre und dass man Tschechen als "EU-Bürger 2. Klasse" behandeln würde.

Weder die deutsche IG Metall noch die tschechische Kovo stellen die Umstruktuierung von Siemens im Interesse der Profiteure grundsätzlich im Frage. In den Betriebsräten und Aufsichtsratsgremien sind sie seit langem an der Ausarbeitung von immer neuen Plänen zum Arbeitsplatzabbau und Sozialdumping beteiligt.

Es ist nicht das erste Mal, dass Gewerkschaften versuchen, die Belegschaften verschiedener Länder gegeneinander auszuspielen und aufzuhetzen. Bereits während der Proteste gegen den Arbeitsplatzabbau beim deutsch-französischen Luftfahrtunternehmen Airbus setzten sich weder die deutschen noch die französischen Gewerkschaften für die bedingungslose Verteidigung der Arbeitsplätze ein, sondern achteten stattdessen sorgfältig darauf, dass die Streiks und Demonstrationen an den verschiedenen Standorten voneinander getrennt blieben.

Ähnlich verhielt es sich beim deutschen Autobauer VW. Der deutsche Betriebsrat des Volkswagen-Konzerns sorgte dafür, dass die Produktion des Golfs von Brüssel nach Wolfsburg verlagert wurde, indem er längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich zustimmte, mit der Konsequenz, dass das Werk in Brüssel stillgelegt wurde.

Ein Bruch mit der Sozialpartnerschafts-Politik der Gewerkschaften und Betriebsräte ist die Grundvoraussetzung für die Verteidigung der Arbeitsplätze bei Siemens und in allen anderen Betrieben. Die Belegschaften müssen unabhängig von den Gewerkschaften Verteidigungskomitees aufbauen, die untereinander Kontakt aufnehmen.

Der Aufbau solcher Verteidigungskomitees gegen Massenentlassungen und zunehmenden Sozialabbau muss mit Diskussionen über eine neue politische Perspektive verbunden werden.

Diese Perspektive muss vom internationalen Charakter der modernen Produktion und den gemeinsamen Interessen aller Arbeiter weltweit ausgehen. Und sie muss für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft eintreten. Die gesellschaftlichen Interessen müssen Vorrang vor den Profitinteressen der Konzerne haben. Für Diskussionen über diese Perspektive und für die Vorbereitung gemeinsamer Aktionen aller Siemens-Beschäftigten steht die Redaktion der World Socialist Web Site jederzeit zur Verfügung.

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